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Soldaten an der Friedrichstraße


Stadtteil: Mitte, Kreuzberg
Bereich: Gendarmenmarkt, Checkpoint Charlie
Stadtplanaufruf: Berlin, Gendarmenmarkt
Datum: 30. Januar 2012

Damit Berlins (vielleicht) schönster Platz entstehen konnte, musste die Leibgarde des Königs von ihrem Standort am Gendarmenmarkt weichen. 1710 waren sie vom Marstall hierher gezogen, bereits 1780 mussten sie den Platz wieder verlassen. Diese Gens d'armes (frz: Männer mit Waffen) gaben dem Platz ihren Namen. Die Aufstellung dieser Garde von Adligen zum Schutz des Monarchen geht auf von den Hugenotten "importierte" französische Vorbilder zurück.

Gendarmenmarkt
Der erste preußische König Friedrich I. hatte 1688 (noch als Kurfürst Friedrich III.) seine Residenzstadt entlang der neu angelegten Friedrichstraße um die Friedrichstadt erweitert. Im Laufe der Zeit siedelten hier immer mehr Hugenotten, die als Glaubensflüchtlinge 1685 vom Großen Kurfürsten ins Land geholt worden waren. Die Friedrichstadt wurde zu einem "französischen" Stadtteil. 1700 wies Friedrich I. am Gendarmenmarkt sowohl der lutherischen als auch der französisch-reformierten Gemeinde je einen Platz zum Kirchenbau zu. Die beiden schlichten uneinheitlichen Kirchengebäude wurden 1785 im Auftrag Friedrichs des Großen durch spätbarocke Türme in eine architektonische Beziehung zueinander gesetzt. als Vorbild wird gern die Piazza del Popolo in Rom genannt. Die Türme mussten allerdings zweimal gebaut werden, weil der eine in der Bauphase einstürzte und der andere Risse aufwies. Zwischen den Türmen entstand ein Komödienhaus, der Vorgänger des Schinkelschen Schauspielhauses und des ihm nachempfundenen heutigen Konzerthauses. Durch Schmuckanlagen mit Rasenflächen, Blumenbeeten und Springbrunnen wurde der Gendarmenmarkt 1895 zu einem repräsentativen Straßenraum, durch den allerdings weiter mehrere Querstraßen führten.

Im Zusammenhang mit der bürgerlichen Revolution von 1848 ("Märzrevolution") wurde der Platz zweimal zum Schauplatz politischer Aktionen. Im April 1847 reagierten empörte Arbeiterfrauen gegen die sprunghaft gestiegenen Kartoffelpreise und bedienten sich schließlich selbst, ohne zu zahlen. Diese "Kartoffelrevolution" war ein Vorbote der bewaffneten Kämpfe 1848 zwischen Bürgern und Militär mit mehreren hundert Toten. Die "Märzgefallenen" wurden auf dem Platz aufgebahrt, später musste der König sich auf dem Schlosshof vor den dort noch einmal Aufgebahrten verneigen. Ansätze zu einer Demokratisierung (Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche) sind damit eingeleitet.

Nach einer Zeit als Aufmarschplatz während der NS-Diktatur blieb der Platz nach dem Zweiten Weltkrieg lange ein von Ruinen gezeichneter Innenstadtbereich in Ost-Berlin. Die DDR beschäftigte sich noch mit dem Plattenbau von Wohnungen außerhalb der historischen Innenstadt. Zu dieser Zeit wurden preußische Vorfahren nur als Reaktionäre angesehen, Friedrich der Große war aus dieser Sicht ein Imperialist und Großmachtpolitiker. Historie war etwas, das man mit neuem gesellschaftlichem Ansatz zu überwinden versuchte. Ende der 1970er Jahre wandelte sich die Anschauung in Ost-Berlin, man entdeckte die historische Stadt „als ein Stück Alt-Berlin unter Berücksichtigung historischer Traditionen“, aus Friedrich II. wurde ein aufgeklärter Monarch. Ein Kernbereich sozialistischer Vorstellungen, das Ideal gleicher Möglichkeiten für alle, war schon durch Intershops und Interhotels durchbrochen, die den Bürgern mit der eigenen Währung verschlossen blieben, hier zählten nur Devisen. Auch im Städtebau akzeptierte man soziale Ungleichheit, die Wohnbedingungen waren nicht mehr für alle gleich, wie man an den DDR-Bauten rund um den Gendarmenmarkt ablesen kann.

Der Gendarmenmarkt, so wie er sich uns heute darbietet, ist eine Neuschöpfung durch DDR-Architekten (abgesehen von den Ergänzungsbauten nach der Wende). Der "schönste Platz Berlins" ein unerkanntes DDR-Relikt, das anders als der Palast der Republik und das Gaststättengebäude Ahornblatt noch steht? Schauen wir uns die Nachkriegsgeschichte des Platzes an, auf dem bei Kriegsende nur noch die Außenmauern der beiden Dome und des Schinkelschen Schauspielhauses standen, von der Randbebauung war nicht viel mehr als das Akademiegebäude erhalten. Mit der Umorientierung der DDR auf die historischen Quellen und mit der Vorbereitung der 750-Jahr-Feier Berlins 1987 wurden der Französische Dom als Sakralbau und der Deutsche Dom (innen als Profanbau) wieder aufgebaut.

Der Architekt Manfred Prasser, der den Palast der Republik und den Friedrichstadtpalast mit erbaut hatte, schuf mit Kollegen in Anlehnung an historische Vorbilder die Randbebauung des Gendarmenmarktes unter den Bedingungen der DDR-Baukombinate neu. Dabei wurden mit unterschiedlichen Bauten die überkommenen Grundstücksgrenzen eingehalten, die "Gleichheit" wurde aufgegeben. An der Charlottenstraße wurden zwei Gebäude als Stahlskelette errichtet, denen Betonfassaden in der Optik von Muschelkalk und rotem Werkstein vorgehängt sind. Alle übrigen Bauten sind Standard-Plattenbauten, die um Ornamente und Vorsatzteile ergänzt wurden. In den angedeuteten Walmdächern wurden bis zu zwei Reihen Dachgauben übereinander eingebaut, die teilweise industriell, teilweise handwerklich gefertigt waren. Nur der eine Stahlskelettbau ist auch beim zweiten Blick nicht als Nachkriegsbau erkennbar, alle anderen Bauten sind - ohne sich zu verstecken - Nachschöpfungen, sozusagen DDR-Historismus oder "DDR-Postmoderne" (zur gleichen Zeit lief in West-Berlin die IBA Internationale Bauausstellung mit vielen Ausdrucksformen der West-Postmoderne).

Beim Wiederaufbau des Schauspielhauses empfand Manfred Prasser im Schinkelschen Denken das neu, was sich nicht aus alten Abbildungen und Postkarten erkennen ließ. Die Werksteinfassade wurde in Handarbeit ergänzt und aufgebaut, im Innern entstand ein Konzerthaus, das aus einem Nebenraum des Schinkelbaus abgeleitet war. Der Gendarmenmarkt erhielt jetzt eine einheitliche Oberfläche und Struktur, die Querstraßen wurden herausgenommen, eine gleichmäßige Pflasterung und neue Straßenmöbel (beispielsweise Sitzbänke) verbanden das Ensemble erstmalig auch im Stadtraum zu einer Einheit.

Checkpoint Charlie
Ein Stück weiter südlich hat die Friedrichstraße ebenfalls mit Soldaten Geschichte geschrieben. Dort, wo nach dem Zweiten Weltkrieg die Friedrichstraße eine "von der Geschichte verkehrsberuhigte Straße" war, an der Grenze zwischen amerikanischer und russischer Zone, bildete der Checkpoint Charlie den Kontrollposten für den Grenzübergang von Kreuzberg nach Mitte und umgekehrt. Kurz nach dem Mauerbau 1961 standen sich hier russische und amerikanische Panzer kriegsbereit gegenüber, danach kehrte wieder der Alltag eines innerstädtischen Ost-West-Grenzübergangs für Ausländer, Soldaten, Diplomaten ein.

Die (West-Berliner) IBA 1984/87 (Internationale Bauausstellung) hat direkt am Checkpoint Charlie mehrere Baulücken geschlossen und dabei zwei Bauwerke geschaffen, deren Besonderheit sich erst bei näherem Hinsehen erschließt. Auf der Zimmerstraße stand die Mauer, parallel dazu lief "im Westen" - also südlich der Zimmerstraße - in Kreuzberg die Kochstraße.

Direkt am Kontrollposten, an der Friedrichstraße zwischen Zimmer- und Kochstraße, wurde von Rem Koolhaas ein sechsgeschossiges Wohnhaus errichtet, das im Erdgeschoss und Untergeschoss dem Zoll und den Amerikanern als Parkplatz, Beobachtungsposten, Kommandoraum und Ruhezone diente. Die dicken Pfeiler im MacDonald sind ein sichtbares Überbleibsel der später zu Läden ausgebauten "Unterfahrt". Der Wohnbereich darüber blickt von einem Laubengang mit großen offenen Glaslamellen zum Kontrollpunkt herüber, der Zugang zu den Wohnungen ist aber nur über einen Innenhof von der Kochstraße aus möglich. Dort führen die außen liegenden Metalltreppen an einem ausgiebigen Müllcontainerpark vorbei - sie als "Himmelsleitern" zu bezeichnen, würde heute wohl niemandem mehr einfallen. Das Dach steht zum Kontrollpunkt asymmetrisch über, die runden Öffnungen erinnern an das "Schirmständerhaus" in der Wilmersdorfer Straße (--> 1). Und wer zieht in ein Wohnhaus direkt an der Sektorengrenze? Zu Anfang sollen hier überwiegend Übersiedler untergebracht worden sein.

Auf der gegenüber liegenden Seite der Friedrichstraße ist das Eckhaus an Kochstraße ("Haus am Checkpoint Charlie") auf einen doppelten Linienverlauf ausgerichtet. Der Architekt Peter Eisenman hat seinen Bau einerseits ganz normal an der Baufluchtlinie ausgerichtet, die durch Vorsprünge und Rücksprünge angedeutete zweite Linie ist der hier verlaufende Meridian (Längengrad des Globus). Entsprechend verweist ein weißes Raster auf der Hausfront auf Projektionslinien, mit deren Hilfe der Globus als Fläche dargestellt werden kann (Mercator-Projektion).Mit den Fassadenbänder in rot und grau will Eisenman an die Bedeutung dieses Standorts im 19. und 20.Jahrhunderts erinnern.

Die Straßenkreuzung Friedrichstraße Ecke Kochstraße gibt nach längerer Rotphase den Fußgängern in allen Richtungen gleichzeitig grünes Ampellicht, man wird sogar von Ampeln und Markierungen ermuntert, die Kreuzung diagonal zu überqueren.

Südliche Friedrichstraße
Im weiteren südlichen Verlauf der Friedrichstraße thront ein Reichsadler auf einem Gebäude, dessen monumentaler Baustil darauf hinweist, dass es im Dritten Reich errichtet wurde. Gebaut wurde es 1938 als Gauarbeitsamt, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg zog die Arbeitsverwaltung hier ein. Vorher saß hier die Organisation Todt, eine Bautruppe, die vor allem für militärische Bauten (beispielsweise den "Westwall") eingesetzt wurde.

Etwas versteckt hinter diesem Gebäude der Agentur für Arbeit steht ein eigenwilliger Bau der IBA 1984/87. Satteldach verkehrt herum - nach innen geneigte Dachflächen, sozusagen die Negativform eines Daches - und eigenwillige Hauben über den Balkons hat der New Yorker Architekt John Hejduk seinem Atelierturm mit umgebenden Wohnhausflügeln als markantes Erkennungszeichen gegeben. Der Hauptturm enthält die Zimmer, je ein Seitenturm links und rechts die Küchen und Bäder, in zwei rückwärtigen Türmen sind Fahrstuhl und Treppenhaus untergebracht. Der Besselpark gegenüber soll den Bau hinter dem Jobcenter Friedrichstraße in einen Gartenfreiraum stellen, aber die dazwischen liegende eingezäunte Brachfläche unterbricht diesen Zusammenhang.

Auf dem Weg zum Mehringplatz entlang der Friedrich- und Wilhelmstraße tauchen weitere IBA-Bauten zwischen dem Altbaubestand auf. Sogar ein Park geht auf die Bauausstellung zurück, der Theodor-Wolff-Park hinter dem Tommy-Weissbecker-Haus, das 1973 besetzt wurde und jetzt ein selbstverwaltetes Projekt ist. Es gehört zur IBA-Geschichte, dass die Hausbesetzungen den Finger in die Wunde der Berliner Kahlschlagpolitik legten und damit ein Umdenken in der Wohnungspolitik anstießen (--> 2).

(Bau-)Geschichte vom Gendarmenmarkt bis zum Mehringplatz haben wir heute erlaufen. Das Café im SPD-Haus weist uns unfreundlich ab, daneben finden wir ein Café, in dem wir unsere eingefrorenen Knochen wieder auftauen können.

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(1) Schirmständerhaus: Glockenspiel auf dem Shoppingcenter
(2) über Instandbesetzungen: Gesetzestreue Steinewerfer
Mehr über den Gendarmenmarkt: Gendarmenmarkt
Alle Beiträge zur Friedrichstraße: Planschen an der Friedrichstraße

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Zu diesem Bericht gibt es einen Forumsbeitrag:
Gendarmenmarkt/Checkpoint Charlie, 30.1.2012


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... und hier sind weitere Bilder ...
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Goodbye Lenin
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