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Plaste und Elaste aus Schkopau


Stadtteil: Mitte
Bereich: Karl-Marx-Allee
Datum: 16. September 2024
Bericht Nr.:847

Wer vor der Wende auf der DDR-Transitstrecke unterwegs war, konnte an den Elbbrücken bei Vockerode die Leuchtreklame der Buna-Werke "Plaste und Elaste aus Schkopau" nicht übersehen. Ein schwer auszusprechender Ortsname ("Sch + k") und eine einsame Werbeschrift auf einer langen Autofahrt durchs Land. Aber wozu brauchte man in der DDR Werbung, es gab doch keinen Markt mit konkurrierenden Produkten, nur Planwirtschaft, die den Absatz bestimmte? Diese Werbung war nicht zufällig an der Transitstrecke zu finden. Sie sollte den Klassenfeind beeindrucken, auftrumpfen, welche Industriezweige es gibt, welche Produkte man produziert.

Lichtreklame in der DDR
In den ersten DDR-Jahren war Lichtreklame als "Ausgeburt des Kapitalismus" unerwünscht. Um 1955 änderte sich das. Die SED-Führung wollte das Stadtbild aufwerten, die Stadt wie im Westen "erleuchten", ohne den kapitalistischen Westen zu kopieren. Trotzdem blieb es immer noch ein starker Kontrast, wenn man abends über der geteilten Stadt Berlin einflog: West-Berlin war erleuchtet, der Ostteil schien im Dunkeln zu liegen.

Werbung war Agitation
Gesteuert wurde die DDR-Werbung durch den Monopolbetrieb DEWAG, dieser wurde gelenkt von der Abteilung Agitation des ZK der SED. Im Verständnis des Staates war also die Werbung Propaganda. Die "Sichtagitation" (Sicht-Agitation) war eine wesentliche Aufgabe der DEWAG. Darunter verstand man die Ausstattung von Großveranstaltungen, Massendemonstrationen, Protokollstrecken, Parteitagen mit Plakaten, Bildwandzeitungen mit den jeweils aktuellen politischen Losungen wie beispielsweise "Mein Arbeitsplatz – mein Kampfplatz für den Frieden" oder "Alles für das Wohl des Menschen. Alles für das Glück des Volkes". Eine "kleine Abnahmekommission mit fachlicher Ahnungslosigkeit" war verantwortlich für geringe künstlerische Qualität des Outputs. Die Parolen standen immer offensichtlicher im Gegensatz zur Realität, das führte im Laufe der Jahrzehnte zur Abstumpfung.

Plaste und Elaste
Noch einmal zurück zu der mehr als 10 Meter hohen Leuchtschrift an den Elbbrücken: "Plaste und Elaste aus Schkopau "wurde zu einem der bekanntesten Slogans der DDR-Werbung, zu einem geflügelten Wort, nach der Wende sogar zu einer geschützten Wortmarke, die beim Patentamt eingetragen ist. Geworben wurde für einen synthetischem Kautschuk, den man im "VEB Chemische Werke Buna" produziert hat, einem Chemiegiganten der DDR, der bis zu 18.000 Menschen beschäftigte.


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Der Name ist zusammengesetzt aus den chemischen Begriffen "Thermoplaste" (Plaste) und "Elastomere" (Elaste). "Plaste" war ein Begriff, der nur in der DDR verwendet wurde, im Westen hieß der Kunststoff "Plastik". Die Abgrenzung vom West-Begriff war wie bei Broiler, Brigade, Traktorist oder Dispatcher beabsichtigt, stand für die Eigenständigkeit der DDR auch im Bereich der Sprache.

Archigrafie
Beschriftungen an Bauten im öffentlichen Raum prägen unsere Wahrnehmung von der Stadt. Es ist ein Wechselspiel von Architektur und Schrift, ein Teil der Kulturgeschichte. Während im Westen Werbung für konkurrierende Produkte oder Firmen die Aufmerksamkeit auf sich zog, zeigten die Werbeschriften im Osten Gattungsbezeichnungen ("Zierfische") oder Namen der dort ansässigen Betriebe ("Kosmetiksalon Babette").


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Schriften
Die meistbenutzte Schriftart der DDR war die "Super Grotesk", sachlich mit schnörkellosen, gut lesbaren Buchstaben und Zeichen. Die 1930 entworfene Schrift war in der Nazi-Zeit nicht verwendet worden und galt daher als "unbelastet". Eine weitere typische Schriftart ist die eckige "Kaufhalle" mit ausladender Schriftbreite. Sie ist nach der Wende nach Vorbildern nachgestaltet worden, um sie downloadfähig zu machen.


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Bei den Schriften in Ost-Berlin finden wir folgende Variationen: Gerne wurden Versalien (Großbuchstaben) eingesetzt (Café Moskau, Mokka-Milch-Eisbar, Kino International, Kino Kosmos). Nur Kleinbuchstaben (Minuskeln) waren eine weitere, modernere Variante ("kaufhalle"). Einzelne Buchstaben im Wort gedreht brachten Aufmerksamkeit (Kosmetiksalon Babette).

Bei Namen von Betrieben (Kasko. Tatra, Balkancarpodem) wurde deren Schriftart und Logo genutzt. Für die Berliner Markthalle wurde ein eigenes Emblem unter Verwendung des Buchstabens "M" geschaffen. Ihren eigenen Charme zeigte die Werbung an einer Zoohandlung in der Frankfurter Allee. Die Werbeschrift in ausdrucksvoller Schreibschrift hat einen blauen Korpus, der durch die Leuchtschrift in ein gelbes Schriftbild verwandelt wurde.


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Werbung an Gebäuden
Wo wurden in Ost-Berlin Schriften als Information oder Werbung an Gebäuden eingesetzt? An der Karl-Marx-Allee waren zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz mehrere freistehenden Glaspavillons gebaut worden. Einen Pavillon bespielte der Kosmetiksalon Babette, der Kosmetik und Düfte verkaufte. Im oberen Bereich gab es Nagel- und Schönheitspflege. Nach der Wende wurde daraus eine Bar, bis der Investor Nicolas Berggruen sie übernahm und abwickelte.

Von den beiden Lichtspielhäusern Kino International und Kino Kosmos blieb nur das International übrig, es wird heute noch bespielt. Das Kosmos stellte 2005 den Betrieb ein. Das Café Moskau und die Mokka-Milch-Eisbar sind zu Eventlocations geworden. Zierfische werden schon lange nicht mehr an der Karl-Marx-Allee verkauft, die Lichtreklame wanderte ins Museum.

Straßenschilder
Im Straßenbild zeigte nicht nur die Architektur Schriftzeichen, sondern auch die Straßenschildern. Auch da gab es eine Eigenheit: Die DDR nutzte eine eigene Version des Buchstabens "ß", die aussieht wie eine schmale, geradezu schüchterne Büroklammer. Dagegen ist in West-Berlin eine Ligatur zu finden: Die Buchstaben s und z bleiben sichtbar und werden zu einem Doppelbuchstaben zusammengezogen. Dabei wird das "s" als langes s ('ľ) geschrieben.


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Einen Wende-Schock ähnlich wie im Film "Goodbye Lenin" muss die Werbeschrift ausgelöst haben, die nach der Wende am Spittelmarkt angebracht wurde. Über einem DDR-Plattenbau schwebt jetzt die rote Marke "Coca-Cola", der Inbegriff des Kapitalismus. Es ist fast so schlimm wie in einem Witz, der vor Jahren kursierte, als der Papst angeblich ein lukratives Angebot ausschlug, seine Gebete mit "Coca Cola" statt mit "Amen" abzuschließen.
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Mehr als eine Kurznachricht per Druckluft