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Irdisches Treiben


Stadtteil: Reinickendorf
Bereich: Lübars
Stadtplanaufruf: Berlin, Zabel-Krüger-Damm
Datum: 28. Mai 2012

Die Hochhäuser "Romeo" und "Julia" waren Hans Scharouns erstes Nachkriegsprojekt. Die Hochhausgruppe wurde 1959 in Stuttgart eingeweiht, ein Jahr später heiratete Scharoun die Modejournalistin Margit von Plato. Er hatte sie - man ahnt es schon - in Stuttgart bei der Arbeit an seinem Projekt kennen gelernt. Scharoun war 67, als er den Hochhäusern die Namen des berühmten Liebespaares gab. Auch wenn er versuchte, den Bezug auf Shakespeare intellektuell damit zu begründen, dass dieser „die Kräfte himmlischer und höllischer Art in das irdische Treiben" einzubeziehen verstand - wir durchschauen, dass das "irdische Treiben" die eigene Liebe war, die Scharoun umtrieb. Das Frauenbild der 1950er Jahre kann man an den Bauwerken ablesen, "Romeo" hat 19 Geschosse, "Julia" nur 11.

Als Scharoun 1969 am Zabel-Krüger-Damm in Waidmannslust in der Rollberge-Siedlung Wohnhochhäuser errichtete, nahm er seine Stuttgarter Bauten als Vorbild und entwickelte hieraus eine Hochhauslandschaft, die sich konsequent zur Sonne ausrichtet. Auf der abgewandten Seite werden die Wohnungen über Laubengänge erschlossen. Die Laubengänge sind abgeknickt, die Wohngrundrisse haben kaum rechte Winkel. Die Fassaden mit ihren Faltungen, Brechungen und Staffelungen lassen den doppelten Baukörper nicht massig wirken. Offensichtlich wurden die bauzeitlichen Eternit-Platten inzwischen ersetzt. Die obersten Etagen sind als mit großen Fensterflächen als Galeriegeschosse aufgesetzt. Wie in Stuttgart mussten sich auch in diesen Häusern die Bewohner umstellen, die Architektur war ein (erzieherischer?) Eingriff in das "gewohnte" Wohnen. Drei Bereiche für Eltern, Kinder und Wirtschaften schufen neue Abläufe, die Möblierung mussten an die "ungewohnten" Zimmerzuschnitte angepasst werden. Von dem zur gleichen Zeit etwas weiter südlich gebauten Märkischen Viertel hebt sich diese Hochhaussiedlung ab, sie ist eingebettet in die grüne Umgebung des Tegeler Fließes.

Von Waidmannslust nach Lübars führt heute unser Weg über den Zabel-Krüger-Damm. Hier gibt es noch ein weiteres Bauprojekt, die Kriegerheimstättensiedlung von Bruno Ahrends. Ahrends baute einen Teil der "Weißen Siedlung" in Reinickendorf (1), Villen in Dahlem und Wannsee und weitere Siedlungsbauten. Von der Siedlung am Zabel-Krüger-Damm sind nur einzelne Häuser als Denkmale geschützt, viele Bauten wurden später "verschönert" und überformt. Die Doppelhäuser haben weit herunter gezogene Dächer, dadurch ist die Wohnfläche im Erdgeschoss um eine Zimmerbreite größer als im Obergeschoss. Kriegerheimstätten entstanden nach dem ersten Weltkrieg aufgrund einer Idee des preußischen Offiziers Moritz Ferdinand von Bissing. Er gründete bereits während des Krieges den „Verein Mustersiedlungen für Kriegsbeschädigte“ und initiierte zwei Siedlungen mit dem Namen "Bissingheim" in Duisburg und in Hagen. Der Begriff "Kriegerheim" mag für uns heute martialisch klingen, hinter ihm steckt aber eine soziale Idee. In Berlin entstand eine weitere "Kriegerheimsiedlung" ab 1926 in Friedrichsfelde (Splanemann-Siedlung), bei der rationelles Bauen mit vorgefertigten Wandtafeln versucht werde, eine erste Plattensiedlung (2).

Eine dritte Siedlung am Zabel-Krüger-Damm liegt in Höhe des Klötzbeckens, eines kleinen Sees, der 1968 für ein nicht verwirklichtes Industrieprojekt angelegt wurde. Der Klötzgraben fließt in diesem See, im weiteren Verlauf endet der Wasserlauf als Packereigraben im Nordgraben. Die Webpage "Spirit of Berlin" meint, das sei "mehr so ein See, an dem Rentner rundumgehen können. Touristen verlaufen sich hierher keine". Aber Flaneure schon, denn sie kommen überall hin, lieber Berlin-Geist. Die AEG-Siedlung wurde als Kleinsiedlung nördlich des Zabel-Krüger-Damms in den 1930er Jahren angelegt und später bis zum Klötzbecken erweitert. Die meisten Einwohner arbeiteten im AEG-Werk in der Ackerstraße im Wedding. Das Land erhielten die Bewohner auf Zinsbasis (Erbbaurecht), für den Hausbau bekamen kinderreiche Familien Darlehen.

Angrenzend an die AEG-Siedlung stehen Reihenhäuser aus dem "Volkswohnungsprogramm" des Dritten Reiches am Zabel-Krüger-Damm, 120 Wohnungen mit anderthalb bis zwei Zimmern pro Wohnung. Dass hier "billigste Mietwohnungen bei minimierter Bauweise und geringster Ausstattung" gebaut wurden, ist an den ansprechend gegliederten Fassaden der Reihenhäuser nicht abzulesen.

Bis zur Wende war Lübars das Vorzeige-Dorf der West-Berliner, ein idyllischer Anziehungsort für gestresste Großstädter. Eingebettet in viel Landschaft (Felder und Tegeler Fließ), intakte Bauernhöfe, Pferde, eine Dorfaue mit Kirche, Schule, Feuerwehr und Dorfkrug, das konnte nur das älteste Dorf im Berliner Norden bieten. Aufgrund märkgräflicher Order von 1247 mussten die ersten Bauern den Ertrag ihrer Honigbienen im Spandauer Benediktinerinnenkloster abgeben, später wurden die Spandauer Nonnen auch Grundeigentümer. Ihnen gehörte dann das Dorf, und ihnen flossen alle Abgaben der Bauern an die "Herrschaft" zu. Die klassizistische Dorfkirche "geht auf Carl Gotthard Langhans zurück", wie man vielfach lesen kann. Er hat sie nicht gebaut, aber ihren Stil beeinflusst, sie entstand zur gleichen Zeit wie "sein" Brandenburger Tor. Der barocke Altar der Dorfkirche hat eine lange Wanderung hinter sich. König Friedrich Wilhelm I. hatte ihn 1739 der Gertraudenkirche am Spittelmarkt gestiftet (3). Als diese wegen Baufälligkeit 1881 abgerissen wurde, kam der Altar ins Magazin. Erst in den1950er Jahren fand man wieder eine Verwendung für ihn, er kam - leicht zurechtgestutzt - nach Lübars.

An der Kirche soll es noch zwei Maulbeerbäume geben, die an die Zeit erinnern, als Friedrich der Große versuchte, bei uns eine Seidenproduktion aufzubauen (4). In Lübars wie vor der Berliner Stadtmauer gab es ein (Neu-)"Vogtland" durch die Ansiedlung von Handwerkern aus dem sächsischen Grenzgebiet (5). Der Name des Dorfes entwickelte sich aus dem slawischen Wort für Liebe über "Libars" und "Liebarsch" zu Lübars. Das Dorf liegt versteckt hinter den Rollbergen und nicht einsehbar vom Bernauer Heerweg, von den Raubrittern, dem Dreißigjährigen Krieg und der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg blieb Lübars weitgehend verschont.

Folgt man dem Kopfsteinpflaster von Alt-Lübars Richtung Osten, dann kommt man zur Blankenfelder Chaussee, einer Allee mit altem Baumbestand. Ein Fußweg führt zur Osterquelle, der letzten freisprudelnden Quelle Berlins. Bei unserem Besuch sprudelt sie nicht, sie tröpfelt mehr, aber die Lehmschicht unter dem Sand lässt die "Sprintquelle" (so steht es auf dem Schild) nicht versiegen.

Im Dorfkrug bekommen wir überraschend statt Bauernfrühstück oder Jägerschnitzel "Barbarie-Entenbrust mit blauem Gnocchinest auf Concasseechutney" und " Zweierlei Gazpacho von Tomaten und Gurken mit Kerbelschmand" serviert, der beständige Zustrom der West-Berliner hat das Dorf wohl doch etwas geändert. Mit Wohlbehagen fahren wir in die städtische Mitte zurück.

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(1) Weiße Siedlung: Ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft
(2) Splanemann-Siedlung: Beschauliches Friedrichsfelde
(3) Ein Bild vom Spittelmarkt mit Gertraudenkirche finden Sie hier:
Kein Spital an keinem Platz
(4) Mehr zu Maulbeerbäumen und der Seidenproduktion: Seidenproduktion
(5) (Neu-)Vogtland: Neu-Vogtland



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Unsere Route
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Ostwind und Nordlicht
Wie riecht Berlin?