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Orgelmusik im Herrenhaus


Stadtteil: Lankwitz
Bereich: Komponistenviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Calandrellistraße
Datum: 9. März 2015
Bericht Nr.: 499

Die Opern von Giuseppe Verdi sind weltbekannt, sie sind Teil der europäischen Musikgeschichte. Da war es nahe liegend, dass die Stadtväter von Lankwitz 1912 im neu angelegten Komponistenviertel eine Straße nach ihm benannten. Sechs Jahre später machten sie das rückgängig, angeblich hatte Verdi sich fast 50 Jahre vorher "deutsch-feindlich geäußert". Die Änderung des Straßennamens im Jahr 1918 - während des Ersten Weltkrieges, als die Nationen in Freunde und Feinde unterteilt wurden - lässt allerdings vermuten, dass Verdi geprügelt wurde, während man tatsächlich Italien meinte.

Deutschland, Österreich und Italien hatten sich 1882 zu einem Dreibund zusammengeschlossen, der zum militärischen Beistand im Falle eines Angriffs auf einen der drei verbündeten Staaten verpflichtete. Als der Erste Weltkrieg begann, sah sich Italien nicht in der Beistandspflicht, weil Deutschland und Österreich nicht angegriffen wurden, sondern selbst in den Krieg eintraten. Doch diese Neutralität währte nicht lange, dann ließ sich Italien von den Kriegsgegnern Frankreich, Großbritannien, USA und ihre Alliierten auf die andere Seite ziehen und kämpfte gegen Deutschland, Österreich und die anderen Mittelmächte. Dass nach diesem Treuebruch in Deutschland alles Italienische verhasst war, kann man sich vorstellen. Wahrscheinlich benannte man deshalb die Verdistraße nach Engelbert Humperdinck um, der als zeitweiliger Assistent von Richard Wagner im Deutschtum fest verankert war. Verdi als "Wagner Italiens" war damit im Komponistenviertel Geschichte.

Das Ende des Ersten Weltkriegs war auch das politische Ende des "Vaters von Lankwitz", wie der erste Bürgermeister Dr. Rudolf Beyendorff voller Verehrung genannt wurde. Ein Arbeiterrat hatte ihn während der politischen Wirren im Dezember 1918 abgesetzt - unrechtmäßig, wie ein Gericht später feststellte, aber das brachte ihm seinen Posten nicht zurück. Der "Arbeiterrat" bestand aus einem Studienrat, einem Postsekretär, einem Gärtnereibesitzer und einem Fabrikanten. Arbeiter waren sie nicht, Revolutionäre sicher auch nicht, es steckten wohl handfeste Interessen hinter ihrer Aktion. Möglich ist, dass Beyendorff ihnen mit seiner kommunalen Grundstückspolitik in die Quere gekommen ist, dass dem Fabrikanten das Verbot von Industrieansiedlungen nicht gefiel oder dass Beyendorff "Unregelmäßigkeiten" vorzuwerfen waren. Für die Entwicklung des Dorfes Lankwitz zur so genannten Gartenstadt hatte Beyendorff die "Terrain- und Bau-Aktiengesellschaft Berlin-Lankwitz" als kommunales Unternehmen gegründet, während üblicherweise Terraingesellschaften für die Vermarktung von neu geschaffenen Siedlungen von Banken und privaten Geldgebern getragen wurden (1).

Beyendorff hatte Lankwitz zu einer modernen Vorortgemeinde ausgebaut, "14 Minuten vom Potsdamer Platz“ mit der Eisenbahn, weitgehend industriefrei, mit Rathaus, Post, Polizeistation, Schule, Festhalle, Gemeindepark, Sozialamt (Armen- und Waisenamt), Volksbücherei (2). J.W. Carstenn, der nebenan Lichterfelde entwickelt hatte (3), soll sein Vorbild gewesen sein, und so war es nur konsequent, dass Beyendorff nach seiner Amtsenthebung für eine Berliner Grundstücksgesellschaft tätig wurde.

Die gezielte Bebauung in Lankwitz begann bereits, als die Terraingesellschaft noch gar nicht entstanden war. Felix Rosenthal - Kaufmann, Grundstücksspekulant, Bauunternehmer, Immobilienhändler wird er heute genannt - hatte Lankwitzer Bauern Land abgekauft und das Komponistenviertel zwischen Calandrelli- und Kaulbachstraße auf eigene Rechnung als Villenviertel angelegt. Er machte daraus eine suburbane Idylle, die Beamte, Angestellte und Selbstständige mit dem nötigen Einkommen oder Kapital anzog. Die nach den Komponisten benannten Straßen wurden überwiegend um 1894 eingerichtet, der Bahnhof Lankwitz folgte 1895, zunächst als Haltepunkt an der Bahnstrecke. Um diese Zeit und bis nach der Jahrhundertwende entstanden die meisten Villen im Komponistenviertel. Später folgte der Bau eines Bahnhofsgebäudes, dann die Elektrifizierung. Heute ist die Strecke nur eingleisig befahrbar, ein Rückschritt gegenüber der Geschichte.

Wer hätte gedacht, dass das berühmte Bauhaus aus Weimar und später Dessau seine letzte Wirkungsstätte auf 618 Quadratmetern Fläche am Rande des Komponistenviertels in Lankwitz hatte? In der leer stehenden Telefonfabrik Tefag in der Birkbuschstraße 49 Ecke Siemensdamm fand Mies van der Rohe mit den Bauhäuslern Zuflucht, als 1932 das Bauhaus in Dessau zum Aufgeben gezwungen wurde (4). Doch schon ein halbes Jahr später - nach der Machtübernahme der Nazis - haben Polizei und SA den neuen Berliner Standort durchsucht und versiegelt, die stilprägende Institution der deutschen Moderne hatte aufgehört zu existieren. Das letzte Quartier hat Mies van der Rohe nicht zufällig gefunden, denn mit der Tefag, Telephon Aktiengesellschaft vorm. J. Berliner, arbeitete das Bauhaus zusammen. Die Tefag hatte ab 1928 ein vom Bauhaus entworfenes Telefon produziert. Hergestellt wurde der eigenwillig gestaltete Apparat aus Eisenblech und Messingblech, er hatte eine vernickelte Wählscheibe, ein weiß emailliertes Ziffernblatt, einen Hörer aus schwarzem Bakelit und ein Textilkabel. Das Telefon gehörte wie die erste Einbauküche überhaupt zum Wohnungsbauprogramm „Neues Frankfurt“, in dem Architektur und Design mit Standardisierung und Ästhetik einen hohen Wohnkomfort mit vergleichsweise geringen Kosten realisierte. Alle Wohnungen des Projekts wurden mit diesem Telefonapparat ausgestattet, der seit 1928 nicht nur von der Tefag, sondern auch von Telefonbau & Normazeit und anderen Fabrikanten hergestellt wurde.

Die von J. Berliner gegründete Tefag ging in der Standard Electric Lorenz auf, die Produktionsstätte in der Birkbuschstraße wurde aufgegeben und konnte deshalb vom Bauhaus bezogen werden. Das Gebäude ist 1974 abgerissen worden, wurde also nicht wie andere Lankwitzer Bauten im Krieg zerstört. In der Nacht vom 23. auf den 24. August 1943 hatten 727 Flugzeuge der Royal AirForce einen Bombenangriff gegen Berlin geflogen. Den vorausfliegenden "Pfadfindern" gelang es nicht, das Zentralgebiet Berlins identifizieren. Stattdessen kennzeichneten sie mit den an Fallschirmen zu Boden schwebenden Markierungsbomben ("Christbäumen") den Süden Berlins. Lankwitz wurde von den so "irregeleiteten" Bombenabwürfen schwer getroffen und zu 85 Prozent zerstört ("Lankwitzer Bombennacht"). Das Komponistenviertel blieb davon weitgehend verschont.

So blieb auch die Siemens-Villa erhalten, die Fritz Freymueller als Herrenhaus Correns in den 1910er Jahren an der Ecke Calandrelli- und Gärtnerstraße erbaut hatte. Hinter einer hohen Mauer finden sich Wohnhaus, Konzertsaal, Pförtnerhaus, Gärtnerhaus, Garage und Teepavillon in einem 27.000 qm großen Park. Der Industrielle Friedrich Christian Correns (VARTA, Lufthansa) brauchte eine 80-Zimmer-Villa für seinen standesgemäßen Auftritt. Später reichten diese Räume aus, um das Musikarchiv der Deutschen Nationalbibliothek unterzubringen. Heute nutzen zwei Privatuniversitäten die Gebäude als gemeinsamen Campus (BSP Business School Berlin und der MSB Medical School Berlin). 1925 erwarb ein Angehöriger der Familie Siemens die Villa. Wie Friedrich Christian Correns war auch Werner Ferdinand von Siemens ein Musikliebhaber, der auf eine eigene Orgel in seinem Reich nicht verzichten wollte. Die vorhandene Walcker-Orgel eines renommierten deutschen Orgelbauers ließ er durch eine amerikanische Wurlitzer-Orgel ersetzen, die zwar aus dem Jukeboxen-Imperium stammte, aber ein professionelles Musikinstrument war.

Umrundet man das Komponistenviertel, dann kommt man am östlichen Ende an der Leonorenstraße zum ehemaligen Berolinum, einer 1890 errichteten privaten Heil- und Pflegeanstalt für Gemüts- und Nervenkranke, umgeben von einem weitläufigen Park. Mit 520 Betten war das die größte private Heilanstalt Berlins. Nach Kriegsbeschädigung wurden die Gebäude jahrelang als Krankenhaus Lankwitz genutzt, heute dienen sie dem Pflegeheim Haus Leonore. Der Nervenarzt James Fraenkel, der diese Heilanstalt eingerichtet hatte, gilt als Mitbegründer der modernen Psychotherapie. Die Klinik lief so gut, dass Fraenkel zum größten Steuerzahler in Lankwitz wurde. Auch als Mäzen hat er die Lankwitzer an seinem Erfolg teilhaben lassen. Vom Silberbesteck bis zum prunkvollen Trinkgefäß, wenn im Rathaus bei repräsentativen Empfängen das Ratssilber auf den Tisch kam, dann verdankte man diese Tafelzier dem Gemeindevertreter Fraenkel, denn diese Funktion hatte er inzwischen auch übernommen. Auch der Vier-Winde-Brunnen vor dem Rathaus wurde von ihm finanziert.

Wir beschließen unseren Rundgang beim Italiener La Montanara gegenüber dem Rathaus, wo man uns Penne und Paglia mit Lankwitzer Freundlichkeit serviert.

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(1) Mehr über Terraingesellschaften: Terraingesellschaften
(2) Mehr über Lankwitz: Lankwitz
(3) Mehr über J.W. Carstenn: Carstenn, JW von
(4) Mehr über Mies van der Rohe in Berlin: Rohe, Mies van der

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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