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Unter den Brücken


Stadtteil: Schöneberg, Kreuzberg
Bereich: Yorckbrücken
Stadtplanaufruf: Berlin, Yorckstraße
Datum: 21. September 2009

Aus der Vogelperspektive, beim Anflug auf die Stadt, beeindrucken die gleichmäßigen Straßenraster von New York, Buenos Aires, Brasilia, Vancouver, Canberra. Es gibt nur wenige Abweichungen vom rechtwinkligen Aufeinandertreffen der Straßen, die Erdoberfläche wurde radikal der Ingenieurkunst untergeordnet. Nicht alle Raster-Städte wurden von vornherein als solche entworfen, manchmal musste erst das historisch Gewachsene weggeräumt werden. So hat New York zweimal in vorhandene Strukturen eingegriffen, einmal, als Manhattan mit dem Straßenraster überzogen wurde, das zweite Mal, als der Central-Park 1.600 Menschen aus ihren Häusern vertrieb.

In Europa, das eine lange städtische Besiedlungsgeschichte hat, gingen solche Veränderungen der Stadtgrundrisse auch mit dem Eingriff in Kulturgüter einher. Hausmann schuf in Paris nach 1853 einen Kreuzungspunkt zweier großer Achsen, legte weitere monumentale Sichtachsen an und schuf Platz für Bahnhöfe, Markthallen und Grünanlagen. Beim stadtplanerischen Eingriff in mehrere Stadtteile wurden Bürger zwangsweise umgesiedelt, Unterschicht-Bewohner dauerhaft aus der Innenstadt verdrängt (Gentrifizierung), die Grundstücksspekulation blühte. In Barcelona war es Cerdà, der ab 1863 in seinem Stadterweiterungsprojekt „Eixample“ quadratische Baublöcke von einer Diagonale durchqueren ließ (der Straße "Diagonal").

Ziel der Umgestaltung war stets auch, die Lebensbedingungen der Menschen zu ändern, saubere Luft und natürlichen Lichteinfall in jedes Haus zu bringen, für die Familien eine Privatsphäre zu schaffen, die Hygiene zu verbessern, z.B. durch Herstellung oder Ausbau der Kanalisation. In Berlin war es James Hobrecht, der 1862 eine neue, gemeindeübergreifende Stadtstruktur schaffen sollte. Der preußische Innenminister beauftragte ihn, "alle voraussichtlich für den Verkehr notwendigen Straßen festzulegen“ und entsprach dem Wunsche des Königs, das Stadtgebiet nach dem Vorbild von Paris durch eine Ringstraße einzufassen, die die Städte Berlin und Charlottenburg umschließen sollte. Der zwischen Stadtzentrum und Ring liegende Raum sollte „durch Diagonalstraßen und nach allen Richtungen führende Ausfallstraßen in rechtwinklige Baublöcke aufgeteilt werden". Dabei wurden nur die Straßenfluchtlinien der Durchgangsstraßen festgelegt, die Erschließungsstraßen innerhalb der Baublocks fehlten. Für die Bebauungsdichte blieb die preußische (Bau-)Polizei zuständig, die außer der Gebäudehöhe und der Größe der Innenhöfe kaum Beschränkungen auferlegte. So kam es zu mehrfach hintereinander gelegenen Innenhöfen und der Vermietung von sechs Vollgeschossen, die berüchtigten Berliner Mietskasernen entstanden.

Dass Hobrecht nicht die Durchsetzungskraft wie seine Kollegen in Paris und Barcelona hatte, können wir heute auf unserem Rundgang zu den Yorckbrücken exemplarisch nachvollziehen. Hobrecht hatte die Achse Bülowstraße - Gneisenaustraße mit 60 Meter Straßenbreite vorgesehen, die das Bahngelände der Anhalter und Dresdner Bahn durchschneidet. Dass ein Bündel von Gleisen verschiedener Bahngesellschaften und die Güterbahnhöfe und Laderampen hätten untertunnelt werden müssen, das wollten die Bahngesellschaften nicht bezahlen. So einigte man sich nach jahrzehntelangem Ringen auf eine südliche Umfahrung des Bahngeländes, wo "nur" noch 45 Brücken angelegt werden mussten - die Bülowstraße knickt nach Süden ab, die Yorckstraße ist nur noch 26,5 Meter breit und nähert sich dann wieder nordöstlich dem mit dem Lineal gezogenen Hobrechtschen Straßenverlauf an (siehe anliegende Karte). Wegen ihrer Benennung nach Militärführern der Befreiungskriege wird dieser Straßenabschnitt auch "Generalszug" genannt (1).

Unter den Brücken wird heute die Bauweise verschiedener Epochen sichtbar. Die Bundesbahn braucht für ihre Konstruktion aus Stahl und Stahlbeton keine Stützen mehr, sie legt ihre Brücke direkt auf die Brückenwiderlager auf. Zu Zeiten Franz Schwechtens (2), der die ersten Brücken erbaut hat, wurden Fundamente aus gelben Klinkern errichtet und die Brücken aus Blech durch gusseiserne Säulen gestützt. Bei der Gestaltung dieser "Hartungschen Säulen" griff man auf antike griechische Vorbilder zurück: ihre Kapitelle sind mit Akanthusblättern verziert und laufen in Voluten (spiralenförmigen Verzierungen) aus. Die Säulen haben Längsrillen und tragen Schmuckringe auf halber Höhe. Den Sockel zieren plastisch herausgearbeitete Rippen. Die konstruktive Besonderheit dieser Pendelstützen sind Kugelgelenke am oberen und unteren Ende, durch die schwere Belastungen und Erschütterungen abgefangen werden können. Diese Säulen gehören zur Berliner Bahn- und S-Bahn-Geschichte, es sind jedoch in der Stadt nur noch wenige erhalten. Im Gleimtunnel am Mauerpark hatten wir sie gesehen, vor einem griechischen Restaurant am Perelsplatz werden zwei Säulen als Eingangsportal zweckentfremdet. Unter den Yorckbrücken wurden die Säulenfüße im Zweiten Weltkrieg mit Betonsockeln umgossen, damit sie dem Luftdruck detonierender Fliegerbomben und Luftminen standhalten und die Brücken nicht angehoben werden und dadurch aus ihren Gelenken rutschen (3).

Im Juni 2004 hat eine BMW-Fahrerin bei einem illegalen Autorennen einen Brückenpfeiler um 20 Zentimeter verschoben. Nach dem Geraderücken des Pfeilers blieb die Brücke standfest, der Betonsockel wurde nicht erneuert und so wird heute der Pfeilersockel mit den Rippen sichtbar.

Die Yorckstraße hat immer noch die größte Bahnbrückendichte Europas (27 Brücken auf 600 Metern). Sie hat einen U-Bahnhof und zwei S-Bahnhöfe, die 250 Meter voneinander entfernt liegen und trotzdem denselben Namen tragen, um eine Umsteigemöglichkeit zu suggerieren, die in Wahrheit sehr beschwerlich ist. Zwei inzwischen dauerhaft gewordene Provisorien kennzeichnen die Bahnhöfe: die hölzerne Brücke zur U-Bahn (seit 1986) und der als Großgörschenstraße vor 70 Jahren "vorübergehend" in Betrieb genommenen S-Bahnhof an der Wannseebahn.

Unseren Rundgang haben wir am U-Bahnhof Bülowstraße begonnen. In der Dennewitzstraße hinter dem Nelly-Sachs-Park fährt die U-Bahn vom Gleisdreieck zur Kurfürstenstraße mitten durch ein Wohnhaus. Am (entstehenden) Park Gleisdreieck werden wir mehrfach genarrt: Schilder zeigen den Weg zum Park, folgt man ihnen, dann steht man vor einem Schild "Neugierig?" und vor verschlossenem Gelände.

Zum Schluss bleiben wir nicht unter den Brücken, sondern gehen zum Italiener „Aroma“ in der Nähe des S-Bahnhofs Großgörschenstraße, wo wir wieder mit einem guten Essen die Stadtwanderung abschließen.

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(1) Mehr über den Generalszug und seine Pariser Entsprechung: Zwei Berliner Senate stürzen über ihre Baupolitik
(2) Mehr über Franz Schwechten: Schwechten, Franz
(3) Mehr über Hartungsche Säulen: Hartungsche Säulen



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Unsere Route
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Gutes Bier und Dividendenjauche
Berliner Nullpunkte