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Die Stadt, ein Wunder an Schönheit und Poesie


Bereich: Geschichte
Datum: 30. Oktober 2024
Bericht Nr.:850

Wenn man in Architekturführern über Baustile in Berlin nachliest, dann ist von Barock über Historismus bis Neue Sachlichkeit alles verzeichnet, nur der Jugendstil fehlt meist. Ist in der Zeit um die Jahrhundertwende 1900 in der Stadt nicht im Jugendstil gebaut worden? Die Suche führt uns im Zickzack durch die Stadt, Fassaden mit Jugendstilelementen finden sich viele, aber reine Jugendstilbauten sind selten.

Industrielle Revolution
In der Zeit des Jugendstils war Berlin durch die industrielle Revolution geprägt. Die rasante Entwicklung von Maschinenbau, Elektroindustrie, Textilindustrie und anderen Bereichen führte zu einem starken Zustrom von Menschen, die Wohnungen brauchten. Da wurden eher Mietskasernen hochgezogen, künstlerische Gestaltung kostete mehr und dauerte zu lange. Man ahmte stattdessen im Historismus die Baustile des Klassizismus, der Gotik, der Renaissance und andere nach und setzte diese "Neo"-Stile mit modernen Baumethoden um.

Und es herrschte preußischer Geist im Wilhelminismus, das hat auch die Architekten beeinflusst. Der Jugendstil-Architekt August Endell, der außerhalb Berlins verschlungenen und bewegte Jugendstil-Formen geschaffen und im Einzelfall auch mit einer bizarr-schrillen Gestaltung geschockt hatte, wurde nach dem Umzug nach Berlin zurückhaltender und feiner in seinen Entwürfen (siehe weiter unten: Hackesche Höfe). Auch seine Wohngebäude gestaltete er jetzt mehr sachlich funktional.

Der Jugendstil
Der Jugendstil (ca. 1880 bis 1910) war die Überleitung zur Moderne. Die Starrheit des Historismus wurde überwunden durch fließende Linien, pflanzenähnliche Ornamente, stilisierte Naturmotive, die die geraden Linien und rechten Winkel durchbrachen. Dadurch entstand ein organischer Gesamteindruck der Gebäude. Fenster und Türen wurden über ihre Funktion hinaus zu Designelementen.

Auch die Innenräume und die Inneinrichtung wurden in die Gestaltung einbezogen, so entstand ein Gesamtkunstwerk. Oft wird Jugendstil mit Art Déco gleichgesetzt, beide folgten aufeinander. Doch es gibt klare Unterschiede: Art Déco setzte auf geometrische Formen, Jugendstil auf Bewegung durch Rundungen und Asymmetrie.

Jugendstil in Berlin
In Berlin gibt es nicht die verspielten Jugendstilbauten wie in Brüssel, Wien oder auch in Riga. Reinen Jugendstil wird man bei uns kaum finden. Es ist meist ein Stilmix, Jugendstil verbunden mit Motiven von Barock oder Renaissance usw. als Anklang an den Historismus. Vielleicht auch mit Übergängen zum Expressionismus. Vielfach sind es nicht die sachlich-funktional gestalteten Gebäude selbst, sondern nur ihre Fassaden, die mit Ornamenten im Jugendstil geschmückt sind. Oder ein Jugendstilbau versteckt sich hinter einer historistischen Fassade wie beim Stadtbad Neukölln. Auch massive Bauten aus behauenen Steinquadern stellen sich manchmal als Jugendstil heraus, wenn man näher hinschaut.

Drei Stadtbäder, zwei Bahnhöfe, zwei Theater, ein Wohngebäude, zwei Geschäftsgebäude und das Aquarium stellen wir im Folgenden als Jugendstilbauten vor. In der Bildergalerie finden Sie weitere Beispiele von Gebäuden und Fassaden, die vom Jugendstil beeinflusst sind. Und ein Beispiel für ein künstlerisches Grabmal. Auch auf den Berliner Friedhöfen findet man Jugendstil, das wäre einen eigenen Rundgang wert.

Stadtbad Charlottenburg
Das Stadtbad in der Krummen Straße ist die älteste noch erhaltene öffentliche Badeanstalt Berlins. Der Charlottenburger Stadtbaurat Paul Bratring schuf 1898 einen Backsteinbau mit Jugendstilelementen. Mit Zahnfriesen und Ziersimsen und reich verzierten Baukeramiken wie Fischen, Muscheln, Blättern und Knospen. Im Innern des Gebäudes führt ein neogotisches Kreuzgratgewölbe zu der Schwimmhalle mit einem schwebenden Glasdach, das von filigranen Stahlträgern gehalten wird.


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Stadtbad Neukölln
In einer Gebäudehülle des Historismus verbarg der Neuköllner Stadtbaurat Reinhold Kiehl ein Stadtbad, das sich an antiken Vorbildern orientiert. Zur Bauzeit 1914 gehörte es zu den größten und modernsten Bädern Europas. Antike Tempel und Thermen waren das Vorbild, es gibt zwei Schwimmhallen und eine römische Sauna. Der Kuppelbau mit Oberlicht und rundem Tauchbecken hat eine kostbare Innenausstattung mit Materialien wie Marmor und Travertin sowie Wandmosaiken. Säulen, Wandelgänge, Nischen, Mosaiken und Skulpturen verstärken den antiken Eindruck.


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Stadtbad Steglitz
Auch das Steglitzer Stadtbad gibt seine Jugendstilherkunft nicht auf Anhieb preis. Aber nur, weil ihm an der Straße später ein Gebäuderiegel vorgesetzt wurde, der die ungewöhnliche Bauform verdeckt. An dem Gebäude - das vom Steglitzer Gemeindebaurat Richard Blunck 1908 errichtetet wurde - ist außen eine mit Kupferplatten eingefasste Halbkugel sichtbar. Im Gebäudeinnern befindet sich darunter die Schwimmhalle mit einer Kuppel am Kopfende, eine fast sakrale Gestaltung. Auch hier sind - wie in Neukölln - die Räume kunstvoll ausgestaltet mit geschmiedeten Geländern, Wassertieren, Wandmosaiken und Säulen.


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S-Bahnhof Mexikoplatz
Für die Villensiedlung am Mexikoplatz entstand 1904 ein ungewöhnlicher Bahnhofsbau mit einer hohen runden Kuppel und einem wellenförmigen, fließenden Dach. Am Tambour zwischen Kuppel und Baukörper belichten Fenster mit organischen Rundungen die Bahnhofshalle. Die Fenster sind spielerisch mit Sprossen durchsetzt. Der Bahnhofsbau kombiniert Jugendstilformen mit neobarocken Anklängen und verzichtet auf Bauschmuck an der Fassade, wie er sonst im Jugendstil vielfach anzutreffen ist.


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U-Bahnhof Bülowstraße
Dem Hochbahnhof Bülowstraße, einem Ingenieurbau, fügte der Architekt Bruno Möhrig 1901 an der Stirnseite eine Vorhalle mit Sandsteingiebeln, Pylonen und Schmuckportalen an. Die Toranlage mit flankierenden Türmen, die über der Halle hoch aufragen, war mit Masken geschmückt. Das Baudekor mit seinem spielerischen Formenreichtum ist nur noch in Resten erhalten. Der Kritiker Alfred Kerr fand den Hochbahnhof eine "plumpe Scheußlichkeit, barbarische, eklige, gottverlassen, blöd, mickrig, schändlich", aber da hatte wohl gerade sein ästhetisches Empfinden eine Pause eingelegt.


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Hebbel-Theater
Das Hebbel-Theater in der Stresemannstraße hat der Theaterarchitekt Oskar Kaufmann 1908 als einen wuchtigen Bau ausgeführt. Bis ins fünfte Stockwerk reicht die Fassade aus Bossenwerk (behauenen Quadern). Aus der schmalen Hauptfront wölbt sich unter dem Tympanon (Dreiecksgiebel) ein graziles Fensterfeld nach außen. Es bestimmt die Wirkung der Fassade und wird auf beiden Seiten eingefasst von schmalen Fensterbändern, die von Okulifenstern ("Ochsenaugen") bekrönt sind. Neben dem Tympanon schauen zwei Masken oder Fratzen zu den Seiten. Auch wenn der massive Baukörper dies nicht auf Anhieb vermuten lässt, weisen doch alle diese Stilelemente das Theater als einen Jugendstilbau aus.


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Versicherungsanstalt Keithstraße
Und noch ein wuchtiger Bau aus behauenen Steinquadern mit zarten Jugendstilelementen: Das heute von der Kriminalpolizei genutzte Gebäude in der Keithstraße wurde 1909 für eine Versicherungsanstalt erbaut. Architektur und Bildwerke waren wie üblich getrennt vergeben worden. Die Härte der Werksteinfront mit kolossalen Wandpfeilern wird durch die Architekturplastik besänftigt. Im Doppel schmiegen sich Figuren an die Pfeiler an und fassen gemeinsam ein Blumenbouquet über ihren Köpfen.


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Metropol
Das Neue Schauspielhaus am Nollendorfplatz (heute Metropol) wurde 1906 von einem Schweizer Architekten als monumentale Bau mit flankierenden Seitentürmen und prunkvoller Fassade erbaut. Der Theaterbau wurde ursprünglich in einem Baukomplex mit Konzertgarten sowie Restaurant- und Büroflügel an der Nollendorfstraße realisert. Er war in seiner wechselvollen Geschichte Theater (unter Erwin Piscator), Lichtspielhaus, Diskothek, Clubgebäude.


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Fresken am Metropolbau
Die Reliefs neben dem Haupteingang zum Metropol-Theater zum Thema "Freude" und "Leid" mit ihren lebensgroßen Figuren zeigen Themen des Theaters. Die Figuren spielen auf die dionysische Welt des Theaters an, dem Gott des Weins und der Ekstase gewidmet. In zwei Personengruppen "Lust“ und "Schmerz“ hat der Bildhauer die erotische Ausstrahlung erstaunlich präsent in Stein modelliert.


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Thomasiusstraße
Am Haus Thomasiusstraße 5 in Moabit wird man beim Hereinkommen symbolisch vor dem Bösen geschützt. Die Fratze eines Fauns mit weit aufgerissenem Mund oben am Schmuckgiebel wird dem metaphysischen Jugendstil zugerechnet. Einer Spielart, bei der Themen wie Eros und Tod eine große Rolle spielen. Der Faunkopf soll den Schöpfer versinnbildlichen, der durch sein Wort die Erde erschafft. Neben dem Kopf eingebettet sieht man eine Flöte spielende Frau, der gegenüber sich ein Jüngling die Ohren zuhält. Dargestellt sind die Gegensätze Yin und Yang aus der chinesischen Philosophie.


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Alle Objekte sind aus Bronze, die inzwischen fast schwarz angelaufen ist. Geschaffen hat diesen Bau 1902 ein Privatbaumeister. Die Objekte am Haus, "die die Erfahrung übersteigen" (Metaphysik), schuf ein Berliner Bildhauer.

Hackesche Höfe
Friedrich der Große hatte 1751 durch Kabinettsorder zwischen zwei Bastionen der Stadtbefestigung den Hackeschen Markt anlegen lassen. 1906 errichtete Kurt Berndt dort einen Komplex von acht miteinander verbundenen Gewerbehöfen, die von Anfang an auch für kulturelle Nutzung vorgesehen waren und Mietwohnungen enthielten. Es war seinerzeit das größte Hofareal dieser Art in Europa. Nach Beschädigung im Zweiten Weltkrieg wurden die Höfe von der DDR nicht gepflegt und verfielen. Erst nach der Wende wurde das Hofareal aufwendig wiederhergestellt.

Der Jugendstil-Architekt August Endell hatte das Ziel, "Formen zu schaffen, die Gefühle hervorrufen, die direkt und ohne intellektuelle Vermittlung auf uns wirken – wie die Töne der Musik“. Bei dem ersten Hof der Hackeschen Höfe - für den er 1907 exklusiv den Auftrag erhielt - versetzte er die Hoffassade durch verschiedenfarbig glasierte Klinkerbänder in rhythmische Bewegung. In fantasievolle Abwandlung der um die Jahrhundertwende üblichen Gewerbehofarchitektur waren die Steine in rein ornamentalen Mustern gruppiert. Die Fassaden werden unterbrochen durch verschiedenartig geformte Fenster mit filigraner Sprossengliederung.


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Endell gestaltete auch die Treppenhäuser und die vom Hof aus erreichbaren Festsäle. Die anderen Höfe erhielten schlichte Fassaden.

WMF
Die Metallwarenfabrik WMF ließ sich 1906 an einer Ecke der Leipziger Straße ein Geschäftshaus errichten, das sowohl dem 1853 gegründeten Unternehmen als auch der Jugendstilarchitektur zur Ehre gereicht. Die elegant geschwungene Gebäudeecke ist die Hauptachse des Gebäudes. Die Pfeilerfassade aus Naturstein ermöglicht ein Fassadenraster mit großen Fensterflächen. Das Eingangsportal in der Hauptachse fasst Erdgeschoss und Obergeschoss mit geschwungenen Rahmungen und Einfassungen zu einer Einheit zusammen. Bronzereliefs fügen sich von beiden Seiten an den Portalbogen an. Am ersten Geschoss verläuft ein Dekorband aus blauen und goldenen Mosaiksteinen mit dem Firmennamen und Logo, einem laufenden Vogel Strauß.


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Nach baulicher Vernachlässigung während der DDR-Zeit und Umbau des Dachgeschosses ist das Geschäftshaus heute stark verändert, ein Bild in der Galerie zeigt den ursprünglichen Zustand.

Aquarium
Das Verwaltungsgebäude des Aquariums wurde 1913 mit Jugendstilelementen erbaut. Dieselben Architekten schufen auch das Elefantentor, "eine sehr originelle Schöpfung in japanischem Stile", wie der Zoodirektor schrieb. Zwei lebensgroße Elefanten aus Sandstein als Wächterfiguren bewachen den Eingang zum Gelände. Sie tragen ein Pagodendach aus rotem Holz mit goldenen Ornamenten und grünglasierten Ziegeln. Bei einem Bombenangriff im November 1943 wurde die Anlage weitgehend zerstört und in der Nachkriegszeit wiederaufgebaut. Auch die beiden Echsen über dem Eingang des Verwaltungsgebäudes wurden nach Vorbildern neu geschaffen.


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Geben wir dem Jugendstil-Architekten August Endell das Schlusswort zu unserem Thema. Er schreibt in seinem Buch "Die Schönheit der großen Stadt": "Denn das ist das Erstaunliche, dass die große Stadt trotz aller hässlichen Gebäude, trotz des Lärmes, trotz alles Vorwerfbaren, ein Wunder ist an Schönheit und Poesie". Die Jugendstilbauten haben ihren Anteil daran.
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Und dann finden wir doch noch ein ganzes Ensemble von Jugendstilbauten in der Stadt, bei einem Rundgang in der Markelstraße in Steglitz. Dem Jugenstil haben wir dort eine eigene Bildergalerie gewidmet, sehenswert!.

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Einen Teil der Jugendstibauten finden Sie auf dieser Route:
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Jüdisches Leben in Berlin