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Weltpolitik im Wirtshaus


Stadtteil: Köpenick
Bereich: Wendenschloß
Stadtplanaufruf: Berlin, Slevogtweg
Datum: 22. August 2016
Bericht Nr: 556

Theodor Fontane hat nicht nur über Wanderungen in der Mark Brandenburg geschrieben. 1860 stieg er auf ein Schiff und befuhr die "Wendische Spree" von Köpenick bis Dolgenbrodt. Wendische Spree? Das ist kein Fluss, der inzwischen versiegt ist, sondern der früher übliche Name der Dahme, die in Köpenick als linker Arm an die Spree herankommt, benannt nach früheren slawischen Bewohnern. Fontane schrieb darüber: „An der Brücke zu Cöpenick treffen zwei Flüsse beinahe rechtwinklig zusammen: die 'eigentliche' Spree und die 'wendische' Spree, letztere auch 'die Dahme' geheißen."

Als Fontane auf der Fahrt zu den Quellgebieten der Wendischen Spree die Fischerhäuser im Kietz passiert hatte, sah er hoch aufgeschichtete Holzmeiler, mit denen Holzkohle hergestellt wurde. "Zwischen den Holzmeilern, und auf eine weite Strecke hin mit ihnen abwechselnd, erhoben sich die Kolossalbauten der Berliner Eiswerke, die auf weithin die Ufer beherrschen. Dazwischen Villenanlagen, die in allen erdenklichen Spielarten, namentlich im italienischen und englischen Kastellstil, zu uns sprachen. Dicke und schlanke Flachtürme, mit Pfeilern, Sims und Balustrade."

Wir sind wir entlang der Wendenschloßstraße unterwegs, nehmen den Landweg parallel zu Fontanes Bootsfahrt. An der Wendischen Spree liegt Wendenschloß, und wenn ich nicht "das" Wendenschloß schreibe, dann wird schon klar, dass es hier um eine Ortslage geht und nicht um Gebäude. Ein Schloss hat es hier nie gegeben, aber ein Gasthaus und Ausflugslokal, das sich Wendenschloß nannte. Kurz vor 1900 muss es gegründet worden sein, es war ein Etablissement mir großem Garten und Festsaal für 1.200 Personen. Gegründet wurde es als "Eichhorn", auch den Namen "Freundschaft" soll es einmal getragen haben. Man kann vermuten, dass damit in der DDR-Zeit auf das große sozialistische Brudervolk angespielt wurde, das an diesem Ort mit einer Einladung an die anderen Alliierten Nachkriegsgeschichte geschrieben hat.

Das Wendenschloss macht Weltgeschichte
Es war nicht zum ersten Mal, dass sich Weltgeschichte mit dem Namen eines Wirtshauses verbindet. Als Napoleon mit einer Schlacht in Belgien endgültig in die Verbannung geschickt wurde, verband der englische General Wellington das mit "Waterloo", dem Namen des Dorfes, bei dem die Schlacht stattgefunden hatte. Dem deutschen Feldmarschall Blücher gefiel "Belle Alliance" besser, so nannte sich der Gasthof, in dem Napoleon sein letztes Quartier aufgeschlagen hatte. Die Gaststätte hatte der Volksmund so benannt wegen der Heirat der alternden Wirtin mit einem jungen Knecht, der Begriff (übersetzt "Schöne Verbindung") war aber zweideutig und konnte sich auch auf die siegreichen Verbündeten beziehen.

Direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der Oberkommandierende der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Marschall Schukow, sein Hauptquartier in der Waldgaststätte Wendenschloß aufgeschlagen. Ob die Sowjets sich von dem "Schloß" haben blenden lassen? Wohl kaum, denn sie waren bestens darüber informiert, wo sie 'was' fanden und vor allen Dingen 'wen'. Und das im doppelten Sinne, um Gefolgsleute zu gewinnen und Schuldige zu verfolgen, wobei das - wie auch bei den Amerikanern - nicht immer so klar getrennt war.

Für den 5. Juni 1945 lud Schukow seine Kollegen Eisenhower, Montgomery und den französischen Oberkommandierenden ins Wendenschloß ein, um dort die "Berliner Erklärung" zu verabschieden: "Deklaration in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme höchster Autorität hinsichtlich Deutschlands durch die Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und durch die provisorische Regierung der französischen Republik". Damit war der Besatzungsstatus für Deutschland geschaffen, die Herrschaft über ein zunächst weiter bestehendes Deutsches Reich.

Das Wendenschloß war die Bühne für die "Deklaration der Anti-Hitler-Koalition über die Niederlage des faschistischen Deutschlands", wie eine Gedenktafel vor dem Grundstück verkündet. Zu DDR-Zeiten wurde das Haus zur "Gaststätte Freundschaft". Nach der Wende kümmerte sich die Treuhandanstalt nicht sehr erfolgreich um das Anwesen, das am Verfallen war. Sie verkaufte den historischen Schatz an einen Investor, der die Gaststätte abreißen ließ und Wohnungen dafür baute.

Bimmel-Bolle an der Dahme
Die Marienstraße war ursprünglich eine selbstständige Straße, die dem "Marienhain" ihren Namen gab. 1926 wurde sie in die Wendenschloßstraße einbezogen. Hier lag die "Meierei am Marienhain", die von Carl Bolle in den 1870er Jahren gegründet wurde. Bolle war Maurermeister, verhinderter Theologe und Missionar, betrieb einen Fischhandel, eine Obstplantage, eine Konservenfabrik, eine Baumschule (natürlich nicht alles gleichzeitig) und belieferte die Berliner mit Milch ("Bimmel-Bolle"). Ein umtriebiger Mensch, der immer wieder neue Ideen hatte und niemals aufgab. Mit seinem Namen verbindet man vor allem die Meierei in Moabit und die Norddeutschen Eiswerke, unerwähnt bleiben regelmäßig seine Aktivitäten in Köpenick.

Es begann dort mit der Gewinnung von Eis aus der Dahme, das waren die "Kolossalbauten der Berliner Eiswerke", die Fontane bei seiner Bootsfahrt gesehen hatte. Auf Bolles Grundstücken folgten dann Obstplantagen und Spargelfelder, eine Obstweinkelterei, schließlich ein Gutshof und 1890 eine Villa mit Villengarten an der Wendenschloßstraße. 1898 richtete er nicht nur eine allgemeine Meierei ein, sondern auch eine Kindermilch-Meierei. Im Kampf gegen die hohe Säuglingssterblichkeit spielte die Milch für Kinder eine besondere Rolle. Auf dem Grundstück der Meierei standen 7 Kuhställe, 1 Kälberhaus, 2 Hühnerställe, 1 Kühlhaus, 1 Kesselhaus und ein Futterspeicher.


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Heute ist das Karree als zukünftiges Baugebiet "Neues Wohnen am Marienhain" komplett eingezäunt und in Stadtplänen wie ein Sperrgebiet dargestellt, obwohl sich hier denkmalgeschützte Gebäude befinden. Ein "elegantes Wohnambiente in einer schönen Parklandschaft" mit hunderten von Wohnungen soll hier entstehen. Zu sehen ist davon nichts, bisher wird es nur von den "Schwarzen Sheriffs" bewacht, einem nicht immer unumstrittenen Sicherheitsdienst. Wie viel der denkmalgeschützten Substanz noch übrig ist, kann man nicht erkennen. Nur einige wenige Backsteingebäude sind als "Bollehof" am Rande an der Siegfried-Berger-Straße zugänglich, ein auf alt gemachtes Schild aus der Jetztzeit verweist auf den "Christl. Unternehmer Carl Bolle".

Ein Plattenbau wird auf Historismus getrimmt
"Sorgfältig gearbeitete Putzgliederungen in zartem beige. Lange französische Fenster, verziert mit dunkelrot geschwungenen Dachgiebeln". Aber das ist reine Illusionsmalerei. In der Wendenschlossstraße 178 hat ein Privatinvestor einer DDR-Platte vom Typ WBS 70 einen Altbau auf die Fassade malen lassen. Auch im Innern gab es Veränderungen, beispielsweise neue Stuckdecken, und sogar einen Doorman nach amerikanischem Vorbild soll es geben: "Ein Concierge soll künftig die Bewohner über den gefliesten Terrakottaboden zum mit leiser Musik bespielten Aufzug geleiten." Das könnte Maklerprosa sein, steht aber wörtlich so im Tagesspiegel, da sind wohl dem Journalisten die Pferde durchgegangen.


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Kopfschütteln über den Investor bei den Wohnungsbaugesellschaften und -wohngenossenschaften, aber die Wohnungen werden zu bezirksüblichen Mietpreisen von fünf und sechs Euro pro Quadratmeter (Stand 2007) angeboten und werden trotz der vielbefahrenen Straße und des rückwärtige angrenzenden Kraftwerks und Sportplatzes nachgefragt.

Die Villenkolonie Wendenschloß
Als Fontane die Villen entlang der Wendischen Spree sah, spottete er über die "Schiefheit" der Entwürfe und ihrer Ausführung, die geflissentlich Vorbilder wie Schinkel übersehen. Die Villen, die heute die Siedlung prägen, kann er damit kaum gemeint haben, denn sie wurden erst mehr als 60 Jahre nach seiner Bootstour errichtet. Und mit einem Wehrturm ("Donjon", wie Fontane schreibt), lässt sich keiner der heute vorhandenen Bauten vergleichen, sie stehen für einen gehobenen Ortsteil. Erschlossen durch die Straßenbahn aus Köpenicks Mitte, sind die Bauten auch erreichbar, wenn man kein Luxusgefährt oder schlichtes Automobil vor der Tür zu stehen hat. In der Wendenschloßstraße hat der Senat vor zwei Jahren der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo sogar zwei Grundstücke zur Verfügung gestellt, um hierauf günstige neue Wohnungen zu errichten.

Historische Infrastruktur: Pumpwerk, Straßenbahn-Betriebshof, Strandbad
Für die wirtschaftliche Entwicklung Köpenicks waren zuerst Textilgewerbe und Seidenspinnerei prägend, die dann abgelöst wurden durch Industriebetriebe wie eine Kalkbrennerei, Photochemische Werke, Kabelwerke, eine Großwäscherei. Neue Vororte wie Wendenschloss entstanden, die Infrastruktur musste mit dieser Entwicklung mithalten. Hugo Kinzer - Köpenicker Stadtbaurat - errichtete ab 1901 das Köpenicker Rathaus, das Wasserwerk, zwei Abwasserpumpwerke, den Straßenbahnhof, das Gaswerk, ein Umformerwerk, das Krankenhaus und eine Schule, also fast die gesamten Infrastrukturbauten im neuen Jahrhundert.

Das Abwasserpumpwerk Köpenick III liegt an der Wendenschloßstraße, genau wie der Straßenbahnhof. Es war bis 1986 in Betrieb und wartet jetzt auf die Erweckung für ein neues Leben mit zeitgenössischer Nachnutzung. Zur Technik in dem Backsteingebäude mit Stufengiebel gehören zwei Borsig-Pumpen von 1905, alles ist noch vollständig erhalten. Ein Plattenbau auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat die Aufgabe übernommen. Von dort werden die Abwässer zu einem Klärwerk auf Brandenburger Gebiet gepumpt, nach Münchehofe nahe Friedrichshagen.

Am Bockmühlenweg verweisen die Wasserwerke stolz auf die biologische Regenwasser-Versickerung, die ohne weitere Bearbeitung einen natürlichen Wasserkreislauf ermöglicht. Das Geheimnis ist die unter dem Mutterboden eingebrachte Sickerschicht aus Kies ("Rigole"), durch die das Regenwasser gereinigt wird. Gegen Verstopfung müssen Rigolen gut gesichert sein, denn es gibt keine Möglichkeit, sie zu warten. Die unterirdischen Rigolen lassen sich problemlos unter gepflasterten und befahrenen Wegen einbauen.

Die "Cöpenicker Pferde-Eisenbahn" beförderte seit 1882 die Fahrgäste in der Stadt Köpenick, 1903 abgelöst durch die elektrische "Städtische Straßenbahn Cöpenick". Als erste Straßenbahn fuhr die 62 - wie auch heute noch - bis an südliche Ende der Wendenschloßstraße. Der nahe der Müggelheimer Straße eingerichtete historische Betriebshof hat keine Wendeschleife, die Straßenbahnen müssen "rückwärts" wieder herausfahren. Wenn 2017 die letzten DDR-Tatra-Züge ausgemustert sind, werden hier nur noch historische Bahnen untergestellt.

In der ältesten Wagenhalle fanden 20 Straßenbahnen Platz. Auf ihrem geschwungenen Giebel ist ein altes Köpenicker Stadtwappen zu sehen. Es zeigt einen goldenen Schlüssel, umrahmt von zwei aufrecht stehenden Fischen. Eine weitere Wagenhalle für 80 Straßenbahnen ist mit zwei Giebeln geschmückt, die jeweils sechs geschwungene Teilgiebel enthalten und sich mit schmalen Türmchen voneinander abgrenzen. Das Klinkermauerwerk nimmt die märkische Bautradition auf.


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Vom südlichen Ende der Wendenschloßstraße ist es noch ein Stück Fußweg bis zum Seebad Wendenschloß am Langen See, der von der Dahme durchflossen wird. Die 1915 errichteten Bauten des Strandbads wurden im Zweiten Weltkrieg durch eine Bombe zerstört. 1973 errichtete die DDR eine Nachfolge-Konstruktion, die eine Merkwürdigkeit aufweist: Um vom Strand ins Wasser zu kommen, muss man eine Betonkante überwinden, je nach Sichtweise ist das Wasser oder der Strand mit Beton eingefasst. Das jugendliche Badevergnügen, vom Strand ins Wasser hineinzustürmen, wird hier unterbunden. Strand ist Strand und Wasser ist Wasser.

Nur noch ein paar Schritte vom Pumpwerk, dann sind wir bei einem Griechen am Stichkanal angelangt und lassen uns erwartungsvoll am Wasser nieder. Sehr aufdringlich und unangenehm überfreundlich werden wir genötigt, doch vor dem Essen zumindest ein Knoblauchbrot zu bestellen, das dann als zusammengeklapptes Brötchen mit viel zu heißer Gemüsefüllung auf den Tisch kommt. Aua! Auch ein Ouzo vom Haus vor und einer nach dem Essen hilft nicht als Betäubungsmittel gegen verbrannten Gaumen und disharmonische Atmosphäre. Dem Spaziergang spüren wir trotzdem mit innerer Fröhlichkeit nach.

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Spaziergänge in umliegenden Kiezen:
> Rahnsdorf: Menschenfischer
> Kietz Köpenick: Sind Frauen die besseren Fischer
> Schmöckwitz: Ödes und ärmliches Dünendorf
> Müggelheim: Heim für Kolonisten und für Ausgebombte
> Friedrichshagen: Ein seltener Fang
> Bohnsdorf: Tauben im Paradies
> Spindlersfeld: Ein Stadtteil für die Wäsche

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route:
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Keine Schienen auf dem Bahndamm
Obstwiesen und Park auf der Nichtmehrgrenze