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Der geheizte Friedhof


Stadtteil: Lichtenberg
Bereich: Zentralfriedhof Friedrichsfelde
Stadtplanaufruf: Berlin, Gudrunstraße
Datum: 28. April 2014
Bericht Nr: 460 b

Jedes Jahr im Januar wiederholt sich auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde dasselbe Schauspiel: "Linke unter sich", wie der Tagesspiegel schreibt, "auf dem Sozialistenfriedhof wird zur Erinnerung an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht demonstriert". Früher war das komfortabler, als noch die Partei- und Staatsführung der DDR ihr erstarrtes Ritual hier abhielt, da wurde durch einen Heizluftkanal warme Luft unter die Bodenplatten geblasen, damit die DDR-Führenden keine kalten Füße bekamen. Heute sind die Reden dafür kürzer.

Schon in der Weimarer Republik war dieser Friedhof eine Traditionsstätte. 1926 hatte Wilhelm Pieck im hintersten Teil des Friedhofs das Revolutionsdenkmal zu Ehren der ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht eingeweiht. 1951 weihte derselbe Wilhelm Pieck - nun als Präsident der DDR - die Gedenkstätte der Sozialisten ein, die vorne am Haupteingang des Friedhofs unter seiner Aufsicht und Mitwirkung entstanden war. Eine Zeitspanne lag dazwischen, kürzer als eine Generation, mit Ereignissen, die politische Systeme für immer veränderte.

Rosa und Karl, wie sie auch heute noch von manchem genannt werden, wurden im Verlauf des Spartakusaufstands ermordet. Es war die Zeit der Novemberrevolution, die am Ende des Ersten Weltkriegs der Monarchie ein Ende setzte. Kommunistische, sozialistische, liberale und konservative Strömungen rangen miteinander, wie das neue Staatsgebilde aussehen sollte, das dann als Weimarer Republik entstand. In dem bewaffneten Kämpfen während des Spartakusaufstands wurden mehr als hundert Aufständische erschossen. Ein Teil der Opfer wurde auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in einem Massengrab beigesetzt, darunter auch Karl Liebknecht und die aus dem Landwehrkanal geborgene Frauenleiche, die man für Rosa Luxemburg hielt. Das von Ludwig Mies van der Rohe entworfene Revolutionsdenkmal auf dem Spartakusgrab wurde 1926 eingeweiht. Bis zur Machtergreifung der Nazis zogen an Gedenktagen Kolonnen von Anhängern hierher, bis das Denkmal von den Nazis geschliffen und die Gräber eingeebnet wurden.

Die DDR begann schon zwei Jahre nach Kriegsende mit der Planung und dem Bau einer "Gedenkstätte der Sozialisten", in die prominente Kommunisten, Sozialisten und Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung umgebettet werden sollten. Dieser Ehrenfriedhof zeigte, wie das DDR-Bild der Arbeiterbewegung und ihres Staates aussah und wie sie sich durch Vereinnahmung von Persönlichkeiten gegenüber den "Faschisten" im Westen abgrenzen wollte. Eine vier Meter hohe Begrenzungsmauer umschließt ein Rund von 25 Metern, in dessen Zentrum ein überdimensionaler Gedenkstein uns auf eine nicht näher konkretisierte "Mahnung der Toten" einschwört. Sternförmig um diese Stele angeordnet sind massive Gedenkplatten für die zehn "wichtigsten?" Sozialisten. Das sind zuerst Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, aber auch Thälmann, Ulbricht, Pieck und Grotewohl sind dabei. In der Ringmauer sind Urnen und Gräber von weiteren verdienten Personen eingelassen, und hinter der Ringmauer folgen noch mehr Ehrengräber mit standardisierten Grabsteinen. Hier zeigt sich die "Gnadenlosigkeit des späten Todes" (analog zu Kohls "Gnade der späten Geburt"), Erich Mielke, der Stasi-Chef, hätte hier sein Ehrengrab bekommen, wenn er vor der Wende gestorben wäre. So ist seine Urne nur in einem anonymen Gräberfeld auf diesem Friedhof versenkt worden. Doch es gibt einen Trost, bei der Auferstehung wird es nicht darauf ankommen, welchem Gräberfeld man entsteigt.

Ein Förderkreis, der sich heute um die Gedenkstätte kümmert, nennt sie "Erinnerungsstätte der deutschen Arbeiterbewegung" und versucht, sich mit der ideologische Inszenierung der Totenehrung in der DDR und der Widersprüchlichkeit und Instrumentalisierung von Gedenken auseinanderzusetzen. Immerhin war manchem schon zu DDR-Zeiten aufgefallen: "Mein Gott, wir huldigen der Partei- und Staatsführung. Und kommen doch eigentlich wegen Rosa und Karl." Aber es gibt auch heute noch andere Meinungen: Als auf einem grasbestandenen Platz 2006 ein im Verhältnis winziger Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus eingeweiht wurde, zeigten Alt-Stalinisten ein Plakat mit dem Spruch "Lieber wieder Ostdiktatur - als diese Freiheit."

Die Wurzeln einer "Erinnerungsstätte der deutschen Arbeiterbewegung" reichen bis ins Jahr 1900 zurück, als Wilhelm Liebknecht (Vater von Karl Liebknecht), der Gründer der SPD, hier beigesetzt wurde und unglaubliche 150.000 Menschen an seinem Trauerzug teilnahmen. Der Friedhof wurde über Deutschland hinaus bekannt, weitere Sozialdemokraten ließen sich hier beerdigen. Eigentlich war der Zentralfriedhof Friedrichsfelde 1881 als Armenfriedhof eingerichtet worden, auf dem mittellose Bürger auf Kosten der Stadt beerdigt wurden. Doch die parkartige Anlage führte dazu, dass auch wohlhabende Berliner ihn als Begräbnisstätte nutzten, und so wurde schon nach 20 Jahren das Armenbegräbnis hier eingestellt. Auch das Mausoleum der Bankiersfamilie Bleichröder wurde 1913 auf diesem Friedhof errichtet, ein weiterer Hinweis darauf, wie sehr hochgestellte Bürger diesen Parkfriedhof schätzten, dessen Idee dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg ähnelt.

Der Bleichrödersche Begräbnisplatz bekam eine besondere Bedeutung, als Wilhelm Pieck jede Einzelheit der "Gedenkstätte der Sozialisten" entschied und dabei feststellen musste, dass das Mausoleum hinter der 4 Meter hohen Ringmauer zu sehen war. Es sollte nicht sein, dass ein Kapitalist in den Ehrenhain der Sozialisten hineinschaut, deshalb wurde das Mausoleum abgetragen. Heute erinnert nur noch eine Erläuterungstafel an das Bleichrödersche Grab.

Natürlich gibt es hier auch ein ausgedehntes "OdF-Gräberfeld". Beim Besuch des Pankower Friedhofs III hatte ich ausführlich über die von der DDR instrumentalisierten Opfer des Faschismus (abgekürzt OdF) und ihre Gräber berichtet (1). Auch eine "Künstlerkolonie" hat der Friedrichsfelder Zentralfriedhof, hier ist unter anderem Käthe Kollwitz bestattet worden.

Der Flaneur Julius Rodenberg, dessen Wanderung 1884 nach Heinersdorf ich vor kurzem zitiert hatte (2), hat als städtischer Spaziergänger auch den damals drei Jahre alten "Gemeindefriedhof für Berlin" besucht. So stand der Friedhofsname damals auf dem Schild in Friedrichsfelde vor dem Begräbnisplatz "für jeden, der hier zu ruhen wünscht, für Mitglieder aller Konfessionen". Zu Fuß machte er den weiten, mühseligen Weg aus Berlin, durch die halb städtisch, halb dörflich gebauten Vororte, und fühlte sich angesichts des Friedhofsparks "von der Sandwüste, die Berlin umgibt, wie in einen Garten versetzt, umgeben von Einsamkeit und vollkommener Stille, Blumenduft und dem Geruch frischen Grüns, über dem das unermessliche Gewölbe des Himmels den für das Gemüt beruhigenden Abschluss bildet".

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Dies ist der zweite Teil eines Spaziergangs durch Lichtenberg, den ersten Teil finden Sie hier: Butterersatz für die Soldaten

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(1) "OdF-Gräberfeld" (Opfer des Faschismus): Pankower Genius
(2) Wanderung nach Heinersdorf: Zwischen den Bahnhöfen


Butterersatz für die Soldaten
Run chicken run