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Zwischen den Bahnhöfen


Stadtteil: Pankow
Bereich: Heinersdorf
Stadtplanaufruf: Berlin, Romain-Rolland-Straße
Datum: 3. März 2014
Bericht Nr: 454

Wenn man 1884 vor den Toren der Stadt über die Schönhauser Allee und Pappelallee nach Norden läuft, dann kommt man an das Ende Berlins. Auf dem weiteren Wege gewinnt die Umgebung eine ländliche Anmutung, bis man schließlich völlig von ländlicher Einsamkeit umgeben ist. "Hier ist endlich kein Berlin mehr – kein Haus mehr, so weit der Blick reicht, nur eine Windmühle und sandiger Hügel". Vor uns liegt Heinersdorf und von dem Dunst der hinter uns liegenden Stadt mit mehr als einer Million Einwohnern ist nichts zu spüren. "Man sieht nur das Nächste, das nächste Haus, die nächste Straße, die Windmühle, den Sandhügel – und eine Lerche schwirrt über den Feldern und singt".

So beschreibt der Flaneur Julius Rodenberg 1884 eine Wanderung nach Heinersdorf, das damals noch nicht zu Pankow und erst recht nicht zu Berlin gehört, sondern seit 1319 ein eigenständiges Dorf ist. Während sich in der Gründerzeit die Arbeiter-Mietskasernen weiter ins Umland vorwärts schieben und Terraingesellschaften die Umgebung von Dörfern zu Siedlungen für die Großstädter ausbauen (1), zieht über Heinersdorf die Lerche ungestört ihre Kreise. Die suburbanen Quartiere mit Gartenstädten, Reihenhäusern und Miethäusern, die woanders in enormem Tempo entstehen, gründen sich immer dort, wo ein Bahnanschluss vorhanden ist. Die Bahn schaufelt die Berliner aus der Enge der Großstadtquartiere heraus vor die Tore der Stadt. In dörflichen Gastwirtschaften und Tanzetablissements vergnügen sie sich, einzelne Berliner bleiben für immer, bauen hier ein Haus. Schließlich werden Mietwohnhäuser gebaut, immer mehr Berliner ziehen in das vorstädtische Quartier. Anderswo entwickeln Terraingesellschaften Siedlungen an einer Bahnstrecke, indem sie einen Bahnhof anlegen lassen, Straßen planieren und Baugrundstücke parzellieren (2). Immer ist es der Bahnhof, der die Entwicklung vorantreibt.

Heinersdorf liegt zwischen zwei Bahnhöfen - dem Bahnhof Pankow-Heinersdorf und dem (ehemaligen) Industriebahnhof Heinersdorf -, das ist wohl so, als wenn man zwischen zwei Stühlen sitzt. Das Dorf liegt nicht nahe genug am Bahnhof für den Personenverkehr, und so wird es zum Mauerblümchen, das nicht mit dem Wohnungsbau, aber in unserer Zeit mit einem enorm gewachsenen Durchgangsverkehr an die Innenstadt herangerückt ist, denn durch das Dorf führt eine frühere Heerstraße, die vom Prenzlauer Tor in Berlin über Heinersdorf, Blankenburg, Karow nach Buch verläuft.

Die Industriebahn von Friedrichsfelde nach Tegel berührte seit 1907 Heinersdorf östlich des Dorfkerns, der Güterbahnhof lag zwischen Malchower und Blankenburger Straße. Die Gleise führten dann im Norden um das Dorf herum und unterquerten die Stettiner Bahn. Seit 1842 führte hier die Fernbahnstrecke vom Stettiner-Bahnhof (heute Nordbahnhof) nach Angermünde westlich am Dorf vorbei, aber erst 1893 erhielt Heinersdorf einen eigenen Bahnhof. Die umliegenden Dörfer und Orte waren wesentlich früher angeschlossen worden, Blankenburg, Berlin-Buch, Pankow, Karow, 1877 bis 1882.

Das Dorfzentrum von Heinersdorf liegt anderthalb Kilometer Luftlinie vom Bahnhof entfernt. 1904 schob sich dann auch noch ein Rangierbahnhof mit Bahnbetriebswerk und einem Rundlokschuppen auf einer Fläche von 35 Fußballfeldern zwischen Dorf und Bahnhof. Der Zugang der Heinersdorfer zu "ihrem" Bahnhof wurde dadurch weiter erschwert. Heute führt der Bahnhofsausgang direkt auf den Seitenstreifen der autobahnmäßig ausgebauten Bundesstraße 109, auf dem man einen halben Kilometer laufen muss, ehe eine Querstraße zum Dorf abzweigt. Dabei bebaut man im Ortskern gerade die "Heinersdorfer Gärten" und den "Heinersdorfer Bogen", die S-Bahn wird den Neubürgern aber nicht einmal von den Maklern angepriesen, obwohl die sonst alles schön reden können. Sie verweisen lieber auf die Straßenbahn, die vom Alexanderplatz hierher fährt. Deren Vorgängerin, die erste Pferdebahn, verband aber zunächst nur das nördlich liegende Französisch Buchholz (3) mit dem Bahnhof Heinersdorf und brachte den Heinersdorfern, die nach Berlin wollten, keine Verbesserung.

Zu den Kleingartensiedlungen "Am feuchten Winkel" kann man vorher von der Bundesstraße über die Böschung auf einer Treppe heruntersteigen. Das Kleingartengelände wurde 1905 von der Bahn verpachtet, die es offensichtlich als Reservefläche vorhielt, um den Rangierbahnhof um ein weiteres Drittel vergrößern zu können. Der Name "feuchter Winkel" kommt nicht von ungefähr, hier befand sich nahe der Panke der Schmöckpfuhl, ein eiszeitlicher See, den die Bahn für ihren Rangierbahnhof trocken gelegt hat. Wehe hier baut einmal unsere Senatsbaudirektorin, dann entdeckt sie wie bei der Staatsoper völlig überrascht beim Wegsacken der Fundamente, dass hier der Boden morastig ist, ein weiteres "Mahnmal für den unbekannten Baugrund" (Tagesspiegel) wäre dann fällig.

Der Rundlokschuppen (Ringlokschuppen) am ehemaligen Rangierbahnhof war bisher dem Verfall preisgegeben, obwohl er ein äußerst seltenes technisches Denkmal der Eisenbahnzeit ist und andere Städte gezeigt haben, wie man ihm neuen Atem einhauchen könnte (4). Aber es besteht Hoffnung, dass der Rundlokschuppen eine Zukunft bekommt, seit der Inhaber von Möbel-Höffner auf dem Bahngelände sein Projekt "Pankower Tor" realisieren will. Wohnungen, eine Schule, ein Park und natürlich ein Einkaufszentrum mit seinem Möbelhaus sollen hier entstehen. Das Gelände um den Rundlokschuppen ist jetzt abgesperrt, um weiteren Vandalismus zu vermeiden. Google Street-View hat das noch nicht mitbekommen, hier kann man im Moment noch virtuell durch das Gelände fahren. Umfangreiche Foto- und Videosammlungen von heimlichen Besuchern können im Internet auf Seiten wie rottenplaces, rottenrails, rottenruins angesehen werden. Die heikle Balance von Erhaltenem und Verfallenem hat ihre eigene Ästhetik, Ruinen sind nutzlos, aber von eigenem Reiz und eigener Schönheit. Caspar David Friedrich hat ihnen mit seinen Zeichnungen und Gemälden der Klosterruine Eldena Ausdruck verliehen. In Zeiten romantischer Ruinenverklärung hat man Ruinen sogar künstlich gebaut, beispielsweise auf dem Ruinenberg gegenüber Sanssouci. Nach heutigem Denkmalverständnis werden symbolisch aufgeladene, emotionale Erinnerungsorte wie die teilzerstörte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in ihrem Zustand konserviert, um den Bruch in unserer Geschichte sichtbar zu halten.

An einer ganz anderen Veränderung in unserer Gesellschaft hatte sich in Heinersdorf ein heftiger Streit entzündet, als hier die erste Moschee im ehemaligen Ost-Berlin errichtet wurde. "Liebe für alle - Hass für keinen" ist das der Motto der Ahmadiyya-Gemeinde, ihre Khadija Moschee liegt unauffällig in einem Gewerbegebiet, weit zurückgebaut von der Baufluchtlinie. Der 66-jährige Imam, der die Moschee 2008 eingeweiht hat, musste im Januar eine andere Gemeinde übernehmen. Sein 28-jähriger Nachfolger soll offen, tolerant und großzügig sein und Respekt vor allen Menschen haben. Den Kampf innerhalb der Gesellschaft, ob der Islam zu Deutschland gehört, trägt die Moschee-Gemeinde stellvertretend für uns alle aus. Wir wurden in die Moschee gebeten, konnten uns informieren, alles ansehen und fotografieren. Das Gebäude ist schlicht, "Bauhausstil mit Minarett" nannte es das Deutschlandradio Kultur. Man kann hoffen, dass der schlichte und unauffällige Auftritt der Gemeinde im Laufe der Zeit die Gemüter weiter beruhigt, schließlich war und ist das Fremde, Abweichende, nicht Vertraute oft bedrohlich und wird erst nach und nach anerkannt und integriert.

Kirche, Schule, Rathaus, das gehört in die Dorfmitte. Kirche und Schule gibt es, das Rathaus nicht wirklich. Ein 46 Meter hoher Turm sollte neben dem Rathaus stehen. Der Turm wurde 1910 gebaut, als viereckiger Wasserturm. Der Rathausbau verzögerte sich durch den Ersten Weltkrieg und dann war das Rathaus überflüssig, als Heinersdorf 1920 nach Groß-Berlin eingemeindet wurde. Der Wasserturm wurde auch nicht lange gebraucht, weil der Ort an das Berliner Wassernetz angeschlossen wurde. Es folgten zwei Nutzungen, für die der Turm eigentlich nicht vorgesehen war: Die Nazis errichteten hier eine Flakstellung und die Sowjetische Besatzungsmacht spionierte von hier oben den Flugverkehr in Tegel aus. Ob jetzt bei der geplanten Sanierung Wohnungen im Turm geschaffen werden? Die 80 Quadratmeter große Dachterrasse wird wohl auf jeden Fall ein prominenter Ort werden. Das provisorische Gitter auf der Turmspitze würde dann einer soliden Brüstung weichen müssen.

An der Romain-Rolland-Straße, der ehemaligen Dorfstraße, steht das Anwesen eines Pferdehändlers, gebaut 1876. Er hatte nicht nur Pferdeställe, sondern auch einen dreistöckigen Taubenturm (5) auf seinem Vierseithof errichtet. Das Wohnhaus mit vielfachem klassizistischem Dekor - unter anderem einer Florastatue - bröckelt vor sich hin. Es ist zwar eingerüstet, weitere Zeichen einer beginnenden Sanierung sind aber nicht zu erkennen. Die Nachbarhäuser - ebenfalls denkmalgeschützte Bauernhäuser - dämmern einem Zustand der Verwahrlosung entgegen.

Die Dorfkirche enthält noch ihren mittelalterlichen Kern aus Feldsteinen, hat diesen Charakter aber durch mehrere An- und Umbauten im Laufe der Jahrhunderte weitgehend verloren. Der Kirchhof ist aufgelassen und fast unkenntlich geworden. Schon Wolfgang Wohlberedt, der unermüdliche Amateur-Friedhofsforscher, schrieb vor 60 Jahren: "Es sind nur noch einige wenige verwitterte Grabmäler der altansässigen Familien vorhanden". Heute finden wir nur noch ein intaktes Grabkreuz, das aber belegt, dass schon Ende des 19.Jahrhunderts Grabdenkmale industriell hergestellt wurden. Aus Katalogen konnte man Produkte in verschiedene Formen und Preisklassen aussuchen, dieses hier wurde von W.Poppe aus der Prinzenallee geliefert. Das Grabdenkmal mit zwei verbundenen Lorbeerzweigen und einer Blüte in Sternform als Hinweis auf die erhoffte Auferstehung trägt auf der Rückseite die tröstende Botschaft:

"Du bist nicht tot, schloß auch Dein Auge sich
in unserem Herzen lebst Du ewiglich"

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(1) Terraingesellschaften: Terraingesellschaften
(2) Entwicklung einer Siedlung am Beispiel Frohnau: Die steuerfreie Stadt
(3) Französisch Buchholz: Prozession zu den Hugenotten
(4) Ausführlich über Ringlokschuppen: Kein kulturelles Herz
(5) Mehr über Taubenhäuser: Tauben im Paradies



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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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DDR-Botschaftsviertel in Pankow
Pankower Genius