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Parteihochschule wird zu Luxuswohnungen


Stadtteil: Mitte
Bereich: Luisenstadt
Stadtplanaufruf: Berlin, Köpenicker Straße
Datum: 3. Februar 2020
Bericht Nr.:686

Eine farbige Hand, alle Finger ausgestreckt, davor eine hellhäutige Hand mit zwei Fingern zum Siegeszeichen erhoben, das ist "Unter der Hand", ein Mural (Wandbild) in der Brückenstraße an der Ecke Köpenicker Straße. Überlebensgroß taucht es plötzlich an der quirligen Straßenkreuzung über dem U-Bahnhof Heinrich-Heine Straße auf und macht einen atemlos. Der Graffiti-Künstler Core hat ein Faible für Hände in Überdimension, die fotorealistisch große Flächen wie hier die Brandwand bedecken.

Auf dem weiteren Weg findet man in der Köpenicker Straße 55-56 verdeckt hinter Bauten weitere Wandbilder. Die unverputzten Rückseiten von Altbauten sind eine hervorragende Leinwand für Graffiti. Ein Workshop von Kunststudenten soll hier der Ausgangspunkt für Wandbilder gewesen sein, offensichtlich gefolgt von weiteren Graffiti. Die große Freifläche vor den Murals wird an der anderen Seite von Neubauten flankiert, ein fast symbolisches Zusammentreffen. Das ist das Faszinierende am Flanieren, selbst nach gründlicher Vorinformation über einen Kiez finden sich immer wieder überraschende Sichten.


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Die Köpenicker Straße gehört auf ihren ersten 500 Metern zum Bezirk Mitte. Sie dokumentiert auf diesem Weg die Entwicklung vom Dorf an einer Handelsroute zu einem international begehrten Bauplatz in einer Stadt, in der die Spuren des Krieges, die Verwerfungen der politischen Teilung und die sozialen Probleme der Verdrängung sichtbar gebelieben sind. Zwischen Fischerinsel und Oberbaumbrücke erstreckt sich die Köpenicker Vorstadt, die 1802 in Luisenstadt umbenannt wurde nach der von den Berlinern verehrten Königin Luise. In diesem Bereich hat die Stadt über die Jahrhunderte mehrfach entscheidend ihr Gesicht verändert.

Dort, wo heute der Köllnische Park liegt, war früher sumpfiges Schwemmland. Als der Große Kurfürst Berlin zur Festungsstadt umbauen ließ, wurde die Köpenicker Bastion angelegt, auch "Bollwerk im Morast" genannt. Die Festung erfüllte nie ihren militärischen Zweck. Nachdem der Festungsgraben zugeschüttet und die Bastion abgetragen war, entstand eine Zuckersiederei, später gefolgt vom Märkischen Museum inmitten eines ehemaligen Gartengeländes.

Köpenicker Feld
Das alte Berlin/Cölln war von Anbeginn an mit Köpenick über die Köpenicker Straße verbunden, die früher "Der lange Damm hieß", der durch das "Köpenicker Feld" führte. Durch den Bau der Jannowitzbrücke (1822) und die Verlängerung der Köpenicker Straße als Inselstraße zum Stadtzentrum (1859) wurde das Köpenicker Feld attraktiv für die Besiedlung. Vorher hatten sich hier neben lockerer Bebauung vor allem Gärtnereien angesiedelt. Neue Straßen entstanden. Die Jannowitzbrücke wurde über die Brückenstraße erschlossen. Von der Wassergasse, die zum Teil dem Verlauf des Festungsgrabens gefolgt war, wurde die Rungestraße abgeteilt. Die Wassergasse war 1740 angelegt und knapp hundert Jahre später gepflastert worden.

Parallel dazu verlief seit 1827 die Ohmgasse. Sie später in Ohm'straße' umzubenennen, wurde dem tatsächlichen Zustand nicht gerecht, denn sie misst von Hauswand zu Hauswand nur gut 7 Meter. Das stellt heute die Stadtplaner vor Probleme, müssen sich doch Fußgänger, Radfahrer, PKWs und Lastwagen die Straße teilen. Zusätzlich nutzen Taxen die Ohmstraße als Schleichweg, um die Brückenstraße zu umgehen. Verkehrsberuhigung ist angesagt.

In der Ohmstraße sind mehrere Wohnhäuser erhalten geblieben, die um 1880 gebaut wurden. Da nach der Bauordnung die Gebäudehöhe maximal der Straßenbreite entsprechen durfte, sind die Vorderhäuser zur Straße dreistöckig, nach hinten vierstöckig angelegt worden und die Höfe dicht mit Seitenflügeln und Quergebäuden bebaut. Die Fassaden sind im Stil der Neorenaissance und der Neoklassik gestaltet.


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Zweiter Weltkrieg
Die meisten Bauten im Bereich der Köpenicker Straße in Mitte sind im Zweiten Weltkrieg durch Bomben beschädigt oder zerstört worden. Am 3. Februar 1945 wurde das Zentrum Berlins durch Bomben der US-Army Air Forces innerhalb von 50 Minuten total verwüstet. Vom Potsdamer Platz über den Alexanderplatz bis zur Köpenicker Straße und Melchiorstraße reichten die dichten Bombenteppiche. Es war der schwerste Schlag im Bombenkrieg, mit 2.500 Toten und 120.000 Obdachlosen, ein Inferno. Danach wurden Häftlinge des KZ-Lagers Köpenick "zur Freilegung von Straßenzügen" eingesetzt, aber nur die Hauptstraßen wurden geräumt. Das Wohn- und Industriegebiet bis zur Köpenicker Straße wurde für den öffentlichen Verkehr gesperrt und eingemauert, Durchlässe wurden nur für Bewohner und im Gebiet Arbeitende geöffnet.

Das historische Straßennetz als Gedächtnis der Stadt ist dabei weitgehend erhalten geblieben. Den Krieg überstanden nur wenige öffentliche Gebäude wie die Feuerwache und die Schule. Erhalten blieben einzelne Wohngebäude an der Köpenicker Ecke Wassergasse und in der Inselstraße sowie eine Gruppe von Häusern in der Ohmstraße. Und Gewerbebauten wie Victoriahof, Zigarettenfabrik Josetti, Luisenstädtische Bank und das Gewerkschaftshaus von Max Taut.

Nachkriegszeit, Nachwendezeit
In der Nachkriegszeit lag die geteilte Luisenstadt in Mitte (Ost-Berlin) und Kreuzberg (West-Berlin). Die DDR setzte ab 1960 Plattenbauten in das ausgebombte Quartier. Stolz schrieb die DDR-Nachrichtenagentur ADN unter ein Zentralbild: "Das Heinrich-Heine-Viertel. Ehemals ein düsteres Wohnviertel für ausgebeutete Arbeiter, im Kriege fast vollständig zerstört, heute eine wachsende helle Wohnstadt für die Werktätigen". Dazu gehörte auch der heute leerstehende Plattenbau für eine Grundschule an der Adalbert- Ecke Melchiorstraße, den die Schulverwaltung gern reaktivieren möchte. Dafür bräuchte man einen Teil des Geländes, das ein Tennisverein nutzt, und der ist weder für einen Platz auf einer Doppelsporthalle zu begeistern noch für die Mitnutzung der Turnhalle nach einem Abrisses der eigenen Tennishalle.

Nach der Wende wurde der Bereich zwischen Heinrich-Heine-Straße und Adalbertstraße sehr schnell von Investoren und Spekulanten entdeckt. Grundstücke wurden gekauft und bebaut oder als Spekulationsobjekte einfach liegen gelassen. Die steigenden Grundstückspreise boten für Spekulanten eine attraktive "Rendite". Da konnte es lukrativer sein, ein Grundstück mit Ruine einfach liegen zu lassen, als es neu zu bebauen.


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Spekulation gab es schon in der Gründerzeit während der Industriellen Revolution, und auch heute ist der Verfassungsartikel "Eigentum verpflichtet" eine sehr stumpfe Waffe dagegen.

Wagenburgen

Der Abriss des entmieteten Hauses Köpenicker Straße 137 wurde kurz nach der Wende durch Hausbesetzer verhindert. Das ehemalige Hinterhaus - das Vorderhaus war ausgebombt - wurde zu einem alternativen Wohnprojekt, dem "Köpi 137". Nach dem Häuserkampf zwischen Polizei und Hausbesetzern in der Friedrichshainer Mainzer Straße wollte man keine Wiederholung: Die Besetzer erhielten Mietverträge von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, auf dem Hof entstand eine Wagenburg. Das alternative Gelände ist eine Provokation zwischen den Neubau-Investitionsvorhaben, die enorm steigenden Grundstückswerte verstärken die Bemühungen immer neuer Grundstückserwerber, die Nutzer zu vertreiben und das Grundstück neu zu bebauen.

In der Folge ging nach der Rückübertragung des Grundstücks der Eigentümer pleite, es gab eine Zwangsverwaltung, mehrere Zwangsversteigerungen, eine Großrazzia bei einem Erwerber wegen Betrugsverdachts bei Bauleistungen. Die Firmengeflechte der Eigentümer sind undurchschaubar, das Köpi kommt nicht zur Ruhe. Der Innensenator antwortet 2017 auf eine Kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus zu linksextremistischen Wohnprojekten, das Köpi sei "stärker von subkulturellen Lebensstilen geprägt", der Anteil gewaltbereiter Linksextremistinnen und Linksextremisten sei geringer als bei der "Rigaer 94", aber das Auftreten des Staates führe "fast reflexhaft zu gewalttätigen Reaktionen". Andererseits werden Touristen auf das Köpi aufmerksam gemacht, der Reiseführer Marco Polo verweist auf den dortigen Club.

Gegenüber hatte die Wagenburg "Der schwarze Kanal" den Unmut des benachbarten Architektur-Zentrums auf sich gezogen und tatsächlich entschied das Oberverwaltungsgericht, dass die Wagenburg eine Wertminderung für das Nachbargrundstück sei und daher verschwinden müsse. Das Bauunternehmen Hochtief hatte den Platz an die Wagenburg vermietet und sah sich verpflichtet, der hier zum zweiten Mal vertriebenen Wagenburg ein Ersatzgelände in Neukölln zu besorgen. Das Architektur-Zentrum ist eine von Architekten gegründete Institution, die mit staatlicher Unterstützung "Themen der Architektur, der Stadt und deren künstlerische Bezüge" vermittelt. Wenn so eine Institution einen ungeliebten Nachbarn wegklagt, der von einem Bauunternehmen vertraglich dort angesiedelt worden ist, hat das auch eine politische Dimension.

Postamt, Postfuhramt
An der Köpenicker Straße 122 suchen wir zunächst vergeblich nach den Resten des Postamts 16, einem halbhohen Fassadenteil mit bauchigen Gittern. Hinter einer Holzverschalung bekommen wir einen kurzen Blick darauf, aber das meiste verschwindet in der Verkleidung vor dem dort entstehenden Wohn- und Geschäftshaus. In den 1850er Jahren hatte die Stadt für die Briefverteilung die "Stadtpost-Expeditionen" eingerichtet, die ab 1873 als "Stadt-Post-Anstalten" weitergeführt wurden als Vorläufer der Postämter. 1904 zog die Berliner "Stadt-Post-Anstalt SO 16" - die alte "Stadtpost-Expedition V" abgelöst hatte -, in die Köpenicker Straße 122. In der Nachkriegszeit erfolgte der Umzug zur Wassergasse Ecke Köpenicker Straße und die Umbenennung in Postamt Berlin C 14. Zuletzt war das Postamt in der Dresdener Straße ansässig. Heute reichen Postshops, in denen die Kunden manchmal bis auf die Straße anstehen, weil in dem Laden auch Platz sein muss für Zigaretten und chinesische Glückskatzen (so in der Chausseestraße).

Parallel zum Postamt 16 war das Postfuhramt 16 eingerichtet worden, das sich von der Köpenicker Straße 132 bis zur Melchiorstraße erstreckte. Dort waren die Pferde, Postfuhrwerke und Paketpostwagen der Kaiserlichen Reichspost untergestellt. Vor der Motorisierung mussten Arbeitspferde die Post, die Straßenbahn, die Feuerwehr und das übrige Transportwesen mobil machen. Im Juni 1925 wurden die 640 in der Posthalterei stationierten Pferde überflüssig, motorisierte Postfahrzeuge übernahmen den Transport. Diese Fahrzeuge wurden im Postfuhramt untergestellt und gewartet. Der Fuhrpark umfasste 1927 rund 200 Fahrzeuge. Sie wurden eingesetzt, um die auf Umschlagebahnhöfen eingegangenen Postsachen zu den Postämtern zu bringen und Transporte zwischen den Postämtern durchzuführen.

Feuerwache Luisenstadt
Die 1866 in der Köpenicker Straße 125 errichtete Feuerwache Luisenstadt ist die zweitälteste Berufsfeuerwache in Berlin. Die Mutter aller Brandwachen, Berlins ältestes Feuerwehrgebäude, steht in der Linienstraße in Mitte. Aufbau und Ausrüstung der Feuerwehr gingen in großen Schritten voran, seit 1851 die Berufsfeuerwehr geschaffen wurde. Der erste Königliche Branddirektor begann in demselben Jahr, ein flächendeckendes Telegrafennetz für die Feuerwehr einzurichten. Ein Wasserleitungsnetz mit 1.520 Hydranten wurde 1856 in Betrieb genommen, 1876 gab es den ersten öffentlicher Feuermelder, 1879 die erste Drehleiter, 1884 den ersten Telefonanschluss, über den im ersten Jahr 14 Brände gemeldet wurden.

Zwei Löschzüge waren in der Feuerwache Luisenstadt stationiert. Die Wagen wurden von Pferden gezogen, neben Wagenremisen gab es im Erdgeschoss Stallungen. Das Gebäude aus gelben Ziegeln mit Rundbogenfenstern blieb erhalten, wird aber nicht mehr von der Feuerwehr genutzt. Der direkt angrenzende Victoriahof ist ein typischer Gewerbehof, so wie Kurt Berndt sie in großer Zahl variationsreich in Berlin gebaut hat. Seine 1887 gegründete Baugesellschaft beschäftigte zwischen 250 und 400 Mitarbeiter. Auch Geschäftshäuser und Miethäuser gehören zu seinem Werk und die Hacke'schen Höfe, die eine touristische Attraktion sind.

Krankenkasse, Parteihochschule, Luxuswohnungen
Am Schulze-Delitzsch-Platz wird gerade ein Plattenbau abgerissen, der mit seinen durchgehenden Fensterbändern dem Haus der Statistik am Alexanderplatz ähnelt. Er gehörte zur Parteihochschule "Karl Marx" und war auf der Rückseite des expressionistischen AOK-Verwaltungsgebäudes in der Rungestraße gebaut worden, in dem die Parteihochschule 1955 ihren Sitz genommen hatte. Nach der Wende wurde der Altbau in Eigentumswohnungen umgebaut und als "Metropol-Park" vermarktet. Die B.Z. wusste Einzelheiten: "Auf ehemals kommunistischem Boden steht heute die teuerste Einzelzimmer-Wohnung Berlins. Preis: rund vier Millionen Euro! Für den Rohbau. Den Ausbau muss der Käufer zusätzlich zahlen".



Den Schulze-Delitzsch-Platz hatten wir schon einmal im Blick, als wir das Heinrich-Heine-Viertel durchstreiften. Das Gewerkschaftshaus von Max Taut an der Insel- Ecke Wallstraße konnten wir an einem Denkmaltag auch von innen sehen. Dem Köllnischen Park war ein Besuch gewidmet, als wir die Stadtbärin besuchten, die damals noch hier lebte.

Der Köpenicker Straße können Sie auf dem weiteren Weg in Kreuzberg auf diesem Spaziergang folgen: Revolutionsbedarf und Graffiti
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Unsere Route:
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Späte Wiedergutmachung
Eine Gasse für die Armen