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Deutscher und amerikanischer Heimatstil


Stadtteil: Zehlendorf
Bereich: Am Mühlenberg-Siedlung, Dreipfuhlsiedlung
Stadtplanaufruf: Berlin, Sundgauer Straße
Datum: 8. April 2013

Ein absurder weltanschaulicher Streit um die "richtige" Architektur tobte im Berlin der 1920er Jahre als "Zehlendorfer Dächerkrieg". Noch bevor die Nazis die deutsche "Baugesinnung" einforderten (1), war die Frage akut, wie nach dem Ende des Kaiserreichs modernes Bauen aussehen könnte und - deswegen der "Krieg": - aussehen musste. Mit der Monarchie war der Historismus untergegangen, jener Architekturstil, der frühere Stile zitierte und wirkungsvoll in Szene setzte, wie beispielsweise Gotik als Neogotik, Renaissance als Neorenaissance usw.

Flachdach gegen Spitzdach
Die Neue Sachlichkeit war ein Aufbruch in die Demokratie, der Heimatstil dagegen eine Rückbesinnung auf traditionellen Bauformen, die sich in die vorhandene Kulturlandschaft einpassen. An der Dachform sollt ihr sie erkennen, die Architekten: das Flachdach steht für Neues Bauen und Internationalismus, das Spitzdach oder Satteldach für den Heimatstil und Traditionalismus. Auf diese Fragestellung zugespitzt wurde der Streit durch den Bau zweier Siedlungen in Zehlendorf, der von Bruno Taut entworfenen farbenstarken Onkel-Tom-Siedlung (2) und Paul Schmitthenners Fischtal-Siedlung mit "braven Einfamilienhäuschen".

Zwei Baugesellschaften, die Gehag und die Gagfah, bauten die Siedlungen, die Gagfah wollte am Fischtal "gehobene Einkommensschichten" ansprechen, die Gehag baute an der Onkel-Tom-Straße für einfache Leute. Nur wenige Jahre später war das Flachdach "entartete Baukunst", das Spitzdach Teil der nationalsozialistischen Ästhetik. Heute gibt es zwischen den beiden Baugesellschaften keine unterschiedlichen Interessen mehr, an beiden sind amerikanischen Finanzinvestoren beteiligt.

Der Architekt Paul Schmitthenner
An dem Architekten Paul Schmitthenner (3) polarisierte sich der Streit, er steht hier für die Gegner des Neuen Bauens in den zwanziger Jahren. Und doch wurzelt auch er in den großen Reformbewegungen des Deutschen Werkbundes und hat mit der Gartenstadt Staaken (4) eine Idee des lebens- und sozialreformerischen Bauens umgesetzt. Im Dritten Reich trat er dann 1933 in die NSDAP ein und wurde vor Albert Speer erster Baumeister des Reiches, kam aber mit seiner feinsinnigen Architektur nicht an. Seinen Entwurf für den deutschen Ausstellungspavillon zur Weltausstellung in Brüssel 1935 verspottete Hitler als "Heustadel", trotzdem kam Schmitthenner 1944 in die "Gottbegnadeten"-Liste der wichtigsten Nazi-Kulturschaffenden, sozusagen das "Kulturerbe"-Verzeichnis des untergehenden Reiches.

Der Kulturkampf mit Dachformen fand nicht nur in Zehlendorfer Gärten statt, auch Zeilen viergeschossiger Mietblöcke haben den Wandel der Architekturauffassung mitgemacht. Die Mühlenberg-Wohnsiedlung am S-Bahnhof Sundgauer Straße vermittelt nur auf den ersten Blick Einheitlichkeit. Beim Blick auf die Dachformen kann man an der Mörchinger Straße eindeutig die Bauphasen ablesen, 1931 wurde mit Flachdach gebaut, 1933 erhielt der Nachbarkomplex ein Walmdach. Die "heimattümelnde Schmuckornamentik", die an den Bauten östlich der Sundgauer Straße zu finden ist, weist ebenfalls darauf hin, dass die Siedlung Am Mühlenberg wurde bis 1936 gebaut wurde.

Bahnhof Sundgauer Straße
Der S-Bahnhof Sundgauer Straße und die Straßenbrücke sind 1934 gleichzeitig mit der Wohnsiedlung errichtet worden. Der S-Bahn-Hausarchitekt Richard Brademann (5) hat sich für das Bahnhofsgebäude den U-Bahnhof Gesundbrunnen zum Vorbild genommen, der 1930 von Alfred Grenander (6) ein quadratisches Empfangsgebäude in den Formen der Neuen Sachlichkeit erhielt. Am Sundgauer Bahnhof ein Widerspruch zum herrschenden Heimatstil, nur die Frakturbuchstaben (7) am Bahnhof und an der Brücke zeigen, dass die Zeiten sich geändert haben. Eine Merkwürdigkeit ist die Richtungsangabe "nach Berlin" an der Bahnhofstreppe. Hier ist überall Berlin, beim Bau des Bahnhofs gehörte Zehlendorf bereits seit 14 Jahren zu Groß-Berlin. Aber vielleicht sagten ja die Zehlendorfer damals - wie die Spandauer heute noch - sie fahren nach Berlin, wenn sie die Innenstadt meinten.

Mühle am Mühlenberg
Von der Mühle, die der Siedlung Am Mühlenberg den Namen gab, ist noch ein Rudiment im rückwärtigen Teil der Berliner Straße zur Schlettstadter Straße vorhanden. Die 1881 errichtete Holländische Mühle aus Holz wurde nach einem Brand 1898 durch einen Ziegelbau ersetzt. Zwar fehlen der Mühle heute die Flügel, wegen ihres Motorenhauses ist sie aber als technisches Denkmal eingetragen.

Wohnanalge Winfriedstraße
An der Berliner Straße liegt eine weitere Wohnanlage, architektonisch herausragend ist die Gliederung der Fassade mit vorspringenden Dreieckserkern. Hinter dem expressionistischen Backsteinbau an der Berliner Straße stehen weitere verputzte Häuser mit Treppengiebeln im Straßendreieck an der Winfriedstraße.

Siedlung Dreipfuhlpark
Unser letztes Ziel auf dem Weg zwischen S-Bahnhof Sundgauer Straße und U-Bahnhof Oskar-Helene-Heim ist eine Siedlung im ganz anderen Stil der Heimat: Um den Dreipfuhlpark haben die Amerikaner 1956 für Offiziere der US-Streitkräfte eine amerikanischer Vorstadtidylle geschaffen. Der bis dahin nicht umbaute Park besteht bereits seit den 1930er Jahren, aus den namensgebenden drei Wasserlöchern ist ein zusammenhängender Pfuhl geworden. Die Amerikaner bauten ebenerdige Bungalows direkt am Park, 42 Einfamilienhäuser in Typenbauweise mit Autounterstellplätzen und Duplexhäuser mit Obergeschoss im Randgebiet, alles mit Grundstücksgrößen bis 1.600 qm und ohne Zäune. Mit der "Dreipfuhl Housing Area" entstand eine typische Vorortsiedlung aus dem Amerika der 1950er Jahre, die den Bewohnern Heimatgefühl vermitteln konnte.


Für unser abschließendes Flaniermahl sind wir mit der U-Bahn zum Breitenbachplatz gefahren. Im "Michelangelo" gab es Nudeln mit Thunfischstücken, es kam Begeisterung auf.

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(1) Zehlendorfer Dächerkrieg:
a) Über "deutsche Baugesinnung": Auf nach Paris
b) Dächerkrieg und Nazi-Mustersiedlung: Schwarzes Korps und "Weiße Juden"
c) Fischtal-Siedlung: Bauten als Streitäxte
(2) Onkel-Tom-Siedlung von Bruno Taut:
a) Bruno Taut: Taut, Bruno
b) Onkel-Tom-Siedlung: Architektur ist die Kunst der Proportion
(3) Paul Schmitthenner: Schmitthenner, Paul
(4) Gartenstadt Staaken: Granaten und Kleinstadtidyll
(5) Richard Brademann: Brademann, Richard
(6) Alfred Grenander: Grenander, Alfred
(7) Bahnhofsnamen in Frakturbuchstaben: Ein lichtes Berliner Dörfchen

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Unsere Route:
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Amerikanische Vorbilder
Bauten als Streitäxte