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Wer war Rudolf Mücke?


Stadtteil: Prenzlauer Berg
Bereich: Kollwitzstraße
Stadtplanaufruf: Berlin, Kollwitzplatz
Datum: 11. Februar 2013

In vier Jahren ab 1884 hat Rudolf Mücke sechs Häuser im Prenzlauer Berg gebaut, die heute unter Denkmalschutz stehen. Vier dieser Gebäude haben wir bei unserem Spaziergang durch die Kollwitzstraße auf der Höhe Sredzkistraße gesehen, zwei stehen in der Husemannstraße. Die Fassaden der Häuser an der Kollwitzstraße sind sehr aufwendig gestaltet, die Eckbauten verzichten auf die spitze Ecke und wenden sich mit einer diagonalen Abschrägung aus jedem Sichtwinkel dem Betrachter zu. Es handelt sich um die ausdrucksvollsten Altbauten an der Kollwitzstraße, gebaut für überwiegend bürgerliche Mieter.

Ab 1890 begann Rudolf Mücke, in Weißensee an der Lehderstraße auf neun Grundstücken in schneller Folge weitere Wohnhäuser zu errichten. Eine Dokumentation der Bauakten zeigt, dass die Häuser in einfachstem Standard gebaut wurden. Bei einem Bau bemängelte die Baubehörde das Fehlen sanitärer Einrichtungen, bei mehreren Bauten waren die Entwässerungsanlagen schlecht ausgeführt. Offensichtlich wollte der Bauherr mit der billigen Bauweise möglichst schnell die Rendite seiner Investition kassieren. Mit dem Hinweis darauf, dass er die Häuser bereits vermietet hat, setzte er die Baubehörde unter Druck, die Gebrauchsabnahme zu erteilen, doch bei eklatanten Mängeln verweigerte man ihm die zügige Nutzungsgenehmigung.

Wer war dieser Rudolf Mücke? (1) Er war Zimmermann, also Bauhandwerker, der gleichzeitig als Planer, Bauherr und Ausführender auftrat. Nur in den Bauakten scheinen sich Hinweise auf seine Existenz zu finden, weitere Nachforschungen über Rudolf Mücke und sein Leben brachten kein Ergebnis. So wird er zum personifizierten Hauseigentümer des 19.Jahrhunderts, der mit Wohnungsbauten für die schnell wachsende Industriearbeiter-Heerschar sein Geld macht. Damit verbinden sich Begriffe wie 'unwürdige Lebensbedingungen' und 'Spekulation'.

Mückes unschlagbarer Vorteil war: Alles aus einer Hand. Gewinnaufschläge von Baubetrieben waren kein Thema für ihn, er baute selbst zum Einstandspreis. In Weißensee beispielsweise ersparte er die Erschließungskosten der Straße, indem er die Pflasterungsarbeiten selbst vornahm. Dass er die Bauten selbst entworfen hat, war damals für Handwerker üblich, brachte aber einen Kostenvorteil gegenüber Terraingesellschaften. Mücke war offensichtlich ein Gewinner des Börsenkrachs von 1873, der manche Terraingesellschaft in die Knie zwang. Aus Weißensee wird berichtet, dass er die Grundstücke "mit größter Wahrscheinlichkeit von der Terraingesellschaft erworben hatte". Auch in der Kollwitzstraße kann man dies vermuten. Der Deutsch-Holländische Actien-Bauverein war Eigentümer des Areals entlang der Kollwitzstraße zwischen Prenzlauer und Schönhauser Allee bis zur Danziger Straße, 1875 ist er in Konkurs gegangen.

Der Prenzlauer Berg ist von der Torstraße aus nach Norden entwickelt worden, bei unseren letzten beiden Spaziergängen hatten wir das nachverfolgt (2). Waren es im südlichen Bereich einzelne Bauherren - Entwurf und Ausführung lag in der Hand der Maurermeister - so trat an der Kollwitzstraße eine Terraingesellschaft auf den Plan, die der Grundeigentümer mit mehreren meist holländischen Partnern zusammen gegründet hatte. Die Grundstücke gehörten Otto Klau (Anzüglichkeiten über seinen Namen verbieten sich von selbst). Er hatte einzelne Grundstücke zusammengekauft und in seine Terraingesellschaft eingebracht. Bei mehreren Gebäuden wird er auch als Architekt genannt. Dafür, dass die Gesellschaft nur drei Jahre gearbeitet hat, bevor sie pleite ging, hat sie eine erstaunliche Aktivität entwickelt. Ein quasi industrielles Hausbauverfahren wurde angewandt, ein Ringofen zur Ziegelproduktion am 600 m entfernten Helmholtzplatz betrieben, dort arbeiteten auch Zimmerei, Tischlerei und Schlosserei. Unter der erhöhten Fläche des Helmholtzplatzes befinden sich heute noch die Reste des 1885 gesprengten Ziegeleiofens.

Mehr als dreißig Häuser hat der Deutsch-Holländische Actien-Bauverein gebaut. Das ursprüngliche Aussehen der Gebäude ist nicht immer erhalten, manche Bauten wurden "entstuckt", andere behielten ihre historisierenden Fassaden. Es gibt Treppenhäuser, die bis in das dritte Geschoss mit Marmorstufen und Marmorzwischenpodesten ausgestattet sind, hohe Qualität war der Anspruch an den gesamten Bau. Allerdings mussten alle Wohnhäuser bis nach 1890 auf Kanalisation verzichten, stattdessen wurden die Fäkalien in Gruben im Hof gesammelt. Eine lesenswerte ausführliche Würdigung des Bauvereins und seiner Aktivitäten findet sich in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 27.10.2011, das sich mit der Klage eines ausbauwütigen Investors gegen die Denkmalbehörde befassen musste.

Käthe Kollwitz, die Graphikerin und Bildhauerin, wurde in der DDR ideologisch vereinnahmt und auch vom Westen instrumentalisiert. Die Pietà in der Neuen Wache - von Helmut Kohl durchgedrückt - pumpt die ursprüngliche Plastik - mit der die Künstlerin der Trauer über den Kriegstod ihres Sohnes Ausdruck gegeben hat - auf vierfache Größe auf. Die im Kollwitzkiez angelegten Straßen wurden ursprünglich nach Orten in Elsass-Lothringen benannt - eine Triumphgeste nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich 1870/71. Erst zu DDR-Zeiten wurde ein Teil der Namen getilgt, nach Käthe Kollwitz wurden die Weißenburger Straße und der Wörther Platz umbenannt.

Sind die Schwaben schuld an der Gentrifizierung, an dem Herausputzen des Viertels und einer Verdrängung von Bewohnern? Im Herzen des Prenzelbergs - am Kollwitzplatz - tobt die Auseinandersetzung mit den "Fremden". Die "Einheimischen" warnen vor Schwabylon, die "Fremden" freuen sich über Wecken statt Schrippen und benennen Straßen um in 'Knaaksträßle' und 'Wörther Gässle'. Käthe Kollwitz, die auf ihrem Platz auf dem Sockel sitzt, ist schon Ziel eines Spätzleangriffs geworden. Der Street-Art-Aktivist El Bocho nimmt den Konflikt als Zielscheibe und klebt eine Model-Schönheit mit ihrer Aussage "I miss my Plattenbau" an eine Hauswand. Von ihm fanden wir natürlich bei unserem Rundgang auch wieder Little Lucy, eine erhängte Katze klebt am Kollwitzplatz (3). Anti-Gewalt-Piktogramme sind eine weitere Aktion von ihm, eines fanden wir an der Sredzkistraße.

Am Senefelderplatz (4) beginnt die Kollwitzstraße mit einem Gebäudeensemble. Um 1875 ist im Innenbereich hinter Haus Nr.6 ein polygoner, fast runder Fachwerk-Turm gebaut worden, der mit Schiefer gedeckt ist und verspielte Turmaufsätze über den winzigen Fensteröffnungen aufweist. "Stall & Turm" berichtet die Denkmaldatenbank lapidar. Wofür wird dieser Turm einmal gedient haben? Eine wehrhafte Funktion mag ich ihm trotz seiner kleinen Fensteröffnungen nicht zuschreiben.

Mit Rudolf Mücke hat dieser Bericht begonnen, in Rudolf Mückes Eckhaus an der Sredzkistraße endet unser Spaziergang. Bei Anna Blume trinken wir einen Milchkaffee und genießen - ins Sofa gedrückt - die unaufgeregte, plüschige Atmosphäre in diesem Café.

(Textversion vom 24. Februar 2013)

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(1) Rudolf Mücke war nicht der Herr Mücke aus dem Berliner Spottgedicht, der auf der Jannowitzbrücke seine Frau totgeschlagen hat:

"Frau Mücke und Herr Mücke standen auf der Jannowitzbrücke
da stach eine Mücke Frau Mücke ins Genicke.
Da nahm Herr Mücke seine Krücke und schlug nach der Mücke.
Das war der Mord auf der Jannowitzbrücke."

(2) Bebauung des Prenzlauer Bergs:
Choriner Straße: Schlag recht viel Miete raus
Kastanienallee: Wo die Bilder laufen lernten
(3) Katzen-tape-art von El Bocho in der Choriner Straße: Schlag recht viel Miete raus
(4) Mehr über den Senefelderplatz: Senefelderplatz


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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Schlag recht viel Miete raus
Altbauten mit kulturellem Wert