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Franz Hessel, der Flaneur - ganz persönlich


Durch den freundschaftlichen Kontakt eines Mitglieds unserer Familie zu dem Sohn von Franz Hessel bin ich auf Hessels persönliche Lebensgeschichte gestoßen. Der Film "Jules und Jim" von Francois Truffaut (1961) mit Jeanne Moreau in der weiblichen Hauptrolle schildert die ungewöhnliche Liebesgeschichte zweier Männer, die dieselbe Frau lieben. Der Franzose Jim (im wirklichen Leben Henrie-Pierre Roché, er hat den autobiographischen Roman geschrieben, der verfilmt wurde) und der Deutsche Jim (Franz Hessel) lernen sich in Paris kennen und verlieben sich 1912 in Cathérine (im wirklichen Leben Helen Grund). Sie kann nicht ohne Jim leben, aber auch nicht ohne Jules.

Die beiden Männer haben eine für damalige Zeiten "radikal neue, freie Auffassung von einer Beziehung zwischen Männern und Frauen ohne Zugeständnisse". Und Helen hat einen unbändigen Drang nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Sie leben eine "menage à trois", eine Dreiecksbeziehung. Dann heiraten Franz und Helen und gehen nach Deutschland. Durch den ersten Weltkrieg verlieren sich die drei aus den Augen. 1925 ziehen die Hessels wieder nach Paris, die drei sind wieder zusammen.

Stéphane Hessel, der Sohn von Franz und Helen, schwärmt in seinen Erinnerungen "Tanz mit dem Jahrhundert" (1998) von seiner Mutter: "Helen trug für mich mit ihren blauen Augen und ihrem langen blonden Haar, ihrer ungestümen Zärtlichkeit und ihrem Drang zu verführen die Züge Aphrodites". Der Vater Franz Hessel dagegen vermittelte "ein ziemlich blasses Bild, das eines Schöngeistes in einem von der Natur stiefmütterlich behandelten Körpers. Franz war nahezu kahl, von kleiner Statur und ziemlich korpulent. Sein Gesicht und seine Gesten wirkten sanft, er war in unseren Augen ein etwas zerstreuter Weiser, der für sich lebte und sich kaum mit uns befasste".

Hessels Sohn beschreibt die Veränderungen der Beziehungen beim neuen Zusammenfinden nach dem ersten Weltkrieg: "Das Dreiecksverhältnis trug eher tragische denn frivole Züge, indem es Ecken und Kanten von denen, die sich anfangs darin verfangen hatten, zutage förderte. Mein Vater begriff, dass das, was mit seiner Frau und mit seinem Freund geschah, eine ernste und schöne Erfahrung war, die beide womöglich verändern würde. Er wollte nicht nur kein Hindernis, sondern vielmehr der literarische Mittler dieser Leidenschaft sein". Doch dieses gemeinsame Tagebuch wurde nie geschrieben.

Die Hessels wurden geschieden, Franz Hessel ging nach Deutschland zurück, arbeitete als Lektor beim Rowohlt-Verlag und als Übersetzer. 1929 entstand sein Buch "Spazieren in Berlin", das ihn als Flaneur bekannt machte. Helen rettete ihn, der jüdischer Herkunft war, 1938 aus Nazideutschland, indem sie ihn erneut heiratete und nach Paris zurückbrachte. In seinem Roman "Heimliches Berlin" schildert er den Abschied seines Berliner Romanhelden, so wie er es vielleicht auch für sich selbst empfunden hat: "Bis zum Frühjahr ... lebte in Berlin ein junger Mensch, dessen Erscheinung die Männer und Frauen seines Bereiches erfreute, ohne dass sie seinem Wesen tiefer nachforschten. Erst als er fortging, erregte er bei einigen ein schwer erklärbares Abschiedsweh. Bei denen ändert sich jetzt Miene und Tonfall, wenn sie von ihm sprechen, sie denken oft an ihn und ordnen ihn in Zusammenhänge und Schicksale sein, die er kaum gestreift hat".

Er flüchtete vor der deutschen Besatzung nach Südfrankreich, wurde interniert und starb 1941 kurz nach seiner Entlassung an den Folgen der Lagerhaft. Sein letztes Manuskript ist posthum unter dem Titel "Letzte Heimkehr nach Paris" veröffentlicht worden. Sein Sohn Stéphane schreibt hierzu: "Paris war in der Tat seine Bleibe, sein Zuhause, nur nicht sein Vaterland. Sein Vaterland war die Dichtkunst".

Helen Hessel trennte sich von "Jim", als sie erfuhr, dass er ohne ihr Wissen eine andere geheiratet hatte und Vater eines Sohnes geworden war, des Sohnes, den sie beide sich gemeinsam gewünscht hatten. Verbitterung, Zorn und Rachsucht legten sich irgendwann, wiedergesehen hat sie ihn nie. Die Dreieckskonstellation, die einmal eine glückliche Situation war, unter der Liebe und Freundschaft nicht zu leiden hatten, war nach Jahrzehnten endgültig zu Ende gegangen.

Sein Sohn Stéphane Hessel war französischer Staatsangehöriger geworden, kämpfte im Untergrund gegen die Nazis, wurde französischer Diplomat, arbeitete bei der UNO, in Saigon und Algier. Er arbeitete am Text für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte mit, die die Vereinten Nationen 1948 verabschiedeten. Im Jahr 2010 ist Stéphane Hessel durch sein Essay "Empört euch!" - einer Kritik an der kapitalistischen Finanzwirtschaft - weltweit bekannt geworden. Im Februar 2013 starb er in Paris, 95 Jahre nachdem er als Stefan Hessel in Berlin geboren war.




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