Bezirke
  Straßenverzeichnis     Personen     Themen     Aktuell     Forum  
Charlottenburg-Wilmersdorf
Friedrichshain-Kreuzberg
Lichtenberg
Marzahn-Hellersdorf
Mitte
Die alte Mitte
Regierungsviertel, Hauptbahnhof und mehr
Tiergarten
Wedding
Neukölln
Pankow
Reinickendorf
Spandau
Steglitz-Zehlendorf
Tempelhof-Schöneberg
Treptow-Köpenick
Allgemein:
Startseite
Ich bin NEU hier
Hinweise
Kontakt
Impressum
Datenschutz
Links
SUCHEN
Sitemap

Von Tor zu Tor durch die Rosenthaler Straße


Stadtteil: Mitte
Bereich: Spandauer Vorstadt
Stadtplanaufruf: Berlin, Rosenthaler Straße
Datum: 31. August 2022
Bericht Nr.:783

Vom Hackeschen Markt führt die Rosenthaler Straße in leichtem Bogen zum Rosenthaler Platz. Das namensgebende Pankower Dorf Rosenthal erreicht man auf der alten Straßenverbindung in den Norden (weiter über Bernauer Straße) nach zehn Kilometern. Am südlichen und am nördlichen Ende der Rosenthaler Straße standen in unterschiedlichen Phasen der Stadtentwicklung zwei Stadttore, das Spandauer Tor am Hackeschen Markt und das Rosenthaler Tor an der Torstraße Höhe Rosenthaler Platz. Unser heutiger Stadtrundgang geht somit von Stadttor zu Stadttor, oder - einfacher gesagt - von Tor zu Tor.

Stadtbefestigungen und Stadttore
Der Große Kurfürst hatte Berlin zur Festungsstadt gemacht, die zukünftig einen Schutz gegen Angriffe wie beim Dreißigjährigen Krieg bieten sollte. Doch das von einem Festungsgraben umgebene Bauwerk war bei Fertigstellung bereits durch den Fortschritt der Waffentechnik überholt. Fünfzig Jahre später wurde es geschliffen, die Wälle wurden abgetragen, die Wassergräben zugeschüttet. In der Nähe des Hackeschen Marktes stand das Spandauer Tor, das der Spandauer Vorstadt nördlich des Tores den Namen gab. 1750 wurde es abgetragen, in dem angrenzenden Sumpfgebiet legte der Stadtkommandant Hacke einen neuen Stadtplatz an.

Am nördlichen Ende der Rosenthaler Straße stand dann während der nächsten Stadtbefestigung achtzig Jahre lang das Rosenthaler Tor. In der Linienstraße verlief die vom Soldatenkönig in den 1730er Jahren errichtete Akzisemauer (Zollmauer). Unter Friedrich dem Großen wurde die Akzisemauer 1780 weiter ausgebaut und das Rosenthaler Tor als repräsentativer Bau errichtet, der Bauplatz wurde von der Linienstraße zur Torstraße vorgerückt. 1867 wurde das Tor abgetragen, der "Platz am Rosenthaler Tor" wurde zum Rosenthaler Platz. 1926 stieß man dort beim Bau der U-Bahn auf "bemerkenswerte Architekturreste": Es waren die Fundamente des früheren Stadttores.


mit KLICK vergrößern

Stadtentwicklung entlang der Rosenthaler Straße
Die Hackeschen Höfe sind von Touristen überlaufen, in der Spandauer Vorstadt herrscht ein Rummel, bei dem man die Zeugnisse der historischen Stadtentwicklung aus mehreren Jahrhunderten leicht übersehen kann: Vorstädtische Bebauung, Mietshäuser mit Kleingewerbe, Gewerbehöfe, großstädtische Wohn- und Geschäftshäuser. Östlich der Rosenthaler Straße lag das jüdisch geprägte Scheunenviertel. Flüchtlingen aus Osteuropa kamen in dieses seit der Nazizeit verschwundene Armenviertel, das ich in meinem Bericht "Die Spuren sind verweht" porträtiert habe.

Die Spandauer Vorstadt hat den Zweiten Weltkrieg weitgehend ohne Schäden überstanden. In der DDR-Zeit wurde wie überall der Altbaubestand vernachlässigt. In der Linienstraße und Joachimstraße hatte die DDR eine Stadtreparatur versucht und Plattenbauten in Altbaulücken gesetzt. Dabei blieben zwangsläufig schmalere Lücken zum Nachbarhaus, weil die Standard-Plattenbreite oder ein Vielfaches davon kaum einmal der Breite eines Ruinengrundstücks entsprach. Die Altstadt auf der Fischerinsel musste nach dem Zweiten Weltkrieg Hochhäusern weichen, und auch das Scheunenviertel hat seine Anmutung als "pittoreskes" Stadtquartier verloren. Aber mit ihrem fast vollständig aus der Gründungszeit überlieferten Wege- und Straßennetz kann die Vorstadt den Zuschnitt des alten Quartiers vermitteln.

Warenhaus Wertheim
Der Architekt Alfred Messel hatte 1896 am Leipziger Platz für Wertheim ein Warenhaus erbaut, das eine ungeheure Wirkung auf die Bevölkerung ausübte. Bei Wertheim konnte man nicht nur einfach alles kaufen, den Erfrischungsraum und die Leihbibliothek nutzen, dort wurde das Shopping-Erlebnis erfunden. Wenn man zu Wertheim ging, wollte man einen Ausflug machen, man kam natürlich auch wegen des Warenangebots. Das Warenhaus wollte alle Schichten bedienen, deshalb sollen die Mitarbeiter angehalten worden sein, "Personen von höherem Rang in Gegenwart einfacherer Menschen nicht mit ihrem Titel anzusprechen oder bevorzugt zu bedienen".

Das Haus ist als wichtiger Bau der Moderne in die Architekturgeschichte eingegangen. Sowohl mit seiner Natursteinfassade mit hohen Pfeilern als auch mit den baukünstlerisch gestalteten Innenräumen - beispielsweise mit Fliesen der Kaiserlichen Majolika-Manufaktur Cadinen (Masuren) - wurde es zu Messels Hauptwerk. Insgesamt gab es drei Lichthöfe. Im zentralen Lichthof mit gläsernem Dach führte eine repräsentative Treppe in die oberen Verkaufsräume. Im Treppenhaus stand auf einem Podest die Kupferstatue "Die Arbeit", von den Mitarbeitern liebevoll "Frau Wertheim" genannt.


mit KLICK vergrößern

Der Bau war gegliedert durch gotisierende vertikale Pfeiler, die vom Sockel bis zum Dach ununterbrochen durchliefen und die eiserne Innenkonstruktion des Hauses nach außen andeuteten. Breite Glasbahnen füllten den Raum zwischen den Pfeilern. Messels Kollege van de Velde war begeistert: "Ich kenne nur wenig Ergreifenderes, als den Anblick der hohen Pfeiler der Leipziger Strasse, welche ohne Anstrengung emporsteigen, um eine Last zu tragen, die ihnen so leicht und schön wie möglich ausgesonnen zu sein scheint".

An der Rosenthaler Straße Ecke Sophienstraße schuf Messel für Wertheim einen weiteren Warenhausbau mit ähnlicher Ausprägung. Es blieb der einzige - wenigstens teilweise - erhaltene Warenhausbau von Messel. Das Gebäude am Leipziger Platz war im Krieg beschädigt worden, in der Nachkriegszeit hat die DDR die Ruine abgerissen. Vom Haus in der Spandauer Vorstadt blieb zur Sophienstraße hin die historische Warenhausfassade weitgehend erhalten, an der Rosenthaler Straße sind nur Ansätze davon in der baulich ergänzten Fassade sichtbar geblieben. Besonders die Bildhauerwerke der alten Steinfassade sind zur Hälfte abgeschnitten, neue Fassadenpfeiler traten an ihre Stelle.


mit KLICK vergrößern

Das Herz blutet bei diesem Anblick. Ob es sich hierbei um den Erhalt einer restlichen Substanz handelt oder um schlichtes Banausentum, können wir nicht ausmachen. Der Wiederaufbau erfolgte 1952, der DDR-Monopolbetrieb für Werbung "Dewag" nutzte das Haus bis zur Wende. Danach ließ der AOK-Bundesverband es erneut umbauen. Dass "die alte Natursteinfassade erhalten blieb und jetzt mit zeitgerechten Konstruktionen vereint ist", kann sich aber erkennbar nicht auf die Rosenthaler Straße beziehen.

Treppen
Zwischen dem alternativen Biotop Haus "Schwarzenberg" in der Rosenthaler Straße und der Einmündung der Sophienstraße sind in drei Häusern außergewöhnliche Treppenanlagen zu finden. Das Haus Schwarzenberg selbst wurde durch eine Blindenwerkstatt bekannt, in der ein Bürstenmacher zur Nazizeit Juden beschäftigte und sie damit vor dem KZ bewahrte, Berlins Version von "Schindlers Liste".

Das Nebenhaus mit Blendbögen (Schmuckbögen, die vor die Mauer gesetzt sind), Fratzendarstellungen und großen Fensterflächen erbaute eine Brauerei als Lokal mit Festsälen über alle drei Etagen. Das Jugendstil-Treppengeländer stammt wie der Bau selbst aus dem Jahr 1905. Zwei Nachbarhäuser mit historischen Treppenanlagen sind um 1780 in der friderizianischen Zeit entstanden. Im Haus 37 ist es eine gewundene hölzerne Treppe auf kreisrundem Grundriss mit Schnitzwerk.


mit KLICK vergrößern

In Haus 36 kann man bis zum Treppenauge sehen, die gewendelte Treppe mit schmiedeeisernem Rokokogeländer lässt den Blick nach oben frei. Auf dem Weg hinein in die Rosenhöfe kommt man direkt an diesem Aufgang vorbei, doch die Passanten sind wegen einer Wand mit Spiegel eher mit Selfies beschäftigt als mit einem goldenen Geländer, das sich nach oben schwingt.

Innenhöfe
Selbst in den überlaufenen Hackeschen Höfen gibt es noch eine stille Ecke. Hof 3 liegt nicht auf der Reihe der miteinander verbundenen Höfe. In einer umgebauten Elektrostation - jetzt "The Box" - verkauft KPM, die Königliche Porzellan-Manufaktur ihre Produkte. Chamisso und Friedrich der Große sind als Porzellanbüsten auch im grünen Innenhof zu finden.

Zwischen Sophienstraße und Gipsstraße hat eine Weißbierbrauerei ein Hofgebäude erbauen lassen. Die gelbe Backsteinfassade ist mit Bändern von roten Steinen durchzogen. Auch die Fensterumrandungen sind rot abgesetzt. Zwei Reliefs berichten vom Herstellungsprozess und zeigen Trinkszenen. Das Vorderhaus war ein Neorenaissancebau, der überformt wurde, die ursprüngliche Fassade kann man vielleicht noch erahnen.

Ein Stahlskelettbau mit einer neoklassizistischen, vertikal gegliederten Pfeilerfassade umschließt in der Rosenthaler Str. 13 einen Innenhof von allen vier Seiten. Im Tympanon (dreieckigen Giebelfeld) der Straßenfassade werden zwei allegorische Figuren gezeigt. Die männliche Figur trägt den Zauberstab von Hermes, dem Schutzgott des Handels.


mit KLICK vergrößern

Kleine Rosenthaler Straße
Nördlich der Gipsstraße zweigt die Kleine Rosenthaler Straße ab. Sie hieß früher "Todtengasse im Spandauer Revier" nach dem dort angrenzenden Garnisonfriedhof. Der spätere Straßenname "Weinbergs-Gasse" verwies auf die Wollankschen Weinberge. Auch Weinmeisterstraße und Volkspark am Weinberg sind Hinweise darauf, dass früher in dieser Gegend Wein angebaut wurde.

Zwei Neubauten in der Kleinen Rosenthaler Straße sind bemerkenswert. Haus Nr. 9 mit einer auffallend schwarzen Holzfassade, das deshalb "Schwarze Rose" genannt wird - "Anmutig wie eine Rose, verwegen wie ihre Dornen". Der Architekt/innen-Verband hat es ausgezeichnet. Wieder ein Bau unter Verwendung von Holz, eine Ergänzung zu unserer Serie über Holz im Städtebau.

Hohe Mieten für das Wohnen auf kleinster Grundfläche, das gehört zu den schlimmsten Auswüchsen während der Industrialisierung. Sind Micro-Appartements eine Erinnerung daran? In der Kleinen Rosenthaler Straße wird ein Haus gebaut mit 35 Micro-Apartments mit Nutzflächen von 16 qm bis 20 qm. In einem anderen Bestandsgebäude wird eine 2-Zimmer-Wohnung angeboten für 305.000 Euro, sie hat 42 qm Wohnfläche (7.200 Euro pro Quadratmeter).

Verzichten, ohne zu entbehren
Im nördlichen Bereich der Rosenthaler Straße reiht sich stellenweise ein Laden an den anderen. Läden, in denen Dinge verkauft werden, auf die man verzichten kann, ohne sie zu entbehren. Unverhohlen nennt sich ein Geschäft "Kauf dich glücklich", ob das hilft? "Wer glücklich ist, kauft nicht", sagen Hirnforscher. Sie haben herausgefunden, dass wir mehr unnötige Dinge kaufen, wenn wir unglücklich sind. Das Glücksgefühl über das Kaufen hält aber nur kurze Zeit an. Der Kauf täuscht nur darüber hinweg, dass unsere wahren Bedürfnisse nicht gestillt werden.


mit KLICK vergrößern

Heute fragt man sich auch: Muss ich Dinge besitzen, um mich an ihrem Nutzen zu erfreuen? "Sharing", das Teilen, ist ein Trend, Dinge gemeinsam zu nutzen. Das ist vernünftig, aber es erzeugt keine Glücksmomente. Erst wenn wir etwas häufig und lange nutzen, etwas damit erleben, wird es zu einem Herzensgegenstand, an dem wir hängen, an dessen Besitz wir uns erfreuen. Kaufen wir Produkte, die wir selten oder gar nicht benutzen, ist der Erlebnisfaktor gleich null. Wie man ein Einkaufserlebnis schafft, ohne sich ein Glücksversprechen abzuringen, haben wir bei Wertheim gesehen.
--------------------------------------------------------------

--------------------------------------------------------------
Unsere Route:
--------------------------------------------------------------

zum Vergrößern ANKLICKEN



Fliegende Mauer, gefangene und verschenkte Mauern
Verzauberung und Todesbeschwörung