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Montags sollte man nicht pilgern


Stadtteil: Schöneberg
Pilgerstempel-Station: Ev. Königin-Luise-Gedächtniskirche
Stadtplanaufruf: Berlin, Gustav-Müller-Platz
Datum: 8. April 2023
Bericht Nr.:802

Die Zeit vor Ostern gilt bei den Christen (wie bei anderen Religionen auch) als Fastenzeit: Buße tun, Zwiesprache halten, Verzicht leisten, das ist die Botschaft. Eine der Möglichkeiten, für sich ein Zeichen der Umkehr oder zumindest Neuorientierung zu setzen, ist für Christen seit dem Mittelalter das Wandern auf dem Jakobsweg ins spanische Santiago de Compostella. Dort in der Kathedrale soll der Apostels Jakobus beerdigt sein.

In Sack und Asche
Dazu muss man sich nicht in Sack und Asche hüllen, wie es der Prophet Jona beschrieben hat: "Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und ließen ein Fasten ausrufen und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an. Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche". Von unserem Bundespräsidenten als höchstem Repräsentanten des Staates ist derartiges nicht bekannt. Nicht nur bei Gedenkfeiern - deren es viele gibt - zeigt er sich immer ohne Asche im dunklen Anzug mit Krawatte.

Pilgern als Landpartie
Mit dem Verblassen des Christentums in unserer Region ist auch der christliche Bezug des Wanderns auf dem Jakobsweg weitgehend verschwunden, Pilgern ist kaum noch ein "Beten mit den Füßen". HP Kerkelings Reisebericht "Ich bin dann mal weg" handelt so auch mehr von fremden Regionen, Einheimischen, Freundschaften, auch von Erschöpfung und Zweifeln, kaum von spirituellem Erleben. Ganz ohne meditative Elemente kommt eine vom Tagesspiegel angebotene Reise "Wandern auf dem Jakobsweg" aus, die tatsächlich nur mit Busfahrten touristische Ziele am Jakobsweg ansteuert. Zu Fuß gibt es allenfalls "eine einfache Wanderung zu einer Brücke, wo zwei Routen des Jakobswegs zusammentreffen". Ein Erweckungserlebnis ist damit nicht verbunden.

Der Jakobsweg
Der Jakobsweg ist routiniert organisiert, "routiniert" ist ja auch von "Route" abgeleitet. Das Wanderzeichen am Weg der Pilger ist die Jakobsmuschel. In einem Pilgerpass kann er / sie die absolvierten Stationen abstempeln lassen. Eine Herberge zur Nacht ist in den Etappenzielen "gegen angemessene Spende" verfügbar.


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Der Pilgerpass ist kein Bonusheft, sondern eine Aufforderung zu christlichem Handeln im weiteren Leben. Hat man auf dem Pilgerweg die letzten 100 km zu Fuß oder 200 km per Rad zurückgelegt, bekommt man eine Pilgerurkunde, die man stolz herumzeigen, an die Wand hängen oder sich einfach damit rühmen kann.

Berliner Jakobswege

Auch von Berlin aus führen Wege zum Grab des heiligen Jakob, allerdings sind diese Routen kaum gekennzeichnet. Nach dem Ost-West-Pfad im Süden der Stadt, den wir bereits beschritten haben, geht es heute um die Nord-Süd-Route mitten durchs Stadtzentrum. In Bernau bei Berlin nördlich der Stadtgrenze kann man den Pilgerpass abstempeln lassen. Allerdings ist dort montags geschlossen, am Montag sollte man also besser nicht pilgern. Eine weitere Stempelstelle gibt es im Berliner Stadtgebiet, sie wurde in der evangelischen Königin-Luise-Gedächtniskirche auf der "Roten Insel" eingerichtet. Bernau bildet auf dem Stempel selbstbewusst seinen UNESCO-Weltkulturerbe-Bau ab.

Auf dem Schöneberger Stempel werden das Kirchengebäude und ein Regenbogen in den Pilgerpass gedrückt, bewusst auch das Symbol der queeren Menschen (LGBT). Geht es um eine Bevorzugung oder muss man befürchten, dass sie auf dem Jakobsweg nicht willkommen sind? Das hätte schon den schwulen Entertainer HP Kerkeling treffen müssen, aber ihm hat niemand den Weg versperrt oder deshalb die Herberge verwehrt. Dem Hype um LGBT wird aktuell in jedem passenden und unpassenden Zusammenhang Raum gegeben, hier auch von der Kirche. Fast muss man beschämt zu Boden schauen, wenn man bekennen müsste, nicht queer zu sein.

Historischer Jakobsweg rekonstruiert
Der Verein Jakobusgesellschaft Berlin-Brandenburg hat "den historischen Weg rekonstruiert, der von Jakobspilgern im Mittelalter nachgewiesen werden konnte". Die Orte haben sich natürlich im Laufe der Jahrhunderte verändert, die heute ausgewiesene Route dürfte eine Optimierung des damaligen Verlaufs unter heutigen Bedingungen sein. Stromkästen und Trafohäuschen wurden mit Hinweisen bemalt, eine durchgehende Beschilderung fehlt. Der Jakobsweg führt von Bernau kommend durch die Innenstadt Berlins, um in Marienfelde das Stadtgebiet wieder zu verlassen. Die Pilger haben in der Stadt eine alte Fernhandelsstraße - die Via Imperii - genutzt, die von Stettin nach Rom führte. Wir zeichnen hier Etappen des Jakobswegs im Berliner Stadtgebiet nach.

Etappe 1: Berlin-Buch bis Wedding/Gesundbrunnen

Den Pilgerweg sind wir nicht wirklich gelaufen - auch wenn die GPS-Tracks das vermuten ließen - sondern haben ihn aus dem Eindruck früherer Stadtwanderungen heraus beschrieben. Es lohnt sich, unterwegs den entsprechenden Links zu folgen.

Von Berlin-Buch aus in die Stadt pilgern

Bis zur Innenstadt schmiegt sich der Jakobsweg an den Flusslauf der Panke an, verläuft mal links, mal rechts des Flusses. Parks und Schlösser, Kirchenbauten und eine Vielzahl von Herbergen erfreuen den Wanderer, auch Krankenhäuser und Friedhöfe liegen am Weg.


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Berlin-Buch
In Buch laufen die Pilger direkt durch den Schlosspark. Es gibt alten Baumbestand und den Schlossgraben, auch die barocke Schlosskirche und der Gutshof sind noch vorhanden. Das Schloss und die Orangerie aber wurden zu DDR-Zeiten abgerissen, und die Kirche hat im Zweiten Weltkrieg Bombenschäden davongetragen.

Um 1900 hat der Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann in Buch einen Krankenhaus-Standort aufgebaut. Diese Heilanstalten sind heute ein Klinikum auf einem weitläufigen Areal. Das Regierungskrankenhaus und das Stasi-Krankenhaus, die die DDR in Buch eingerichtet hatte, gehören inzwischen zu den von Vandalismus gezeichneten "lost places".

Karow, Französisch Buchholz, Blankenburg
Unter der Autobahn Berliner Ring hindurch kommen die Pilger an den Karower Teichen entlang. Nach einer Historie als Torfabbaugebiet, Fischteiche und Rieselfelder wurde westlich des Dorfes Karow ein großes Naturschutzgebiet daraus. Das benachbarte Dorf Buchholz wurde durch die Ansiedlung französischer Glaubensflüchtlinge - der Hugenotten - zu Französisch Buchholz.

Der Pilgerpfad führt nicht über die Uckermärkische Landstraße im Dorf, die schon 1830 als Chaussee gepflastert wurde, sondern bleibt am Pankeufer. Der große Stau, den die Autofahrer im Ort Blankenburg permanent erdulden müssen, ist für den Pilger kein Thema, er ist zu Fuß unterwegs. Auch den Mörderberg am Blankenburger Pflasterweg müssen die Pilger nicht fürchten, er geht auf "Modder", sumpfiges Gelände zurück, dort wurde niemand umgebracht.

Heinersdorf
Direkt am Rande des Schlossparks Schönhausen erreicht der Berliner Jakobsweg den Pankower Ortsteil Heinersdorf. Für den gläubigen Pilger bietet sich ein kleiner Umweg zu einem katholischen Gotteshaus an, das das neues Selbstbewusstsein der Berliner Katholiken angesichts ihres 1929 errungenen Bischofssitzes widerspiegelt. Die Kirche St. Maria Magdalena ist ein expressionistischer Kirchenbau mit einem wuchtigen Turm, dessen diagonal vorgezogenen Ecken wie offene Arme wirken, die die Schäfchen in das Gotteshaus locken sollen.


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Wedding
Im Wedding geht der Pilgerweg unter der Nordbahntrasse hindurch, dann kommt jenseits der Panke eine überkonfessionelle Kirche in den Blick, die nicht an eine Religionsgemeinschaft gebunden ist. Die "Jesus Miracle Harvest Church" ist ein Ableger einer Kirche aus Iowa/USA für black people. Sie bietet ein fröhliches Programm an, veranstaltet beispielsweise ein Chorsingen "Jesus loben mit den Wunderstimmen, Erfüllung durch Lob".


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Wenn die Ringbahntrasse unterquert ist, schaut man auf die gegenüberliegende Wiesenburg. Der Berliner-Asyl-Verein schuf mit diesem Bau 1896 Unterkünfte für Gestrandete, die über keinen Wohnraum verfügen, 700 obdachlose Männer und 400 obdachlose Frauen konnten dort unterkommen.

Etappe 2: Innenstadt

In der Innenstadt wird aus dem Pilgern eine Stadtbesichtigung. Die Militärzeit wird in mehreren Bauten sichtbar: Die Route schlägt einen Haken um das Bundeswehrkrankenhaus, das 1853 als Königliches Garnisonlazarett gegründet wurde. Am Invalidenfriedhof vorbei werden das Invalidenhaus und die Militärärztliche Akademie erreicht.


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Das Invalidenhaus hat Friedrich der Große zur Versorgung von Kriegsinvaliden gegründet. Für die Ausbildung der Militärärzte ließ er ein mächtiges Eckgebäude mit Hörsälen, Festsälen, Bibliothek, Turnsälen und Casinos errichten. Die Gnadenkirche auf dem Platz des heutigen Invalidenparks gibt es nicht mehr, sie wurde 1967 nach Kriegsschäden gesprengt.

Auf ihren letzten Metern Richtung Spree schlängelt sich die Südpanke durch das Gelände der ehemaligen Königlichen Tierarzneischule. In diesem "Trichinentempel" ist der Hörsaal wie ein Amphitheater angelegt. An der Spree geht es dann weiter, bis der Weg zum Brandenburger Tor abzweigt. Entlang dem ehemaligen Mauerstreifen wird der Potsdamer Platz erreicht. Durch den Gleisdreieck-Park geht der Pilgerweg über die Yorkbrücken und folgt dem Bahnkörper Richtung Süden.


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Etappe 3: Vom Gleisdreieck bis Marienfelde

Der Heilige St. Jacobus
Lebensgroß steht er da, der Heilige St. Jacobus, in ein langes, gegürteltes Pilgergewand gekleidet lehnt er an einem mannshohen Kreuz. Ein Grabzeichen auf dem Alten St. Jacobi-Kirchhof, von dem man nicht weiß, woher es kommt. Gehörte es zu einem Grab? Ist es bei Geländeabtretungen hierher versetzt worden? Geheimnisse und Mythen umwehen jeden Apostel, damit steht Jacobus nicht allein. Für den gläubigen Pilger sollte ein Abstecher von der Yorkstraße zum Hermannplatz Pflicht sein, um das Bildnis für den weiteren Weg zu verinnerlichen. Lassen wir dabei die Mahnung von Moses aus dem Alten Testament unberücksichtigt, nach der man sich kein Bildnis des Göttlichen machen sollte, und blicken auf die Skulptur des Heiligen.

Zurückgekehrt zum Jakobsweg: Er schlägt um den Zwölf-Apostel-Friedhof einen Haken und erreicht die Stempelstation der Königin-Luise-Gedächtniskirche am Gustav-Müller-Platz. Dort kann man sich den LGPT-Stempel in den Pass drücken lassen.

Den Park Eisenbahn-Südgelände lässt der Jakobsweg links liegen und wählt den Weg durch den Hans-Baluschek-Park. Dort liegt im Gas ein merkwürdiges Autobahn-Teilstück: Es ist nur einen Meter lang, aber 36 Meter breit und ist das Werk eines Künstlers, den der Autobahnbau schon immer fasziniert hat. Wie soll ein Pilger nach diesem Anblick zur inneren Zwiesprache zurückfinden?


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Für den Park am Insulaner und die Siedlung Südende verlässt der Jakobsweg die Bahntrasse. Er kehrt dann noch einmal zu ihr zurück, sucht sich aber seinen weiteren mäandernden Weg durch Grünanlagen in Lankwitz und Marienfelde, sogar ein Friedhof wird dabei durchquert.

In Marienfelde sind es nur wenige Schritte vom Jakobsweg zur St. Alfons-Kirche. Dort ist an der Kirchenwand ein Mönch mit der Sprühdose zugange. Das wird als Thema auf einem Wandbild dargestellt, es ist ein Bild im Bild. Wenn Gott beim Jüngsten Gericht feststellt, dass die Welt Zerstörung verdient, wird er sie dann vernichten? Oder wird seine Barmherzigkeit größer sein als der Zorn? Mit der Sprühdose schreibt der Mönch einen Appell für die Barmherzigkeit an die Kirche, das ist kein Sakrileg, sondern eine zeitgenössische Kunstaktion.



Am Lichterfelder Ring wird schließlich die südliche Stadtgrenze überschritten. Der Berliner Pilger kann damit zufrieden sein, wenn er hier sein Ziel erreicht hat. Nach Santiago des Compostella zu laufen dauert Wochen und Monate, HP Kerkeling hat in kluger Voraussicht seine Wanderung erst in den Pyrenäen begonnen. Und für die Pilgerurkunde muss man sowieso nur die letzten 100 Kilometer durch Stempel nachweisen.
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Der Jakobsweg in der Stadt:
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Futtern wie bei Muttern gegen Vorkasse
Ein Glanzpunkt für Friedenau