Bezirke
  Straßenverzeichnis     Personen     Themen     Aktuell     Forum  
Charlottenburg-Wilmersdorf
Friedrichshain-Kreuzberg
Lichtenberg
Marzahn-Hellersdorf
Mitte
Neukölln
Pankow
Reinickendorf
Spandau
Steglitz-Zehlendorf
Tempelhof-Schöneberg
Treptow-Köpenick
Allgemein:
Startseite
Ich bin NEU hier
Hinweise
Kontakt
Impressum
Datenschutz
Links
SUCHEN
Sitemap

Bis zu den Zipfelmützen eingesunken


Stadtteil: Zehlendorf
Bereich: Machnower Straße
Stadtplanaufruf: Berlin, Albertinenstraße
Datum: 5. Mai 2022
Bericht Nr.:772

Im Zoo werden Flusspferde regelmäßig geschrubbt. Auch technische Ungetüme wie Bahnen müssen regelmäßig in die Dusche. Ihre "Waschfahrt" ist eine technisch genau geregelte Prozedur, denn Wasser, das auf Strom trifft, soll keinen Kurzschluss verursachen. Wenn die Waschanlage fest installiert ist, fährt die Bahn im "Kriechgang" hindurch, bei anderen bewegen sich die Bürsten am stehenden Zug entlang. Drei Waschanlagen hat die S-Bahn in Berlin. Die in Wannsee ist die Älteste, 2016 kam Friedrichsfelde hinzu und 2020 die dritte, der „Weiße Riese“ von Grünau.

Wenn die Leuchtschrift am Zug "1. Waschfahrt" anzeigt, dann ist eine S-Bahn zur Jungfernfahrt in die Waschanlage unterwegs. Als wir zu unserem Stadtrundgang starten, ist am Nordbahnhof ein S-Bahnzug mit dieser Richtungsanzeige auf dem selten benutzten zweiten Gleis am Bahnsteig eingefahren. Aufgefallen ist der Zug schon deshalb, weil der Triebfahrzeugführer (so heißt der Fahrer bahnamtlich) ausgestiegen ist und den Zug mit seinem Handy mehrfach fotografiert.


mit KLICK vergrößern

Es ist ein Zug der neuen Baureihe 483/484, die seit Anfang letzten Jahres nach und nach eingesetzt wird. Die S-Bahn will die 382 bestellten Wagen zu insgesamt 101 Zügen mit 2 bzw. 4 Wagen zusammenkoppeln. Die eckige, schmal eingerahmte große Frontscheibe machte den Zug mit Panoramafenstern und Klimaanlage zum "rasenden iPad" oder einfach nur "Tablet", auch "Lichtschalter" genannt.

Gleichrichterwerk Machnower Straße
Ist das ein mittelalterlicher Wohnturm? So werden sich Passanten gefragt haben, als sie 1929 an dem gerade errichteten Gleichrichterwerk Machnower Straße vorbeigekommen sind, das noch nicht von Vegetation umgeben war. Ein rechteckiger Bau aus dunkelrotem Klinker, oberhalb des Erdgeschosses beginnen dreieckige Mauerpfeiler, die sich aus einer Kaskade immer weiter vorkragender Steine aus dem flachen Mauerwerk erheben. Die Erker enden in einem Kranzgesims mit mehreren Reihen übereinander angeordneter, auskragender Zahnschnitte.


mit KLICK vergrößern

Die dreieckigen Prismen sind eine monumentale, expressionistische Form, in ihnen laufen die Entlüftungsschächte für die Transformatorenanlage. An die Seitenwände schmiegen sich halbrunde Treppenhäuser an, die oben ebenfalls mit einem Zahnfries abschließen.

Der Architekt Hans Heinrich Müller hat in den 1920er Jahren rund 40 Bauten für die Stromverteilung errichtet. In einer beispiellosen architektonischen Vielfalt als Kubus, Block, burgähnliche Anlage oder Viertelkreis, aus einem oder mehreren Gebäuden bestehend, in Blockrandbebauung oder vom Blockrand zurückgesetzt. Manche Gestaltungen hat der Architekt bei mehreren Bauten variiert eingesetzt. So finden wir beispielsweise die dreieckigen Entlüftungsschächte als Faltung der Fassade an seinem Abspannwerk Scharnhorst wieder und die kaskadenförmig aufwachsenden Konsolen beim Abspannwerk Paul-Lincke-Ufer.

Das Gleichrichterwerk in Zehlendorf gehört zu einer Serie von Bauten, in denen der vom Kraftwerk gelieferte Wechselstrom für die Straßenbahnen in Gleichstrom umgewandelt wurde, wie beispielsweise in Lichtenberg und Niederschönhausen, hier für die Straßenbahn nach Teltow. Die Baubehörde verlangte für Zehlendorf eine dem umgebenden Landhausquartier angemessene Gestaltung. Daraus entstand der Industriebau, der mehrfach seine Ausgangsform sprengt. Als typische Formgebung Müllers zeigt sich die Anordnung der Klinkersteine der gemauerten Außenfassade im Märkische Mauerverband. Im Innern fängt ein Stahlskelett die großen Spannweiten ab.

Das seit den 1960er Jahren funktionslose Gebäude wurde vor zehn Jahren von dem Architekten-Ehepaar Kahlfeld für eine Wohnnutzung umgebaut. Mehrere Stromversorgungsgebäude von Hans-Heinrich Müller haben sie in der Stadt für eine Nachnutzung umgestaltet. In YouTube führt der neue Eigentümer des Gleichrichterwerks Machnower Straße, ebenfalls ein Kahlfeld, stolz den Innenausbau vor, mit den bis zu 5,80 Meter hohen Räumen.

Buschgraben
Am Buschgraben ist die Stadt zu Ende, bis dorthin führt die Machnower Straße, aber drüben in Kleinmachnow geht es auf dem Zehlendorfer Damm weiterweiter. Die Buschgrabenniederung sollte im Dritten Reich zu einem durchgehenden Grünzug ausgebaut werden. Dazu hatte man Kleinmachnow die Planungshoheit entzogen, die Grundstücke der angrenzenden Gérard’schen Siedlung durften Richtung Buschgraben nicht weiter bebaut werden. Seitdem setzen sich die Straßen Wolfswerder und Am Rund im Buschgrabengrün als Wanderwege fort.


mit KLICK vergrößern

Die DDR enteignete dann 1962 die Flächen für den Mauerbau und pflanzte dort einen Hybridpappelwald an zur Papiergewinnung. Heute gehen die Anwohner am Graben mit ihren Hunden ins Grüne und auf beiden Seiten - Ost wie West - wurden Pferdekoppeln angelegt.

Albertinenstraße
In der Umgebung der Machnower Straße finden wir mehrere Landhäuser aus der Jahrhundertwende um 1900, die von Handwerksmeistern als Baumeister entworfen und errichtet wurden. Die Handwerker hatten an Baugewerkschulen ihre Ausbildung erhalten und konnten so eine den Architekten ähnliche Tätigkeit ausführen. Der Maurermeister und Baumeister Fritz Schirmer hat - vor allem in Zehlendorf - mehr als 40 Landhäuser und Mietwohnhäuser errichtet, auch in prominenten Lagen wie am Teltower Damm. Das heutige Standesamt erbaute er als Villa für Sidonie Scharfe. Zu seinen Bauten gehörten ein Postamt, ein Stadtpalais im Stil der französischen Klassik, eine Höhere Mädchenschule, das Heim des Vaterländischen Frauenvereins.

Fritz Schirmer hatte mehrere Ehrenämter inne, er war im Gemeindekirchenrat, in der Gemeindevertretung, fungierte als Schöffe und als Vorsitzender der Ortskrankenkasse. Als Baumeister und Bauhandwerker hat er nicht nur "regste Bautätigkeit entwickelt", auch als Terrainentwickler betätigt er sich mit der Anlage der Albertinenstraße und Parzellierung der Grundstücke.

Sämtliche fünf Landhäuser, die als Baudenkmale in der Albertinenstraße eingetragen sind, hat Schirmer entworfen und gebaut. Die Gestaltungsvarianten sind so vielfältig, dass jedes Haus einen individuellen Charakter hat. Die Häuser unterscheiden sich in Plastizität, Anbauten, Vorsprüngen, sichtbarem Mauerwerk oder verputzten Fassaden, selbst eine Burg mit Burgturm und Zinnen ist darunter.


mit KLICK vergrößern

Johannesstraße
In der Johannesstraße steht ein weiteres Landhaus-Ensemble aus den Jahren 1903 bis 1910. Dort waren unterschiedliche Bauhandwerker tätig, mal für den Entwurf, mal für die Bauausführung oder für beides. Auch dort hat jedes Haus seinen ganz individuellen Charakter, es sind alles Putzbauten, mehrere mit Fachwerkmotiven und Fassadenornamenten.

Behring-Krankenhaus
Im Innenhof des Behring-Krankenhauses sitzen zwei tonnenschwere unförmige Gestalten in einem Rasenstück. Der Bildhauer Peter Lenk hat diese "Schwäbischen Floßfahrer" geschaffen und ihnen den Ausspruch in den Mund gelegt: "Wir wollen in Frieden weiterfressen". Eine mutige Entscheidung, bei Lenk ein Kunstwerk zu bestellen, ist er doch für dralle und provokative Figuren bekannt. Die Investitionsbank Berlin ist mit Lenks "Karriereleiter" nicht glücklich geworden. Eine Leiter, auf der die Konkurrenten bildlich weggetreten werden oder ihnen heimgeleuchtet wird. Die taz hat inzwischen ihr altes Verlagsgebäude verlassen, an dem ein Penis 16 Meter hoch auf der Seitenwand über mehrere Stockwerke emporragt - Lenks Provokation für den Bild-Zeitungs-Chef, der aus seinem Büro herüber auf diese Wand schauen musste.

Die Floßfahrer konnten 1983 auf dem Mittelstreifen des Kudamms wochenlang "probesitzen", bevor sie auf einem Tieflader Zehlendorf erreichten. Der Chefarzt der Lungenklinik Heckeshorn am Wannsee hatte sich für die tonnenschweren Schwaben starkgemacht. Die Ärzte der Klinik waren ein munteres Völkchen, sie gingen gern baden, mit ihrem "Pieper" auf der Badekappe, damit sie schnell in die Klinik zurückgeholt werden konnten. Der Bildhauer fand, "da hätten die Flößer das Wasser in der Nähe, und im Hinblick auf ihre Anatomie war ihr Gesamteindruck aus ärztlicher Sicht durchaus als krankenhausreif zu bezeichnen", so dass sie in der Klinik richtig waren.


mit KLICK vergrößern

Die Bezirksverwaltung lehnte jede Haftung ab, falls die Flößer untergehen sollten, schließlich würden sie aufgrund ihres Gewichts jährlich um zirka zwei Zentimeter im Heckeshorner Parkboden versinken. Der Künstler fand das witzig, "da würden im Jahr 4000 nach Christus nur noch die Zipfelmützen rausgucken". Warum der Helios-Klinikkonzern die Floßfahrer später an seinen Standort Machnower Straße bringen ließ? Vielleicht hat da das Gelände mehr Festigkeit, um sich gegen die Floßfahrer zu stemmen, könnte man meinen. Tatsächlich sind beide Standorte dort zusammengelegt worden, da mussten die Floßfahrer mitflößen.
--------------------------------------------------------------

--------------------------------------------------------------
Unsere Route:
--------------------------------------------------------------

zum Vergrößern ANKLICKEN



Ein Villenviertel wandelt sich
Dörflicher Flecken und städtische Großsiedlung