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Ein Hunde-Selfie auf der Wand


Stadtteil: Prenzlauer Berg
Bereich: Teutoburger-Platz-Kiez
Stadtplanaufruf: Berlin, Fehrbelliner Straße
Datum: 11. Januar 2023
Bericht Nr.:795

Durch den Prenzlauer Berg streben mehrere Radialstraßen Richtung Norden ins Umland. Schönhauser, Prenzlauer und Greifswalder Straße tragen die Namen der Orte, in deren Richtung sie zeigen. Wir sind heute in den Querstraßen unterwegs, die diese Radialstraßen wie ein Netz in Ost-West-Richtung miteinander verknüpfen. Die Fehrbelliner Straße beginnt in Mitte, über die Schwedter Straße kehren wir wieder nach Mitte zurück. Und obwohl unser Endpunkt Kastanienallee als typische Prenzelberger Fashion-Meile gilt, als "Casting-Allee", in der man sich gern modebewusst zeigt, liegt auch sie zu einem Drittel im Bezirk Mitte.

Schon vor den Gründerjahren (1871 ff.) begann die Bebauung, nur ganz wenige Häuser wurden im Bombenkrieg zerstört, so dass Prenzlauer Berg wie ein Museumsdorf der damaligen Miethausarchitektur wirkt. Ein geschlossenes Straßenbild, das Grau der DDR-Zeit ist von den Fassaden gewichen, die Wohnungen und Gewerbehöfe haben neuen Glanz bekommen. Dass dadurch viele Bewohner verdrängt wurden, soll nicht verschwiegen werden. Viele Stolpersteine und eine Gedenktafel für ein jüdisches Kinderheim gegenüber dem Teutoburger Platz verweisen darauf, dass hier jüdisches Leben von den Nazis verfolgt und vernichtet worden ist.

Wilhelm Griebenow entwickelt Prenzlauer Berg und Wedding
In Berlin war seit der Gründerzeit ab 1871 eine Vielzahl von Terrainentwicklern tätig, Sie erwarben unbebaute Flächen, legten Straßen an, sorgten für die Verkehrsanbindung und die Infrastruktur, manche bauten Musterhäuser oder Häuser und Villen zum Verkauf. Das begann vereinzelt schon im 19. Jahrhundert vor den Gründerjahren. Wilhelm Griebenow, ein einfacher Ackerbürger, der reich eingeheiratet hatte, hat die Parzellierung im Prenzlauer Berg und Wedding in unglaublichem Umfang vorangetrieben. Seine Landerwerbe bewegten sich in der Dimension von Quadratkilometern (400 Morgen Land kommen auf 1 qkm).

Im Wedding hatte er 300 Morgen Land durch Heirat übernommen, 181 Morgen an der Bornholmer Straße, Schönhauser Allee und Ackerstraße als Abfindung für Hütungsrechte bekommen. Im Prenzlauer Berg gehörten ihm schließlich weitere 440 Morgen Land, ein breiter Landstreifen entlang der Schönhauser Allee, man konnte bis zum Heinersdorfer Kirchturm sehen.

Das war das "Königliche Vorwerk Niederschönhausen", das 1823 unter den Hammer kam, also zwangsversteigert werden musste. Es reichte von der Fehrbelliner Straße bis nach Pankow. Dazu gehörte der Gutshof vor dem Schönhauser Tor mit einem 1790 errichteten Gutshaus. Griebenow ließ die Kastanien- und Pappelallee anlegen, sorgte für die Entwässerung der Ackerflächen, schenkte den Kirchen das Bauland für die Zionskirche und das Grundstück für den Friedhof in der Pappelallee. Die Bebauung begann an der Fehrbelliner Straße und im Umfeld des Teutoburger Platzes. Als James Hobrecht 1862 den "Bebauungsplan der Umgebungen Berlins" aufstellte, musste er das Griebenowsche Straßennetz als Bestand übernehmen.

Halbstock über dem Hauseingang
Die Altbauten im Kiez wurden überwiegend in den 1860er und 1870er Jahren errichtet. Manche Häuser weisen als Besonderheit eine Zwischenetage über dem Hauseingang auf. Das Erdgeschoss beginnt baulich über dem Souterrain und ist dadurch gegenüber dem Straßenniveau erhöht. Der ebenerdige Hauseingang reicht bis unter das zweite Geschoss. Dadurch wird normalerweise der Hausflur höher, der Raum kann aber auch für einen Halbstock zwischen Hausflur und zweiter Etage genutzt werden. Dadurch wird die vermietbare Fläche bis in den letzten Winkel ausgereizt. Sichtbar wird das durch ein halbhohes Fenster über der Haustür.


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Bildgießerei
Die Häuser wurden von Bauhandwerkern in Eigenregie errichtet, die die Gebäude meist schnell wieder verkauften, um Profit zu erzielen, teilweise schon vor der Fertigstellung. Als Bauherren werden vielfach Kaufleute wie beispielsweise ein Holzhändler genannt oder Fabrikbesitzer. Ein Beispiel ist der Fabrikbesitzer Moritz Czarnikow, der 1879 die Häuser Zionskirchstraße 75 und 77 erbauen ließ und 1886 das Haus Schwedter Straße 263, in dem sich seine Kunst-, Stein- und Zinkgießerei befand. In Bronzebildguss (Kunstguss) wurden Statuen hergestellt, auch Eisenguss für Denkmäler oder Grabmäler wurde ausgeführt. Zudem hat der Betrieb die Begeisterung betuchter Kunden für Grottennachbildungen in Privatgärten befriedigt: "Anfertigung von künstlichen Felsbildungen und Grotten, Caskaden, Aquarien, Fontainen usw. unter billigen und soliden Bedingungen".

Moritz Czarnikow starb 1890. Auf seinem Betriebsgrundstück in der Schwedter Straße 263 wurden 1898 Bauten für die Gutenberg-Druckerei errichtet. Dazu später mehr unter dem Stichwort Gutenberg-Höfe.

Die Welt des Zuckers
Der Sohn von Moritz Czarnikow, Julius Caesar Czarnikow, geboren 1838, befasste sich international mit der Herstellung und dem Vertrieb von Zucker. Er gründete eine Zuckermaklerfirma, investierte in Zuckerprojekte der British East India Company und in die Herstellung von kubanischem Zucker in New York, beteiligte sich an einem Londoner Börsenunternehmen, unterhielt Büros in Liverpool, Glasgow und Vancouver. Er ließ sich gern "Caesar" nennen, wanderte 1854 aus, wurde englischer Staatsbürger und nahm seinen Wohnsitz in einem schlossartigen "Hill House".

Zur Welt des Zuckers: Der Naturwissenschaftler Franz Carl Achard hatte die Technik zur Herstellung von Zucker aus Futterrüben entwickelt, 1801 ging in Preußen die erste Rübenzuckerfabrik der Welt in Betrieb. Der Forscher war ein Nachkomme der Hugenotten, der französischen Glaubensflüchtlinge, und hieß eigentlich François Charles Achard.

Gutenberg-Höfe
In goldenen Lettern hat die Druckerei Gutenberg stolz ihren Firmennamen an die Fassade des Hauses Schwedter Straße 293 geschrieben. Sie hatte diesen Bau von der Bildgießerei Moritz Czarnikow (siehe oben) übernommen und mit Bauten für ihren Betrieb ergänzt. Im Bleisatz wurden Texte gesetzt und von Druckmaschinen vervielfältigt. Der angeschlossene Verlag gab Bücher zur deutschen und Berliner Zeitgeschichte heraus.


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Ab 1932 gehörte auch der Pharus-Verlag zu Gutenberg. 1902 gegründet, entwickelte Pharus sich zum größten europäischen Stadtplanverlag. Pharus-Pläne hingen in den S- und U-Bahnhöfen Berlins aus. Heute sind sie eine hoch geschätzte Quelle, in der die Stadtentwicklung optisch nachvollzogen werden kann. Anspruchsvoll hatte der Pharus-Verlag sich den Namen eines der sieben Weltwunder gegeben, des Leuchtturms von Alexandria auf der Insel Pharos. 1903 war dem Kaiser ein Stadtplanexemplar überreicht worden, das er "huldvollst anzunehmen geruht hatte und lassen für die Darbietung bestens danken."

Die Druckerei wurde nach der Wende zu den Gutenberg-Höfen umgebaut, mit eigenem Blockheizkraftwerk, "Büro-Penthaus, Fabriklofts, neu erstellte Loft Remisen und Work & Chill Campus". Mit Superlativen wird im typischen Maklersprech geworben: "Die Gutenberghöfe gehören zu den prägenden Industriedenkmälern in Berlins pulsierender Mitte. Hier befindet sich die Herzkammer des kreativen und digitalen Berlins". In den Höfen arbeiten Start-Ups und Unternehmen der Digitalbranche an Themen wie digitalen Plattformen, Streaming, Smartphone-Apps und Softwareentwicklung.

Secura-Büromaschinen, Fehrbelliner Höfe
Auf einem weiteren Fabrikhof in der Fehrbelliner Straße produzierten seit 1883 die Secura-Werke Registrierkassen. Zu DDR-Zeiten wurde daraus ein Volkseigener Betrieb, der Tischrechner, Lochband- und Lochkartengeräte und Kopiergeräte herstellte. Secura hatte sieben Standorte, der Hauptbetrieb befand sich in der Chausseestraße hinter den heutigen "Feuerlandhöfen". Der "VEB Secura-Werke Berlin" ging später im Kombinat "Robotron" auf, dem DDR-Hersteller von Computern und Informationstechnologie. Nach der Wende wurde der Betrieb 1994 eingestellt.

Der Fabrikhof in der Fehrbelliner Straße 48 und 49 wurde zum Wohnprojekt "Fehrbelliner Höfe" umgestaltet. Ein weit ins Hinterland reichender Gebäudeteil erhielt auf der Rückseite einen Anbau mit schwingender Fassade, der es als kreative Architektur verdient hätte, sich prominent zu zeigen, statt sich in einem Innenhof den Blicken der Passanten zu entziehen. Im Fabrikhof wurde mit einer leichten Konstruktion aus Stahl und Glas eine weitere Etage aufgesetzt. Insgesamt sind in den Fehrbelliner Höfen 150 Wohnungen entstanden.


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Typisch Prenzlauer Berg
Wohnungen sind zum Wohnen da, die kurzfristige Nutzung durch Berlinbesucher und die möblierte Vermietung entziehen der Stadt den dringend benötigten Wohnraum. Die Vermietungsplattform „Airbnb“ vermittelt das Übernachten bei Einheimischen, in Foren kann man nachlesen, "worauf solltest du achten, damit du den negativen Faktor, also die Wohnungseinbußen, nicht unnötig unterstützt". Auch andere Anbieter wie "Weit weg von Zuhause" oder "Großartiger Aufenthalt" (beide Namen aus den Englischen übersetzt) sorgen im Prenzlauer Berg wie anderswo für "Wohnungseinbußen".

Location Scouts, die auf der Suche sind nach passenden Orten und Motiven für Filmaufnahmen, haben in der Schwedter Straße Ecke Kastanienallee ein Haus mit bröckelnder Fassade gefunden, das noch DDR-Charme ausstrahlt. Auch wir haben bei unseren Stadtrundgängen immer wieder einzelne Häuser gesehen und gezeigt, an denen baulich die Wende vorbeigegangen ist, aber wir werten dieses Wissen nicht kommerziell aus.

"Wir leben in einer Kulisse", beschweren sich die Anwohner des gefilmten Hauses, zwölf Großproduktionen in den letzten Jahren lassen die Nerven blank liegen. Am Straßenrand besteht Parkverbot für Einheimische, dort stehen Gardeoben-, Technik-, Catering- und Toilettenwagen in langer Reihe, Kabel und Stromkästen sind Stolperfallen. Die grelle Beleuchtung stört und blendet, während der Dreharbeiten wird der Zugang zum Haus verwehrt. Drehorte von Filmen werden in Publikationen beschrieben, sie sind spannende Ziele für Interessierte. Die Kehrseite der Anwohner ist dabei nicht im Blick.

Teutoburger Platz
Die "Sieben Schwaben" am Plänterwald waren nicht die einzigen Skulpturen von Stephan Horota, denen wir im Berliner Stadtraum begegnet sind. Am Teutoburger Platz hat er die dreiteilige Brunnenanlage "Froschkönig“ aus grobporigem Stein gearbeitet. An der einen Seite eines Wasserauffangbeckens mit tiefer Mulde amüsiert sich ein dicker Frosch. Ihm gegenüber hockt eine Mädchenfigur, die die Haltung des Froschs imitiert. Das wird wohl der Grund für sein Amüsement sein.


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Pferdestall und Tankstelle
Manche Anwohner kommen im Morgenmantel herübergelatscht, um Schwedter Ecke Templiner Straße zu saunieren. Dort steigen sie in einen ausgemusterten Feuerwehrwagen, der mit einem Saunaofen statt der Feuerwehrschläuche ausgestattet ist. Finnische Sauna für ein Dutzend Personen - der Holzofen wird mit Buchenholz geheizt. Ich habe noch einmal nachgefragt, Sonntag und Mittwoch Abend wird der Ofen angefeuert.

Das Feuerwehrauto steht auf einer Tankstelle, die 1926 in Betrieb genommen und nach 60 Jahren stillgelegt wurde. Das schlichte Kassenhäuschen ist ein Quader mit massivem Vordach, das auf zwei eckigen Pfeilern ruht. Die Zapfsäulen sind längst abgebaut. Benzin kann man hier nicht mehr tanken, aber Kunst, der Ort wird mit Ausstellungen und Veranstaltungen bespielt. Der Verein "Freie Internationale Tankstelle" betreibt inzwischen nach diesem Vorbild stillgelegte Tankstellen auch in anderen deutschen Städten, in anderen Ländern Europas, in New York und Vancouver.

Ein Pferdestall neben einer Tankstelle - vom Pferd zum Auto, das ist gebaute Zeitenwende. In der Templiner Straße angrenzend an die Tankstelle bleib ein Fachwerkhaus erhalten, das als Pferdestall diente. Es stand auf einem Holzplatz, auf dem man Brenn- und Bauholz erwerben konnte.

Wandbilder
An der Brandwand des angrenzenden Hauses ist vor einem grünen Wald ein indigener Mensch zu sehen, dem ein gleichgroßer Umriss mit der anatomischen Illustration von Gehirn und Lunge zugeordnet ist. Der Regenwald als grüne Lunge? Der Street-Art-Künstler ist Alaniz, ein Argentinier, der in Berlin lebt und das Verhältnis von Mensch und Natur thematisiert. Weitere Murals - Wandbilder - fanden wir in der Schwedter Straße jenseits der Kastanienallee.

Der Londoner Streetartist Fanakapan ist für hyperrealistische Darstellungen realer Objekte bekannt. Snoopy, Charlie Browns Haushund aus dem Comic, schaut aus seiner Hundeperspektive auf einen herzförmigen Luftballon, in dem er sich selbst spiegelt, sozusagen ein Hunde-Selfie. Im gegenüberliegenden Wandbild des Berliner Künstlerkollektivs "innerfields" werden zwei Personen mit Virtual-Reality-Brillen von einem Puppenspieler als Strippenzieher gesteuert. Im Hintergrund ist ein imaginäres Wesen sichtbar. In ihren Arbeiten behandeln die Künstler sozialkritische Themen.


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Wir waren im Regen unterwegs, aber das hat uns das Flanieren nicht verregnen können. In Griebenows Kastanienallee (wo sonst?) sitzen wir in einem Café warm und trocken beim Milchkaffee und schauen den "beschirmt" vorbeieilenden Mitmenschen zu.
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Unsere Route:
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Etwas weggetreten Romantisches