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Flugzeuge in Kisten verpackt


Stadtteile Neukölln, Treptow
Bereich: Neuköllner Schiffahrtskanal bis Görlitzer Bahn
Stadtplanaufruf: Berlin, Elbestraße
Datum: 2. Oktober 2024
Bericht Nr.:848

Zwischen Neuköllner Schiffahrtskanal und der Trasse der Görlitzer Bahn treffen Neukölln und Treptow an der früheren Sektorengrenze aufeinander. Die Grenze verlief im Zickzack durch dieses Gelände, manchmal in der Mitte der Straße, manchmal an der Häuserfront und den Vorgärten entlang. Nach dem Mauerbau ergab das irrwitzige Situationen, teilweise konnten Bewohner ihre Häuser nur auf einem Trampelpfad durch den Vorgarten betreten und verlassen. Baulich haben sich inzwischen die durch den Mauerbau entstandenen Lücken weitgehend geschlossen.

Otto-Reichel-Höfe
In der Elbestraße kommen wir mit Richard Otto Reichel ins Gespräch, der in 4. Generation die Otto-Reichel-Höfe führt. Seine Vorfahren hießen ebenfalls alle Otto Reichel, so wie es über der Hofeinfahrt steht. Von einer Familiendynastie zu sprechen, wäre wohl zu hoch gegriffen, es ist eher eine "Vererbung" des Vornamens auf die Söhne und Enkel, so wie man sie aus Amerika kennt.

In einer Halle auf dem dritten Hof hat Dr. Otto Reichel vor hundert Jahren begonnen, Essenzen zur Herstellung von Likören zu produzieren. Vom Kunden zu Hause aufgefüllt, erhielt er damit den "Geist im Glas". Wie das geht, konnten die Kunden nachlesen in einem "Rezeptbüchlein enthaltend erprobte Vorschriften zur Selbstbereitung von Branntweinen Edellikören und Likören mit Reichel-Essenzen von Dr. Otto Reichel" (1931), das heute noch in mehreren Antiquariaten zu finden ist.

Über die Jahre war die Fabrikhalle nach Aufgabe der Destillation von verschiedenen anderen Mietern unterschiedlicher Branchen genutzt worden. Vor zehn Jahren öffnete Richard Otto Reichel dort ein Restaurant, das inzwischen sogar von den Restaurantguides Gault&Millau und Guide Michelin erwähnt wird. Mit Understatement nennt es sich "Kantine" im Untertitel, ansonsten führt es die frühere Neuköllner Postleizahl "1 Berlin 44" im Namen: "eins 44". So wie bei den weißen Steinfassaden der Hofgebäude wurden auch im Gastraum soweit notwendig akribisch die alten Fliesen, Lampen und Ausstattungsgegenstände ergänzt.


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Das Vorderhaus auf dem Grundstück wurde im Krieg zerbombt. Neu ausgelegte Bodenplatten haben den Hof versiegelt. Von seinen Neubauplänen für das Vorderhaus hat der Eigentümer das Bezirksamt nicht überzeugen können, er sei an deren starrer Haltung und überzogenen Auflagen gescheitert. So zeigen heute noch die notdürftig verputzten Flächen der Seitenflügel zur Straße.

Elbestraße
Die Elbestraße verläuft von der Sonnenallee bis zum Neuköllner Schiffahrtskanal. Direkt gegenüber dem Kanal geht die Bouchéstraße nach Treptow hinein Eine Brücke gibt es nicht, obwohl die Straßen sich erkennbar aufeinander beziehen wie die Königskinder, die zueinander nicht kommen konnten.

Außergewöhnlich ist die Ausstattung der Elbestraße mit einem Mittelstreifen und vier Baumreihen auf beiden Bürgersteigen und in der Mitte. Das sieht nach einer Allee, einem Boulevard aus. Die umliegenden Straßen (z.B. Fuldastraße, Weichselstraße, Weserstraße) sind normale Stadtstraßen, obwohl auch sie in den 1890er Jahren angelegt wurden.


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Das Bezirksamt vermutet, dass die Elbestraße als Promenade geplant wurde. Das ist gut möglich, damals gab es den Kanal noch nicht, dort verlief der Wiesengraben, der später 1903 für den Kanalbau genutzt wurde. Am Wiesenufer (heute Weigandufer) hätten die Promenierenden dann weiter lustwandeln können. Heute ist der Mittelstreifen mit Autos vollgeparkt, die Straße und Bürgersteige sind reparaturbedürftig. Die Notwendigkeit von Reparaturmaßnahmen haben die Planer auf eine radikale Idee gebracht, wie man die Elbestraße in den überortlichen Radweg vom Tempelhofer Feld nach Treptow einbinden könnte.

Mit dem Fahrrad von Tempelhof nach Treptow
Das Projekt sieht vor, das mittlere Drittel der Elbestraße komplett für den Autoverkehr zu sperren, das Einbiegen von der Sonnenallee führt dann auf eine Sackgasse. Nur noch Fußgängern und Radfahrern wird das Passieren des gesperrten Abschnitts gestattet sein. "Modalfilter" heißt bei den Planern diese Abriegelung für bestimmte Verkehrsteilnehmer, das hört sich besser an als Sperrung. Stellplätze auf den Grundstücken sollen dann über interne Querungen erreicht werden können. Müssen da nicht die Grundstückseigentümer zustimmen? Die Zustimmung wird wohl unterstellt.

Der Gehweg vor der Elbe-Schule und der Mittelstreifen sollen zu einer Schul- und Nachbarschaftsfläche verbunden werden. Betriebe wie die Otto-Reichel-Höfe können dann nur noch über Umwege (Weigandufer, Schandauer Straße) erreicht werden. Von den 292 Parkplätzen an der Elbestraße (laut Zählung "ohne die verbotswidrig abgestellten Fahrzeuge") sollen nur 43 Parkplätze erhalten bleiben. Ersatz durch ein Parkhaus o.ä. für Anwohner, die ihre Fahrzeuge nicht abschaffen können, ist nicht vorgesehen.

Am nördlichen Ende stößt die Elbestraße auf den Kanal. Zu einer durchgehenden Radverbindung von Tempelhof nach Treptow wird dieser Verlauf aber nur, wenn über den Kanal eine Brücke zur Bouchéstraße gebaut wird, die drüben aufnahmebereit lockt. Die Planer fabulieren von einer Rad- und Fußverkehrsbrücke, die "perspektivisch" entstehen soll. Einen Zeithorizont, wie lange Planung, Finanzierung und Bau brauchen werden, nennen sie nicht. Es wird wohl Jahre bis Jahrzehnte dauern, solange müssen die Radfahrer die Sackgasse umfahren über die nicht entsprechend ausgebauten Uferstraßen und die Wildenbruchbrücke.

Kistenfabrik
Auf dem Grundstück Elsenstraße 52 waren früher eine Etagenfabrik, ein Maschinenhaus und ein Pferdestall nachgewiesen. Alfred Schrobsdorff, der "Baukönig von Charlottenburg", hatte diese Anlagen errichtet. Er war nicht nur Baumeister, sondern auch ein umtriebiger Bauspekulant. Hier in Neukölln war er auf fremdem Terrain tätig, 41 seiner 42 in der Denkmaldatenbank nachgewiesenen Bauten realisierte er in Charlottenburg.

In Neukölln hat er für eine Kistenfabrik eine Fabrikanlage mit einem Holzlager auf dem Hof konzipiert, in der hundert Arbeiter für den Stellmachermeister Wilhelm Pflugrath Verpackungen herstellten. Für ein mittelständisches Unternehmen eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte: Das 1888 von ihm gegründete und von seinen Söhnen fortgesetzte Unternehmen bestand genau einhundert Jahre, dann wurde es verkauft.


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Das Unternehmen wuchs schnell und profitierte von der Industrialisierung Berlins. Je mehr produziert wurde, desto mehr wurde verschickt. 1937 entwickelte das Unternehmen Übersee-Kisten für den Transport von Flugzeugen im Auftrag der Heinkel- und Henschel-Flugzeugwerke. Diese hölzerne Umverpackungskisten waren 14 bis 16 Meter lang und ähnelten heutigen Containern. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte Pflugrath zunächst Särge her, die abgewanderte Industrie hatte nicht mehr viel zu verschicken. Bereits 1952 hatte das Unternehmen einen neuen Markt erschlossen und stellte "zerlegbare Dauer-Versandbehälter für Post-, Bahn-, Spedition- und spezielle Luftfracht“ her sowie Emballagen (Verpackungen) und Paletten.

Neukölln und Treptow
Im Zickzack überschreiten viele Straßen in diesem Viertel die ehemalige Sektorengrenze zwischen Neukölln und Treptow, beispielsweise Bouchéstraße, Elsenstraße, Wildenbruchstraße, Harzer oder Heidelberger Straße. Diese skurrilen Grenzverläufe innerhalb des Viertels sind heute kaum mehr sichtbar. An der Heidelberger Straße ist ein Teil des Grenzstreifens und Postenweges der Grenzer und eine wilde Grünfläche erhalten geblieben. Andere Lücken wurden durch Neubauten geschlossen.


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Auf der Elsenstraße sind wir inzwischen in Alt-Treptow angelangt.

Direkt hinter der ehemaligen Hochbahntrasse der Görlitzer Bahn haben Bundeskriminalamt und die Schlapphüte (Bundesamt für Verfassungsschutz) das Kasernengelände des früheren "Königlich-Preußischen Telegraphen-Bataillons Nr. 1" übernommen. Nato-Stacheldraht als Übersteigschutz und ein Hochsicherheitszaun umfrieden das Gelände, auf dem auch das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum eingerichtet wurde.


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Hier arbeiten beide Behörden zusammen und müssen gleichzeitig Abstand wahren, da dem Verfassungsschutz keine Durchsuchungen und Festnahmen gestattet sind wie der Polizei. Bayern nannte das "Leerlauf in Treptow". Die Furcht vor einer neuen Gestapo wie im Dritten Reich hatte schon früh zu dieser Trennung geführt. (Ausnahmsweise war es nicht der Datenschutz, der die sinnvolle Bündelung von Informationen verhindert hat). Auch die "Sicherungsgruppe" des Bundeskriminalamtes, die für den Schutz gefährdeter Politiker verantwortlich ist, sitzt auf dem ehemaligen Kasernengelände.

Der Platz hat eine längere Geschichte. Auf der später weitgehend abgeholzten Cöllnischen Heide befand sich hier ein Bruchwald (sumpfiger Wald), der Elsenbusch: Ein mit Elsen (Erlen) bepflanzter Wald, der der Elsenstraße seinen Namen gab. Ein angrenzender Exerzierplatz wurde 1908 zum Kasernengelände der "Kavallerie-Telegraphen-Schule" und des "Königlich-Preußischen Telegraphen-Bataillons Nr. 1". Danach zogen im Laufe der Jahrzehnte ein Polizeiamt, die Heeres-Waffenmeister-Schule, die kasernierte Volkspolizei, die Leitung der DDR-Grenztruppen, ein Jägerbataillon der Bundeswehr und Asylbewerber dort ein, bis es zum Hochsicherheitsgelände wurde.

Kopfstraße
Zum guten Ende noch ein Zufallsfund, eine Neuköllner Begebenheit (oder Legende?): Im Bezirk gibt es die Kopfstraße. die angeblich ihren Namen von den Kopfschmerzen des Terrainentwicklers abgeleitet hatte. Eine namenlose Straße sollte umgehend bebaut werden, er machte sich so verzweifelt auf die Suche, dass er davon Kopfschmerzen bekam. Schließlich fiel ihm nichts Besseres ein, als den Straßennamen von dieser Suche abzuleiten.

Beim abschließenden Besuch eines Cafés schmerzt mein Kopf nicht, er ist noch ganz wach. Ein Plakat, das eine Ausstellung "wunderful world" ankündigt, trennt wunder-ful mit einem Bindestrich, weil es nicht in eine Zeile passen will. Das sieht befremdlich aus, kann man im Englischen mit einem Bindestrich trennen? Wie es der Zufall will, ist sachkundiger Rat zur Stelle: Der junge Mann, der uns bedient, hat die englische Sprache studiert und bestätigt: Das geht gar nicht!


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Ein Baum aus der Zeit der Dinosaurier