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Entwerfen, Gestalten und Konstruieren


Stadtteile: Wedding, Prenzlauer Berg
Bereich: Sellerstraße (Wedding), Danziger Straße (Prenzlauer Berg)
Datum: 2. März 2021
Bericht Nr.:727

Bauwerke entwerfen, gestalten und konstruieren, das ist die Aufgabe der Architektur. Der aus dem Lateinischen abgeleitete Begriff hat aber noch eine tiefere Bedeutungsschicht, er steht wörtlich übersetzt für 'Baukunst', die Kunst des Bauens. Ein kurzer Blick auf ein Traktat aus der Zeit der römischen Antike zeigt, welche Maximen für die Architektur gelten sollen: Neben der Nützlichkeit und der Stabilität des Bauwerks ist dessen Anmut bzw. Schönheit bedeutsam (Vitruv, "Zehn Bücher über die Baukunst"). Das scheint verloren gegangen zu sein, wenn man heute "Regalarchitektur" mit gleichförmig gerasterten Fronten baut und beim Marketing sich möglichst auch noch unverfroren auf Schinkel beruft. Die "robuste, einfache und anpassungsfähigen Großform" (Heidestraße) ist eine gesichtslose Typisierung, aber wo bleibt die Kunst, die Schönheit, die Anmut?

So sind wir heute auf der Suche nach Neubauten, die intelligent konzipiert sind und mit ihren Fassaden Kontrapunkte bilden, ohne sich anzubiedern. Dabei sind zwei Bauten ins Blickfeld gekommen, deren Konzept ausgezeichnet wurde: Ein Umspannwerk in der Sellerstraße und ein zum Apartmenthaus umgebautes ehemaliges Krankenhaus an der Danziger Straße. Dort in der Danziger Straße werden wir auf einen weiteren ungewöhnlichen Bau aufmerksam, der im Halbkreis angeordnet ist.

Umspannwerk Sellerstraße
In der Sellerstraße sind im Abstand von knapp hundert Jahren zwei Umspannwerke für die Stromversorgung gebaut worden. Sie sind benachbart, wenden sich aber den Rücken zu. Das ist nicht gegnerisch oder feindlich, sondern der Ausrichtung am Stadtgrundriss geschuldet. Hans Heinrich Müller, der Hausarchitekt des Berliner Stromversorgers Bewag, errichtete in den 1920er Jahren elf Umspannwerke in immer neuer äußerer Gestalt. Eine unglaubliche Vielfalt, kein Bau gleicht dem anderen, nur im Innern arbeitete dieselbe Technik: Der in den Kraftwerken erzeugte Strom wurde im Hochspannungsnetz mit 30.000 Volt herangeführt, durch großvolumige Transformatoren umgewandelt in Strom für das Mittelspannungsnetz von 6.000 Volt und zu den Umformern, Gleichrichterwerken, Stützpunkten und Netz-Übergabestationen weiter geleitet. In der Sellerstraße mit Front zum Nordhafen arbeitete sein Umspannwerk Scharnhorst.

Um das technische Geschehen in "einleuchtende" kraftvolle Gestalt zu übersetzen, lehnte sich Müller bei der Architektur an den Bautypus Kathedrale, Ordensburg, Perserbau oder Renaissancebau an. Für die Fassaden setzte er auf Klinker und dessen gestalterischen Möglichkeiten, vom Tragwerk her waren es überwiegend Stahlskelettbauten mit vorgehängten Fassaden. Die Schaltwarte als Kommandoraum inszenierte er schon damals wie heute die Schaltzentralen in U-Booten, Raumfahrzeugen oder Kernkraftwerken. Beim Umspannwerk Scharnhorst in der Sellerstraße konnte man zusätzlich über eine voll verglaste Lichtwarte auf dem Dach die Lichtverhältnisse beobachten und über einen Fernschaltplatz die Beleuchtung in den Straßen ein- oder ausschalten.

Hinter einer metallisch schimmernden Fassade ist 2017 in der Sellerstraße ein neues Umspannwerk für die Stromnetz Berlin GmbH in Betrieb gegangen, das dieselbe Funktion hat wie damals der Bau von Hans-Heinrich Müller. Die Technik hat sich inzwischen geändert, heute wird der Strom von 110.000 Volt aus dem Hochspannungsnetz auf 10.000 Volt im Mittelspannungsnetz transformiert. Die Architekten Heide & von Beckenrath haben mit der Fassade eine zeitgemäße Interpretation des technischen Geschehens geschaffen: Vor Metallelementen, die den Gesamteindruck bestimmen, sind dreieckige Blenden aus Industrieglas leicht gekippt angeordnet - eine Fassade aus zwei Schichten, deren oberste durchscheinend ist.

Im Vorübergehen wechseln sich Reflektion und Verschattung fortdauernd ab, die Fassade ändert je nach Tageslicht Farbwerte und Strukturen. Die zwei Zentimeter breiten vertikalen Fugen haben eine technische Funktion, sie dienen dem nötigen Rauchabzug. Die "Kombination einer zurückhaltend expressiven Fassade mit gezieltem Minimalismus in der technischen Umsetzung" wurde 2018 mit dem Deutscher Fassadenpreis gewürdigt.


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Die Dächer des Umspannwerks sind begrünt, wie der Blick aus der Vogelschau von Google Earth zeigt. Die Fassade auf der linken Seite ist im Bereich der Transformatorenkammern mit Akustikjalousien und matt beschichtete Glattblechen versehen. Die rechte Seitenwand des Gebäudes ist eine pure Betonfläche. Der Schreck darüber wich mit der Erkenntnis, dass es sich hier um eine Brandwand zu einem später zu errichtenden anderen Bauwerk handelt.

Danziger Straße
Nördlich der Danziger Straße gibt es manches doppelt in Straßenkarrees an zwei benachbarten Straßen: zwei Grünanlagen, zwei ehemalige Krankenhäuser, zwei ungewöhnliche Neubauten: Die im Halbkreis angeordnete Wohnanlage "Prenzlauer Bogen" und das mit einem Architekturpreis ausgezeichnete Projekt "Paragon Apartments Prenzlauer Berg".


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Prenzlauer Bogen
Durch eine Grünanlage von der Danziger Straße abgeschottet, steht an der Fröbelstraße die Neubau-Wohnanlage Prenzlauer Bogen. Vollmundig werden bei der Beschreibung des Baus historische Bauten mit gewissen Ähnlichkeiten zitiert: Die im Halbkreis angeordneten Wohnanlagen (Crescents, engl. Halbmond) im britischen Bath, die dem Ort zur Anerkennung als Weltkulturerbe verholfen haben. Die elegant geschwungenen Fassaden dort sind nicht nur wegen ihrer Form berühmt, sondern auch wegen ihrer künstlerischen Ausformung, die an Gestaltungselemente des italienischen Architekten Andrea Palladio anknüpft. Beispielsweise werden mit Säulen mehrere Etagen optisch verbunden (Kolossalordnung).

Auch der Prenzlauer Bogen ist halbkreisförmig, die Etagen sind im Innenrund gestaffelt, zu den drei Meter hohen Wohnungen gehören Terrassen, der Innenhof ist begrünt, zum Erdgeschoss gehören kleine Gärten. Zwar ist das Gebäude im Halbkreis angeordnet, aber eine künstlerische Gestaltung wie bei den englischen Crescents fehlt. Die Anlage im Prenzlauer Berg ist eine "gated community", die nur einem geschlossenen Personenkreis Zugang gewährt und sich gegen die Umwelt abschottet.


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Paragon Apartments Prenzlauer Berg
Zwischen Danziger Straße und Ringbahn gibt es zwei ehemalige Krankenhauskomplexe, nördlich der Fröbelstraße das Krankenhaus Prenzlauer Berg und südlich davon dessen "örtlichen Bereich Danziger Straße". Beide wurden erst später zu Krankenhäusern und dienen heute nicht mehr diesem Zweck. Im Hauptkomplex arbeitet die Bezirksverwaltung, der örtliche Bereich wurde zu einem Apartmenthaus umgebaut.

Der Berliner Stadtbaurat Hermann Blankenstein errichtete 1886 den Hauptkomplex als Obdachlosenasyl mit 20 Schlafsälen, Waschhaus und Desinfektionsanstalt. 5.000 Menschen fanden dort eine Notunterkunft für eine Nacht. Das Gelände lag damals noch außerhalb der Stadt. Im Jahr 1940 wurde das Asyl aufgegeben und das Krankenhaus in den Bauten eingerichtet.

Den "örtlichen Bereich" hatte Blankensteins Nachfolger, der Stadtbaurat Ludwig Hoffmann, 1913 als Gemeindedoppelschule gebaut, es diente aber nur kurze Zeit diesem Zweck. 1921 zog die Bezirksverwaltung hier ein, 1934 die Reichsluftschutzschule. Nach Kriegsende wurde es zum Behelfskrankenhaus, später zum städtischen Krankenhaus, das bis 2005 existierte.

Das Architekturbüro GRAFT hat 2008 den Krankenhauskomplex an der prominenten Ecke Prenzlauer Allee/Danziger Straße umgebaut und parallel zur Danziger Straße einen Neubauriegel errichtet. Dessen lebhafte Fassade besteht aus unterschiedlich kombinierten Kuben mit Betonrahmen, die gleichzeitig als Sonnenschutz dienen. Das Bauvolumen des Neubaus ist in kleinteilige Elemente gegliedert und vermeidet dadurch eine monumentale Wirkung.


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Bei den Krankenhausbauten wurden die charakteristischen hohen Altbaudächer durch zwei neue Obergeschosse ersetzt, die den Betonrahmen-Elementen des Vorderhauses angeglichen sind. Zwischen dem Neubauriegel und den Altbauten ist ein grüner Eingangshof mit Sitzgelegenheiten entstanden. Innerhalb des Altbestandes gibt es einen geschützten Innenhof mit Spielflächen für Kinder und Fahrradstellplätzen. Der nördliche dritte Hof geht in den öffentlichen Fröbelplatz über.

Für diese "Paragon Apartments Prenzlauer Berg" wurden die Architekten mit zwei Preisen ausgezeichnet, dem Excellenzpreis FIABCI Germany 2016 und dem Deutschen Wohnungsbau-Award 2019. Unter Einbeziehung der ehemaligen Krankenhausbauten ist ein Gesamtensemble geschaffen worden, eine "gelungenen Einheit von Um- und Neubauten, ein durchlässiges Wohnquartier mit parkartigem Umfeld“, wie die Jury des Deutschen Wohnungsbau-Awards 2019 herausstellte. Und die FIABCI-Jury würdigte, dass "der integrierte Altbau sich städtebaulich hervorragend einfügt und das Quartier um ein vielseitig nutzbares Gebäude erweitert".

Das ist die bewegte Geschichte eines mehrfach umgenutzten Gebäudkomplexes, der durch 'Baukunst' zu einem außergewöhnlichen städtebaulichen Ensemble wurde.
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Zuviel Fläche und zu wenig Räume
Medizinprofessoren im Wettstreit