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Die Festung mit der schwarzweißen Fahne


Stadtteil: Spandau
Bereich: Wilhelmstadt
Stadtplanaufruf: Berlin, Weißenburger Straße
Datum: 9. Februar 2022
Bericht Nr.:763

Über seine Wanderung von Charlottenburg nach Spandau berichtete ein Zeitgenosse Anfang der 1820er Jahre: "Von der »Bergkette« der Pichelsberge, einem malerischen Anblick, ging es quer um Heck und Zaun herum über die Wiesen bis zur Festung mit der schwarzweißen Fahne. Über die schwarzweiß bemalte Zugbrücke, die endlich in die Stadt führte, deren Tor ein gewaltiger Turm schützte. An einem langen Erdwall wurde stillgehalten. Hier, unter Hunderttausenden weißer Sternblümchen, lagen die gefallenen jungen Freiwilligen, die 1813 Spandau von den Franzosen säubern wollten". Wir hatten heute eine komfortablere Anreise mit dem Regionalzug aus der Innenstadt, aber auch wir sind wieder einmal der Geschichte der Festungsstadt Spandau auf der Spur.

Spandauer Festungsbauwut
Der vom zeitgenössischen Wanderer erwähnte Kampf um die Zitadelle war ein Trauma aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon. Die Franzosen hatten 1806 auf dem Weg nach Berlin die Festung Spandau kampflos übernommen, wegen ihres schlechten Bauzustandes war sie nicht verteidigungsfähig. Beim Rückzug der Franzosen 1813 beschossen die Preußen ihre eigene Zitadelle, weil sich dort Napoleons Soldaten verschanzt hatten. In den Jahren danach wurde massiv aufgerüstet, mehrere Bastionen mit vorgelagerten Schanzen errichtet, obwohl die Technik schon darüber hinweggegangen war, Kanonen konnten jetzt über Festungsmauern hinwegschießen.

Freies Schussfeld durch Rayons
Das Militär brauchte freies Schussfeld vor den Bastionen, und so wurden bereits 1814 durch Kabinettsorder permanente Gebäude in der Umgebung von Festungen verboten. Im Jahr 1873 legte Preußen noch einmal nach mit dem "Reichsfestungsgesetz", das die Umgebung der Festungen in Rayons (frz. "Bereich") einteilte.

Drei abgestufte Zonen mit Baubeschränkungen wurden festgelegt. Bis zu 600 m vor den Festungen waren nur Erhebungen bis zu 50 cm erlaubt, beispielsweise durch Beerdigungsplätze, Einfriedungen, Brunnen. Innerhalb des 2. Rayons (600 bis 975 m von der Festung entfernt) durften Holzhäuser bis 13 Meter Höhe gebaut werden. Architekten entwickelten diese Rayonhäuser, zweigeschossige Fachwerkkonstruktionen, die billig zu bauen waren und sich innerhalb der vom Gesetz vorgegebenen Räumungszeiten abbauen ließen. Die Polizei konnte tagsüber jederzeit Zutritt zu den Gebäuden verlangen.

Im dritten Rayon bis zu 2250 m vor der Festung waren Veränderungen des Terrains wie das Anlegen von Straßen genehmigungsbedürftig. Die Zonen wurden durch Rayonsteine (Grenzsteine) markiert und preußisch korrekt in ein Rayonkataster eingetragen. Die Anmarschwege eines potentiellen Gegners waren so militärisch im Blick.

Die Bastionen Zitadelle, Altstadt Spandau und Stresow erstreckten sich an der Havel untereinander. Südlich und westlich der Burgwallschanze von Stresow lag die Wilhelmstadt, deren Bebauung durch die Einteilung in Rayons beschränkt war. An der Weißenburger Ecke Pichelsdorfer Straße ist ein Rayonhaus erhalten geblieben, ein weiteres steht in der Seeburger Straße. Sie waren innerhalb des 2. Rayons (600 bis 975 m von der Festung entfernt) erbaut worden.


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Im Jahr 1903 endete der Festungsstatus, die Befestigungsanlagen wurden nach und nach abgeräumt. Erst danach konnte sich die Wilhelmstadt, die im Vorfeld der Festungsanlage Stresow und zu Füßen der Burgwallschanze lag, als Wohnbezirk entwickeln. Sowohl im Straßenraster als auch in der Bebauung haben sich Spuren erhalten, der Einfluss der Festungszeit ist heute noch sichtbar. Von den Festungsbauten selbst blieb nur ein Reduit (Kerngebäude) an der Ruhlebener Ecke Grunewaldstraße erhalten. Manchmal transportiert eine Kleingartenanlage in ihrem Namen historische Fakten, zwischen Havel und Ruhlebener Straße liegt die "KGA Burgwallschanze".

Bebauung der Wilhelmstadt
Die Jordan- und Grimnitzstraße lagen außerhalb der Rayons. Dort standen Windmühlen, in den 1850er Jahren setzte die Bebauung ein. Die Adamstraße, Földerichstraße und Jägerstraße sind im 2. Rayon nach den militärischen Vorgaben angelegt worden, sie wurden ab den 1870er Jahren mit Rayonhäusern bebaut. Nach Aufhebung des Festungsstatus begann die großstädtische Bebauung mit mehrgeschossigen, massiven Wohnhäusern, der Architekt Richard Ermisch baute mehrere Wohnanlagen mit expressionistischen Anklängen.


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Westlich der Wohnbebauung an der Wilhelmstraße, Seeburger und Schmidt-Knobelsdorf-Straße entstanden Militärbauten. Auch der als Spandauer Kriegsverbrechergefängnis nachgenutzte Militärkomplex, der danach abgerissen wurde.

Durch die Begradigung der Havel am Südhafen war mögliches Bauland bereits um 1850 auf eine Insel geraten. Die vielen engen Kurven der Havel behinderten die Lastkähne, die das Baumaterial von den Ziegelfabriken im Havelland nach Berlin transportierten, "Berlin ist aus dem Kahn gebaut". Die Wasserwege und Schifffahrt hatten schon immer eine große Bedeutung für die Entwicklung der Stadt.

Spandauer Burgwall
Auf dem Baufeld des Alten- und Pflegeheimes "Havelgarten" konnten Archäologen 2005 überraschend den historischen Kern Spandaus ausgraben. Am "Spandauer Burgwall" existierte vom 8. bis 13. Jahrhundert eine Burg mit angrenzender Siedlung aus der Slawenzeit. Danach übernahm die südlich gelegene Zitadelle diese Funktion. Der heutige Burgwallgraben umrundet den Ort, an dem acht übereinanderliegende und zeitlich auf einander folgende Siedlungen gefunden wurden. Sie waren zerstört worden oder sind niedergebrannt, wurden aber immer wieder aufgebaut.


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Die Havel hatte damals mehrere Flussarme, die Burg stand auf einer Insel. Zuerst in einem Ringwall von 50 Metern Durchmesser, der später bis auf 130 Meter vergrößert wurde. Im Foyer des "Havelgartens" dokumentiert eine Dauerausstellung die Arbeit der Archäologen.

Kirche St. Wilhelm
Die Kirche St. Wilhelm in der Wilhelmstadt könnte zu dem Schluss verleiten, beide würde ein innerer Zusammenhang verbinden, doch das ist nicht so. Die "Wilhelmstadt" wurde 1897 zu Ehren von Kaiser Wilhelm I. an seinem 100. Geburtstag benannt, vorher war es die "Potsdamer Vorstadt". Die Gemeinde St. Wilhelm ehrt den "Kriegshelden und Mönch" Wilhelm von Auqitanien. In seiner Jugend war er "sowohl in der Frömmigkeit, als auch in allen ritterlichen Künsten unterrichtet worden". Unter Karl dem Großen war er ein Heerführer mit "großer persönlicher Tapferkeit", blieb nicht ungeschlagen, gab jedoch den "Gegenden wieder Freiheit und Glanz, wobei er sich zugleich selbst durch die größte Frömmigkeit und Gerechtigkeitsliebe auszeichnete". Doch dann fasste er "auf höheren Antrieb den Entschluss, dem Könige des Himmels ein neues Kloster zu bauen". Er brachte als Reliquie ein Bruchstück des Kreuzes Jesu mit ein, das ihm Karl der Große zum Abschied verehrt hatte. Für Pilger auf dem Jakobsweg ist seine Benediktinerabtei nördlich der Pyrenäen eine wichtige Station.

Die katholische Gemeinde St. Wilhelm errichtete 1935 ihr erstes Gotteshaus in der Weißenburger Straße, einen Bau wie eine märkische Dorfkirche. 1963 ließ sie – warum auch immer - die alte Kirche abreißen, ein Trierer Bistumsarchitekt schuf den Nachfolgebau. Der Nachkriegsmoderne zugehörig, zeigt der Bau eine kubische Außengestalt und einen freistehenden Glockenturm. Der Bauplatz bot eine architektonische Herausforderung, es war eine ehemalige Kiesgrube. Die Kirche steht auf Stelzen, im Untergeschoss unter dem Kirchensaal-Kubus sind Gemeinderäume untergebracht.


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Bei unserem Rundgang war im Untergeschoss "Laib und Seele" tätig, gespendete Lebensmittel wurden an Bedürftige ausgeben. Der Innenraum der Kirche wird durch ein Metallgerüst unter der Decke geprägt und eine aus Kupfer getriebene Altarrückwand, die Szenen aus der Bergpredigt zeigt.

Rayon einmal anders
"Die Gartenlaube" berichtete 1853, dass in der Nähe des Dorfes Pichelsdorf eine "Verbrecher-Colonie" aufgebaut wird. Als Rayon wird dort der von der Gefängnismauer eingeschlossene Hofbereich an den "weitläufigen Baulichkeiten" bezeichnet. "England hatte dergleichen Colonien in Australien", wo es seine verurteilten Verbrecher aussetzte. (Man frage nie einen Australier nach seinen Vorfahren). Warum sollte man nicht auch aus den Strafanstalten zu Spandau und Moabit Insassen nach abgelaufener Strafzeit in eine Kolonie übertreten lassen, wo sie sich mit Fabrikarbeit beschäftigen könnten? Auch die "Oekonomische Encyklopädie von J. G. Krünitz" (1858), die von der Uni Trier digitalisiert wurde, kennt das Stichwort "Verbrecher-Colonien", aus heutiger Sicht eine absurde Idee.


Anstelle des abschließenden Flaniermahls bürgert es sich langsam bei uns ein, nach einem Café zu suchen, wo wir uns trotz sonst weitgehender Zuckerzurückhaltung an einem vielversprechend kreierten Tortenstück erfreuen können. Da trifft es sich gut, dass wir in Spandau sind, der Wasserturm an der Nauener Straße balanciert das Logo der Bäckerei Thoben und an der Seeburger Ecke Wilhelmstraße finden wir die passende Filiale, alles regional. Kein Plüsch, aber entspanntes Sitzen und Schlemmen.
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In die Wilhelmstraße mit Schwerpunkt Adamstraße führte 2013 dieser Stadtrundgang:
Fantasievolle Gebilde wie frei geformte Skulpturen

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Unsere Route:
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Fünf Einfamilienhäuser in der Wilhelmstadt
Eine Polka mit explosiven Elementen