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Fort mit den Trümmern und was Neues hingebaut


Stadtteil: Steglitz
Bereich: Schloßstraße
Stadtplanaufruf: Berlin, Schildhornstraße
Datum: 19. Oktober 2009

In Berlin wurde schon immer sehr schnell abgerissen und neu gebaut, Beispiele hatte ich bei vielen Spaziergängen gefunden (1). Die Nachkriegsbauten würden nicht verschwinden, witzelt der ehemalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann, sie umgeben uns ja überall. Und dass das Ostberliner Ahornblatt nicht mehr vorhanden ist, sei unbedenklich, es stand ja nicht unter Denkmalschutz. Er plädiert dafür, Bauten verschiedener Epochen weiterzuentwickeln, zu verändern, anzubauen, aufzustocken und dabei auch einzelne Gebäude abzureißen. Am Radikalsten bei Nachkriegsbauten, die er mitverantwortlich macht für die architektonische Zerstörung der deutschen Innenstädte.

"Fort mit den Trümmern und was Neues hingebaut". Diesem Nachkriegs-Aufbaulied Bertold Brechts folgend wurde in beiden Deutschlands radikal "modern" gebaut. Kahlschlagsanierung war die Folge, Hochhäuser (Hansaviertel, Stalinallee), Großsiedlungen (Märkisches Viertel, Marzahn), autogerechte Straßen und Stadtautobahnen entstanden, um neue gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen. Erst Mitte der 1970er Jahren begann sich das Verständnis von "guter Stadt" zu wandeln, die radikale Trennung von Wohnen und Arbeiten wurde zugunsten der kompakten Stadt wieder aufgegeben, anstatt die alte Substanz abzureißen, sanierte man sie jetzt. Hinterhöfe, früher der Inbegriff der Mietskasernen, wurden begrünt. Zilles Karikatur eines tristen Hinterhofes: "Mutter, jib mal den Blumentopp raus, Lieschen will im Jrünen sitzen" ist endgültig Vergangenheit.

Und die Nachkriegsbauten, die uns umgeben und die wir doch täglich übersehen, oder manche wenn wir sie sehen als hässlich empfinden? Sie sind die Nachkriegsmoderne, die im besten Fall unbeachtet bleibt, wenn sie nicht angefeindet und für die Zerstörung historischer Städte verantwortlich gemacht wird. Man muss diese Zeitzeugen nicht lieben, aber es lohnt sich sie zu erhalten. Der Blick auf die Architektur ist in doppelter Hinsicht subjektiv, was den Betrachter und was den Zeitgeist betrifft, und beides ändert sich im Zeitablauf. Man kennt das Gefühl beim Betrachten eigener älterer Bilder, wo man vielleicht vor 40 Jahren mit Zottelhaaren, langen Koteletten und riesigen Brillengläsern zu sehen ist - damals war man auf der Höhe der Zeit, heute schüttelt es einen, morgen kann es wieder modern sein.

Geliebt, gehasst oder einfach nur ignoriert wird auch der Bierpinsel über der Schloßstraße in Steglitz, der aus 46 Metern Höhe auf die hier kreuzende Stadtautobahn herunterschaut. Der Bierpinsel ist ein Gesamtkunstwerk der 1970er Jahre in Sichtbeton und knalligen Farben mit der Brücke über die Stadtautobahn, dem U-Bahnhof Schloßstraße mit zwei Bahnsteigen übereinander und dem U-Bahntunnel, geschaffen von dem Architektenpaar Schüler(-Witte), das auch dem ICC eine prägnante plastische Gestalt gegeben hat. Das "Turmrestaurant", wie der Bierpinsel sachlich hieß, ist aus der Form eines Baumes abstrahiert worden.

Als "einheitsstiftende Geste" nach dem Palast der Republik auch das ICC und den Bierpinsel abzureißen (der Vorschlag stand im Tagesspiegel) ist die beliebte jahrhundertelange Berliner Abreißen-Neubauen-Haltung, da ist eine Kunstaktion der neuen Eigentümerin weniger radikal: Sie will street-art auf einer Wachsschicht auftragen lassen, ein vorübergehendes Graffiti, das die rote Farbe überdeckt, die aber wieder hervorgeholt werden kann. Etwas tiefer, in der "unterirdische Parallelwelt" des U-Bahnhofs, wurde das Kunstprojekt "von hier aus ins Imaginäre und wieder zurück" eröffnet. Wie schön, dass die Nachkriegsmoderne die Gegenwart beschäftigt.

Wir sind in der Schloßstraße kurz vor Beginn der Dämmerung unterwegs (2). Als die Lichter angeschaltet werden, kommt die Lichtskulptur am Titania-Palast voll zur Wirkung. Und Licht lockt uns in die Konsumtempel Schloss-Straßen-Center, Forum Steglitz, Das Schloss. Im Bau ist eine weitere Einkaufsgalerie, die Karstadt und das ehemalige Wertheim verbinden soll, die "Schloßstraße wird zur Klotzstraße", befürchtet die BZ, denn hier entsteht die größte Einkaufscenter-Dichte der Stadt. Und sie soll noch mehr zur Flaniermeile mit breiterem Bürgersteig, Außengastronomie, schmaleren Autospuren und einem Fahrradweg werden. Wir ziehen wegen der Oktober-Kälte die Innengastronomie vor und essen thailändisch in dem schon unglaublich lange (gefühlt schon seit immer) in der Ahornstraße existierenden "Sida".

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(1) Hier nur einige Beispiele, die bei unseren Stadtrundgängen erwähnt sind: Abgerissen wurden in der DDR Schloss und Orangerie in Berlin-Buch, auf der Fischerinsel verschwand die Altstadt. In früheren Zeiten wurde das gerade erst fertig gestellte Festungsbauwerk abgetragen, Wohnhäuser wurden für den Köllnischen Park platt gemacht, Schloss Ruhwald wurde abgerissen, Niedrige Wohnhäuser in der Torstraße wurden durch Häuser mit Berliner Traufhöhe ersetzt. Am Rupenhorn gibt es die meisten historischen Villen und Gärten nicht mehr. Der Stettiner Bahnhof und Görlitzer Bahnhof sind verschwunden, genauso der S-Bahnhof Fürstenbrunn und der U-Bahnhof Wilhelmplatz. Jüngstes Beispiel ist das Schimmelpfeng-Haus am Zoo.
(2) Mehr zur Schloßstraße: Schloßstraße


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