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Parkbänke mit und ohne Rückenlehnen


Stadtteil: Neukölln
Bereich: Reuterkiez
Stadtplanaufruf: Berlin, Weserstraße
Datum: 6. April 2015
Bericht-Nr.: 501

Einen Kleingarten vor der Tür im innerstädtischen Kiez schaffen - Baumscheiben begrünen, die Bäume schützen, sich für das eigene Umfeld engagieren. Dazu hatte 2011 das Quartiersmanagement Reuterkiez aufgerufen, eine Broschüre half bei Planung und Bau. Die Bewohner pflanzten Blumen und Kräuter um die Bäume und zogen niedrige Umgrenzungen um die liebevoll geschaffenen und gepflegten Flächen. Manche schufen Sitzgelegenheiten auf den Einfriedungen oder stellten Bänke heran. Eine saubere Sache, wenn sich Menschen vor ihrer Haustür für eine schönere Stadt einsetzen, oder?

"Die Sitzgelegenheiten sind illegal errichtet worden" meldet sich jetzt plötzlich das Bezirksamt und bläst zum Angriff auf die Sitzgelegenheiten, lässt 59 Baumscheiben-Bänke entfernen. Bürokratischer Irrsinn? Das Bezirksamt nennt drei Argumente, doch eine alte Einsicht besagt: Wer mehrere Argumente anführt, verschleiert den wahren Grund. Die Tür eines parkenden Autos könne beim Öffnen gegen die Bauscheibe stoßen, heißt es. Wiegt hier der Autoverkehr höher als eine lebenswerte Stadt? Das Ordnungsamt befürchte, dass Restaurants sich auf dem Bürgersteig bis zu den Baumscheiben ausbreiten könnten. Und schließlich: Nachts würden sich lärmende Rowdys nach Schließung der Lokale auf den Baumscheibenbänken räkeln. Wo das Bezirksamt schon mal dabei ist, regelt es preußisch genau, was denn erlaubt sei: Einfriedungen bis 30 Zentimeter Höhe ohne Sitzfläche, keine Bänke.

Eine ähnliche Entwicklung hat es bereits vor Jahren im Hansaviertel gegeben. Dort wurden die Parkbänke entfernt, die Nachbarschaftsvertretung hatte das durchgesetzt (1), weil "altbekannte Quartierspenner und andere sich der Parkbänke aus den 50er-Jahren bemächtigten" (Berliner Zeitung). Anti-Obdachlosen-Maßnahmen gibt es auch in anderen Städten. Die sichtbare Armut schafft Verlustängste und erinnert an die eigene Vergänglichkeit. Wenn ein Obdachloser in unserem Hauseingang nächtigt, fühlen wir uns wahrscheinlich konkret bedrängt. Anders ist es, wenn es darum geht, Obdachlose zu vertreiben, nur weil sie das Auge beleidigen, die Armut sichtbar machen. Wenn die Rücklehnen von Parkbänken weggelassen werden oder man unter Brücken Spikes aus Stein oder Beton ("Anti-Homeless-Spikes“) anbringt wie in Kapstadt. Aber es gibt auch Gegenbeispiele: Hamburg will wieder klassische Bänke mit Rückenlehnen aufstellen und fürchtet sich nicht vor Obdachlosen, die dort übernachten könnten, denn "es wäre ein Armutszeugnis für die Gesellschaft, wenn man meint, das Problem der Obdachlosigkeit im öffentlichen Raum lässt sich durch Bänke ohne Lehnen lösen". Hanseatische Lebensart, man wünscht sich mehr davon.

Im Neuköllner Reuterkiez praktiziert der Schönheitschirurg Dr. Mettmann, der aus schönen Frauen hässliche Männer macht. Die Kreuzkölln-Kops verfolgen seine Spur gewieft und knallhart, doch nach aller Erfahrung werden sie auch diesen Fall nicht aufklären können. So wie Lucky Luke - der Cowboy im Comic - mit seinem sprechenden Pferd Jolly Jumper werden die Kops von dem sprechenden Auto “Autopferd“ unterstützt, aber auch damit sind ihre skurrilen Fälle nicht lösbar. Junge Filmprofis haben die Kurzkrimis "Kreuzköllnkops" produziert. Aus einem Spaß heraus erzählen sie trashige Geschichten aus ihrem Kiez, sehen kann man das nur im Internet.



Ernsthafter und mit mehr Erfolg hat der ehemalige Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky die Probleme bei der Integration von Migranten angepackt. Nicht unumstritten, mit einem Anflug von Herrscherpose, aber eben auch mit vorzeigbaren Ergebnissen. Aus der problembeladenen Rütlischule wurde nach dem Brandbrief des Lehrerkollegiums der erfolgreiche Schul-Campus Rütli entwickelt. n-tv titelte sensationshungrig: "Terrorschule wird Vorzeigeobjekt". Wir sind heute im Reuterkiez von der Rütlistraße bis zum Neuköllner Schiffahrtskanal unterwegs, wegen der Ferien ist der Campus aber unbelebt. Eine Anwohnerin spricht uns an und weist auf die darbende Vegetation hin. Zur Schule fällt ihr nichts ein, da seien "die Erwachsenen" schuld, nicht die Kinder. Dabei hatten wir nicht nach Schuld gefragt, sondern wollten etwas über die Verwandlung des Kiezes erfahren.

"Ausgangspunkt für gelingende Integration" nennt der Campus zurückhaltend seinen bildungspolitischen Ansatz in dem heterogenen Neuköllner Kiez, kein Kind soll mehr verloren gehen. Der Campus umfasst eine Ganztagsschule (Gemeinschaftsschule 1. bis 13.Klasse), zwei Kitas, das Jugendfreizeitheim "Manege", eine Quartiershalle und ist baulich noch nicht fertig gestellt, wie die Brache an der Pflügerstraße zeigt. Die Rütlistraße ist an der Weserstraße für Autos gesperrt. Zwei überdimensionale Ochsenfrösche stehen am Anfang des 350 Meter langen Aktivitätsraums (Jugendstraße "Fusionstreet"), der von der interkulturellen Projektwerkstatt "Fusion" zusammen mit Jugendlichen und Anwohnern entwickelt wurde. Inzwischen sind die kreativen Köpfe von "Fusion" nicht mehr dabei, die "Manege" bietet jetzt (nur noch?) "sinnvolle Freizeitbeschäftigung" für Jugendliche an, es läuft nicht immer alles gradlinig in so einem Projekt.

"Müssen neuartige Lösungen moderner Baukunst zwangsläufig etwas Abenteuerliches haben, ja müssen sie unvermeidlich beinahe verrückt wirken? An Beispielen von verrücktem Modernismus mangelt es heute ja nicht". Diese Aussage stammt von keinem Zeitgenossen, sondern sie wurde 1926 in "Wasmuths Monatsheften für Baukunst" veröffentlicht, um als Kontrast "wohlklingender Kunstwerke" von Paul Mebes zu würdigen, der die architektonischen Tagesmoden "ihrer Fratzenhaftigkeit entwöhnte". Paul Mebes hat zusammen mit seinem Schwager Paul Emmerich fast drei Jahrzehnte lang eine Vielzahl von Wohnbauten und Wohnsiedlungen errichtet, ohne je den Architekten-Olymp zu erklimmen, in dem seine Zeitgenossen Mies van der Rohe, Bruno Taut, Hans Scharoun oder Walter Gropius saßen. Es war gute Wertarbeit, aber zum Schluss fehlte die persönliche Handschrift, die den Architekten in seinen Bauten erkennen lässt. Seine Entwicklung ging vom Historismus bis zur Klassischen Moderne. Auf diesem Weg gab es architektonische Zitate aus Barock und Klassizismus, dann expressive Formen mit Farb- und Materialkontrasten, später eine klare Sachlichkeit, die etwas karg wirkt.

Der Werra-Block im Reuterkiez entstand in den 1920er Jahren in Mebes' expressiver Phase. Sowohl in der Farbe als auch im Material setzen bei den verputzten Bauten die horizontalen Bänder aus Backstein ("Zebrahaus") einen lebhaften Kontrast. Auffällig ist die Häuserecke mit einem vorgesetzten überdachten Erker, aus dem ein dreieckiger Wandpfeiler hervorspringt. Im Innenbereich gehören Loggien zu den Wohnungen, für Querlüftung und Durchsonnung ist gesorgt.



Auch Bruno Taut hat im Reuterkiez mehrere Wohnanlagen errichtet. Am Kottbusser Damm Ecke Bürknerstraße hatten wir bei einem früheren Rundgang (2) einen Eckbau gesehen, der mit wellenförmiger Fassade und Ornamenten an den Balkonbrüstungen zu Tauts frühen Bauaufgaben (1910er Jahre) gehörte. Eine kubische weiß gestrichene Hausreihe in der Ossastraße mit 10 Aufgängen brachte er Ende der 1920er Jahre dadurch in Bewegung, dass er dem geraden Blockrand einen konkav eingezogenen Gebäudeverlauf entgegen setzte. Weitere zwei Lückenschließungen zwischen Mietskasernen in der Ossastraße und Fuldastraße boten weniger Spielraum. Diese Häuserfronten sind ebenfalls flächig angelegt, sie werden durch Loggien an den Rändern aufgelockert.

Die Häuserreihe am Weigandufer zum Neuköllner Schiffahrtskanal wurde nach Kriegsbeschädigung wieder aufgebaut. Das Schild "Aufbauprogramm 1952" am Haus Nr.14 weist stolz darauf hin, dass hier nach dem Krieg Kräfte für einen neuen Anfang gebündelt wurden. Einen echten Taut darf man hier aber nicht mehr erwarten. Mit plastischem Wandputz (Kellenputz) hatte er die Fassaden modelliert und Teile des Gebäuderiegels mit expressiver Farbigkeit städtebaulich hervorgehoben. Was davon vielleicht noch vorhanden sein könnte, ist inzwischen unter einer dicken grauen Wäremedämmschicht verborgen, die auch den Eindruck der Flächigkeit von Fassade und Fenstern zerstört. Nur das letzte Haus mit seinen in die Ecke eingeschnittenen Loggien lässt noch etwas von der Bauidee anklingen.

Zwei Bauten für die Infrastruktur Neuköllns zeugen vom Selbstbewusstsein der Stadt Rixdorf (ab 1912 Neukölln) in der Zeit nach der Jahrhundertwende, bevor 1920 Groß-Berlin entstand. In der Wildenbruchstraße verbirgt sich ein Pumpwerk hinter einem Wohngebäude. Das Pumpwerk war 1892 zunächst ein vom Blockrand zurückgesetzter, eingeschossiger schlichter Mauerwerksbau. Zwanzig Jahre später wurde das Wohn- und Verwaltungsgebäude an der Straßenfront errichtet und mit einen Verbindungsgang an das Maschinenhaus angeschlossen. Als die Kapazität nicht mehr ausreichte, baute man rückwärtig an der Schandauer Straße ein neues Pumpenhaus. Heute können da schon mal sphärische Gesänge von zarten und friedliebenden Wesen des Meeres durch den Raum schwingen wie bei der Performance "Meergeboren", denn das mehrstöckige Pumpenhaus wird jetzt als Ausstellungsraum genutzt.

Am Weigandufer errichtete 1911 der Neuköllner Stadtbaurat Reinhold Kiehl (3) ein Kraftwerk für Neukölln, das knapp zehn Jahre später in ein Fernheizwerk umgerüstet wurde. Inzwischen ist Vattenfall Hauptaktionär, weiterhin wird aber das großstädtische Kerngebiet von Neukölln von hier aus mit Wärme versorgt.

Trödelmarkt, Open-Air-Kino, Kiezoper, Partylocation, Club - die "Griessmühle" am Neuköllner Schifffahrtskanal ist "Berlins geilsten Clubgarten und Kulturstandort", jedenfalls meinen das ihre Macher. Auch kulturelle Veranstaltungen zu Berlins Geschichte, Kultur und Architektur wollen sie anbieten. "Nachts sind alle Katzen blau", warnt ein Buchtitel, aber wir sind ja tagsüber unterwegs und erreichen unser letztes Flanierziel nüchtern und mit letzter Kraft, um einen Blick auf die Griessmühle zu werfen, eine ehemalige Nudelfabrik. Später bei dem Griechen im Reuterkiez, den wir schon einmal besucht haben, sind heute keine Pfannen zu lange auf dem Herd geblieben, und so können wir uns erfreut dem Flaniermahl widmen.

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(1) Im Hansaviertel wurden die Parkbänke abgeschafft: Gestern war sie die Stadt von morgen
(2) Rundgang im nordwestlichen Teil des Reuterkiezes: Ein spiritueller Flaneur
(3) Mehr über Reinhold Kiehl: Kiehl, Reinhold

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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Ein spiritueller Flaneur
Ein Mohr wird weggezaubert