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Fliegen als Grober Unfug


Stadtteil: Treptow
Bereich: Adlershof, Johannisthal
Stadtplanaufruf: Berlin, Zum Großen Windkanal
Datum: 7 Juli 2008

Diese Gegend könnte auf einen unvorbereiteten Besucher etwas verstörend wirken: Links erheben sich an den Enden eines kurzen Flachbaus zwei dicke, mit einem Deckel verschlossene Rundtürme in den Himmel. Rechts steht eine Art Betonei, größer als ein Haus. Im Hintergrund eine gigantische Röhre, die sich um die Ecke windet. Und in der Rasenfläche davor viele Ellipsoide, die vielleicht ein Ufo bei einem fluchtartigen Start verloren hat. Am blauen Himmel schweben unschuldige weiße Wolken.

Dies ist nicht das Cape Canaveral der Marsmännchen, wir sind vielmehr im Aerodynamischen Park in Adlershof, auf einem Campus der Humboldt-Universität. Hier hat die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt seit Anfang der 1920er Jahre am Fuße des Flughafens Johannisthal Versuchslabore betrieben: Die beiden dicken Rundtürme gehörten zum "Schallgedämpften Motorenprüfstand". Das Betonei ist ein Trudelturm, in dem in einem vertikalen Luftstrom an präzise nachgebauten Modellflugzeugen das Trudeln und Torkeln von Flugzeugen simuliert werden konnte. Die gigantische waagerechte Röhre im Hintergrund ist ein 130 Meter langer Windkanal.

Aus den roten Ellipsoiden im Gras dringen synthetische Geräusche. Sie sind Klangkunstwerke, deren Wirkung der Künstler Stefan Krüskemper schlicht und klar so formuliert: "Zeitebenen in Form narrativer Ambientklänge spürbar werden zu lassen und sie mit dem Jetzt zu verschränken." Alles verstanden ? Derselbe Künstler bietet auch für den Naturliebhaber, der lieber zu Hause bleibt, einen Park in der Tüte als "komplettes Themenset" an, bestehend aus Standblume, Vogelstimmen-CD, Parkduft, Wiesenelement. Durch ein "industriell gefertigtes und emotional vermarktetes Massenprodukt" können man den realen Park ergänzen, vielleicht sogar ersetzen, sinniert er. Packen wir heute eine Tüte aus oder gehen wir in die Natur, wird man sich dann fragen, und sich für die Tüte entscheiden.

Hier und auf dem 342 Hektar großen Gebiet rund um den ehemaligen Flughafen ist ein Hochschulstandort im Entstehen, an dem für die Naturwissenschaften alle Veranstaltungen auch des Grundstudiums durchgeführt werden können und der die Institute für Informatik, Mathematik, Physik und Chemie vereint. Die Funktionen einer klassischen Bibliothek, eines Rechenzentrums und eines Multimediazentrums werden im Informations- und Kommunikationszentrum Adlershof (IKA) gebündelt.

Denken, Forschen, Kombinieren, Offensein, verschiedene Blickwinkel zulassen - dafür stehen auch die beiden Plastiken auf dem Vorplatz des Forums, zwei Köpfe, die beweglich sind und Ausdruck, Position und Ausrichtung zueinander verändern.

Der Flughafen Johannisthal wurde 1909 als erster Berliner Flughafen eröffnet, als ein internationales Wettrennen um die erste wirklich fliegende Kiste tobte. Das Rollfeld war zu Anfang nur 800 Meter lang, große Zuschauertribünen und die ersten Flugzeugschuppen wurden errichtet. Der deutsche Teilnehmer der Eröffnungsveranstaltung machte mit seinem Eindecker nur ein paar Hüpfer. Später in diesem Jahr landete ein Flieger in Johannisthal, der am Tempelhofer Feld (Flughafen Tempelhof) gestartet war. Die Zuschauer jubelten, aber die Tempelhofer Polizei verpasste ihm ein Strafmandat wegen groben Unfugs. 1910 gab es den ersten Rundflug über Berlin, von Johannisthal zur Siegessäule, dem Stadtschloss und wieder zurück (1). 1912 und 1913 wurden dann unter dem Titel "Rund um Berlin" Wettflüge veranstaltet.

Ein Mann, der es bis in den Weltraum geschafft hatte als deutscher Astronaut, verunglückte 1995 auf dem Flughafen Johannisthal bei einer Flugschau: Reinhard Furrer.

Der inzwischen verwaiste Flugplatz soll zu einem Park umgestaltet werden. Die Kernzone ist schon als Naturschutzgebiet ausgewiesen, weil die "Flora der mageren Sandböden" Seltenheitswert hat (2). Ein Promenadenweg verläuft um den Flugplatz herum, es gibt "Trockenmauern" (in Drahtverhaue eingefasste fugenlose Natursteine) entlang der Wege. Neue Bäume wurden gepflanzt, die aber offenbar falsch eingesetzt, schlecht gepflegt und unzureichend bewässert wurden. Ein neu gebauter Steg über das Naturschutzgebiet ist schon wegen Baufälligkeit gesperrt. Vieles ist mit Graffiti verschmiert, auch die Skateranlage, die aber von den Jugendlichen gut angenommen wird. Insgesamt ist das Gelände in seiner heutigen Gestalt ein Negativbeispiel dafür, was passiert, wenn der Flugbetrieb eingestellt wird ohne ein neues Konzept zu verwirklichen, Tempelhof lässt grüßen.

Da wir im Umfeld keine interessante Gastronomie entdecken, kehren wir in Friedenau zum Abschluss der heutigen Wanderung ein.

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(1) Mehr über den Flughafen Johannisthal: Fliegen ist notwendig. Leben nicht
(2) In Gatow gibt es ein Naturschutzgebiet mit Steppenvegetation: Rückzug ins Taubenhaus

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Ödes und ärmliches Dünendorf
In Natureinsamkeit bei brausender Weltstadt