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Landhäuser, Villen, Lauben, Zirkuswagen


Stadtteil: Reinickendorf
Bereich: Tegel
Stadtplanaufruf: Berlin, Valentinswerder
Datum: 11. September 2022
Bericht Nr.:785

An den Denkmaltagen sind in diesem Jahr zwei Inseln im Tegeler See auf dem Programm. Von der Schulinsel Scharfenberg handelte mein letzter Bericht, in dieser Abhandlung geht es um Valentinswerder.

Zum "Lustwandeln, Picknicken und Knutschen" solle man auf die Insel Valentinswerder fahren, empfiehlt die Berliner Tourismusseite im Internet. Denn die Insel sei nach dem Patron der Liebenden benannt, Bischof Valentin von Rom, der als Märtyrer starb, weil er trotz kirchlichen Verbots Liebespaare christlich getraut habe. Das ist effekthascherisch, hat auch keinen Bezug zur Realität, denn Valentinswerder ist keine Liebesinsel, sondern ein Wohnparadies im Grünen. Und, was noch schlimmer ist: die Namensherkunft ist frei erfunden. Der Tagesspiegel wusste es besser: "Im frühen 18. Jahrhundert bewirtschaftete der Heiligenseer Bauer Valentin Lemke die Insel".

Valentinswerder wird bebaut
Paul Haberkern hat die Insel 1874 erworben, sie gehört noch heute seinen Erben. Nur der Segelverein und etwas mehr als zehn Bewohner haben ihren Grund und Boden kaufen können, die anderen Häuser stehen auf Pachtland. Haberkern war einer der größten Berliner Bauspekulanten der Gründerzeit. Seine Kreuzberger Bauten - beispielsweise in der Sorauer Straße - sind Mietskasernen, die bis auf den letzten Quadratmeter Wohnfläche ausgequetscht wurden, um maximale Rendite zu erzielen. Die schwierige soziale Situation der Menschen in den überbelegten Wohnungen wurde dabei bewusst in Kauf genommen. Haberkern war ein Handschuhfabrikant, der reich geheiratet hatte und durch Bauspekulation sein Vermögen vermehren konnte.

Auf Valentinswerder hat Haberkern keine Mietskasernen für die arme Bevölkerung gebaut, sondern kleine Villen, die als Sommerhäuser an ein gehobenes Publikum verpachtet wurden. Bereits ein Jahr nach dem Erwerb der Insel hatte er an der Südseite drei Wohnhäuser nach eigenem Entwurf fertiggestellt, weitere Sommerhäuser anderer Bauherren folgten. Ein kleines Landhaus an der Nordwestseite der Insel, das den sparsamen Bedürfnissen des Sommeraufenthalts entsprach, ist wie die Haberkern'schen Häuser als Baudenkmal eingetragen. Drei weitere denkmalgeschützte Villen in weitaus mächtigerer Bauweise stehen an dem Rundweg, der am Hafen des Segel-Clubs Frithjof beginnt und den östlichen Appendix der Insel erschließt ("Klein Valentin").

Die Insel als kleine Bauausstellung
Doch damit sind die Bauten auf der Insel nur unzureichend beschrieben. Es ist wie eine kleine Bauausstellung über das Leben in Einfamilienbehausungen jeglicher Herkunft, weitaus mehr als die Sommerhäuser, Landhäuser und Villen. Es gibt Lauben, doch sie beherrschen nicht das Bild - die Insel ist keine "Kleingartenkolonie". Zirkuswagen sind auf mehreren Grundstücken zu finden, mit Treppenanbauten oder Holzterrasse, bemalt oder grau gestrichen. Im Trend sind visionäre Holzhäuser, auch als Mikroarchitekturen.


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Die Architekturzeitschrift "bauwelt" hat ein neues Schlafhaus prämiert, das mit einem Steg an ein vorhandenes Wohnhaus angefügt wurde. Über einen anderen Neubau berichtet der Architekt: "Die Modellierung des Baukörpers ergibt sich aus der Transformation des klassischen Inselhaustypus sowie starken Bezügen zwischen Innen und Außen, die über große Fensteröffnungen hergestellt werden. Die Holzfassade ist aus Lärche (auf Spalte gesetzt), die Innenräume sind mit weiß lasiertem Birkensperrholz verkleidet".

Wohnen auf Valentinswerder
Valentinswerder ist so groß wie der Viktoriapark in Kreuzberg. Die Insel ist Landschaftsschutzgebiet und Wasserschutzgebiet. Mangels Landzugang muss alles per Boot vom Festland gebracht und wieder entsorgt werden. Inzwischen ist für die Stromversorgung vom Festland ein Kabel verlegt worden, Wasser kommt aus eigenen Brunnen, Abwässer werden in einer Grube gesammelt. Die typischen Anschlussstutzen verraten, dass größere Bauten mit Öl geheizt werden. Ofenrohre ragen aus den Zirkuswagen und kleinen Behausungen.


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Nur wenige Bewohner leben das ganze Jahr über auf der Insel. Die Oberärztin einer Klinik hat in einem Interview über das Insulanerleben berichtet. Mit ihrem Boot setzt sie über nach Saatwinkel, dort steht ihr Auto, mit dem sie in die Klinik fährt. Der aufwändige Arbeitsweg lohnt sich für sie, die Insel sei der perfekte Ort zum Wohnen, Abschalten und Auftanken.

Ein Abgrund von Landesverrat
Ist die Pressefreiheit vor staatlichem Zugriff geschützt? 1962 wurde der "Spiegel" durchsucht wegen eines "Abgrunds von Landesverrat" (Adenauer). Letztlich ging es aber darum, den Informanten zu einem politisch missliebigen Artikel zu finden. Das führte zu einer Regierungskrise, die Durchsuchung war laut Gerichtsentscheidung rechtswidrig. Die Pressefreiheit hatte gesiegt, das würde sich wohl nicht noch einmal wiederholen.

Es wiederholte sich aber doch, als 2005 ein auf Valentinswerder lebender Journalist des Magazins "Cicero" sich für einen brisanten Artikel auf einen Informanten aus dem Bundeskriminalamt stützte. Wieder wurden Redaktionsräume und Wohnräume durchsucht, die Polizei rückte auf die Insel vor, kistenweise wurde Archiv- und Recherchematerial beschlagnahmt. Und wieder ging es darum, den Informanten zu finden. Razzia und Beschlagnahme waren verfassungswidrig, entschied das Bundesverfassungsgericht, sie haben das Grundrecht auf Pressefreiheit verletzt.

Mit der Fähre zur Insel
Die Zeiten, als man die Insel im Winter über den zugefrorenen Tegeler See erreichen konnte, gehören einem früheren Jahrhundert an. Eine Zeitung berichtete 1886 über Massen von Berlinern beim Schlittenfahren und Schlittschuhlaufen: "Von Plötzensee nach Tegel, nach Valentinswerder und Spandau ziehen sich ununterbrochene Linien von Läufern. Hier begegnet man einer Truppe von richtigen Eis-Touristen im kurzen Laufkostüm mit Plaid und Rettungsleinen ausgerüstet, dort schwebt im Karree eine Gesellschaft fröhlicher Damen und Herren dahin, ihnen entgegen kommen die Spandauer mit ihren traditionellen Schnabelschlitten, in denen sie ihre ganze Familie vor sich herschieben". Auch eine 20 Meter lange Rutschbahn hat es auf Valentinswerder gegeben. Eine Postkarte zeigt Damen, die mit gerafften Röcken auf der Bahn herunterfahren.

Wie die Nachbarinsel Scharfenberg blieb auch Valentinswerder nicht vom versehentlichen Beschuss durch den Tegeler Artillerieschießplatz verschont. Während der Schießübungen waren Teile des Tegeler Sees gesperrt, damit das Militär ohne Rücksicht auf die Bürger versuchsweise Granaten durch die Gegend schießen konnte. Auch die Fähre konnte in dieser Zeit nicht fahren.

Für die ständige Verbindung der Insel mit dem Festland hatte Haberkern einen Fährdienst eingerichtet. Dazu gründete er die Schifffahrtsgesellschaft Brandenburgia mit zwei Dampfschiffen, auf denen je hundert Personen übergesetzt werden konnten. Bei ihm kostete das Übersetzen 50 Pfennige, heute bezahlt man 3 Euro pro Fahrt auf der Fähre "Odin". Das Dieselschiff tuckert verlässlich zwischen den Anlegern hin und her. Der Fährboot ist genauso retro wie die Fährbilletts mit perforierter Abrissecke von der Rolle. Als die Fähre in wirtschaftliche Schwierigkeiten kam, übernahm wie damals Valentinswerder selbst den Betrieb.

Niedrigwasser
Allerdings ist die Fährverbindung von Niedrigwasser bedroht. Nicht nur auf dem Rhein können kaum noch Schiffe fahren, auch am Tegeler See wurde in Hakenfelde einer von vier Fähranlegern geschlossen. Und die hohen Abstände beim Ein- und Aussteigen vom Schiffsrand zum Bootssteg sprechen eine deutliche Sprache: Seit Mai ist in Tegelort der Wasserstand um die Hälfte gesunken, von 83 auf 42 cm und ist damit nur noch 13 cm von dem niedrigsten jemals gemessenen Wasserstand entfernt.


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Trotzdem konnten wir beide Inseln im Tegeler See erklimmen und uns an deren Geschichte erfreuen.
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Unsere Route:
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Dem Pflanzen hingegeben und dem Träumen
Die Düne auf dem Schulhof