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Wie stellt man "Zukunft" im Bild dar?


Stadtteil: Wedding
Bereich: Leopoldkiez
Stadtplanaufruf: Berlin, Liebenwalder Straße
Datum: 22. März 2023
Bericht Nr.:800

Wie ein ausgebeultes Trapez, das auf einer Ecke balanciert, umfassen vier vielbefahrene Straßen den Leopoldkiez, den wir heute weiter erkunden wollen: Die Müllerstraße erstickt auf Höhe Seestraße und Leopoldplatz im Straßenverkehr. Auch die Fußgänger knubbeln sich dort, am Leopoldplatz sind sie zu zwei sich kreuzenden U-Bahnlinien und (noch) zu Karstadt unterwegs.

Seestraße, Schulstraße und Reinickendorfer sind die drei weiteren Verkehrsadern, die den Leopoldkiez begrenzen. Unglaublich entspannt und fast beschaulich liegt er mit seinen großstädtischen Bauten zwischen den Verkehrsadern. Dort ist der Wedding "ohne das Überdrehte von Prenzlauer Berg, den angestaubten Chic von Charlottenburg oder das Rollkoffer-Geklapper von Kreuzberg" schreibt eine Heimatseite mit leichten Seitenhieben gegen konkurrierende Bezirke.

Großflächige Wandbilder wird man typischerweise in Kreuzberg verorten, auf unserem Rundgang sind uns auch im Wedding mehrere begegnet. Das Bemalen, Besprühen und Bekleben der Flächen und Wände hat einmal subversiv begonnen, dann hat die Stadtgesellschaft Spaß daran gefunden, dass blinde Hausflächen zu Kunstwerken werden. Die "Murals" wurden zu einer Kunstgattung, meist werden sie heute als Auftragsarbeiten vergeben.

Wunderful Wedding
An der Utrechter Straße nahe Müllerstraße muss man in einen Parkplatz hereingehen, um das Wandbild "Wunderful Wedding" des Künstlers Hannes Höhlig vollständig zu sehen. Der in Falkensee Geborene nennt sich mit Künstlernamen "age age". In Düsseldorf hat er Kommunikations-Design studiert, er lebt in Moabit. Die fantastischen Elemente auf seinem Bild verweben sich zu einem haushohen Comic.


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Höhlig gestaltet gerade am Alexanderplatz eine Teilfläche des Bauzauns, der die Hochhaus-Baustelle des Investors Covivio umgibt. Eine Skandal-Baustelle, die den U-Bahntunnel der U 2 hat absacken lassen, weil wenige Meter neben der U-Bahnröhre die Tiefgarage unsachgemäß ausgebaggert wurde. Der Fall erinnert an die Friedrichswerdersche Kirche, die ebenfalls durch direkt benachbarte Tiefbauarbeiten eines Investors einsturzgefährdet war.

Wegen des abgesackten Bahntunnels kann die U-Bahn nur einspurig im Pendelverkehr an der Baustelle vorbeifahren, aber ein Aufschrei blieb aus, auch von den Stadtbewohnern. Die BVG lässt sich von dem Investor vorführen und akzeptiert gottergeben, dass die Störung erst nach mehr als einem Jahr behoben werden soll. Den Wahlspruch des Schadensverursachers "Jede Zeit baut ihre Stadt" könnte man als Sarkasmus verstehen. Auf seiner Homepage bedauert er lediglich, "dass das Hochhausprojekt sich verzögert", die andauernden Belastungen für die Berliner Bevölkerung sind für ihn kein Thema.

Jugendstil und Fotorealismus mit Schraffur
An der Turiner Straße sind die Brandwände von zwei Mietshäusern mit Murals geschmückt. Die Bauten umgeben den Friedhof, über den wir weiter unten berichten. Der Künstler Mario Kwast hat für die GESOBAU eine Jugendstilmalerei geschaffen. Das Künstlerduo JBA, Bullough und Addison aus Baltimore mischt Elemente von Fotorealismus und Schraffurzeichnung in seinem Wandbild.


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"Zukunft" oder Der malende Türsteher
Wie stellt man "Zukunft" im Bild dar? Eine Brandwand in einem Innenhof zeigt eine komplexe Bildwelt mit Kindern, die musizieren, malen, tanzen, Fußball spielen, fernsehen, rauchen, trinken, Drogen spritzen, schießen, sich prostituieren. Sie hantieren als Gang mit Messer, Pistole und Schlagstock. Das ist unsere ungeschönte Gegenwart, aber ist das auch unsere Zukunft?

Der Deutschlandfunk hat den Künstler Nelson Jamal als "malenden Türsteher" tituliert, eine reißerische Verkürzung seiner Vita als Türsteher, Tischler, Kunststudent und freischaffender Künstler. Das Wandbild findet sich in einem Innenhof, der in einen öffentlichen Park verwandelt worden ist.

Eine "Blockfreifläche" als Park
Der Park innerhalb eines Wohnblocks hat von Größe und Ausgestaltung her eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Krausnickpark an der Oranienburger Straße in Mitte. An beiden könnte man achtlos vorbeigehen. Der kleine Park im Wedding hat nicht einmal einen eigenen Namen, das Bezirksamt nennt ihn "Blockfreifläche". Auf den Grundstücken Hochstädter Straße 8 und Groninger 12 stehen keine Häuser mehr, dort ist der Zugang in den Innenhof.

Auf allen Seiten von Häusern umgeben, leicht hügelig, lauschig, mit Sitzbänken, Spielplatz, Bolzplatz. Mit viel Grün, Büschen und Bäumen. Die umgebenden Häuser haben von ihrer Rückseite einen Blick in den Park. Die ursprüngliche verdichtete Bebauung mit Seitenflügeln und Quergebäuden im Kern des Blocks wurde abgebrochen. Die verbliebenen Seitenflügel der Mietskasernen wurden abgeschnitten und durch Balkons an der Schnittkante zum Haus ersetzt.


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Wedding wird Sanierungsgebiet
Der kleine Park ist ein positives Überbleibsel der in den 1960er Jahren eingeleiteten "Stadterneuerung" mit dem großflächige Abriss alter Stadtquartiere, an ihre Stelle sollten neue massive Wohnblocks treten. Wedding gehörte zu den innerstädtische Altbaugebieten, die zu Sanierungsgebieten bestimmt wurden. Die "Entkernung" war an der Hochstädter Straße bereits begonnen, als ein Umdenken Richtung "behutsamer" Stadtsanierung unter anderem durch die Hausbesetzungen stattfand und stattdessen ein Park die abgeräumten Häuser ersetzte.

Im Rahmen der Bauausstellung IBA 1984/87 wurden die Fehler der Vergangenheit schonungslos benannt: "Über zwei Jahrzehnte hinweg wurden ganze Blöcke und Straßenzüge ‚entmietet‘, gesprengt und abgeräumt. Wer diesem Prozess ausgesetzt war, erlebte Sanierung als Zerstörung der Stadt. Die Häuser waren im staatlichen Auftrag von Wohnungsbaugesellschaften aufgekauft und dann auf Abriss bewirtschaftete worden; d.h., es wurde möglichst wenig repariert. Die Instandhaltung unterblieb fast ganz. Lange vor dem Abriss wurde dann ‚entmietet‘. So standen in West-Berlin tausende Wohnungen leer".

Ein Beispiel hierfür war die Groninger Straße 50. Die GESOBAU als städtischer Sanierungsträger kaufte 1972 das Haus, ließ es verfallen, vermietete leerstehende Wohnungen nicht mehr und erhielt vom Bausenator 1978 die Genehmigung zum Abriss. 1980 wurde das Haus besetzt und der Abriss gestoppt. In der Selbstdarstellung der GESOBAU kommt diese Phase nicht vor, sie lobt sich stattdessen für ihre Rolle beim Bau des Märkischen Viertels.

Garnisonfriedhof
Der Friedhof Turiner Straße wurde 1867 vor den Toren der Stadt angelegt. Noch um 1900 war der Leopoldkiez nicht bebaut, nur das Straßenraster war bereits angelegt. Den Verlauf der Liebenwalder Straße hatte der Grundbesitzer Wilhelm Griebenow - dem große Ländereien in Prenzlauer Berg und Wedding gehörten - bereits früher festgelegt.

Der Friedhof war einer von drei Garnisonfriedhöfen in Berlin: Der Alte Garnisonfriedhof an der Linienstraße in Mitte besteht bereits seit 1701. Die starke Präsenz des Militärs in der Stadt führte in den 1860er Jahren dazu, dass für den Norden ein eigener Militärfriedhof gebraucht wurde, und für den Süden zwischen Volkspark Hasenheide und Flugfeld Tempelhof (damals Exerzierplatz) ein weiterer Garnisonfriedhof eingerichtet wurde.

Ursprünglich war der Friedhof von der Müllerstraße her erschlossen Nach dem Verkauf der an der Müllerstraße vorgelagerten Grundstücke wurde der Zugang zur Turiner Straße verlegt. Fast ein Drittel der jetzigen Fläche machen Kriegsgräber aus.

Die in Flächen verlegten typischen rechteckigen Bodenplatten erinnern an die Toten des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Eine Stele würdigt getötete Soldaten der deutschen Kriege gegen Frankreich 1866 und 1870/71, die der Reichsgründung in Versailles vorausgingen. Noch weiter zurück reicht die Erinnerung an einen französischen Soldaten, der während der napoleonische Besetzung Berlins ums Leben kam. Eine Steinplatte an einem Metallkreuz nennt die Jahreszahl 1813.


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Die Inschriften an den Grabmälern bringen die Heldenverehrung jener Zeiten, aber auch die Trauer der Hinterbliebenen ins Bewusstsein. "Nicht lang’ hab’ ich mein Eheglück genossen. Schlaf’ wohl, Du lieber, opferfreud’ger Held, Der über Liebe seine Pflicht gestellt", klagt eine Soldatenwitwe. Auf einem Kriegerdenkmal thematisiert die Verszeile eines Dichters die "Dankesschuld" der Überlebenden: "Blüh’ Deutschland, überm Grabe mein / jung, stark und schön als Heldenhain".

Ein Grabmal erinnert an den Militärarzt Gottfried Loeffler (+ 1875), der als Professor für Kriegsheilkunde tätig war. In seinem medizinischen Werk "Grundsätze und Regeln für die Behandlung der Schusswunden im Kriege" verweist er im Untertitel darauf, dass nicht die Heilung der Menschen im Vordergrund stand, sondern die Erhaltung der Wehrkraft, sein Werk nennt er "Einen Beitrag zur Kriegsbereitschaft".

Auf dem Friedhof hat auch der Königliche Tiergartenbeamte Felix Freudemann 1912 seine letzte Ruhe gefunden. Nach dem Obergärtnerexamen arbeitete er sich vom zweiten Obergärtner zum ersten Obergärtner hoch, bevor er die Oberleitung der Tiergartenverwaltung übernahm und schließlich Tiergartendirektor wurde. Der Rosengarten im Tiergarten mit den beiden Wapiti-Hirschen erinnert noch heute an sein Wirken.

Die Liebenwalder Straße verläuft auf der Rückseite des ausgedehnten Fabrikgeländes der Osram-Werke an der Oudenarder Straße. An der Ecke Groninger Straße reichen die Fabrikgebäude bis zur Liebenwalder heran, zwischendurch blitzen einzelne Werkstätten als Hofgebäude von der Straße her auf.

Das Theater der 2000
Die Ecke Utrechter und Turiner Straße wird von einem modernen Backsteinbau mit farbigen Flieseneinsätzen beherrscht. Der quadratische Eckturm ist von dem Gebäudekomplex abgesetzt und mit sieben Etagen zwei Geschosse höher als die seitlichen Flügel. Auf dem Eckgrundstück stand bis 1987 das imposante Kino "Mercedes-Palast", eines von 21 Kinos in Wedding. Vor einhundert Jahren gehörten die Lichtspielhäuser zu den bevorzugten Unterhaltungsmedien der Berliner. Im Zeitablauf änderte sich das Konsumverhalten mehrfach epochal. Der Tonfilm brachte das Karriereende für nicht sprachgewaltige Stummfilmstars. Die Einführung des Fernsehens führte zu einem Kinosterben, die Veränderung der Medienwelt durch mobile Kommunikation mit Computer, Internet und Smartphone erleben wir hautnah.

Der "Mercedes-Palast" im Wedding wurde 1926 von einem Architekten gebaut, der einige der größten Kinos der Epoche errichtete in Wilmersdorf, Lichtenberg, Kreuzberg, Weißensee, Charlottenburg. Ein zweiter "Mercedes-Palast" entstand zeitgleich an der Hermannstraße in Neukölln, das Colosseum an der Schönhauser Allee gab es bereits zwei Jahre früher.

Das Lichtspielhaus "Mercedes-Palast" im Wedding fasste rund zweitausend Zuschauer, stolz nannte es sich "Das Theater der 2000". Es war expressionistische Kinoarchitektur, ein hervorgehobener Eckturm auf massiven Säulen war mit einem Aufsatz aus gezackten Zinnen gekrönt, die nachts farbig angestrahlt wurden. Unter den hellblauen Stühlen konnte die Garderobe in Fächern abgelegt werden. Eine riesige Kinoorgel mit goldbronziertem Gitter reichte aus, um einen ganzen Film zu begleiten, doch die Tonfilmära hatte bereits begonnen und machte bald die Musikbegleitung überflüssig.


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Auf dem Grundstück einer ehemaligen Eisengießerei erbaut, wurde das Kino im Laufe der Zeit mehrfach umgebaut und änderte seinen Namen in "Ufa-Palast". Mit dem Kinosterben kam sein Ende, es wurde geschlossen, ein Supermarkt übernahm das Gebäude. Schließlich wurde der Kino-Palast 1987 abgerissen.

In der Müllerstraße an der Seestraße finden wir den passenden Ort für den Abschluss unseres Kiezrundgangs: Ein typisch deutsches Konditoreiangebot unter türkischer Bewirtschaftung, eine gelungene Verbindung. Nur zu düster war es uns drinnen, deshalb haben wir draußen den Straßenverkehr auf uns "wirken lassen".
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Weitere Rundgänge im Leopoldkiez:
> mit den Karl-Schrader-Haus und den Gemeindeschulen:
Ungeschminkte Bodenständigkeit

> mit der Straßenpumpe Malplaquetstraße und den Osram-Fabriken:
Zwei Eimer Wasser holen
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Unsere Route:
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Straßenpumpen, Brunnen und Abwasserkanäle