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Biermord hinter der Brauerei


Stadtbezirk: Friedrichshain
Bereich: Richard-Sorge-Straße
Stadtplanaufruf: Berlin, Straßmannstraße
Datum: 25. Februar 2013

Bier war und ist ein gehaltvolles Volksgetränk, nur in der Wirtschaftskrise in den 1870er Jahren verlor es eine Zeit lang an Geschmack und an Güte. Es wurde sogar als "Dividendenjauche" beschimpft, weil den Brauerei-Aktiengesellschaften die Ausschüttung an die Aktionäre (Dividende) wichtiger war als die Zufriedenheit ihrer Kunden (1). Nur das Patzenhofer Actienbier konnte seine Qualität halten, liest man 1875 in der "Gartenlaube". Ihr einen "Mord" am Volksgetränk vorzuwerfen, wäre also falsch.

Direkt hinter der Brauerei in der Richard-Sorge-Straße ruht der Rentner Leberecht 'Biermordt' auf dem Friedhof II der Georgen-Parochialgemeinde. Die räumliche Beziehung des Biermordt-Grabes zur Brauerei ist ein Zufall, ein Witz, den das Leben schrieb. Der Name "Biermord" - wie er heute geschrieben wird - bedeutet nicht, dass jemand durch dieses Getränk ums Leben gekommen ist, es ist eher umgekehrt: das Bier ist durch ihn vernichtet worden. Ein Namensforscher schreibt in den Westfälischen Nachrichten, dass der Name vermutlich entstand, weil jemand dem Bier sehr heftig zusprach, es "mordete". Das Grimm'sche Wörterbuch sieht es genauso, "der das bier mordet, tilgt, aufzehrt, heute würde man sagen bierverderber", wird so genannt. Also ist die räumliche Nähe doch ein beziehungsreicher Zufall, vielleicht ruht hier ein guter Stammkunde ganz nahe bei "seiner" Brauerei?

Über die Entwicklung der Actienbrauerei Friedrichshöhe Patzenhofer hatte ich bereits ausführlicher geschrieben (2). Inzwischen wurde das Gelände neben dem alten Brauereigebäude neu bebaut, 5.500 qm Wohnfläche sollen hier insgesamt entstehen. Ein serielles Band uniformer Wohngebäude zieht sich die Richard-Sorge-Straße entlang. Die Brauerei-Altbauten stehen zurzeit leer, sie sollen ebenfalls zu Wohnungen und Gewerberäumen ausgebaut werden.

An der Straßmannstraße zieht ein ungewöhnliches Gebäude im Renaissance-Stil den Blick auf sich. Helle Sandsteinbänder in der roten Backstein-Fassade, ein mehrfach geschwungener Giebel und Fassadenreliefs heben den Bau aus der übrigen Blockrandbebauung heraus. Der Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann hat hier kurz nach 1900 zwei Gemeindeschulen und eine Berufsschule in den Häuserblock hinein gebaut. Sportplätze gab es noch nicht, für den Sportunterricht wurde der Schulhof genutzt. Die Berufsschule enthielt eine Tischlerei, eine Kunstschmiede, Zeichensäle und Säle für Mechaniker sowie ein chemisches Laboratorium. Heute vereint hier ein Oberstufenzentrum Berufsschulen und Fachschulen für Sozialwesen und Sozialpädagogik unter einem Dach. An der Eckertstraße steht eine weitere Gemeindedoppelschule von Ludwig Hoffmann, die ebenfalls als Blockinnentyp gebaut ist. Die Fassade mit Säulenformen über mehrere Etagen (Kolossalordnung) wird vom Denkmalschutz als "barocke Stadthausfassade preußisch strengen Zuschnitts" bezeichnet. Erstaunlich, dass sich die üppige Prachtentfaltung des Barock mit preußischer Strenge vertragen soll.

Um die Ecke am Petersburger Platz erhebt sich die neugotische Kirche der evangelischen Pfingstgemeinde aus der Blockrandbebauung weit über die umgebenden Häuser. Beim Eingangsportal wachsen an den niedrigen massiven Säulen Figuren betender Engel aus den Kapitälen nach oben, die Einfassungen schwingen sich zu den Bögen aus Backstein herauf. Die Kirchengemeinde ist eine Ausgliederung aus der Gemeinde der Auferstehungskirche in der Friedenstraße (3), die wegen des enormen Bevölkerungswachstums geteilt werden musste.

In der Richard-Sorge-Straße duckt sich eine kleine Holzkirche zwischen den hohen Wohnhäusern. Es ist eine von zwei Notkirchen, die aus der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten geblieben sind, (die andere steht in der Simplonstraße im Boxhagener Kiez). Die Evangelisch-Methodistische Christus-Kirchengemeinde hatte 1948 als Spende amerikanischer Methodisten eine schwedische Fertigkirche per Eisenbahn nach Berlin geliefert bekommen und am Standort der kriegszerstörten neugotischen Elim-Kirche aufgestellt, und da steht sie heute immer noch. Ein anderes "Fertighaus Gottes" ist mir aus Swakopmund (Namibia) in der Walfischbucht in Erinnerung. Die Rheinische Missionsgesellschaft hat 1879 in Hamburg eine Holzkirche anfertigen lassen, per Schiff kam das zerlegte Gebäude nach "Deutsch Südwestafrika" und wurde dort zusammen gesetzt.

Die Tilsiter Lichtspiele bestehen seit 105 Jahren, sie halten in der Richard-Sorge-Straße den früheren Straßennamen lebendig. Seit 1969 trägt die Straße den Namen des deutschstämmigen sowjetischen Spions, der in Japan aufflog und hingerichtet wurde. Wie soll man Information und Desinformation auseinander halten (4)? Stalin hatte seiner präzisen Warnung nicht geglaubt, der Angriff der deutschen Wehrmacht stünde unmittelbar bevor. Auch von dem Angriff auf Pearl Harbor hatte Sorge vorher gemeldet. Für die DDR war Sorge kein Spion, sondern ein "Kundschafter". So konnte man die Guten und die Bösen sprachlich auseinander halten - böse sind immer die, die für die andere Seite dasselbe tun wie die eigenen Leute für uns. Genauso war es mit den Polizisten: im Osten diente die Polizei dem Volk, im Westen den Interessen des Kapitals - so einfach war das.

Die Fabrikgebäude einer "Bonbon-, Marzipan- und Schokoladenfabrik" ist im Innenhof der Richard-Sorge-Straße 21a-22 erhalten geblieben. Wohnen im Vorderhaus und Arbeiten im Hinterhaus waren hier auf engem Raum zusammen gedrängt. Am südlichen Ende der Richard-Sorge-Straße wurden 1953 bis 1955 sozialistische Wohnbaublocks errichtet, eine Entsprechung zu den Bauten der nahen Stalinallee. Ein abgeblättertes Schild mit der "Goldenen Hausnummer" zeigt, dass hier ein Vorzeigeprojekt der DDR-Zeit steht.

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(1) Mehr über gutes und schlechtes Bier: Gutes Bier und Dividendenjauche
(2) Über die Actienbrauerei-Gesellschaft Friedrichshöhe vorm. Patzenhofer: In Friedrichshain wurde nicht nur gebraut
(3) Auferstehungskirche an der Friedenstraße und Alte Mälzerei des Böhmischen Brauhauses: Brauereibesichtigung
(4) Geheimdienste, Information und Desinformation: Wie wirklich ist die Wirklichkeit

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