Bezirke
  Straßenverzeichnis     Personen     Themen     Aktuell     Forum  
Charlottenburg-Wilmersdorf
Friedrichshain-Kreuzberg
Lichtenberg
Marzahn-Hellersdorf
Mitte
Die alte Mitte
Regierungsviertel, Hauptbahnhof und mehr
Tiergarten
Wedding
Neukölln
Pankow
Reinickendorf
Spandau
Steglitz-Zehlendorf
Tempelhof-Schöneberg
Treptow-Köpenick
Allgemein:
Startseite
Ich bin NEU hier
Hinweise
Kontakt
Impressum
Datenschutz
Links
SUCHEN
Sitemap

Welt im Kleinen, Architektur im Großen


Stadtteil: Tiergarten
Bereich: Botschaftsviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Tiergartenstraße
Datum: 2. April 2013

Mit unserem heutigen Rundgang im Tiergartener Botschaftsviertel vollenden wir unsere "Trilogie der Botschaften": Vor zwei Wochen besuchten wir die Botschaften der DDR-Bruderländer in Mitte (1), vor einer Woche die DDR-Plattenbauten-Botschaften in Pankow (2) und heute die Nachwende-Neubauten im historischen Botschaftsviertel an der Tiergartenstraße (3).

Ihre weltweit größte Auslandsvertretung hat die Türkei in Berlin errichtet. Das ist nur konsequent, denn in Berlin leben 100.000 türkische Staatsbürger und eine gleich große Zahl türkischstämmiger Migranten. Scherzhaft wird Berlin deshalb als zweitgrößte türkische Stadt Europas bezeichnet (nur Istanbul liegt in Europa, die anderen türkischen Großstädte in Asien). Der Botschaftsbau an der Tiergartenstraße knüpft äußerlich mit Lochfassade und Gebäudekubus an Berliner Bauformen an, im Innern bestimmt "südländische Leichtigkeit" das Bild. Der Bau wird vom Bosporus durchflossen. Jedenfalls wird die asymmetrische gläserne Passage zwischen den beiden Gebäudeflügeln so gedeutet und damit daran erinnert. dass Istanbul Europa und Asien durch Brücken über die Meerenge hinweg miteinander verbindet. Der erste Entwurf ähnelte dem Amtssitz unserer Regierungschefin, die BZ nannte es: "Bündüskünzlürümt" ('Bundeskanzleramt' mit türkischen Umlauten). Der zweite, realisierte Entwurf folgt mit seinen Gebäudeflügeln der Ecklage, bei der Fassadengestaltung wurden dezent türkische Elemente verwendet. Die Fassade ist aus türkischem Kalkstein, ein islamisches Ornament unterbricht als Band einmal senkrecht, einmal waagerecht die Fläche und wiederholt sich in den Ecken der Fenster. Halbmond und Stern - nachts leuchtend - sind als nationales Symbol in die Fassade eingelassen.

Dieses Knoten-Ornament (Girih) ist ein mathematisches Meisterwerk, das seit dem 13.Jahrhundert in islamischen Ländern verwendet wird. Aus einem Satz von fünf Grundmustern mit zehn, sechs, fünf und vier Ecken kann ein flächendeckendes Netzwerk zusammen gesetzt werden. Die Länge aller fünf Grundmuster-Kacheln ist identisch und wird jeweils von den Linien auf der Mitte der Kante geschnitten. Handwerker konnten ohne mathematische Kenntnisse die Girih-Kacheln herstellen und daraus komplizierte Ornamente bilden. Wegen des religiösen Verbots gegenständlicher Abbildungen wurden diese Ornamente überall in der islamischen Welt verwendet, ich habe Beispiele von der Seidenstraße in Chiwa (Usbekistan) beigefügt.

Von der Architektur vor der Nazizeit blieb im Botschaftsviertel fast nichts erhalten, Speer brauchte das Baufeld für Botschaftsbauten, nachdem er für die "Germania"-Planung das Alsenviertel abgeräumt hatte (4), und ließ auch hier Bauten abreißen. Nur die Botschaft Estlands residiert in einem Bau, der von der alten Villenkolonie am Rand des Tiergartens erhalten geblieben ist. Die hier im neuen Botschaftsviertel errichteten Gebäude standen nicht lange, im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs wurden die meisten zerstört. Italien und Japan haben ihre unzerstörten Gebäude wieder übernommen und modernisiert. Estland hat seinen Altbau proper herausgeputzt, Griechenland tut sich schwer mit der Wiederherstellung seines Altbaus und mit einem modernen Anbau. Die im Altbau eingebauten Kunststoff-Fenster verraten kein gutes Händchen für eine angemessene Restaurierung.

"Die Welt im Kleinen, die Architektur im Großen" nennt die Stadtteilkonferenz des Botschaftsviertels ihr Quartier, "neue Schaustücke der Architektur nach der Rückkehr der Diplomaten" titelt eine andere Quelle. Botschaftsgebäude wollen ihr Heimatland repräsentieren, Internationalität ausstrahlen und zugleich funktional sein. Landestypische Bezüge lassen sich durch einheimische Natursteine für die Fassaden, durch das Zitat heimatlicher Baustile, durch die Verwendung von Baustoffen, Bauteilen und Kunstwerken, durch die Anordnung der Räume und Außenbereiche, durch Gartenanlagen, Brunnen und Wasserflächen herstellen. Viele Länder beschränkten sich nicht darauf und zeigen ambitionierte moderne Architektur, die unverwechselbar ist. Das erinnert ein bisschen an die Weltausstellung 2010 in Shanghai, die sich zugleich als Wettbewerb um zukunftsfähige Lösungen und um künstlerische und technische Pionierleistungen der Architektur verstand ("better city, better life"). In meiner Bildergalerie habe ich mehreren Botschaftsneubauten die temporären Expo-Pavillons von 2010 zur Seite gestellt.

Öffnung und räumliche Abgrenzung sind für öffentliche Bauten ein Problem. Dem Bürger soll der ungehinderte Zugang ermöglicht werden, gleichzeitig fordert die Sicherheit Einschränkungen. Die Einzäunungen der Botschaftsgrundstücke zeigen, dass eine Abgrenzung möglich ist, ohne den Blick zu verstellen. Mexiko geht einen Schritt weiter. Die Botschaft kann ohne Anmeldung besucht werden (ebenso wie der Zentralbau der Nordischen Botschaften), die Lamellen an der Gebäudefront öffnen sich für den Blick ins Innere des Gebäudes. Die von Stele zu Stele zunehmend geneigten Lamellen scheinen den Vorhang vor dem Gebäude beiseite zu schieben, dahinter kommt die goldfarbene Eingangstür zum Vorschein. Offenheit und Abkehr vom Diktat des rechten Winkels zeigte Mexiko auch in Shanghai. Dort schwebten Minidächer wie kleine Regenschirme über der offenen, leicht ansteigenden begrünten Grundfläche.

Roter indischer Sandstein mit starker Oberflächenstruktur bringt Indiens Botschaft zum Leuchten. Zwei Bauteile - ein Kubus und ein Zylinder - werden durch einen Einschnitt in der Fassade nach außen gespiegelt. Das gesamte Erdgeschoss wird von einem künstlichen Wasserlauf umflossen.

Ob die Slowakei wusste, was sie tat, als sie sich von den Architekten einen Nierentisch-förmigen Dachausschnitt für ihre Flagge ins neue Botschaftsgebäude schneiden ließ? Nicht begeistert ist die Kritik von Österreichs Botschaft, die als "Konditorei-Architektur" bezeichnet wird, das "farblich sehr dominant auftretende" Gebäude habe wohl "den einen oder anderen Bezug zuviel aufgegriffen".

Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate haben ihren Botschaftsgebäuden unterschiedliche landestypische Bezüge mitgegeben. Auf der Fassade des ägyptischen Baus wird der Nil dargestellt, aus dem Lotuspflanzen (Symbol Oberägyptens) und Papyrusgras (Symbol Unterägyptens) nach oben wachsen. Das Gebäude selbst ist ein moderner Kubus, der seine besondere Wirkung durch die polierten Fassaden aus rotem Granit bekommt. In Shanghai zeigte sich Ägypten mit einem futuristischen Bau ohne Bezug zum Heimatland.

Für die Vereinigten Arabischen Emirate wollten die deutschen Architekten eine "neue Interpretation der traditionellen arabischen Architektur" bauen. Für den Betrachter liegt die Betonung auf 'traditionell', denn zeitgenössische Architekturmerkmale fehlen. Der Sandstein in der Farbe des Brandenburger Tores kann diese Lücke nicht schließen. Die Begeisterung der Emirate für Pferde ist hier wie in Shanghai durch Pferde-Plastiken vor dem Gebäude sichtbar, schließlich gelten reinrassige Araber als die schönsten Pferde, noch dazu hat Dubai die luxuriöseste Pferderennbahn der Welt. In Shanghai war der Pavillon der Emirate außergewöhnlich, man konnte darin Dünen erkennen, wie der Wind in der Wüste sie anweht.

Die fünf nordischen Länder haben ihr gemeinsames Bauprojekt mit einer 15 Meter hohen und 226 Meter langen Kupferfassade umgeben, die die Anlage baulich umschlingt. Innerhalb dieser Umrandung bauten Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden jeweils aneinander angrenzende individuelle Gebäude. Ein "Felleshus" bildet den gemeinsamen Zugang zu allen fünf Konsulaten. Norwegen brachte für den Innenhof einen riesigen Granitblock aus seiner Heimat mit, Island und Dänemark sind durch ein Wasserbecken verbunden, Norwegen vermittelt durch eine Milchglasfassade Gletscherfeeling nach außen, Schweden baute im Innern eine Wendeltreppe aus Birkenholz, Finnland kommt natürlich nicht ohne Sauna aus, es hat zwei davon.

Nach so vielen Botschaften konnten wir die Botschaft des Magens nicht überhören (Verzeihung, dieser Kalauer musste sein). Ein kurzer Fußweg brachte uns zum Nollendorfplatz, wo wir uns kurz vor 19 Uhr in ein bis auf den Griechenstammtisch leeres Lokal setzten. Eine halbe Stunde später war das Restaurant bis auf den letzten Platz besetzt, neue Gäste stauten sich am Tresen. Wir haben gut gegessen und geben den Namen "Berkis & Berkis" gern weiter.

--------------------------------------------------
(1) Botschaften der DDR-Bruderländer in Mitte:Botschaften der DDR-Bruderländer
(2) DDR-Plattenbauten-Botschaften in Pankow: DDR-Botschaftsviertel in Pankow
(3) mehr über Botschaften: Botschaften
(4) Welthauptstadt "Germania": Welthauptstadt Germania


--------------------------------------------------------------
... Es folgen zwei Bildergalerien ...
--------------------------------------------------------------


--------------------------------------------------------------
... und hier sind weitere Bilder ...
--------------------------------------------------------------


Virtuelle Seidenstraße
Europa-Stadt in der Wüste