Bezirke
  Straßenverzeichnis     Personen     Themen     Aktuell     Forum  
Charlottenburg-Wilmersdorf
Friedrichshain-Kreuzberg
Lichtenberg
Marzahn-Hellersdorf
Mitte
Neukölln
Pankow
Reinickendorf
Spandau
Steglitz-Zehlendorf
Tempelhof-Schöneberg
Treptow-Köpenick
Allgemein:
Startseite
Ich bin NEU hier
Hinweise
Kontakt
Impressum
Datenschutz
Links
SUCHEN
Sitemap

Eine Polka mit explosiven Elementen


Stadtteil: Spandau
Bereich: Haselhorst
Stadtplanaufruf: Berlin, Eiswerderstraße
Datum: 9. März 2022
Bericht Nr.:766

An der Oberhavel in Spandau hat jetzt die letzte Stufe der Konversion gezündet, die letzten Festungsanlagen, Militärbauten und Pulverfabriken werden für zivile Nutzung umgekrempelt, Neubauquartiere entstehen. Möglich gemacht hat das die gestiegene Wohnungsnachfrage, man kann auch Wohnungsnot sagen. Verzweifelt suchen Bausenator/innen nach Bauflächen für den Wohnungsneubau in Berlin. Hier in Spandau war in der Euphorie nach der Wende ein städtebauliches Entwicklungsgebiet überdimensioniert gestartet und vor 15 Jahren wieder beerdigt worden. Jetzt ist sie wieder da, die "Wasserstadt Oberhavel": Die Baufelder sind abgesteckt, Baukräne drehen sich links und rechts der Havel, in einem Gebiet so ausladend wie der Große Tiergarten. Mit den im ersten Anlauf bereits entstandenen Wohnungen sollen insgesamt 12.500 Wohnungen an der Spandauer "Waterkant" verfügbar sein. Das ist das drittgrößte Berliner Baugebiet abgesehen von den Plattenbauten im Osten, wenn man es vom Umfang her (nicht von den Bauten) mit der Gropiusstadt (18.500 Wohnungen) oder dem Märkischen Viertel (17.000) vergleicht.

Spandauer "Waterkant"
Von der Insel Eiswerder bis zur Spandauer See-Brücke und schließlich der Wasserstadtbrücke reichen die Baufelder, die zur Hälfte von öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften und zur anderen Hälfte von privaten Investoren bespielt werden. Die Wasserlage bzw. Nähe zum Wasser bietet ein besonderes Flair. Sogar "maritimes Lebensgefühl" wird hier versprochen, aber das ist Maklerprosa. Die in Gruppen stehenden Neubauten sind gut dimensioniert, keine Gebäuderiegel in Regalform, wie sie am Schifffahrtskanal entlang der Heidestraße und auch sonst bei Neubauten in der Stadt vorherrschen.


mit KLICK vergrößern

Auf einen eigenen Bootssteg vor dem Haus muss man verzichten, aber das gehört bei Mietwohnungen, überhaupt bei Stadtwohnungen, sowieso nicht zur üblichen Ausstattung. Es kommen höchstens Besucher hier zum Havelufer, um ein Hausboot für einen "traumhaften Urlaub" zu mieten: 12 Meter lang, für 4 Personen voll ausgestattet, führerscheinfrei zu lenken.

"Ausgeschöpfte" Verkehrsverbindungen
Wären wir in Venedig, würde man einen Liniendienst mit dem Vaporetto einrichten, über den Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal käme man bis nach Mitte, über die Havel nach Tegel oder Potsdam. Von unseren typischen Berliner Verkehrsmitteln steht nur der Bus zur Verfügung, aber "dessen Kapazitäten sind ausgeschöpft", wie der Stadtentwicklungssenat bemerkt hat. Es wird so werden wie beim Märkischen Viertel, das nur mit dem Bus erreichbar ist. Dort hatte man eine U-Bahn versprochen, die nie gebaut wurde. Und die Verkehrsplanung für Neubaugebiete wird typischerweise vernachlässigt wie am Blankenburger Pflasterweg, wo schon heute die Autos Stoßstange an Stoßstange im Stau stehen, bevor überhaupt mit Baumaßnahmen begonnen wird.

Die Verkehrsverwaltung träumt von einer Straßenbahn über die Daumstraße und Wasserstadtbrücke, dafür sei die "Trasse freigehalten". Und von einer "qualitativ hochwertigen Zubringeranbindung" an den U-Bahnhof Haselhorst. Auch von einem Brückenschlag zur Insel Gartenfeld und der Anbindung an die wiedererstehende Siemensbahn ist die Rede, auch wenn dabei "einige Kleingärten tangiert werden". Ideen gibt es, aber bis etwas davon realisiert ist, müssen sich die Anwohner der "Waterkant" in dem Schlenkibus M36 drängeln, der eine Schleife durch das Neubauquartier fährt. Und die BVG baut "Jelbi"-Stelen auf, dort – aber mit einem Smartphone nicht nur dort - kann man Carsharing und andere Angebote wie E-Scooter, E-Mopeds, Bikes und Taxi aufrufen. Auch den Bus, aber der kurvt ja ohnehin voll besetzt durch die Gegend.

Die See-Brücke ist keine Seebrücke
Als Spandau sein 800. Jubiläum feierte, erhielt die Havel rund um Eiswerder den Namen "Spandauer See". Die Brücke von Hakenfelde nach Haselhorst bekam den Namen Spandauer See-Brücke. Die Sprache differenziert fein: "See-Brücke“, abgeleitet vom Spandauer See, nicht "Seebrücke", denn das wäre eine Landungsbrücke, die weit ins Wasser hinausführt, damit dort Schiffe festmachen können.

Reichstypenspeicher
Das Neubauviertel bezieht die noch vorhandenen Bauten aus der Militär- und Festungszeit mit ein und entwickelt sie weiter für Wohnen, Gewerbe und Dienstleistungen. Aus dem Zweiten Weltkrieg stammen vier "Reichstypenspeicher", einer auf Eiswerder und drei am westlichen Havelufer. Heeresverpflegungsämter ließen zur Nazi-Zeit diese Silos nach einheitlichen und typisierten Bauplänen erstellen, um in Kriegszeiten Getreide einzulagern. In der Nachkriegszeit wurde hier Senatsreserve verwahrt, die bei einer erneuten Blockade West-Berlins die Versorgung sicherstellen sollte. Es waren dominante, weitgehend fensterlose Gebäude, die beim Umbau zu Wohnungen am Havelufer 5 Stockwerke und 11 Fensterachsen aufnehmen konnten. Im Speicher auf Eiswerder sind heute in 9 Etagen 58 Einheiten Gewerbe und Dienstleistungen zu Hause.


mit KLICK vergrößern

Feuerwerkslaboratorien
Auf Eiswerder hatten sich die Königlichen Feuerwerkslaboratorien niedergelassen. Die Mitarbeiter dieser Laboratorien wohnten in der "Militärfiskalischen Siedlung" auf dem Festland am Beginn der Eiswerderstraße. Die Zeit der Brandraketen und anderen militärischen Feuerwerkskörper ist vorbei, auch die Laboratorien wurden zu Wohnungen und anderen Nutzungen umgebaut. Ein "Insel-Campus" ist entstanden, der "Kunst und Produktion, Freizeit und Arbeit" miteinander verbindet. In den Fabrikriegel an der Eiswerderstraße sind 75 Wohnungen eingebaut worden. Weitere Neubauten im Südteil der Insel am Wasser werden 86 Wohneinheiten enthalten.

Pulverfabrik
An der Daumstraße von Eiswerder bis hoch zur Spandauer See-Brücke lag das Gelände der Pulverfabriken. Davon sind noch der Wasserturm der Neuen Pulverfabrik in der Kleinen Eiswerderstraße 14 und eine Fabrikhalle nahe der See-Brücke erhalten. Schießpulver wurde ab 1890 mit einer neuen Technologie hergestellt, deshalb errichtete man neue Fabrikgebäude. Während bis dahin Schwarzpulver als Explosivstoff diente, verwendet man danach eine weiße, faserige, geruch- und geschmackslose Masse, die verharmlosend als "Schießbaumwolle" bezeichnet wird. Beim Abfeuern dieses Pulvers wird für das menschliche Auge kein Rauch sichtbar. Das "rauchlose Pulver" bewegte die Menschen so sehr, dass es Johann Strauß zu einer "Explosions-Polka" animierte. Auch Jules Verne verwendete das Thema in seinem Science-Fiction-Roman "Von der Erde zum Mond", das fliegende Transportgeschoss wurde durch Schießbaumwolle beschleunigt.

Auch für die CCC-Filmstudios wurden Teile der ehemaligen Pulverfabrik umgebaut. Seit 1950 produzierte die CCC-Film von Atze Brauner selbst rund 260 Kinofilme. Insgesamt sind in den CCC-Studios weit über 500 Filme auch von anderen Produktionen gedreht worden. In den 1950er Jahren waren 500 Mitarbeiter in den CCC Filmstudios beschäftigt. Heute werden die Studios vermietet, etliche Serien für Fernsehen und Streaming (Netflix) sind hier entstanden.


mit KLICK vergrößern

Eine denkmalgeschützte Fabrikhalle der Pulverfabrik ist an der Havel nahe der See-Brücke erhalten geblieben, sie liegt im Baufeld der Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Offensichtlich fühlte die sich überfordert, ein Konzept für die Nachnutzung zu erstellen und hat zu einer ungewöhnlichen Rechtskonstruktion gegriffen: Sie vergibt die Halle samt umgebender Fläche von 1.500 qm im Erbbaurecht, nach 60 Jahren fällt das Grundstück wieder an sie zurück. Der Sachwalter soll "ein mit denkmalpflegerischen Belangen in Einklang stehendes Nutzungskonzept realisieren. das einen dauerhaften Mehrwert für das neue Wohnquartier darstellt".

Das Gelände um den Wasserturm an der Kleinen Eiswerderstraße soll zum Wohnquartier "Stadt Land Havel" entwickelt werden. Aufzug, Kellerabteile, Fahrradräume, Dachbegrünung, Regenwasserspeicherung und Wärmerückgewinnung sind geplant. Westlich der Spandauer See-Brücke steht bereits ein Hochhaus mit 12 Etagen ("Havelperle"), aus den oberen Eigentumswohnungen mit drei bis vier Zimmern kann man "aus 50 Metern Höhe über die Havel, über Spandau und sogar noch weit darüber hinaus blicken". Ein weiteres Hochhaus ist östlich der Wasserstadtbrücke im Bau.

Liebesinsel, "Kleiner Wall"
Von der Spandauer See-Brücke sieht man eine Insel von 80 Meter Länge im Wasser liegen. Die Insel ist Privateigentum, vor zwölf Jahren hatte die Eigentümerin sie verkauft, der Erwerber bleibt im Dunkeln. Die Eigentümerin betrieb in dem Haus mit Turm auf der Insel ein Restaurant, doch das Haus ist sehr viel älter. Von dem "Mäuseturm" aus hat die Spandauer Garnison die Havel überwacht, als Spandau noch Festungsstadt war. Darauf geht der Name "Kleiner Wall" zurück. Eine Schwesterinsel "Großer Wall" liegt nördlich der Wasserstadtbrücke. Als Liebesinsel wurde das Eiland schon zu Militärzeiten bezeichnet, offensichtlich hatten schon die Soldaten die Insel für romantische Stunden genutzt.

Maselakepark, Nordhafen Spandau
Auf der Westseite der Havel kommt man durch den Maselakepark zum ehemaligen Nordhafen Spandau. Eine weiße Klappbrücke überquert den Havelarm, der zu den Bootsanlegern in der Maselakebucht führt. An den Park schiebt sich ein Baufeld heran und verspricht "urbanes Wohnen an den Ufern der Havel", die "Wohnsiedlung am Maselakepark" wird im Süden vom ehemaligen Hafen begrenzt.


mit KLICK vergrößern

Auch hier sind Anlagen aus der Militärzeit umgebaut worden, um sie für eine zivile Nachnutzung verwenden zu können. Die Insel "Kleiner Wall" (Liebesinsel) hatten wir ja bereits als Hinterlassenschaft der Festungszeit identifiziert. Der gegenüberliegende Stichkanal war ein Festungsgraben, der nach Aufhebung der Festungsstadt 1909 zum Nordhafen umgebaut wurde. 1923 wurde der Berliner Westhafen eingeweiht, dieser Konkurrenz war der Spandauer Nordhafen nicht gewachsen, er musste aufgeben. Die vorhandenen Schiffsanlegeplätze wurden 2011 restlos rückgebaut, statt Hafen- und Gleisanlagen entstanden neue Wohnquartiere und Parkanlagen, die ein geruhsames Rasten und Flanieren am Wasser gestatten.

Von dort ist es nicht weit zum Siemens-Luftfahrtgerätewerk an der Streitstraße. Dort können wir uns mit Kaffee und Kuchen verwöhnen lassen, bevor wir uns in den M36er Bus quetschen, der uns zum S-Bahnhof Spandau zurückbringt.
--------------------------------------------------------------

--------------------------------------------------------------
Unsere Route:
--------------------------------------------------------------

zum Vergrößern ANKLICKEN



Die Festung mit der schwarzweißen Fahne
Der Zehnkämpfer hat seinen Platz verlassen