Bezirke
  Straßenverzeichnis     Personen     Themen     Aktuell     Forum  
Charlottenburg-Wilmersdorf
Friedrichshain-Kreuzberg
Lichtenberg
Marzahn-Hellersdorf
Mitte
Die alte Mitte
Regierungsviertel, Hauptbahnhof und mehr
Tiergarten
Wedding
Neukölln
Pankow
Reinickendorf
Spandau
Steglitz-Zehlendorf
Tempelhof-Schöneberg
Treptow-Köpenick
Allgemein:
Startseite
Ich bin NEU hier
Hinweise
Kontakt
Impressum
Datenschutz
Links
SUCHEN
Sitemap

Anschauen, Nachforschen, Erinnern, Gedenken


Stadtteil: Mitte
Bereich: Friedrichstraße
Stadtplanaufruf: Berlin, Cläre-Waldoff-Straße
Datum: 12. Oktober 2022
Bericht Nr.:787

Wer achtlos die Straße entlangeilt, wird sie übersehen, die Skulpturen, Stelen, Denkzeichen und Mahnmale am Wegesrand. Sie fordern auf zum Anschauen, Erinnern, Gedenken. Oder zum Nachforschen, denn Vieles erschließt sich nicht von allein. Zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Naturkundemuseum sind wir an der Friedrichstraße und ihrer Verlängerung Chausseestraße auf Spurensuche.

In einer Seitenstraße der Chausseestraße hat die Schauspielschule Ernst Busch nach jahrlanger Hängepartie ihren Standort gefunden. Ihr Neubau steht angrenzend an das Gelände des früheren Stettiner Bahnhofs, 400 Meter weiter nördlich gibt es ein nachgenutztes altes Stellwerk. Vor der Schauspielschule reckt sich eine Stahlskulptur 15 Meter in die Höhe, ihre weißen und schwarzen Balken weisen in alle Richtungen.


mit KLICK vergrößern

Eine Erinnerung an die Zeiten der Eisenbahn? Der Betrachter ist frei in seinen Assoziationen, die können ganz anders sein als die Intention des Künstlers. Der Bildhauer Felix Stumpf hatte vor Augen, dass die Studierenden der Schauspielschule mit ihrem Protest schließlich diesen Bauplatz durchsetzen konnten, seine Skulptur nannte er "Eine Frage des Standpunktes".

Erinnerung an Feuerland
Vor dem Oranienburger Tor lag früher "Feuerland", rauchenden Fabrikschornsteine - damals ein Symbol des Fortschritts - gaben dem Quartier den Namen. Hier arbeiteten bis in die 1880er Jahre die Maschinenfabriken von Borsig, Egells, Pflug, Wöhlert, Schwartzkopff. Unmittelbar vor dem Oranienburger Tor begann das Industriequartier von Borsig mit Arkaden und Bauten im Neorenaissance-Stil. Nach der Abwanderung der Industriebetriebe wurden um 1890 auf dem ehemaligen Fabrikgelände repräsentative Wohngebäude errichtet.


mit KLICK vergrößern

An der Chausseestraße 13 ist das ehemalige Borsigsche Kontorhaus erhalten. Im Mittelpunkt der gegliederten Sandsteinfassade steht wie eine mittelalterliche Heiligenfigur die Bronzeskulptur eines Schmiedes, bekrönt von einem Baldachin. Weitere Hinweise auf diese Industriegeschichte geben Erläuterungsstelen an der Schlegelstraße und eine unscheinbare Hinweistafel am Eckgebäude Torstraße.

Ein fast aufgelöster Gottesacker
An der Chausseestraße gegenüber waren - seinerzeit vor der Stadt - Friedhöfe angelegt worden, von denen der Dorotheenstädtische und der Französisch Reformierte die Zeit überdauert haben. Ein Grundstück an der Chausseestraße - durchgehend zur Hannoverschen Straße - hatte Friedrich der Große 1777 als Geste der Toleranz der katholischen Kirche zur Einrichtung des Domfriedhofs geschenkt. Später wurde daraus ein wertvoller Bauplatz. Die Kirche verlegte den Domfriedhof zur Liesenstraße und baute die "Katholischen Höfe" auf dem Grundstück.

Doch ein Stachel im Fleisch blieb: Von dem 1878 aufgelassenen Friedhof konnten ein Grab nicht zum neuen Domfriedhof an der Liesenstraße umgebettet werden. Das Grab einer jungen Frau war 1905 von den Hinterbliebenen für 100 Jahre gekauft worden, einer Umbettung stimmten sie nicht zu. So musste die Bebauung des Grundstücks um das Grab herum erfolgen. Die Grabstelle befindet sich in einem Seitenhof abseits des ersten Hofes an der Chausseestraße.


mit KLICK vergrößern

Der Pelikan an der Charité
Die Cläre-Waldoff-Straße führt zu einem verborgenen historischen Zugang auf das Charité-Gelände. Preußen hatte 1685 durch das Edikt von Nantes Hugenotten - Glaubensflüchtlinge aus Frankreich - ins Land geholt. Mehrere Jahre später überließ die Kurfürstin Sophie Charlotte ein Grundstück hinter der Friedrichstraße der Französischen Gemeinde zum Bau eines Hospitals. Dort wurden Kranke behandelt, im Heim wurden mittellose Glaubensbrüder aufgenommen. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Französische Krankenhaus mehrfach neu gebaut. Eine Anstalt für "verwahrloste Kinder und arbeitsscheue junge Leute“ wurde angeschlossen und eine Schule.

1926 zog sich die Kirche aus dem Projekt zurück, das Kinderhospiz wurde geschlossen, die Insassen des Hospitals fanden in Höhenschönhausen in einem Stift an der Pfarrer-Lenzel-Straße eine neue Heimat. Im Zweiten Weltkrieg wurden die meisten Gebäude auf dem Hospizgelände durch Bomben vernichtet.

Als "Gedenkzeichen für Toleranz" hat der Bildhauer Michael Klein 1994 eine Pelikan-Skulptur geschaffen, die vor dem Eingang zum früheren Hospitalgelände aufgestellt wurde. In der christlichen Mythologie gilt der Pelikan seit Jahrhunderten als Symbol der aufopfernden Kinderliebe, der wie Christus seinen Leib opfert. Tatsächlich beruhte das auf falscher Naturbeobachtung.


mit KLICK vergrößern

Wenn der Pelikan das gesammelte Fressen für seinen Kleinen herauswürgt, bleibt meist Blut an seinem Hals kleben. Es ist aber nicht das eigene Herzblut des Vogels, er opfert sich also nicht für seine Jungen. Heute wird das zurückhaltender formuliert, der Pelikan gehe völlig auf in der Liebe zu seinen Kindern.

Erinnerungen an das Schauspielhaus

Etwas verloren wirken die "Denkzeichen" vor dem Friedrichstadtpalast, die an das Große Schauspielhaus erinnern sollen. Im Schatten eines Baumes steht eine Stele mit Hinweisen auf Max Reinhardt, Hans Poelzig und Erik Charell. Geehrt werden so der Gründer des Theaters, der Architekt und der künstlerische Leiter der Bühne. Hinter dem Baum erhebt sich ein historisches Fassadenteil aus Metall mit angedeuteten Rundbögen aus der Markthallenzeit des Gebäudes. Auf dem Bürgersteig steht ein fast drei Meter hohes Betonelement mit kegelförmigem Ausschnitt, der den Lichtstrahl eines Theaterscheinwerfers visualisieren soll.

Das Gebäude des Schauspielhauses stand am Schiffbauerdamm, es blickt auf eine lange Baugeschichte zurück. Der "Eisenbahnkönig" Strousberg hatte dort eine Markthalle errichtet und betrieben. Später nutzte die preußischen Heeresverwaltung den Bau, dann ließ Ernst Renz, der "König der Manege", ihn als Zirkus herrichten. Die Anliegerstraße heißt heute noch "Am Zirkus". Max Reinhardt, der bereits das Deutsche Theater betrieb, ließ von Hans Poelzig den Zirkusbau zu einem Volkstheater umbauen. Poelzig schuf für Reinhardt einen expressionistischen Innenraum, eine "Tropfsteinhöhle", die von der Decke hängenden Stalaktiten sorgten für gute Akustik.

Mit Erik Charell hatte Max Reinhardt einen gefeierten "Revuekönig" zum Leiter des Schauspielhauses gemacht. Der studierte Tänzer tourte mit dem Charell-Ballett durch Europa, brachte als Theaterleiter Operetten und international beachtete Revuen heraus, verpflichtete Stars wie Marlene Dietrich und die Comedian Harmonists. In der Revue "An Alle", der ersten größeren Ausstattungsrevue in Berlin, trat Cläre Waldoff auf. In der Nazizeit emigrierte Charell in die USA, in der Nachkriegszeit wirkte er in München.

Friedrichstadtpalast
Die DDR knüpfte an das Revue-Zeitalter der zwanziger Jahre an, das Schauspielhaus hieß jetzt Friedrichstadtpalast. Doch der Bau am Schiffbauerdamm kam ins Rutschen, als für den Neubau des Bettenhochhauses der Charité das Grundwasser abgesenkt wurde. 1980 musste das ehemalige "Große Schauspielhaus" abgerissen werden, der Friedrichstadtpalast zog in einen Neubau an der Friedrichstraße um. Die Produktionen wurden international beachtet, die Bühne wurde zum "Las Vegas der DDR". Nach einem Durchhänger nach der Wende und der erzwungener Spielpause während der Corona-Pandemie wird die Revue mit Glamourgirls und Bühnenzauber dort immer wieder neu erfunden.

Der Friedrichstadtpalast ist "Europas größter und modernster Show-Palast" und möchte gern nur noch als "Palast" bezeichnet werden. Die Berliner hatten für den DDR-Plattenbau mit einer ungewöhnliche Vielzahl von Schmuckelementen den Spottnamen "Hauptbahnhof von Usbekistan" geprägt. Aber ein Palast? Der Vorzeigebau lässt sich eher mit Ost-Palästen wie dem Palast der Republik als mit schlossähnlichen Gebilden nach historischer Denkart vergleichen.

Cläre Waldoff
Auf dem Vorplatz des Friedrichstadt-Palastes steht eine Säule mit dem halslosen Kopf von Cläre Waldoff. Um dieses Werk als "Büste" zu bezeichnen, müsste der Beginn des Oberkörpers mit angeschnitten sein, ohne das wirkt der Kopf mehr wie aufgespießt. Wenigstens ist bei unserem Besuch Bewegung um sie herum, sie schaut auf fliegende Jungs mit ihren Skateboards. Cläre Waldoff war Chansonette mit frechem Berliner Mundwerk, sang Lieder wie "Warum soll er nicht mit ihr" oder "Wegen Emil seine unanständige Lust". Als ihr Lied "Hermann heeßt er" in der Nazizeit auf Hermann Göring gemünzt wurde, konnte sie nicht mehr auftreten.


mit KLICK vergrößern

"Kindertransport"
In der Georgenstraße am Bahnhof Friedrichstraße erinnert eine bronzene Figurengruppe an die Rettungsaktion, mit der von November 1938 bis August 1939 mehr als 10 000 jüdische Kinder mit dem Zug nach London gebracht und dadurch vor einem späteren Abtransport in ein Konzentrationslager bewahrt wurden. Menschenrechtsorganisationen hatten in England nach Adoptiv- und Pflegeeltern gesucht. Die englische Regierung übernahm die Organisation und die jüdische Gemeinde in England die Kosten. In mehreren Schüben wurden die jungen Juden nach London gebracht und dort in Familien vermittelt oder in Flüchtlingslagern untergebracht.

Das Denkmal zeigt zwei Gruppen von Kindern und Jugendlichen, Gerettete und Nicht-Gerettete, die mit dem Rücken zueinander stehen und auf einen Zug warten. Kritiker gaben zu bedenken, die Skulpturengruppe könne als Aufbruch zu einem Klassenausflug missverstanden werden. Der Bildhauer Frank Meisler war selbst mit einem Kindertransport von Danzig über Berlin-Friedrichstraße nach London dem Holocaust entkommen, seine Eltern wurden ermordet.

Liebessäule
Südlich des Bahnhofs Friedrichstraße öffnete 1887 der "Wintergarten", ein Varietétheater, das sich zu einer Bühne mit Weltruf entwickelte. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus durch Bomben zerstört, das abgeräumte Grundstück wurde nach der Wende zum Dorothea-Schlegel-Platz. Mit einer Oberfläche aus Beton und Granit gilt der Platz offiziell als "Grünfläche".

Der Metallbildhauer Achim Kühn hat zu DDR-Zeiten für den Ort einen Brunnen geschaffen, die "Kleine Liebessäule", eine Kupfersäule in Form eines Baumstammes, in den ein „Liebesherz“ graviert ist. Ob er damit an den Wintergarten erinnern wollte?

Wolf Biermann und der preußische Ikarus
Das Eckhaus Chausseestraße/Hannoversche Straße hat äußerlich seinen DDR-Charme bewahrt, als wollte es die Zeit konservieren, als Wolf Biermann dort wohnte. Und mit seinen ketzerischen Liedern den sozialistischen Staat zu einem lebendigen, Menschen zugewandten Gemeinwesen verändern wollte. Die DDR nahm ihm das übel und ließ ihn eines Tages nach einem Westkonzert nicht mehr in seine Heimat zurück - er war ausgebürgert. Mit dem vielstimmigen Protest seiner DDR-Künstlerkollegen rückte der Untergang der DDR näher.

Am Haus gibt es keine Gedenktafel und auch die Weidendammer Brücke gibt ihre Verbindung zu Biermann nur dem Wissenden preis. Sie ist mit einem gekrönten preußischen Adler geschmückt, der daran erinnert, dass 1871 in Versailles das Deutsche Kaiserreich gegründet wurde. Die Kaiserkrone ist eine Fiktion, denn das Reich wurde nur proklamiert, dem Kaiser wurde aber keine Krone aufgesetzt.

Für Biermann war das der "preußische Ikarus", der ihn vielleicht irgendwann aus der DDR wegtragen würde. Für ein Leben im Westen sah er einen tödlichen Absturz wie beim Ikarus aus der Sage voraus. Jahre später im Westen stellte er stillvergnügt fest, dass "man nicht schön sterben kann und dann noch munter weiterleben". Aus seinem Song:

___Steht da der preußische Ikarus / mit grauen Flügeln aus Eisenguß
___dem tun seine Arme so weh / der fliegt nicht weg – er stürzt nicht ab
___Und wenn du wegwillst, mußt du gehn / Ich habe schon viele abhaun sehn / aus unserm halben Land
___Ich halt mich fest hier, bis mich kalt / Dieser verhaßte Vogel krallt / und zerrt mich übern Rand
--------------------------------------------------------------

--------------------------------------------------------------
Unsere Route:
--------------------------------------------------------------

zum Vergrößern ANKLICKEN



Medizinische Forschung im Landschaftspark
An den Rand gedrängt