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Schwarzes Korps und "Weiße Juden"


· Stadtteil: Zehlendorf
Bereich: Krumme Lanke
Stadtplanaufruf: Berlin, Mexikoplatz
Datum: 9.Oktober 2017 (Update zu 28. September 2009)

Die Straße "Am Vierling" nahe der Argentinischen Allee erhielt ihren Namen durch einen Leserwettbewerb der SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“ im August 1938 und heißt bis heute so nach dem nahe gelegenen See. "Das Schwarze Korps" war das Kampfblatt der SS, hetzte gegen Juden, Freimaurer, Kirchen, Bolschewisten und "Schädlinge". Erstaunlicherweise versuchte es auch in gewissem Umfang nonkonformistisch zu sein, der Unzufriedenheit im Volk Raum zu geben und empfand sich damit als so etwas wie eine „Reichsbeschwerdestelle". Von seiner Haltung her aber stand es voll zur NS-Ideologie, diente auch schon mal Leserbriefschreiber dem SS-Geheimdienst an und verfolgte publizistisch "weiße Juden", also Nichtjuden wie Heisenberg, die "jüdisches Gedankengut" verbreiteten.

Der Wettbewerb um den Straßennamen wurde nicht von ungefähr von der SS-Zeitung durchgeführt, denn hier sollte eine besondere Wohnsiedlung entstehen, die SS-Kameradschaftssiedlung. "Führerplatz", "Ahnenzeile", "Treuepfad" waren andere durch den Wettbewerb entstandene Straßennamen, die 1947 in Selmaplatz, Jugenheimer Weg , Alsbacher Weg umbenannt wurden.

Hierzu gibt es eine Vorgeschichte: In Zehlendorf liegen die Siedlungen Onkel-Toms-Hütte und Am Fischtal räumlich nah beieinander. Ab 1926 hatte Bruno Taut mit anderen Architekten zusammen für die Gehag die Onkel-Tom- Siedlung in sachliche Formensprache unter Verwendung kräftiger Farben gebaut, mit Flachdächern, Fensterbändern und kubischen Formen. Nebenan in der "Versuchssiedlung Am Fischtal" wurden von der Gagfah 1928 konventionelle Häuser mit spitzen Dächern, Klappläden und Holzpergolen errichtet. Aus dem Gegensatz zwischen Reformwohnungsbau und konventionellem Bau wurde ein Kampf um Weltanschauungen, der "Zehlendorfer Dächerkrieg".

Wenige Jahre später zeigten die Nationalsozialisten, die die kubischen Bauformen als "Araberdorf" verunglimpften, wie "völkische" Bauweise aussieht. Um den Selmaplatz errichteten sie die "SS-Kameradschaftssiedlung", die heute neutral als "Waldsiedlung Krumme Lanke" bezeichnet wird und nach dem Zweiten Weltkrieg bevorzugt Verfolgten des Naziregimes zur Verfügung gestellt wurde als bescheidene Geste der Wiedergutmachung. Nichts erinnert mehr an den alten Siedlungsnamen oder -zweck, nur eine Hinweistafel wurde inzwischen angebracht. Am Fischtal will das Bezirksamt beim "Dächerkrieg" die "Erinnerungskultur" durch eine "regionalhistorische Informationsstele" fördern (die Sprache wird durch solche Wortungetüme sicher nicht gefördert), die ehemalige SS-Siedlung hatte auch eine Stele verdient.

Der Gedanke von Blut und Boden sollte "durch Seßhaftmachung wertvoller SS-Familien" verwirklicht werden, aber die Partei wollte kein Geld investieren. So blieb die SS-Siedlung Eigentum der Heimstätten-Gesellschaft Gagfah, die Grünflächen wurden keine öffentlichen Flächen, die Häuser der Gartenstadt wurden in eine ausgedehnte Grünanlage hineingebaut. Die Gagfah war nicht bereit, die vorgesehenen Gemeinschaftseinrichtungen (Kinderhort, Mannschaftshaus, Kasino, Festhalle) auf eigene Kosten zu bauen, deshalb wurden sie nicht verwirklicht. Ein geringer Teil der Wohnungen wurde von der Gagfah direkt vermietet. An die SS-Bewohner wurden die Wohnungen streng nach Dienstgrad vergeben, gestaffelt nach Geschoßwohnungen, Reihenhäusern und Einzelhäusern.

Durch Wohnordnungen und Gartensatzungen wurden alle Bewohner gegängelt: Öffentliche Grünanlagen durften nicht betreten werden, Markisenstoffe sollten grün-weiß gestreift sein, Blumenkästen und hölzerne Jalousien waren vor den Häusern verboten, Autostellplätze wurden abgelehnt, "falsche" Blumen und Pflanzen in den Gärten beanstandet. Die SS-Bewohner kritisierten das fehlende Eigentum an den Häusern ebenso wie zu hohe Mieten und zu kleine Wohnungen. Trotz des Siedlungsnamens fehlte es an der Identifizierung der Bewohner und der SS-Führung mit diesem Projekt, es entstand kein Gemeinschaftsgefühl, die Siedlung wurde nicht von der SS offiziell eingeweiht, SS-Führer Himmler hat sie nie besucht.

Wir sind zum Bahnhof Mexikoplatz gefahren, um hier durch die Landhaussiedlung zu flanieren. Beerenstraße, Zehlendorf-West, Lindenthaler Alle, Mexikoplatz - seitdem die S-Bahnstation mit dem wohl schönsten und aufwendigsten Bahnhofsgebäude Berlins existiert, hat sie schon vier verschiedene Namen getragen. Sie wurde zur Anbindung der neuen Villenkolonie Zehlendorf-West geschaffen, und wie bei anderen Villenkolonien musste die Terraingesellschaft die Bahnanbindung bezahlen, um ihr Baugelände attraktiv zu machen. An der Eisenbahnbrücke über die Lindenthaler Allee prangt das Wappen der "Königlich Preußischen Eisenbahn-Verwaltung" (KPEV). Es gab Züge, die ohne Halt von Berlin bis Zehlendorf(-Mitte) durchfuhren und erst ab dort an den Bahnhöfen der Villenkolonien hielten. Man nannte sie die "Bankierszüge".

Seit Jahren ist vorgesehen, die U-Bahn vom Endpunkt Krumme Lanke bis zum Mexikoplatz zu verlängern, um das Umsteigen auf die S-Bahn zu ermöglichen, die Realisierung lässt aber auf sich warten. Statt dessen hat die Bahn das einmalig schöne Bahnhofsgebäude an einen privaten Investor verkauft, der außer der Kündigung der jahrzehntelang in der Eingangshalle existierenden Buchhandlung kaum Aktivitäten gezeigt hat. Bestürzt fragt deshalb das Jahrbuch 2002 der Architektenkammer: "Was ist ein Wahrzeichen der Stadtbaukunst heute noch wert?"

Viele Freimaurer haben in der Landhauskolonie gewohnte, die Loge „Goethe“ wurde am Mexikoplatz gegründet. Obwohl sie christlich orientiert und von preußischer Herkunft waren, wurden sie von den Nationalsozialisten verfolgt. Diese demokratisch strukturierten Vereinigungen von Männern, die die Brüderlichkeit, Nächstenliebe und Toleranz unter den Menschen verwirklichen und pflegen wollen, passten nicht in das NS-Weltbild.

In der Siedlung Zehlendorf-West wurden Landhäuser gebaut, nördlich des Mexikoplatzes beispielsweise das Haus am Waldsee, eine Kulturinstitution. Haus Perls wurde von Mies van der Rohe gebaut, Haus Lewin von Walter Gropius, Haus de Burlet von Hermann Muthesius. Unseren Rundgang durch das "Schriftstellerviertel", das seinen Namen von den Straßenbenennungen ableitet, finden Sie hier: Fingerübungen späterer Stararchitekten

In der einbrechenden Dunkelheit (der Herbst hat begonnen) müssen wir unseren Rundgang abkürzen und setzen uns ins La Gondola Due am Mexikoplatz, das gutes italienisches Essen auf den Tisch bringt.

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Unsere Route:
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Wasserturm Bergstraße
Fort mit den Trümmern und was Neues hingebaut