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Wem gehört Berlin?


Stadtteil: Pankow
Bereich: Kissingenviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Kissingenstraße
Datum: 5. Januar 2015
Bericht Nr: 491

Im 18.Jahrhundert gehörten wesentliche Flächen der Stadt einigen wenigen Grundbesitzer-Clans. Die einen, die Bötzows, waren eine weit verzweigte Familie, ihnen gehörte ein Fünftel der Bodenfläche zwischen Frankfurter Allee und Humboldthain. Ein Gutshaus ist heute noch an der Alten Schönhauser Allee erhalten (1), der Name Bötzow ist durch die Familien-Brauerei überliefert (2). Entlang der Schönhauser und Prenzlauer Allee erstreckte sich bis nach Pankow Bötzower Grundbesitz, er gehörte Martin, Christoph Friedrich, Martin Ludwig, Johann Carl, Friedrich Wilhelm, Johann Christian, Georg Bötzow oder weiteren Familienmitgliedern. Vielleicht wird eines Tages eine Soap-Opera wie Denver oder Dallas über die Bötzows gedreht werden.

Vom Ackerbürger zum Millionär, das war die Vision von Wilhelm Griebenow (3). Der Sohn eines einfachen Ackerbürgers hatte in eine begüterte Berliner Familie eingeheiratet und mit Grundstücksspekulationen im Prenzlauer Berg an der Schönhauser Allee wesentliche Flächen erworben. Die Anlage der Kastanien- und Pappelallee gehen auf Griebenow zurück. Als Terrainunternehmer parzellierte und verkaufte Griebenow die erworbenen Flächen. Borsig erwarb von ihm das Areal in Moabit, auf dem er sein Eisenwerk errichtete (4). Zwar gelang es Griebenow nicht, das hochherrschaftliche Rittergut Groß-Leuthen zu übernehmen, das adlige Anwesen blieb ihm wegen seiner bürgerlichen Herkunft versagt. Aber seine Töchter wurden mit Grafen und Freiherren verheiratet, eine bekam das neu erbaute Schloss Biesdorf (5) als Mitgift.

Große Flächen gehörten auch Wilhelm Gotthold Büttner und seine Familie. Es war kein großer Clan, nur er und sein Schwiegersohn Dr. Ferdinand Spiekermann waren Großgrundbesitzer, aber ihnen gehörte die größte Ackerwirtschaft Berlins. Ihr Gutshof an der Alten Schönhauser Straße, Linienstraße und Rückerstraße ist nicht erhalten (6). Wiesen und Felder gehörten Büttner in Mitte, Friedrichshain, Moabit, Wedding, Pankow, Lichtenberg. Die Ländereien bis zur Pankower und Weißenseer Feldmark hoch grenzten an den Bötzowschen Landbesitz an. Die "Schäferei-Gerechtigkeit" hatte Büttner "angeheiratet", als er die Witwe eines Gutsbesitzers ehelichte. Damit hatte er das Recht, seine Schafe auf fremdem Weideland (Brachland) weiden lassen. Jetzt konnte er seine Schafe Unter den Linden entlang treiben, ihm gehörten wohl 1.200 Tiere. Man sagte, seine Hütung reiche soweit, wie der Himmel blau ist. Als die Stadt sich ausdehnte, wurden seine Wiesen und Felder zu begehrtem Bauland. Die Kasernen an der Kruppstraße und Rathenower Straße (7) stehen auf der ehemaligen "Büttnerschen Feldmark". Auch der Jüdische Friedhof an der Schönhauser Allee (8) liegt auf ehemals Büttnerschem Gelände. Eine seiner Töchter heiratete einen Bötzow, so verbanden sich beide Großgrundbesitzer-Familien.

Das Kissingen-Viertel, das wir heute besuchen, wurde auf ursprünglich Büttnerschem Ackerland errichtet. Doch zunächst noch ein Blick auf die Frage, wem Berlin heute gehört. Großgrundbesitzer gibt es nicht mehr. Abgesehen von Gewerbegrundstücken ist die Eigentumsfrage vor allem bei Wohnungen brennend. Berlin hat 1,9 Millionen Wohnungen. Den "Guten", den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften, gehören mehr als ein Viertel aller Berliner Wohnungen (28 %). Im Eigentum ihrer Bewohner sind als Eigentumswohnungen und Häuser 15 % der Wohnungen. Das ist die schwächste Eigentumsquote in der ganzen Bundesrepublik, Berlin ist eine Mieterstadt. Größte private Wohnungsgesellschaft ist die Deutsche Wohnen (einschließlich der GSW) mit 6 % des Berliner Wohnungsbestandes, die beiden nächst kleineren Gagfah und Annington haben je weniger als 1 %. Die restliche Hälfte der Berliner Wohnungen gehört privaten Hauseigentümern und kleineren Wohnungsgesellschaften. Es gibt teilweise heftige Bewegungen auf dem Grundstücksmarkt, Wohnungsbestände werden hin und her geschoben.

Das Kissingenviertel ist ein unaufgeregtes Stadtviertel oberhalb der verlängerten Bornholmer Straße (Wisbyer Straße) bis hoch zum Bahngelände Pankow/Heinersdorf. Dort wartet derzeit der ehemalige Güterbahnhof auf eine Neubebauung, nur der Ringlockschuppen in seinem kritischen Erhaltungszustand ist dort bestehen geblieben (9). Das Stadtviertel ist kein Kiez, es fehlt das soziale Bezugssystem, die gemeinsame Identität, das unsichtbare Band, das alles zusammen hält. Geprägt wird es durch mehrere Wohnsiedlungen aus den 1920er und 1930er Jahren von wenig bekannten Architekten, von bekannten Architekten wie Mebes und Emmerich und von Star-Architekten wie Erwin Gutkind und Otto Rudolf Salvisberg. Über zwei Gemeindeschulen und das Gerichtsgebäude ist das Viertel mit dem westlich liegenden Alt-Pankower Zentrum funktional verbunden.

Durchgangsstraßen wie die nach einem Schlächtermeister und ehrenamtliche Ortsvorsteher benannte Neumannstraße bestanden bereits 1889, die Erschließungsstraßen für die Bebauung wurden überwiegend erst um 1905 angelegt. Dazu gehört auch die entsprechend ihrer Bepflanzung benannte Lindenpromenade, die seit 1936 Elsa-Brändström-Straße heißt. Interessant ist die Benennung der Spiekermannstraße, denn hier finden wir den Großgrundbesitzer geehrt, dem früher das gesamte Viertel als Ackerland gehörte. Die Vermarktung der Flächen während der unaufhaltsam nach Norden Richtung Pankow fortschreitenden Bebauung lag nicht in der Hand der ehemaligen Großgrundbesitzer, längst waren die Grundstücke über mehrere Investoren weiter gereicht worden, so wie wir das bis heute erleben können.

Bankenkrisen, überbewertete Grundstücke, faule Immobilienkredite gibt es nicht erst heute. Die Hypothekenbanken, die das Geld für die Immobilienentwicklung bereitstellen und teilweise auch selbst Immobilien entwickeln, sind im Boom der Gründerzeit nach 1871 mehrfach durch Krisen geschliddert, mussten reorganisiert oder aufgefangen werden. An den Grundstücken des Kissingenviertels kann man das exemplarisch nachvollziehen. Die Pommersche Hypotheken-Aktienbank, die in einem Bankpalast von Ludwig Hoffmann an der Behrenstraße Ecke Markgrafenstraße in Mitte residierte, kam in Schwierigkeiten und musste das Grundstückspaket an eine neu gegründete Tochtergesellschaft, die "Immobilien-Verkehrsbank" - eine klassische “Bad Bank” - übertragen. Das nutzte nichts, denn trotzdem mussten die Pfandbriefe um 20 % abgewertet werden, um die Pommersche Bank zu retten. Ein neuer Name musste her, sie hieß jetzt Berliner Hypotheken-Bank, das klang unbelastet.

Die "Immobilien-Verkehrsbank" hat dann der katholischen Kirche den Bauplatz für die St.Georg-Kirche an der Kissingenstraße geschenkt und der Stadt das Grundstück für die Gemeindeschule. Das war nüchterne Kalkulation und kein Akt der Barmherzigkeit, schließlich mussten Terraingesellschaften immer die Infrastruktur mit liefern, um ihre Parzellen verkaufen zu können (10), und die Bank hat hier offensichtlich auch Bodenentwicklung mit betrieben. Dann wurde schließlich als dritte die "Boden-Aktiengesellschaft am Amtsgericht Pankow" Eigentümer der Kissingenviertel-Grundstücke. Sie brauchte zwei Jahrzehnte, um den Verkauf zu Ende zu führen, wobei die Pommersche (und später Berliner) Hypobank zum Schluss noch einmal bluten musste, eine Resthypothek konnte nur zu einem Bruchteil ihres Nennwertes zurückgezahlt werden.

Die Wohnanlagen, die wir auf unserem Rundgang sehen, lassen nichts von diesen Gründungsschwierigkeiten erkennen, schließlich wurden sie erst viele Jahre später errichtet. An der Granitzstraße gegenüber dem Bahngelände gruppieren Mebes und Emmerich ihre Bauten um Innenhöfe. Der Baumbestand führte zu den Namen Birkenhof, Tannenhof und Kastanienhof. Die Blockrandbebauung von Otto Rudolf Salvisberg an der Kissingerstraße ist äußerlich in erbärmlichem Zustand und erlaubt keine Aussage über den ursprünglichen Entwurf.

Die "Zeppelin-Häuser" am Ende der Kissingenstraße haben ihre eigenwillige Benennung nach den tonnenförmigen Dächern, deren Zinkblechverkleidung dem gradlinigen Baukörper folgt. Das besondere aber findet sich darunter: Die Betonschalenbauweise, die für Wohnhäuser eher der Ausnahmefall ist. Wir kennen sie an spektakulären Bauten, die mit kühnem Schwung Räume überspannen und ungewöhnliche gedrehte oder gebogene Flächen zulassen. Hier geben sie dem Dach die Form eines Tonnengewölbes, auf dem dann das Zinkblech außen aufliegt.

Erwin Gutkind hat an der Thulestraße einen Eckbau geschaffen, der als "Stadtraumkunst" unverwechselbar seine Handschrift trägt. Wechsel von Klinker und Putz, flächige vertikale Betonung der Ecke, horizontale Fensterbänder, dazu zurückhaltend eingesetzte Farben an Haustüren und Fensterumrandungen, aber auch vielfache Unterteilung der Fensterflächen durch eingesetzte Sprossen, die den Blick hemmen können. Auch hier ist ein wesentliches Element außen nicht sichtbar: Der Bau wurde für die Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft konzipiert und umschließt einen großen und lebhaft gestalteten Wohnhof.

Heute haben uns Regen und Wind heftig zugesetzt. Da hat auch mal die Fotolinse einen Tropfen abbekommen, wenn der Regenschirm beim Fotografieren seine eigenen Pirouetten gedreht hat. Der dadurch eintretende Tropfen-Lupen-Effekt hat gottlob nur einzelne Bilder getroffen.

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(1) Bötzow-Gutshaus Alte Schönhauser Straße: Die Spuren sind verweht
(2) Bötzow-Brauerei: Es gibt kein Bier in der Brauerei
(3) Wilhelm Griebenow: Griebenow, Wilhelm
(4) Borsig in Moabit: Die drei Villen der Borsig-Dynastie
(5) Biesdorf: Biesdorf
(6) Mehr über das Straßenkarree an der Rückerstraße: Die Spuren sind verweht
(7) Kasernen an der Kruppstraße und Rathenower Straße: Haben Sie gedient?
(8) Jüdischer Friedhof an der Schönhauser Allee: Liebend und geliebt badetest du in meiner Seele
(9) Pankow-Heinersdorf und der Ringlockschuppen: Zwischen den Bahnhöfen
(10) Terraingesellschaften: Terraingesellschaften

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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Pankower Genius
Fliegender Yogi auf Friedensmission