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Bahntrassen über unseren Köpfen


Stadtteil: Tiergarten
Bereich: Moabit
Stadtplanaufruf: Berlin, Lehrter Straße
Datum: 28. Dezember 2024
Bericht Nr.:854

Beim Begehen der Lehrter Straße nördlich des Hauptbahnhofs kann man mehrere Schichten der Stadtentwicklung als Historie entdecken, manche sind auch heute noch sichtbar. 1832 wurde mitten durch torfhaltige Wiesen die Torfstraße angelegt, von der auch heute noch der nördliche Rest unter diesem Namen in Wedding vorhanden ist. Der Eisenbahnbau teilte die Torfstraße: Der südliche, vom Bahnhof Lehrter Straße ausgehende Teil wurde zur Lehrter Straße. Weiter nördlich zeigt der Torfstraßensteg zum Friedrich-Krause-Ufer auf ein weiteres Straßenstück der ehemaligen Torfstraße.

Lehrter Bahnhof, Hoher Weinberg, Humboldthafen
In der Nähe des 1885 geschlossenen Hamburger Bahnhofs wurde 1871 der Lehrter Bahnhof als Kopfbahnhof eröffnet. Die Bahnstrecke führte zum Eisenbahnknotenpunkt Lehrte bei Hannover. 2006 eröffnete nach jahrelanger Bauerei der Hauptbahnhof, der den Lehrter Bahnhof ersetzte. Im Süden kommen die Züge durch Tunnelröhren in den Bahnhof, im Norden wurden die Gleise auf Brückenbauwerken verlegt. Für den Tunnelbau wurde sogar die Spree vorübergehend umgeleitet.


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Den Bahnhofsbauten vorausgegangen waren ganz andere Nutzungen dieses Areals. Dem Hauptbahnhof zu Füßen liegt der Humboldthafen, den der Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné 1859 als Schmuckbassin beim Bau des Spandauer Schiffahrtskanals angelegt hatte. Bevor gebuddelt wurde, gab es ebendort einen Berg, der einem eingewanderten Hugenotten 1698 zum Weinanbau überlassen wurde ("Hoher Weinberg"). Am Fuß des Berges eröffnete der Gasthof Sandkrug als beliebtes Ausflugslokal. (Die Sandkrugbrücke trägt noch heute diesen Namen). Nebenan auf den Pulverwiesen wurde 1717 eine Königliche Pulverfabrik erbaut, die erst in den 1830er Jahren nach Spandau weichen musste.

Militärgelände
Lenné und Schinkel hatten Pläne für die Bebauung des Gebiets der ehemaligen Königlichen Pulverfabrik aufgestellt, die ab 1853 teilweise umgesetzt wurden. Schinkels Idee von einem Stadtviertel vor den Toren Berlins im echt "Preußischen Stil" mit vorrangig militärischen Einrichtungen verwirklichten die großflächigen Kasernenanlagen zwischen Invalidenstraße und Perleberger Straße rund um einen Exerzierplatz. Aus jener Zeit sind beispielsweise an der Kruppstraße Kasernen und Heeresbekleidungsamt erhalten geblieben, an der Lehrter Straße die Militärarrestanstalt.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde Deutschland durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags zur Abrüstung gezwungen, für militärische Anlagen mussten zivile Anschlussnutzungen gefunden werden. Der Fritz-Schloß-Park und das 1929 erbaute Poststadion liegen auf dem ehemaligen Militärgelände. In das Offizierskasino zog die usbekische Botschaft ein. In der Militärarrestanstalt wurde 1949 das Frauengefängnis Lehrter Straße eingerichtet. Zum Schluss bestand dort bis 2012 eine Außenstelle des Jugendgefängnisses Plötzensee.

Die Lehrter Straße heute
Das heutige Erscheinungsbild der Lehrter Straße ist durch viele Brüche gekennzeichnet. Sie ist Wohngegend, Dienstleistungsstandort, steht für Sport und Kultur, war Gefängnis- und Militärstützpunkt, wird flankiert von Umfassungsmauern ehemaliger Militärbauten und von Bahntrassen.

Mehrere Querungen führen in das westlich angrenzende Areal von Fritz-Schloß-Park, Heinrich-Zille-Siedlung und Sportstadion. Östlich der Straße ist noch an den Bahnbeamtenhäusern ein Stummel der Turmstraße vorhanden, die durch das Militärgelände durchschnitten wurde.

Im Norden verliert sich die Lehrter Straße vor einem Knäuel von Bahntrassen über den Köpfen der Bewohner. Was früher die Stadtautobahnen, die die Stadt durchschnitten, angerichtet haben, das schaffen heute die langgestreckten und kurvig verlaufenden Bahntrassen über unseren Köpfen: Es ist keine Gegend zum Wohlfühlen unter diesen Brücken.


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Güterbahnhöfe
Nicht nur der Personenverkehr, auch der Güterverkehr hat eine lange Geschichte in Moabit. Lehrter und Hamburger Bahnhof hatten einen gemeinsamen Güterbahnhof "HuL", an den beispielsweise die Steinmetzwerkstatt in der Lehrter Straße angeschlossen war. Nach Kriegsende war der dann stark verkleinerte Güterbahnhof bis 1980 in Betrieb. Anschließend war ab 1983 eine Seite der Heidestraße 20 Jahre lang als Containerterminal genutzt worden. Nach der Wende wurde der Güterverkehr nach Großbeeren - vor den Stadtrand - verlagert, der Standort Heidestraße aufgegeben. Die Heidestraße wurde zu einem der größten Neubaugebiete Berlins, zur "Europacity".

Ein weiterer Güterbahnhof lag zwischen Westhafen und Lehrter Straße. Dort erinnert die Ellen-Epstein-Straße an eine jüdische Musikerin, die im Dritten Reich wie viele andere von dem Güterbahnhof deportiert wurde. Von mehreren Gleisen, die einstmals dem preußischen Militär zur Verladung von Truppen und militärischer Ausrüstung gedient hatten, wurden im Dritten Reich Deportationen vorgenommen. Auf den nicht von Einkaufsmärkten überbauten Resten der Bahnhofanlagen ist ein Gedenkort geschaffen worden.

Wohnanlagen
Die Lehrter Straße macht im Süden einen Bogen um das Zellengefängnis. Nördlich davon erstreckt sich ein Wohnblock für Eisenbahnangestellte, er reicht rückwärtig bis an die Gleisanlagen. Im Mittelbereich ist ein Neubaugebiet "Mittenmang" entstanden. Und im "Städtebaulichen Ideenwettbewerb Nördliche Lehrter Straße“ wurde der Neubaublock 44 verwirklicht, der bis ans Blaue Haus heranreicht. In den 1920er Jahren, als auch das Poststadion errichtet wurde, erbaute der Architekt Otto Rudolf Salvisberg vor den Sportplätzen fünf Mehrfamilienhäuser, von denen vier mit pastellartig differenzierten Fassaden erhalten blieben.

Auf dem Grundstück des fünfen kriegszerstörten Wohnhauses baute das SOS-Kinderdorf eine "Botschaft für Kinder". Der äußere Anblick des Hauses ist befremdlich und abweisend: Eine blickdichte Bretter-Verschalung, auf der grauer Sonnenschutz aufgetragen ist. Das Gebäude selbst wurde in Holzbauweise mit großen Glasfenstern ausgeführt.


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Bauten der Gründerzeit
Für Generationen von Stadtplanern war die Lehrter Straße nur eine Art Hinterhof, seien es die Planungen für Germania, für eine Stadtautobahn mittendurch und andere. Mehrere Wohnbauten der Gründerzeit sind der Abrissbirne entgangen durch die Initiative einer älteren Frau, die - leidenschaftlich und unbeirrt - die Stadtplaner das Fürchten lehrte.

Klara Franke verhinderte den Abriss von Altbauten und erstritt Städtebaufördermittel. Die Kiezmutter, Kämpferin, Langzeitmieterin (in Haus Nr. 55) war zunächst als eine "EineFrauBürgerinitiative" tätig. Später gründete sie mit anderen den "Verein für eine billige Prachtstraße - Lehrter Straße". Noch heute wird sie im Kiez verehrt, eine Straße ist nach ihr benannt.


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Weinstraße
Es war zweihundert Jahre her, dass am Weinberg neben dem Hauptbahnhof Wein angebaut wurde, da eröffnete 1906 im Haus Lehrter Straße 48b ein Weinlokal in einem sechs Meter hohen Kellergewölbe. Klara Franke wusste zu berichten, dass "die ganze Lehrter Straße eine Weinstraße war". Und dass nach Kriegsende die Weinvorräte plötzlich nicht mehr da waren, als russische Besatzer heimlich Wein abzapfen wollten und dabei der ganze Keller mit Wein vollief. Die Berliner kamen mit Eimern zum Schöpfen in den Keller, das "hat der Berliner Bevölkerung eine riesengroße Freude bereitet".

Die Neorenaissancefassade des Gebäudes hat eine ungewöhnliche Gliederung mit einem Erker außerhalb der Mitte. Darüber erstreckt sich ein Giebel mit Rundbogen-Doppelfenster und plastischem Schmuck mit einem Frauenkopf. Auch die Hofseiten überraschen mit Stuckdekor und Schmuckelementen. Im Innenbereich gibt es zwei Quergebäude, aber keine Seitenflügel.


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Industriebauten
In der Lehrter Straße 35 hatte der Wertheim-Konzern ein schmales Geschäftshaus erbauen lassen, das in seiner Wirkung der umgebenden Wohnbebauung angenähert war. Gebäudehohe Wandpfeiler gliedern die Werksteinfassade mit drei Fensterachsen, die oben in Rundbögen auslaufen. Das Fabrik- und Lagerhaus mit Vorderhaus, Seitenflügel und Quergebäude diente dem Kaufhausunternehmen zur Fleischverarbeitung, Konservenproduktion sowie als Bäckerei. Heute wird der Gebäudekomplex von der Kulturfabrik Moabit genutzt mit Kino, Theater, Café und Veranstaltungsräumen.

Von dem "Berliner Granit- und Marmorwerk“ an der Lehrter Straße 27-30 ist nur noch das Wohnhaus übriggeblieben. Das Unternehmen musste vor allem durch die stark gestiegene Nachfrage nach Marmor 1886 seine Werkstätten erweitern. In der Lehrter Straße konnte es den Anschluss an den Berlin-Lehrter Güterbahnhof nutzen. Die weit ins Hinterland reichende Fabrik wurde 2004 abgerissen, dort sind jetzt der Klara-Franke-Kinderspielplatz und eine Grünanlage "Schleicherareal" eingerichtet worden. Auf der Seitenwand des Wohnhauses hat Ben Wagins "Weltbaum" eine zweite Heimat gefunden, nachdem er an der Bachstraße hinter einem Geschäftshausneubau unsichtbar geworden war.


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Dem Wohnhaus mit seinem großen Einfahrtstor wird die Wirkung eines Stadttores zugeschrieben. Granitsäulen fassen das Einfahrtstor über zwei Etagen ein, ein Steinmetzprodukt aus der eigenen Fabrik. Roter Backstein, Sandsteinverkleidungen, künstlerische Gestaltung mit Stuckdekors und ungewöhnliche Dachreiter/Dachgauben runden die Renaissancefassade ab.


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Am Friedrich-Krause-Ufer Höhe Torfstraßensteg ist ein Straßenstück der ehemaligen Torfstraße 1938 mit einem Industriegebäude für die Glühlampenfabrik Auer AG bebaut worden. Der Architekt Egon Eiermann hatte sich im Dritten Reich mit Industriebauten auf einen wenig reglementierten Architekturbereich zurückgezogen. Bei Wohnbauten waren mit "Heimatstil" und "Deutscher Baugesinnung" der Architektur sehr viel engere Grenzen gesetzt. Sein Industriebau ist heute erst auf den zweiten Blick zu entdecken, mit einer Graffiti-Seitenfassade und einem Anbau gehört er jetzt zum Landesamt für Einwanderung.

Für den abschließenden Cafébesuch landen wir am "Platz der Nachbarschaft", hier wird es freundliche Nachbarn geben. Ein schlichter Raum, kaum Auswahl an Backwaren, aber eine Möglichkeit, den müden Füßen vor dem Heimweg etwas Entspannung zu gönnen.

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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Die Brückenbauwerke
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Unsere Route:
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Licht und Raum, Harmonie von Innen und Außen