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Stadtteil: Steglitz Bereich: Lankwitz Stadtplanaufruf: Berlin, Alt Lankwitz Datum: 25. November 2024 Bericht Nr.:852
Der Gegenstand meiner Ausführungen ist unser liebes Lankwitz. Aus seiner Geschichte in alter und neuer Zeit will ich, soviel ich darüber habe in Erfahrung bringen können, berichten.
Wenn Sie diese Begrüßung altertümlich finden, dann ist das nicht verwunderlich: Es ist die Einleitung einer Lankwitz-Chronik, verfasst 1911 von einem Vorschullehrer aus Anlass der Rathaus-Einweihung. Man erfährt in der Chronik einiges über das 1239 erstmals erwähnte Dorf. In der Hauptstraße (heute Alt Lankwitz) befand sich das Lehnschulzengut. Der Lehnschulze war der Dorfvorsteher, sein Amt und das Gut wurden ihm vom Grundherrn gemeinsam verliehen und gingen bei seinem Tod auf den ältesten männlichen Nachkommen über. Oder auf den Ehemann der ältesten Tochter, Gleichberechtigung war noch nicht erfunden.
Von bäuerlicher Gemeinschaft zum städtischen Wohnort 1824 wurde die Feudalstruktur für Lankwitz aufgehoben (Separation), die verstreut liegenden Äcker wurden durch Flurbereinigung zusammengelegt, die gemeinschaftlichen Beweidung wurde beendet. Nur einzelne Gutsbesitzer wollten ihren Hüteverband, die "Feld- und Wiesengemeinschaft", in bisheriger Weise fortsetzen. Die Feldmark wurde vermessen und auf die Bauern aufgeteilt. Lankwitz war eine unberührte bäuerliche Gemeinschaft, bis der Boom der Gründerjahre einsetzte.
Um 1890 wurden die ersten Bauparzellen verkauft, Straßen angelegt und gepflastert, Häuser errichtet, mehrere Neubauviertel entstanden. Lankwitz wurde "durch die aus Berlin" aus seinem Schlaf aufgerüttelt. Die Lankwitzer Terrain- und Baugesellschaft wurde auf Vorschlag des Ortsvorstehers gegründet, um Lankwitz zu einem „vornehmen Wohnort“ zu entwickeln. Das geistige Leben "pulsierte nicht besonders stark", aber das Vereinsleben hatte sich gut entwickelt, schreibt ein Chronist. Die dörflichen Vergnügungen bis dahin waren einfach: Kartenspiel, Spinnabend, Tanz im Dorfkrug, Herbstmarkt, zugleich "Heiratsmarkt", Ziehtag (Wandern am 3. Weihnachtsfeiertag) und zuweilen eine Bauernhochzeit.
Um die Jahrhundertwende 1900 war Lankwitz mit einer Gemeindeschule, einem Krankenhaus, elektrischer Straßenbeleuchtung, Trinkwasser, Gasanschlüssen, Kanalisation neuzeitlich gut versorgt. Sogar einen Nachtfernsprechdienst hatte man durch einen Vertrag mit der Postverwaltung eingerichtet. Das manuell betriebene Telefonnetz wäre sonst nur tagsüber in Betrieb gewesen. Auch für die kommunalen Finanzen war gesorgt. Der Käufer eines Grundstücks musste 1 % Grunderwerbsteuer bezahlen, heute ist es das Sechsfache. Und es gab sogar eine Hundesteuer - als Luxussteuer - und natürlich eine Lustbarkeitssteuer für Tanzbelustigungen.
Lankwitzer Bombennacht Im Zweiten Weltkrieg wurde Lankwitz im August 1943 weitgehend zerstört, man spricht von 85% zerstörter Gebäude. Ein Verband von über 700 britischen Bombern war durch die Zielmarkierung der vorausfliegenden Pathfinder irregeleitet worden und hatte anstelle der Stadtmitte südliche Randgebiete markiert. Mit seinen "Weihnachtsbäumen", den lange in der Luft schwebenden Leuchtmitteln, wurden die Bomber zu ihren Zielgebieten gelenkt, was an diesem Tag trotz eines neuen Radarsystems misslang.
Die Bomben zerstörten das Rathaus, die Dreifaltigkeitskirche, die Dorfkirche, das "Schloss", die Alt-Lankwitzer Grundschule. Das Schloss Lankwitz - erbaut 1748 - war ein langgestrecktes, einstöckiges Gebäude an Alt Lankwitz mit einer Front von 19 Fenstern. Ein preußischer Generalmajor, der sich als Landwirt und - er war adlig - als Grundbesitzer fühlte, ließ das Schlossgut mit repräsentativer Auffahrt und eigenem Park errichten, nachdem er verwundet aus dem Militärdienst ausgeschieden war. Das Anwesen ging durch viele Hände, eine Landgräfin, ein Hauptmann, ein Bankier, ein Pferdehändler, ein Professor, ein Fuhrwerksbesitzer, ein Königlicher Landbauinspektor, keiner der Besitzer hatte Erfahrungen mit Landwirtschaft.
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Lehnschulzenhaus Mehrere historische Gebäude wurden nach der Zerstörung in alter Form wieder aufgebaut, beispielsweise das Rathaus und am Dorfanger die mittelalterliche Dorfkirche aus Feldsteinen und das Lehnschulzenhaus. Der Schulzengutshof - den der Dorfvorsteher als Lehen zusammen mit seinem Amt bekam - war 1773 errichtet worden. Nach der Separation übernahmen das Gut die Christkönigsschwestern (Katholischer Orden "Kongregation der Schwestern unseres Herrn Jesus Christi des Königs") und bauten es zum "Dominikushaus" aus. Nach Kriegszerstörung und Wiederaufbau betrieben sie dort ein Krankenhaus, später ein Pflegeheim.
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Hintergangene Gutgläubigkeit Im Jahr 2002 mussten die Ordensschwestern das Haus schließen und alle 70 Mitarbeiter entlassen, nachdem die gottgläubigen und gutgläubigen, aber in manchen Bereichen nicht lebenserfahrenen Schwestern, zwei betrügerischen Geschäftsführern aufgesessen waren, die das gesamte Millionenvermögen des Dominikushauses durchgebracht hatten. Nach dem unvermeidlichen Verkauf an einen Bauunternehmer aus Sri Lanka, der bereits die katholische Baugesellschaft "Petruswerk" übernommen hatte, vermietete dieser das Gutshaus an die katholische Gemeinschaft "Chemin Neuf" (Neuer Weg). Die Nonnen bekamen lebenslanges Wohnrecht. Im Klostergarten errichtete der Investor Wohngebäude mit ca. 150 Wohnungen.
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Die Lanke Der Name Lankwitz leitet sich von einer slawischen Siedlung "Ort an der Uferaue" ab und deutet auf die Lanke hin, einen Bach, der durch den Ort führt. Die Lanke entspringt südwestlich vom alten Dorfkern nahe der Ratswaage. Auf ihrem 3 km langen Weg ist sie größtenteils verrohrt, fließt also im Untergrund, wenn sie fließt. Gegenüber der Bruchwitzstraße kommt sie an die Oberfläche, um nach einem halben Kilometer ihr oberirdisches Zwischenspiel in Höhe Alt Lankwitz zu beenden und nach weiteren Strecken im Untergrund in den Teltowkanal zu münden.
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Auf dem oberirdischen Weg wird sie von einem Grünzug begleitet und erweitert sich zwischendurch zum Lanketeich ("Karpfenteich").
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Mühlenstraße Die Hauptstraße und senkrecht dazu die Marienfelder Straße bestimmten die Koordinaten des alten Dorfes. Heute heißen sie Alt Lankwitz und Mühlenstraße. Mehrere Wohnanlagen sind an der Mühlenstraße und der sie kreuzenden Bruchwitzstraße erbaut worden. Mit kühnem Schwung verbindet ein Wohngebäude die Schulstraße mit der Bruchwitzstraße. Durch horizontale Bänderung wird die Plastizität des Gebäudes verstärkt.
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Den Bau aus den 1920er Jahren hat ein Architekt entworfen, der auch am Bau des Charlottenburger Schlosses Ruhwald mitgewirkt hat.
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Die Postheimstätte hat an der Mühlenstraße 1930 zwei Wohnanlagen gebaut, die in ihrer Mitte ein Ensemble von vier markanten Wohngebäuden umschließen. Deren dreistöckige Backsteinbauten mit eckigen Halbsäulen betonen die Vertikale. Zwischen zwei Vorsprüngen ist jeweils eine Fensterachse untergebracht. Die Treppeneingänge sind durch breite Fensterachsen betont.
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Alt-Lankwitzer Grundschule Entlang der Schulstraße und der Mühlenstraße erstreckt sich das Gelände der Alt-Lankwitzer Grundschule. Bemerkenswert sind die Auszeichnungen, die diese Schule erhalten hat. Sie wurde schon mehrfach für ihr Engagement für Nachhaltigkeit und Umwelt als "Umweltschule in Europa“ ausgezeichnet. Im letzten Jahr erhielt sie als einzige Berliner Schule die Würdigung als Digitale Schule. Sie vermittelt eine "zeitgemäße Bildung in der digitalen Welt".
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An der Ecke Schulstraße fällt ein Holzbau ins Auge, ein Quader, der die Alt-Lankwitzer Grundschule um einen Modularbau ergänzt. Durch seine Holzbauweise konnte er in weniger als einem Jahr realisiert werden. Bodentiefe Fenster, Sanitäranlagen, Haustechnik und Heizkörper wurden bereits im Werk installiert, so dass die vorgefertigten Module auf der Baustelle schnell zusammenfügt werden konnten. Ob die Oberflächen aus Holz robust und pflegeleicht sind, muss sich noch erweisen.
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Der Schulbau enthält 16 voll digital ausgestattete Klassenräume, die Mensa, das Lehrerzimmer und Kommunikationsbereiche für die Schüler.
Hauptfilmstelle der Luftwaffe Südlich der Paul-Schneider-Straße ist gerade ein Neubauareal entstanden, dem ein historischer Bau der Filmhistorie weichen musste. Die "Hauptfilmstelle der Luftwaffe" hatte kurz vor dem Zweiten Weltkrieg dort ihre Produktionsgebäude erbauen lassen. Die dort produzierten "Dokumentarfilme" über die Fallschirmjäger dienten der Propaganda, genau wie Spielfilme und alle andere Filmgattungen in der Nazi-Zeit.
Die hetzerischen Dokumentarfilme der Hauptfilmstelle handelten vom "Feldzug in Polen" oder von "Mit der Luftwaffe ins Sudetenland". Mit bedeutungsschwer aufgeladener Sprache wurden Filme wie "Kreta - Ein Heldenlied unserer Zeit" (1942) inszeniert und erreichten auch die Deutsche Wochenschau.
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"Heute geht es zum Feind" wurde der Film über das größte Luftlandeunternehmen des Zweiten Weltkriegs eingeleitet - die Eroberung der von zahlenmäßig überlegenen Briten, Australiern und Neuseeländern verteidigten Insel Kreta. Von den 15.000 dort eingesetzten deutschen Fallschirmjägern kamen 6.000 ums Leben durch die Fehleinschätzung der deutschen Aufklärung. Der Film "Heldenlied" war den "Kampfgefährten als stolze Erinnerung" gewidmet, die Propaganda feierte den "Beweis eines unerhörten Kampfwillens der Fallschirmtruppen".
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Berliner Synchron Gesellschaft In der Nachkriegszeit übernahm die "Mosaik-Film GmbH, Synchronisierungsanstalt für amerikanische Filme", das Gebäude der Hauptfilmstelle. Die Mosaik Film stand in Konkurrenz zum Kopierwerk der UfA. Als die Mosaik ihren Geschäftsbetrieb aufgab, übernahm Wenzel Lüdecke 1949 den Standort für seine "Berliner Synchron Gesellschaft". Dort vertonte er mit Genehmigung der Besatzungsmächte englische und amerikanische Filme auf Deutsch. Lüdecke hatte bereits als 20jähriger ein Drehbuch für die UfA geschrieben. Als Filmproduzent entdeckte er den Schauspieler Horst Buchholz und lebte eine Zeit lang mit ihm zusammen.
Zahllose ausländische Filme und Fernsehserien wurden im Laufe der Jahrzehnte in seiner Synchron-Gesellschaft mit den namhaftesten Sprechern und Schauspielern der deutschen Synchronszene ins Deutsche vertont. Im Nachspann dieser Filme wurde dann immer die Berliner Synchron genannt. Beispielsweise war Georg Thomalla die deutsche Stimme von Jack Lemmon und Peter Sellers, Harald Juhnke sprach die Rollen von Marlon Brando.
Lüdecke erkrankte 1987 schwer, sein Adoptivsohn Wolfram Lüdecke-Hein führte das Unternehmen weiter. Als er nach 29 Jahren in den Ruhestand ging, waren bis dahin seit 1949 über 8000 Filme in der Mühlenstraße synchronisiert worden. Eine Mediengruppe übernahm das Synchron-Unternehmen und zog in den Campus am Schöneberger Gasometer um. Die Gebäude in der Mühlenstraße wurden abgerissen, dort sind 143 neue Wohnungen entstanden.
Dreifaltigkeitsfriedhof Friedhöfe sind Orte der Besinnung. Lebensläufe mit Erfolgen und Misserfolgen, Liebens- und Leidensgeschichten tauchen auf, wenn man die Grabsteine "liest". Vergessenes kehrt ins Bewusstsein zurück. Der Friedhof ist ein Erinnerungsort der Nachwelt, verliert aber immer mehr seine Funktion, wenn es kaum noch individuelle Grabstellen gibt.
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Auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof in Lankwitz sind es Namen und Aussagen auf den Grabsteinen, die mich zu Kommentaren anregen. Wenn ein Herr Pichler den zu seinem Namen passenden Beruf gefunden hat und Gastwirt geworden ist. Oder zu Herrn Ha(a)se ein Pferd auf dem Grabmal abgebildet ist.
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Der Rest ist Schweigen Und was bedeutet es, wenn ein Ehepaar beerdigt wird mit dem Grabspruch: "Der Rest ist Schweigen". Soll man die beiden aus dem Gedächtnis streichen? Oder bedeutet Schweigen Ratlosigkeit? Der Text ist ein Zitat, es sind Hamlets letzte Worte vor seinem tragischen Tod. Auf eine Tragik deutet hier nichts hin, die Eheleute sind in hohem Alter gestorben, die Sterbedaten liegen wie die Geburtsdaten weit auseinander.
Verabschieden wir uns mit der liebevollen Huldigung eines Hinterbliebenen an seine Hulda:
___Ich hab ein große Glück besessen ___Hier ruht es still, auf ewig unvergessen
Nach diesem Stadtspaziergang bleiben wir nicht ratlos zurück, sondern kehren in Mariendorf in einem Café ein. --------------------------------------------------------------
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Ein durch Gutsbildung deformiertes Straßendorf
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