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Der Zehnkämpfer hat seinen Platz verlassen


Stadtteil: Spandau
Bereich: Neustadt
Stadtplanaufruf: Berlin, Askanierring
Datum: 31. Mai 2023
Bericht Nr.:809

Vor der Schülerbergkaserne am Askanierring ragt ein Pfeiler als Denkmalsockel in den Himmel, doch die Deckplatte ist leer. Der "Zehnkämpfer“, der früher dort stand, eine "frontal ausgerichtete männliche Aktfigur", ist zur Zitadelle Spandau abgewandert. "Enthüllt" steht er dort im Kreis anderer abgeräumter Denkmäler, "mit denen die jeweilige Staatsmacht das Berliner Stadtbild prägen wollte" und auch geprägt hat. Doch halt: In Stein Gehauenes oder in Bronze Gegossenes sind genau wie Straßennamen und andere Erinnerungszeichen aus dem Denken und Fühlen vergangener Generationen entstanden. Müssen wir die Helden und Vorbilder ertragen oder können wir entscheiden, dass wir nicht mit ihnen leben wollen? Kaum eine damals geehrte Person wird den moralischen Ansprüchen der Gegenwart genügen, aber müssen wir sie deshalb abräumen und sie damit aus unserer Erinnerung verbannen, statt uns damit auseinanderzusetzen?

Wenn die Statue eines verhassten Diktators vom Sockel gestürzt wird oder die Mauer von den Menschen eingerissen wird, die sich nach Freiheit sehnen, sind das spontane Aktionen, die aus dem Moment entstehen. Doch man kann die Geschichte nicht ungeschehen machen, indem man unsere heutige Welt Stück für Stück retuschiert. So wie es beim russischen Geheimdienst üblich war, liquidierte Führer aus früheren Bildern zu löschen. Heute ist bei uns ein Bildersturm auf alles Unangepasste und nicht mehr Zeitgemäße zugange, der durch die gesellschaftlichen ("sozialen") Medien befeuert wird, Maß und Mitte scheinen dabei verloren zu gehen.

Dabei gibt es Mittel, mit ungeliebten Denkmälern umzugehen. Man kann sie künstlerisch umgestalten, neu inszenieren, mit Bauten einzwängen. In West-Staaken ist ein solches Beispiel zu sehen: Dort hatten die Preußen einen zwei Meter hohen Obelisken mit goldener Krone errichtet. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Stein von den Sowjets halbiert, auf den Kopf gestellt und mit einem Sowjetstern mit Kranz und Schleife gekrönt. Nach der Wende ist auch der Sowjetstern verschwunden, nur der Stein steht noch.

Aber kommen wir zurück nach Spandau, zu dem Pfeiler "in fast expressionistischer Anmutung", auf dem der Zehnkämpfer einst stand. Der Athlet - ein kraftvoller, muskulös durchgestalteter Körper - war ein Werk des von den Nazis verehrten "gottbegnadeten" Bildhauers Arno Breker. Als größere Bronzefigur steht der Zehnkämpfer heute noch in der Pfeilerhalle am Haus des Deutschen Sports im Olympiastadion, doch vor der Kaserne in Spandau wollte man ihn nicht mehr haben, 1994 wurde er abgeräumt.


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Spandauer Neustadt
An der Schönwalder Straße Ecke Havelschanze beginnen wir unseren Stadtrundgang mitten in der Spandauer Neustadt. Die Neuendorfer Straße und der Askanierring umgreifen ein nahezu ovales Stadtgebiet, es wird im Stadtplan als ehemaliges Festungsgelände sichtbar. Außerhalb des Askanierrings lag das Glacis, es durfte als Schussfeld vor den Bastionen nicht massiv bebaut werden. Wenn Gefahr drohte, wurden die Häuser vor der Bastion abgerissen und weggeräumt.

Heute ist dort ein Grüngürtel angelegt, der bis zum Hohenzollernring reicht. Im Jahr 1903 wurde Spandau "entfestigt" und dadurch die Neustadt zur systematischen Bebauung freigegeben. Auf dem ehemasligen Glacis wurde der Hohenzollernring angelegt.


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Einzelne Bauten im Gebiet waren bereits in den 1860er Jahren entstanden; Häuser der Ackerbürger an der Ackerstraße, teilweise mit hohen Tordurchfahrten für die Erntewagen. Und an der Birkenstraße (heute Hügelschanze), mehrere Fachwerkbauten als Arbeiterhäuser. Die Stadt hatte Bauwilligen die Bauparzellen kostenlos überlassen mit der Auflage, Wohnungen für die Arbeiter der Spandauer Militärfabriken zu errichten.

Auch ein vorstädtisches Schulhaus entstand an der Birkenstraße. Der Fachwerkbau war eine dreistufige Schule für Jungen und Mädchen. Die Baufluchtlinien haben sich zwischendurch geändert, deshalb steht das Gebäude dem Verkehr "im Wege". Der heutige Schulstandort weiter westlich nennt sich "Schule am Grüngürtel" (!).


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"Die Wohnbevölkerung erhalten"
Die Neustadt gilt als benachteiligter Kiez. Ein Quartiersmanagement soll die Chancen der Menschen verbessern. Die Hälfte der Bewohner hat einen Migrationshintergrund, mehr als ein Drittel haben sogar eine ausländische Staatsangehörigkeit (insbesondere Asien, Türkei, arabische Staaten, Balkan und ehemalige Sowjetunion). Die Bewohnerschaft ist relativ jung (überdurchschnittlich viele Jugendliche, geringerer Seniorenanteil). Eine städtische Erhaltungsverordnung soll die "Wohnbevölkerung erhalten", gemeint sind Maßnahmen gegen Gentrifizierung. Ein Verdrängungswettbewerb wird erwartet, wenn das Areal der mitten im Kiez brachliegenden ehemaligen Schülerbergkaserne entwickelt wird.

Kasernengelände
Mit 27 Hektar ist das Militärgelände südlich des Askanierrings ähnlich groß wie der Volkspark Humboldthain. Auf dem Areal um die Schülerbergkaserne sind seit 1869 eine Vielzahl von Bauten für militärische Zwecke errichtet worden: Die Fahrzeuge, die die Geschütze beweglich machten, wurden in mehreren Artilleriewagenhäusern untergestellt. Weiterhin gab es Wagenschuppen, Lagerhallen, eine Scheinwerferwerkstatt, Stallgebäude, ein Waschhaus, ein Offizierswohnhaus, ein Zahlmeisterwohnhaus, eine Fliegerschule und eine Sporthalle.

Ein sandiger Höhenzug, die Schülerberge, wurde für das Baugelände abgetragen. Die Schülerbergkaserne hat man kürzlich restauriert, eine stattliche Fassade des im Burgenstil mit Türmen und aufgesetzten Zinnen erbauten Militärgebäudes ist dabei sichtbar geworden. Auch die Fliegerschule neben der Sporthalle wurde mit beigefarbener Fassade und weißen Fensterumrandungen stilvoll wiederhergestellt.

Die ansehnlichen Artilleriewagenhäuser wurden aus Backstein errichtet, der allen Witterungseinflüssen widersteht. Die Altfahrzeuge und Schrottautos, mit denen das Gelände vollgestellt ist, sollen wohl nur eine Zwischennutzung sein. Ein Schild "Anerkannte Annahmestelle für Altautos" wirkt wie ein Gag angesichts des vielen Blech-Elends.


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So soll sich der Standort entwickeln
In der Nachkriegszeit nutzte die Britische Besatzungsmacht die Kaserne als Alexander Barracks. Nach der Wende wurde die Immobilienanstalt des Bundes Eigentümer. Das Bezirksamt will mit einem "Integrierten Standortentwicklungskonzept" die Entwicklung des Geländes steuern und muss dabei den Verkaufsinitiativen der Bundesanstalt zuvorkommen, die einseitig nur auf den höchsten erzielbaren Preis ausgerichtet sind.

An der Schönwalder Straße wird bereits ein unförmiger Gebäuderiegel hochgezogen, der die Kaserne zur Straße hin abschottet, nur schmale "freizuhaltende Feuerwehrflächen" trennt die Neubauten von der Kaserne. Neubauten und Kaserne dienen als Flüchtlingsunterkünfte, die federführende Arbeiterwohlfahrt nennt sie "Refugium Askanierring". Alle von ihr betriebenen Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete werden von ihr als "Refugium" bezeichnet, das kann man wohl nur als verhöhnend empfinden.

Das Bezirksamt will auf dem ehemaligen Militärgelände Biotope, Baumbestand und Freiflächen erhalten, ein komfortables Wegenetz für Spaziergänger und Radfahrer schaffen. Bauten für Wohnungen und Gewerbe sind geplant. Ein Sportplatz am Rande des Geländes sollte abgerissen werden, dort war ein Pflegecampus von Vivantes und der Charité vorgesehen. Doch diese Planung wurde aufgegeben, inzwischen hat der Sport wieder die Regie übernommen. Das Städtische Krankenhaus Spandau nutzt bereits auf dem ehemaligen Kasernengelände Gebäude an der Neuen Bergstraße. 1886 hatte das Krankenhaus begonnen, südlich der Straße ihren Standort für "heilbare Kranke" aufzubauen.

Jüdischer Friedhof
Ungewöhnlich ist die Lage eines Jüdischen Friedhofs, der von der Neuen Bergstraße in das Militärgelände hineinragte. Er war 1865 angelegt worden, vier Jahre bevor das Militärgelände entstand. Später konnte er noch weitere Flächen hinzuerwerben, eine Toranlage und eine Friedhofskapelle erbauen. Ungewöhnlich ist auch, dass die Nazis im Jahr 1940 zuließen, den Friedhof komplett nach Weißensee umzulagern auf den kleinen Jüdischen Friedhof Adass Jisroel. Dort wurde ein "Spandauer Feld" geschaffen, die Beigesetzten wurden exhumiert und dorthin umgebettet, auch die Grabsteine wurden dort wieder aufgestellt. Anschließend erfolgte die “Entsegnung” des alten Geländes.

Das Militär kam nicht mehr dazu, den gewonnenen Geländestreifen neu zu bebauen. Die damals ergänzte Einfassungsmauer ist auch heute noch geschlossen. Gegenüber an der Straße hat das Bezirksamt eine Tafel aufgestellt, die ausführlich über den Jüdischen Friedhof berichtet. Das ehemalige Friedhofsgelände soll als Gedenkort erhalten bleiben.


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Sonnenhof Kaiser Wilhelms II.
In Lettern auf einem goldenen Hintergrund verweist der Bau an der Neuendorfer Straße stolz darauf, dass der Kaiser mit einer hohen Spende den Kinderhort für Arbeiterkinder möglich gemacht hatte. Das Backsteingebäude mit gestaffelten Schmuckgiebeln wurde später als Waisenhaus genutzt. Nach der Beseitigung von Kriegsschäden war es ein Heim für gefährdete und verwahrloste Kinder. Heute ist es ein Evangelisches Kinderheim mit weiteren Angeboten wie beispielsweise Wohngemeinschaften für Jugendliche.

In der Spandauer Altstadt ist Markttag. Etwas abseits vom Trubel können wir aus mehreren Cafés auswählen, wo wir in der sonnigen Fußgängerzone den Rundgang auf uns nachwirken lassen wollen.
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Unsere Route:
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Eine Polka mit explosiven Elementen