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Futtern wie bei Muttern gegen Vorkasse


Stadtteil: Tempelhof
Bereich: Mariendorf, Alpenviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Reißeckstraße
Datum: 8. Februar 2023
Bericht Nr.:797

Viele Berliner Kieze haben Namen, die sich von den Straßenbenennungen ableiten. Es gibt aber auch namenlose Kieze, für die keine gemeinsame Bezeichnung verwendet wird. Oft sind das reine Wohnbezirke ohne markante Bauten oder andere Highlights, die deshalb abseits der öffentlichen Wahrnehmung liegen. Eine gemeinsame Identität der Bewohner hat sich in diesen Siedlungen nicht gebildet, ein soziales Bezugssystem mit Läden, Kneipen, Schulen, Kitas und öffentlichen Gebäuden fehlt meist. Wenn Investoren zur besseren Vermarktung klingende Namen für Neubaugebiete erfinden, bleibt abzuwarten, ob diese Bezeichnungen sich einbürgern können.

"Alpenviertel"
Für Wittenau Ost hatte ich bei unserem letzten Stadtrundgang die Bezeichnung "Architektenviertel" geprägt wegen der Straßennamen, die an Architekten erinnern. Heute sind wir in einem Teil des von mir so genannten "Alpenviertels" unterwegs. Auf einem Stadtplan wie für den Erdkundeunterricht sind Alpengipfel, Alpenpässe und Alpenlandschaften bis zum Abwinken aufgezählt, 28 Ziele von Albula bis Zangenberg. Das Alpenviertel geht weit über einen Kiez hinaus, umfasst Mariendorf von der Britzer Straße bis zur südlichen Ortsteilgrenze und erstreckt sich östlich des Mariendorfer Damms bis zum Britzer Garten und teilweise auch westlich der Straße.

1 Meile bis Berlin
Steine mit Entfernungsangaben gab es bereits - wie sollte es anders sein - im Altertum bei den Assyrern, den Römern und den Chinesen. Um 1700 wurden die ersten Postmeilensäulen in deutschen Landen errichtet. Die Entfernungen wurden in Meilen angegeben oder in Stunden, die die Postkutsche brauchte. Mit der "Meter-Konvention" von Paris wurde 1875 das metrische System eingeführt, Meilenangaben wurden nicht mehr gebraucht, die Meilensteine wurden überflüssig. Meilensteine standen an den Fernstraßen, inzwischen kann der Straßenverlauf sich geändert haben, die Steine sind ins Abseits geraten. Manchmal sind sie unter Gestrüpp versteckt, im Erdreich versunken, verwittert, umgefahren oder bei Baumaßnahmen beschädigt.

Ein Meilenstein am Mariendorfer Damm? Nicht einmal die Forschungsgruppe Meilensteine mit ihrer ausführlichen und informativen Homepage hat den historischen Rundsockelstein im Blick, der auf dem Mittelstreifen auf Höhe der Trabrennbahn zwischen Bordstein und parkenden Autos eingequetscht steht. "1 Meile bis Berlin", bei den Preußen waren das 7,5 Kilometer ungerade, das ging über Mariendorfer und Tempelhofer Damm sowie Mehringdamm bis zum Halleschen Tor, einem südlichen Stadttor von Berlin.


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Preußisch sparsam waren 1837 auf Anweisung des Finanzministers die hohen Postmeilensäulen aus Sandstein mit vergoldeter Kugel - wie man sie am Innsbrucker Platz sehen kann - durch 85 cm hohe runde Sockelsteine ersetzt worden, auf denen ohne jede Zierde nur die Entfernung eingraviert ist.

Friedhöfe
In einem Umkreis von einem Kilometer um Alt-Mariendorf befinden sich außer dem Kirchhof an der Dorfkirche weitere drei Friedhöfe, die wir heute besuchen. Sie haben ganz unterschiedliche Entstehungsgeschichten, sind in unterschiedlichen Epochen von unterschiedlichen Trägern eingerichtet worden. Als auf dem Kirchhof der Dorfkirche Mariendorf kein Platz mehr war, hat die Kirchengemeinde 1884 den Friedhof Mariendorf II auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Friedenstraße angelegt.

Weiter südlich gegenüber der Trabrennbahn hat die evangelische Christusgemeinde aus Kreuzberg 1902 ein Grundstück erworben für ihre Begräbnisstätte. Später hat die Gemeinde die Trägerschaft an eine andere Mariendorfer Kirche abgegeben, heute wird der Friedhof vom Evangelischen Friedhofsverband Berlin-Südost betreut.

Der Heidefriedhof ist erst 1951 in der Nachkriegszeit entstanden. Die Stadt hat dorthin die Kriegsopfer umgebettet, die während der letzten Kriegsmonate in Notgräbern bestattet worden waren, beispielsweise am Wenckebach-Krankenhaus und am St. Josef-Krankenhaus.

Wir gehen immer wieder gern auf Friedhöfe. Es sind Landschaftsparks und Orte der Besinnung. Künstlerisch gestaltete Grabdenkmale erinnern an eine vergangene, (verlorene?) Zeit. Lebensläufe mit Erfolgen und Misserfolgen, mit Liebens- und Leidensgeschichten tauchen auf. Vergessenes kehrt ins Bewusstsein zurück. Der Friedhof ist ein Erinnerungsort der Nachwelt, verliert aber immer mehr seine Funktion, wenn individuelle Grabstellen nicht mehr angelegt werden.

Dann entwickelt sich der Friedhof immer mehr zu einer Grabgemeinschaft, einem Bestattungsplatz in einer Fläche mit anderen zusammen, mit Namenstafeln oder anonym. Oder er wird überflüssig durch den Friedwald unter Bäumen. Die Aufbewahrung von Urnen in Kolumbarien wird abgelöst durch Urnenstelen, die in serieller Folge auf Friedhöfen herumstehen. Das Leben in Plattenbauten wird durch die Asche in Urnentürmen abgelöst.


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Auch wenn die Grabstelle mit dem Leben des Menschen am Wenigsten zu tun hat, so ist sie doch ein Gedenkort, der an ihn erinnert, zu einer Zwiesprache mit ihm einlädt. Asche verstreuen und anonyme Beerdigungen verwehren dagegen einen solchen besonderen Ort, sind aber preiswerter und ersparen jeden Pflegeaufwand. In einer Gesellschaft, die schwerpunktmäßig nur in der Gegenwart und dort auch noch in einer virtuellen Welt lebt, ist dieser Kulturwandel wohl nur konsequent.

Gemeinschaftsgräber
Dabei entwickeln die Friedhofsverwaltungen viel Phantasie bei der Anlage von Gemeinschaftsgräbern ohne individuelle Grabstelle, auch wenn sie die Bereiche dann selbst pflegen müssen. Beispielweise werden die Flächen vor abgelaufenen Erbbegräbnissen dazu verwendet oder Grünflächen als gemeinsamer Beerdigungsplatz ausgewiesen, anonym oder mit Namenslisten am Rande.

Auf dem Friedhof Mariendorf II haben wir weitere Beispiele gesehen: Auf einer kreisrunden Bestattungsfläche sind unbehauene Steine aufgeschichtet, am Rand finden sich Namensplatten. Ungewöhnlich und attraktiv anzuschauen. Auf demselben Friedhof erhebt sich aus einem rechteckigen Sockelbereich ein steinerner Torbogen, in dem unregelmäßige Steine aufgehängt sind, die die Namen der hier gemeinsam Bestatteten tragen (siehe Titelbild oben).


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Grabmal Hulke
Auf dem Friedhof Mariendorf II an der Friedenstraße ist ein ungewöhnliches Kriegerdenkmal zu finden. Keine Gemeinschaftsstatue für die Gefallenen eines Krieges (das es hier auch gibt), sondern ein "privates" Ehrenmal für den 1915 gefallenen Willi Hulke. Ursprünglich symmetrisch mit zwei Seitenflügeln geschaffen, ist nur noch ein Flügel vorhanden, was dem jetzt asymmetrischen Grabdenkmal eine besondere Dynamik gibt.

Ein symbolischer Sarkophag, von einem Helm bekrönt, daneben eine weibliche Figur, der Seitenflügel mit dem Götterboten Hermes auf einem Sockel. Die neoklassizistischen Formen und die ornamentalen und figürliche Dekorationen werden einem "verhaltenen Expressionismus" zugeordnet. Der bekrönende Helm des Sarkophags ist eine auch auf anderen Berliner Friedhöfen vorzufindende Figur, beispielsweise auf dem Invalidenfriedhof und dem Alten Garnisonfriedhof.


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Marienheim
Der von mir gern zu Rate gezogene Friedhofsführer des Amateurforschers Willi Wohlberedt nennt auf dem Friedhof Mariendorf II einen Begräbnisplatz der Schwestern des Marienheims an der Britzer Straße. Der Vaterländische Frauenverein von Teltow hatte 1903 das Krankenhaus mit mehreren Backsteingebäuden und historisierenden Fassaden eröffnet. Schon bald schloss sich der Frauenverein dem Roten Kreuz an. Im Ersten Weltkrieg wurde das Marienheim zum Lazarett. Nach mehreren Umbauten und Erweiterungen in den 1960er und 1980er Jahren "bekam die Einrichtung 1996 ein vollkommen neues Antlitz – die historische Backsteinfassade verschwand", berichtet die DRK-Schwesternschaft. Heute ist das Krankenhaus mit seinen weißen Gebäudequadern die "DRK Klinik Berlin Pflege und Wohnen Mariendorf".

Vaterländische Frauenvereine wurden im Kaiserreich gegründet, um in Kriegszeiten Pflege und Hilfe für Verwundete zu leisten: Es war keine frühe Form von Emanzipation, sondern eine gesellschaftliche "Arbeitsteilung": Die Männer machten Kriege, die Frauen pflegten die Verwundeten.

Heidefriedhof
Der Heidefriedhof an der Reißeckstraße/Britzer Straße ist ein Landschaftspark mit großzügigen Grünflächen und schönem Baumbestand. Der in der Nachkriegszeit eingerichtete Friedhof hat naturgemäß keine historischen Grabstätten. Neben der Trauerhalle ist die Skulptur "Der Verzweifelte" des Bildhauers Fritz Röll aufgestellt. Unter dem Titel "Verlassen" hatte der Bildhauer dieses Werk 1914 auf der "Großen Berliner Kunstausstellung" gezeigt.


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Fritz Röll ist uns vertraut mit anderen Skulpturen im Stadtgebiet. Wir verwenden auf der Startseite dieser Homepage Rölls "Sandalenbinder" vom Lietzenseepark als Titelbild. In der Bernhard-Wieck-Promenade im Grunewald steht sein "Steinmädchen", an der Scharfe Lanke läuft seine "Schreitende" auf der Uferpromenade.

Friedhof der Christusgemeinde
Die Christusgemeinde kaufte 1902 ein Grundstück an der Straße von Berlin nach Zossen, der Chausseestraße, die 1949 in Mariendorfer Damm umbenannt wurde. Zu jener Zeit erstreckten sich dort nur Ackerflächen, der südliche Teil der Mariendorfer Feldmark war noch unbesiedelt. 1913 wurde gegenüber die Trabrennbahn Mariendorf eingeweiht, 1920 ging die Landgemeinde Mariendorf in der Einheitsgemeinde Groß-Berlin auf.

Eine breite Asphaltstraße, die den Friedhof durchzieht, und mehrere Gruppen von Urnenstelen machen den Friedhof gefühlt zu einem unbehausten Ort, nur die Stelen geben den Urnen ein Zuhause. Ein Mausoleum der Familie Golz zeigt einen merkwürdigen Kontrast von grob behauenen Sandsteinquadern und einer Inschrift aus goldenen Mosaiksteinen.

Mahn- und Gedenkstätte des Vertriebenenbandes
Auf dem Christusfriedhof hat der Bund der Vertriebenen ein Mahnmal - eine Frauenfigur mit Kind - aufstellen lassen. Die Skulptur steht erhöht neben dem Friedhofsgebäude, die Beschriftung ist verloren gegangen. Auf ihrem Sockel war in Lettern der Spruch angebracht: "Wie einen seine Mutter tröstet". Der Bibelspruch, der im Zusammenhang mit der Vertreibung der Juden aus dem Heiligen Land steht, wird von Vertriebenenverbänden gern als Parallele zu ihrem Schicksal zitiert.

Gott als Mutter? Im Alten Testament wird der Prophet Jesaja mit einem Versprechen Gottes zitiert: "Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet" (Jes.66, 10-14). Gott als Erscheinung mit weiblichen Eigenschaften: Feministinnen haben schon lange gewusst, dass Gott eine Frau ist. Theologen halten das für eine einseitige Festlegung, für sie vereinigt "der Herr" in sich männliche und weibliche Eigenschaften. Ob sich diese Tatsache fürs Gendern eignet?

Dr.-Hans-Heß-Stadion
Im Wedding gibt es ein Erika-Heß-Eisstadion, in Mariendorf das Dr.-Hans-Heß-Stadion. Die Namensgeber haben nicht erkennbar etwas miteinander zu tun. Erika Heß war eine rührige Wedddinger Bürgermeisterin im Nachkriegsberlin. Dr. Hans Heß hat in den 1920er Jahren unterschiedlich strukturierte Versicherungsgesellschaften erfolgreich zum Versicherungskonzern Allianz zusammengeschmiedet. Als Chef des Konzernes hat er ein distanziertes Verhältnis zu den Nazis bewahren können und war auch kein Parteimitglied.

Die Allianz Arena am Mariendorfer Wildspitzweg wurde 1931 eingeweiht, ausgestattet mit einer 400 m-Laufbahn, mit Tennisplätzen und einem Tennishaus. Eine Tribüne mit zwei Seitentürmen und rund 1000 überdachten Sitzplätzen wurde nach Kriegsschäden 1960 abgerissen und durch eine Sporthalle ersetzt. Ein Nachguss des Speerwerfers von Karl Möbius im Stadion - das Original steht im Volkspark an der Bundesallee - hatte neben der sportlichen eine weitere Bedeutung. Als kleine Nachbildung wurde der Speerwerfer jährlich als Wanderpokal verliehen. Allerdings nicht an Sportler, sondern an die Filiale mit den erfolgreichsten Mitarbeitern.

Der Bildhauer Karl Möbius (1876 - 1953) gilt als Vertreter der kolonialen Bildhauerkunst, Schutztruppen und Kolonialgedenken waren seine beherrschenden Themen. Zur Erinnerung an die 1919 durch den Vertrag von Versailles verlorenen Kolonien und Reichsgebiete schuf er das Denkmal "Deutsches Land in fremder Hand", das auf dem Truppenübungsplatz Döberitz aufgestellt wurde. 1933 eingeweiht, war es die geistige Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs.

Futtern wie bei Muttern
Manchmal kann man eine Berliner Eckkneipe erst auf den zweiten Blick erkennen. Große Schaufenster und Leuchtschrift außen gehören nicht dazu, und Kaffee und Kuchen drinnen auch nicht. Wir suchen eigentlich ein Café, aber das finden wir hier nicht. Also gehen wir in dieses Lokal hinein und sind in einem Mittelding von Eckkneipe und Vereinslokal. Das ausgewiesene Nichtraucherlokal muss eine lange Vergangenheit als Raucherkneipe hinter sich haben, diesen Geruch wird es nicht mehr los. Zu anderer Tageszeit kann man Bingo, Dart und Karaoke auskosten, für uns ist Sportfernsehen inklusive. Bei der Frage nach Kuchen zählt die Wirtin zwei Angebote auf, ohne sie zu zeigen.


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Ermattet von fünf Kilometer Rundgang sinken wir auf die Stühle, wenigstens müssen wir nicht hungrig und durstig den Heimweg antreten.
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Unsere Route:
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