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Raumschiff voller Energie


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: ICC
Stadtplanaufruf: Berlin, Messedamm
Datum: 9. September 2023
Bericht Nr.:816

Der diesjährige Denkmaltag steht unter dem Leitgedanken "Voller Energie". Auf das ICC - Internationales Congress Centrum - trifft der Slogan voll zu, allerdings anders als erwartet: Bis dieser riesige Tanker den ersten Mucks von sich gibt, muss er so mit Energie vollgepumpt werden, dass man ihn für den bestimmungsgemäßen Gebrauch schon vor Jahren abgeschaltet hat.

Denkmalwochenende als Volksfest
BZ und Bild-Zeitung fragten wörtlich identisch, warum man am Denkmaltag "ein verfallendes Gebäude zur Schau stellt", doch die Miesmacher haben sich geirrt: Dank des "Stillstandsbetriebs" sind sowohl das Äußere als auch das Innere des Gebäudes in authentischem Zustand. Davon haben sich die Berliner überzeugt: Unglaubliche 30.000 Besucher haben das Kongresszentrum ICC am Denkmalwochenende besucht, das ist fast ein Drittel der für alle Denkmalsbesichtigungen erwarteten 100.000 Berliner. So viele Besucher gab es im ICC nicht einmal zu der Zeit, als es noch Kongresszentrum war: In den 80 Sälen fanden maximal 20.000 Menschen Platz, 5.000 waren es tatsächlich bei vielen Veranstaltungen.

Das Denkmalwochenende ist ein denkwürdiges Volksfest. So wie früher die Berliner mit Kind und Kegel in die Vergnügungs-Etablissements in den Außenbezirken geströmt sind, gehen sie heute massenweise dorthin, wo es etwas umsonst zu sehen gibt. Der Massenansturm auf die 1998 eröffneten Potsdamer-Platz-Arkaden ist mir in Erinnerung und die Eröffnung des Alexa-Einkaufszentrums 2015, bei der unter dem Ansturm der Massen Menschen verletzt wurden und Scheiben zu Bruch gingen. Beim ICC geht alles fröhlich und gesittet zu, in langen Schlangen steht man brav an, um zu seinem vorher gebuchten "Zeitfenster" eingelassen zu werden.

Das Raumschiff
Genug Fläche, um sich innen zu bewegen, hat der "Flächen-Luxusliner": Für großzügige Foyers, Rolltreppen, Gänge und Garderoben sind 85 Prozent der Fläche reserviert, nur 15 Prozent entfällt auf die Säle. Außerhalb der Säle findet sich ein weiträumiger, offener Bewegungsraum mit eigenem Straßensystem und Brücken von den Seitenfoyers zum Mittelteil.

Der Boulevard in der Empfangshalle leitet mit einem farbigen Neon-Lichtsystem die Besucher in das Gebäude hinein und wieder hinaus. Mit der "Leitspur" in orange auf der einen und in blau auf der anderen Seite adaptiert das Raumschiff - mit einer leichten Verschiebung auf der Farbscala - Backbord (rot) und Steuerbord (grün) aus dem Schiffsverkehr. Schon vor dem Eintreten in das Gebäude wird man durch eine verglaste Schiffsbrücke über dem Eingang auf die Schiffsarchitektur eingestimmt.


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Das Parkhaus
Das entstehende Kongresszentrum sahen wir in den 1970er Jahren vor uns, wenn wir von der Stadtautobahn auf der Ausfahrt Messedamm in einer Kurve nach oben fuhren. Wie eine Fata Morgana tauchte der Hightech-Bau plötzlich auf einer Anhöhe über der Autobahn auf. Tatsächlich war diese Erscheinung nur das Parkhaus, mit dem ICC wurde erst zwei Jahre später begonnen, 1979 wurde es eingeweiht. Im Untergeschoss des Parkhauses ist die Notstromversorgung untergebracht. Und die Polizeiwache, die bei Großveranstaltungen dort auch Arrestzellen zur Verfügung hatte.

Ein "Autofoyer" erlaubte die unterirdische Vorfahrt, es war das Zeitalter der autogerechten Stadt. Unter dem Messedamm wurde für Fußgänger eine Unterführung mit Rolltreppen gebaut. Ein poppiger, moderner, ausladender Raum unter der Erde, mit dicken Säulen und Kacheln in orange sowie riesigen kreisrunden Deckenleuchten.


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Vorbei die Zeit, als dort Hollywood und Bollywood Agentenfilme gedreht haben. Heute ist die Unterführung total verwahrlost, ein Angstraum, der als "Tunnel des Grauens" apostrophiert wird. Stadtplaner haben sich längst von einigen Tunneln verabschiedet, am Breitscheidtplatz und Alexanderplatz wurden Unterquerungen zugeschüttet.

High-Tech-Architektur
Das ICC mit seiner silbergrauen Aluminium-Fassade im Stil der High-Tech-Architektur ist 320 Meter lang. Eine Außenhülle (Dach und Wand) aus Stahlfachwerk umfängt den separaten Innenbau, der an Stützen aufgehängt ist. Eine gummiartige Auflage auf den Stützen soll Schall und Vibrationen abfangen. Erstaunlich, dass diese Schicht nicht längst von dem Koloss zerquetscht wurde.


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125.000 Kubikmeter Stahlbeton wurden verbaut. Die Gesamtkosten des betriebsfähigen Bauwerks betrugen 924 Millionen D-Mark , das ICC war der teuerste Bau West-Berlins.

Die Versorgungszentralen befinden sich in den Kellergeschossen. Der maximale Energiebedarf des Großbaus entspricht dem einer mittleren Kleinstadt. Die Veranstaltungssäle verfügen über keine Fenster, kein Tageslicht sollte den Betrieb stören. Das erkaufte man sich mit dem Einsatz von künstlichem Licht. Lüftungsanlagen brachten je nach Jahreszeit Heizung oder Kühlung.

Kongress-Sessel
Futuristisch in Technik und Komfort waren die Kongress-Sessel. Zur technischen Ausstattung gehörten Tischlampe, Kopfhörer, Lautsprecher mit Lautstärkeregler, Bedienfeld für die Übersetzungsanlage in 8 Sprachen, Wortmeldetaste und Signallampe. Der Bequemlichkeit dienten neben dem Trinkglas damals auch der Aschenbecher am Sessel. In der Anschaffung kostete der einzelne Sessel 20.000 D-Mark.


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Beständiger als die Cheopspyramide
"Dieses Kongresszentrum hat Chancen, hier noch zu stehen, wenn die Cheopspyramide schon längst verwittert ist“, sagte Bundespräsident Walter Scheel bei der Einweihung. Aber mit derselben Funktion? Als es 2004 endgültig geschlossen wurde, war das das Ende eines der "größten, modernsten und erfolgreichsten Kongresshäuser der Welt". Zwischennutzungen erfolgten noch als Corona-Impfzentrum und zur Unterbringung für Flüchtlinge. Aber mit welcher Nutzung kann man den Bau wiederbeleben? Die Besucher am Denkmal-Wochenende können auf Flip-Charts ihre Einfälle notieren. "Großes Tierheim", "Galerien", "Schwimmbad" kann man da lesen, aber der große Wurf ist nicht dabei. Doch es gibt ja bereits Ideen von Investoren:

Nachnutzung
Fast die größte Herausforderung wird sein, dem Monster die Energie-Gefräßigkeit abzugewöhnen. Der Umbau zu einem klimaneutralen Gebäude wird absehbar der Dreh- und Angelpunkt für eine Nachnutzung sein.

Vorgeschlagen wird beispielsweise, den Bau mit einer transparenten Hülle zu umgeben, in der sich eine Biosphäre befindet - ähnlich der dünnen Hülle, von der die Erde umgeben ist. Die Hülle wäre begehbar. Bei dieser Konstruktion würde das Haus keine eigene Energie mehr aufwenden müssen.


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Google hatte sich für den Bau interessiert, wollte ein Rechenzentrum im ICC einrichten. Rechenzentren verbrauchen schon im Betrieb extrem viel Energie, da würde sich der Energieverbrauch potenzieren, keine gute Idee. Das Thema Mobilität wurde in mehreren Vorschlägen aufgegriffen, dazu gehört eine Idee für "Mobilität der dritten Dimension":

Senkrechtlandung am ICC
Vielleicht noch futuristisch, aber bereits in der Entwicklung sind Vertiports, die an bestehende Gebäude, angedockt werden. Sie ermöglichen die Nutzung des innerstädtischen Luftraums mit Volocoptern, das sind Flugtaxis, die senkrecht starten und landen können sowie in der Luft schweben. Ob das ICC dafür am richtigen Ort steht? Die Anlagen müssen in der Nähe des Passagierstroms platziert werden, um attraktiv zu sein, dafür ist die Infrastruktur rund um das ICC nicht vorhanden. Warum also soll dort ein Flugtaxi landen? Die Berliner CDU setzt sich gerade in einem Antragsentwurf für Flugtaxis ein und hat dabei im Blick, dass die "Landeplätze in geeigneten urbanen Gebieten" liegen müssen.

Vorschläge für eine kulturelle Nutzung sind nur umsetzbar, wenn sie mit einer energetischen Wende verbunden sind. Das Centre Pompidou in Paris als Vorbild zu nehmen, ist nicht nur wegen des Energiehungers, sondern auch aus anderen Gründen zu kurz gedacht. Beide sind futuristische Bauten wie Raumstationen, aber mit konträrer Belichtung der Innenräume: Während das Pompidou eine lichtdurchlässige Glasfläche als Fassade aufweist, ist das ICC verschlossen und auf künstliches Licht angewiesen.

Ein Konzeptwettbewerb soll klären, wie aus dem ICC ein Zukunftsort werden kann. "Berlin ist eine der spannendsten Metropolen weltweit, es gibt Akteure auf der ganzen Welt, die an solchen Zukunftsorten interessiert sind", glaubt unsere Wirtschaftssenatorin. Da Berlin kein Geld hat, müssen es "belastbare, finanziell tragfähige Vorschläge für den Betrieb und die notwendige Sanierung" sein. Mal sehen, wer so viel Geld mitbringt.
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Weitere Ziele am Denkmaltag waren der Roxy-Palast in Friedenau und der Ringlokschuppen in Schöneweide.
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Wohlfühlorte für Automobile