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Ich habe ein verlöschendes Leben zu begleiten

Auf dem Weg zum Wochenendausflug nach Westdeutschland noch schnell etwas Geld holen bei unserem Lichterfelder Dorfpostamt. Eine kleine Poststelle, von der wohl selbst die obere Postverwaltung nichts weiß, sonst wäre diese Idylle längst wegrationalisiert. Drei Postschalter, von denen nur zwei besetzt sind. Nicht oft schwappt eine Ladung Menschen hier herein, meist sind die zwei Schalterbeamten und ein im Hintergrund grummelnder weiterer Mitarbeiter unter sich. Nur wenn die Büros. und Läden Pause machen oder schließen wird es hier etwas voller. Und am Monatsersten, dann ist hier Rentnerball, dann stehen die alten Menschen mit ihren Schecks hier Schlange.

Heute stehen unerwartet viele Menschen Sch1ange am Schalter 2. Eine Postbeamtin kämpft mit den Vorschriften: für die Kontoeröffnung braucht ein Aus1änder eine Aufenthaltserlaubnis, aber ihr Kunde bezeichnet sich als EG-Inländer und behauptet, als solcher könne er keine Aufenthaltserlaubnis vorweisen, weil innerhalb der Europäischen Gemeinschaft Freizügigkeit herrsche. Der grummelnde Dritte im Hintergrund kommt ihr zu Hi1fe, blickt ihr über die Schulter und entscheidet gegen den Mann vor dem Schalter. Dieser scheint sich seiner Sache aber völlig sicher zu sein, jedenfalls bleibt er hartnäckig. Voller Verzweiflung greift sie zum Hörer, ums sich Rat zu holen, während die Schlange vor dem Schalter 1 länger wir d. Um mich herum stehen offensichtlich nur Menschen, di e das gleiche ambulante Bedürfnis haben wie ich, etwas Geld in die Hand zu bekommen und dann weg. Mit einer Mischung aus Belustigung und steigender Ungeduld beobachte ich die Szene.

Der Schalter 1 ist "vorübergehend geschlossen", wie ein kleines schwarzes Schild auf dem Schaltertisch verkündet-. Hier finde ich ein bekanntes Gesicht. Von gedrungener Statur ist dieser Postbeamte, mit fleischigen Fingern und einem ständig hochroten Kopf, als würde er gleich platzen. Mehrere Ringe zieren seine linke Hand. Vor ihm liegt eine lange Liste mit Zahlen, die er Zeile für Zeile liest und mit der linken Hand in eine Rechenmaschine eintippt.

Ich scheine nicht der einzige Ungeduldige zu sein. Plötzlich stürzt aus der Schlange hinter mir ein Mann nach vorne zu dem hartnäckigen Kunden und bittet darum, vorgelassen zu werden. Uns anderen Wartenden erklärt er, er habe "ein verlöschendes Leben zu begleiten". Den aufkommenden Unmut besänftigt er damit etwas. Ein Mann aus der Schlange schlägt vor, uns dafür zum Leichenschmaus einzuladen. Der Ungeduldige versteht dies falsch, sieht sich angegriffen und verkündet, er habe heute überhaupt noch nichts gegessen.

Inzwischen sind am Schalter 1 die Zahlenreihen abgearbeitet, das feindliche schwarze Schild ist hereingenommen und der Beamte wartet, noch immer mit hochrotem Kopf- auf neue Aufgaben.

Schnell windet sich die Schlange zu seinem Schalter, nur der Ungeduldige steht verlassen hinter dem hartnäckigen Kunden, während die Postbeamtin - den Hörer am Ohr – weitere Informationen einholt.

Der Ungeduldige wendet sich mit der Bemerkung an die am anderen Schalter Stehenden, der Herrgott habe ihnen den Schalter geöffnet. Eine Frau aus der Schlange sieht das ganz anders, es sei der Postbeamte gewesen. -Jetzt schließt, sich natürlich ein religiöser Disput an, bei dem die Beteiligten Ihre Bibelfestigkeit unter Beweis stellen. Ein Mann. der sich bisher nicht zu Wort gemeldet hatte, zitiert mit Quellenangabe eine Stelle aus der Bibel, die einen anderen auffordert, sich zu entfernen. Er wendet dieses Zitat auf den Ungeduldigen an, der dadurch aber erst recht in Fahrt gerät und die mit ihm wartenden missioniert. Bitter beklagt er die Ungläubigkeit dieser Welt und belegt dies an vielen Beispielen.

Die Gruppe der Wartenden hatte sich in der Zwischenzeit anders formiert. Aus der Schlange, deren Kopf am Schalter züngelte, war eine offene Runde geworden. Nur wer jeweils bedient wurde, stand direkt am Schalter. Der Ausgangspunkt des Geschehens schien vergessen. Bis jemand den.. Ungeduldigen ermahnte, sich des verlöschenden Lebens zu besinnen, für das er sich zu Anfang sogar dem Unmut der Wartenden ausgesetzt, hatte. Das traf ihn im Kern. Er, der gerade eine Herde von Ungläubigen auf den rechten Weg brachte, wollte sich davon durch so banale Hinweise nicht abbringen lassen. Warum dieser Mensch so böse gegen ihn wäre, wollte er wissen. Und er wusste, dass der Herrgott die Ungläubigen strafen würde.

Als ich mein Geld eingesteckt hatte und das Postamt verließ, war der Ungeduldige immer noch dort, fernab vom Schalter redete er erregt auf die Menschen ein.

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Den Bericht über die Postämter am Hindenburgdamm finden Sie hier:
Solbad und Kurort Lichterfelde


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