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Ein seltener Fang


Stadtteil: Köpenick
Bereich: Friedrichshagen
Stadtplanaufruf: Berlin, Bölschestraße
Datum: 20. Juli 2015
Bericht Nr: 515

Am Fuße des Viktoriaparks in Kreuzberg hat ein Fischer eine Nixe gefangen. Noch hat er sie nicht in der Gewalt, aber ihr fischiger Unterkörper ist von dem Netz umschlungen, das er mit seinen Händen packt. Auch ein Oktopus kämpft zu seinen Füßen mit dem Netz. Diese Skulptur von Ernst Herter ("Ein seltener Fang") wurde 1896 in der Bildgießerei Gladenbeck in Bronze gegossen, einer Kunstgießerei, die jahrzehntelang in Friedrichshagen gearbeitet hat. Auch der Neptunbrunnen und die "Goldelse" - die Viktoria auf der Siegessäule - entstanden in der dieser Bildgießerei, sowie das nicht mehr vorhandene Nationaldenkmal vor dem Stadtschloss.

Vor der Alten Nationalgalerie, oben auf dem Podest der Freitreppe, steht das Reiterstandbild Friedrich Wilhelms IV., ebenfalls von Gladenbeck gegossen. Die Berliner sollen angesichts des hoch zu Ross sitzenden Königs gewitzelt haben: "Vorsicht, Majestät, der Abgrund ist nah!" Nicht nur aus Deutschland kamen die Auftraggeber, selbst für Philadelphia, wo die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung verkündet worden war, hat Gladenbeck das von nationalem Pathos erfüllte Denkmal von Georg Washington gegossen.

Die Gladenbecks sind eine ganze Bildgießerdynastie. Hermann Gladenbeck begann in einer kleinen Werkstatt in der Johannisstraße, nicht weit von "Feuerland" entfernt, wo er in der Eisengießerei Egells das Handwerk gelernt hatte. Diese Werkstatt war zu klein für die Aufträge des berühmten Bildhauers Christian Daniel Rauch, deshalb durfte er 1857 die verwaiste Königliche Gießerei in der Münzstraße übernehmen. Dreißig Jahre später war es wieder zu eng geworden, er zog in die neu erbauten Gießereigebäude in der Peter-Hille-Str.36 in Friedrichshagen. Sein Sohn Oskar errichtete am Müggelseedamm 131 eine eigene Gießerei, Sohn Alfred leitete das Gladenbeck-Institut für Denkmalpflege, Söhne Walter und Paul gründeten gemeinsam eine weitere Bronzegießerei. 1931 gab die letzte Gladenbeck-Gießerei auf, bis 1949 wurde ein Nachfolgeunternehmen mit neuen Inhabern im benachbarten Schöneiche weitergeführt. Bei dessen Liquidation wurde die einmalige Modellsammlung mit 1.300 Gießereimodellen in alle Winde zerstreut.

Hermann Gladenbeck steht für den Weg von der Eisengießerei zur Bronzegießerei. Mit der Eisengießerei begann es, gegenüber der Museumsinsel verweist die Straße "Hinter dem Gießhaus" darauf, dass hier bereits im 16.Jahrhundert Kanonen, Haubitzen und Mörser gegossen wurden. Auch Spandau hatte in Stresow eine Geschützgießerei. Die Königlich Preußische Eisengießerei in Mitte schuf das Schinkelsche Nationaldenkmal auf dem Kreuzberg ebenso wie viele eiserne Grabkreuze auf den alten Friedhöfen. Mit dem Bau der ersten deutschen Dampflokomotive war sie nicht so erfolgreich. Die privaten Eisengießereien vor dem Oranienburger Tor - darunter Borsig - bestimmten die industrielle Entwicklung. Zurück zum Bronzeguss in der Zeit nach den Gladenbecks: Die Bildgießerei Noack ist jetzt in der vierten Generationen in Berlin ansässig. Gegründet wurde sie 1897 von Hermann Noack, der als Werkmeister bei Gladenbeck angefangen hatte. Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor, die Plastik von Henry Moore vor dem Bonner Bundeskanzleramt und die Berliner Bären von Renée Sintenis sind bekannte Bronzegüsse aus dem Hause Noack.

"Das Irrenhaus von Friedrichshagen", titelte der Spiegel 2007, doch das bezog sich nicht auf eine Nervenheilanstalt, sondern auf eine anthroposophische Schule, die von einem abgedrehten Missionar gegründet worden war, der sich für die Reinkarnation von Rudolf Steiner hielt. Friedrichshagen war dafür prädestiniert, hier hatte Rudolf Steiner acht Jahre lang gelebt und zum Dichterkreis um Wilhelm Bölsche gehört. Der Waldorf-Verein distanzierte sich deutlich von dieser Schule, der Elterverein entließ die Lehrerschaft, mit Polizeigewalt mussten die geschassten Lehrer am Unterrichten gehindert werden, nachdem sie auch durch den Einsatz des Rasensprengers nicht zu vertreiben waren.

Aber auch ohne dieses gründlich schief gegangene Projekt hat Friedrichshagen genügend Schulen: drei Grundschulen (Friedrichshagener, Müggelsee, Ahornschule für Sprach-Sonderpädagogik), Evangelische Schule, Wilhelm-Bölsche-Schule (Integrierte Sekundarschule), Gerhart-Hauptmann-Gymnasium. Gerhart Hauptmann ("Die Weber"; "Der Biberpelz", "Fuhrmann Henschel") gehörte zu dem Dichterkreis um Wilhelm Bölsche, der sich um 1890 mit einer Gruppe von Intellektuellen, Künstlern, Bohemiens, Anarchisten in Friedrichshagen ansiedelte.



Friedrich der Große hatte die Kolonie 1753 gegründet, um hier mit böhmischen Einwanderern eine Seidenraupenzucht aufzubauen. Daher der Beiname "Siedlung für Spinner", den man aber auch liebevoll auf die zugewanderten Intellektuellen beziehen könnte. Als "Friedrichshagener Dichterkreis" gaben sie Impulse für den Naturalismus in der Literatur, für die Lebensreformbewegung, für die Volksbühnen- und Volkshochschulentwicklung.

In Geistesverwandtschaft dazu steht die Tätigkeit des Friedrichshagener Arztes Dr. Max Jacoby, auf dessen Initiative das Freibad am Müggelsee und der Kurpark Friedrichshagen zurückgehen. Die erste Kursaison begann 1880, dabei wurde auf die Quelle im benachbarten Hirschgarten zurückgegriffen. 1931 wurde der Kurpark um das „Naturtheater Friedrichshagen" erweitert, das heute als Freiluftkino verwendet wird.

Die Anlagen im Kurpark selbst sind nicht mehr erhalten, lediglich die Reste des Senkgartens lassen etwas von dessen Schönheit erkennen. Es ist ein rechteckiger vertiefter Platz, der ringsherum in flachen Steingartenterrassen wieder zu normaler Gartenhöhe aufsteigt. In der Mitte der Vertiefung befand sich ein Teich, umgeben von Blumen- und Staudenpflanzungen und von Sitzplätzen für die Kurgäste.



Es gibt Produkte, die einen Siegeszug angetreten haben, massenhaft verkauft werden und zu deren Benutzung sich doch kaum jemand öffentlich bekennt. In unserer Zeit ist es die "blaue Pille" für den Mann, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und noch Jahrzehnte später waren es die "Verhüterli", wie die Schweizer die Präservative so niedlich nennen. Entwickelt hatte Julius Fromm den nahtlosen und transparenten Gummi im Prenzlauer Berg (Käthe-Niederkirchner-Straße), fabrikmäßig hergestellt wurde er in Friedrichshagen und von hier aus über Drogerien und Friseure als "Hygieneartikel" vertrieben. Ausgerechnet der Erste Weltkrieg sorgte für die massenhafte Verbreitung, der Staat verpflichtete seine Soldaten, in den Bordellen Kondome zu benutzen, um Geschlechtskrankheiten einzudämmen - und machte damit kostenlose Promotion für das Produkt. Ein Jahr nach Kriegsende wurden am Tag 150.000 Stück hergestellt.

Fromm hatte die Marke personalisiert, das Produkt unter seinem persönlichen Namen in den Handel gebracht. Als die Nazis 1934 die Werbung für Kondome verboten, zeigte sich die Wirkung dieser Markenstrategie. Auf Emaille-Werbeschildern an Drogerien und Friseurläden stand jetzt: "Verlangen Sie die echten Fromms Gummischwämme“, und die Kunden wussten, dass sie hier Präservative kaufen konnten. Auf die Schwierigkeit seiner Kunden, öffentlich Kondome im Laden zu verlangen, hatte Fromm schon früh mit einem Faltzettel reagiert, der seinen Packungen beilag. Sie konnten den Zettel schweigend über den Tresen schieben, darauf stand: "Bitte händigen Sie mir diskret aus 3 Stück ,Fromms'-Gummi".

Julius Fromm lebte jetzt mit seiner Familie in Schlachtensee. Die Goldenen Zwanziger Jahre waren auch für sein Produkt eine Blütezeit ("Wenn’s euch packt, nehmt Fromms Act"). Hetzkampagnen gegen ihn als Juden veranlassten ihn in der Nazizeit, nach London zu emigrieren. Für seine Ausreise musste er das Unternehmen, das acht Millionen Reichsmark wert war, für 200.000 Reichsmark an die Patentante des "Reichsmarschalls" Hermann Göring verkaufen, die Baronin Elisabeth von Epenstein-Mauternburg. Die Beziehung der Görings zu dieser adligen Familie ist eine besondere Sittengeschichte, die hier nicht erzählt werden kann. Fromm starb 1945. Die DDR enteignete das Unternehmen und führte es als Volkseigenen Betrieb weiter. Die Produkte hießen in der DDR umgangssprachlich „Gummi-Fuffzcher“, weil sie 50 Pfennig kosteten.

In Friedrichshagen gibt es keinen Erinnerungsort für die Fromms-Fabrik, 2007 wurden die in der Rahnsdorfer Straße noch vorhandenen Gebäudeteile abgerissen. Auch der Fabrikneubau in Köpenick, wohin die Produktion 1930 verlagert wurde, ist nicht erhalten, er wurde durch Bomben zerstört. Lediglich ein Stolperstein erinnert in Köpenick an den Standort der Fabrik.

Und da ist er wieder, der "Landjäger Bock", der wie eine Schimäre durch die Köpenicker Geschichte geistert. Landjäger? Er war ein Förster, der für Friedrich den Großen tätig war, das Landgut Adlershof nebst einer Kolonistensiedlung anlegte. Sein Tod kam plötzlich, bei übergroßem Eifer für seinen König "rührte ihn der Schlag", aber vorher hatte er offensichtlich am Ufer des Müggelsees einen Ausschank betrieben, noch vor Gründung der Kolonie Friedrichshagen. Jetzt übernahm der Kriegs- und Domänenrat Pfeiffer den Ausschank und baute hier ein Brauhaus. Pfeiffer war der verantwortliche Regierungsbeamte, der im Auftrag Friedrichs des Großen die Kolonistensiedlungen Adlershof, Müggelheim, Kiekemal und Friedrichshagen entwickelte.

Unter Pfeiffers Nachfolger wurde aus dem Brauhaus die Lindenbrauerei. Man schenkte das Bier am Ufer des Müggelsees in einem großen Garten aus, in dem Äffchen, Füchse, Rehe, Hirsche, Pfauen und Papageien die Gäste unterhielten. Damit nicht genug, dehnte sich der Ausschank bald zum gegenüberliegenden Ufer aus. Das Müggelschlösschen entstand dort drüben mit Platz für 5.000 Besucher, großem Festsaal in dem 1.000 Tänzer(innen) auftreten konnten, Kegelbahnen und Schießstand. Eine eigene Dampfschifflinie beförderte die Gäste zwischen beiden Ufern des Müggelsees, doch dann war irgendwann der Dampf raus, die Lindenbrauerei ging pleite. Mehrere Besitzerwechsel folgten, dann wurde der Brauerei auch noch der geschäftsfördernde Fährbetrieb durch den Königlichen Regierungspräsidenten in Potsdam verboten.

Eine Genossenschaft "Berliner Bürgerbräu" führte die Brauerei weiter. Statt der Fähre oder einer Brücke konnte man 1927 vom Müggelpark durch einen Tunnel zum anderen Ufer des Müggelsees laufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Brauerei zum Volkseigenen Betrieb ("VEB Berliner Bürgerbräu"). Nach der Wende kaufte Oetkers Radeberger-Brauerei die Markenrechte und Rezepte und stellte den Betrieb in Friedrichshagen ein - eine der typischen Privatisierungen der Treuhandanstalt, die einen mit Groll erfüllen können.



Aber mehrere Ausschankbetriebe gibt es hier noch auf dem BBB-Gelände, und so sitzen wir im "Weißen Haus" am Müggelsee in der Abendstimmung und lassen Seele und vor allem Beine baumeln nach diesem langen Rundgang.

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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