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Kaffee statt Alkohol - da kommen keine Gäste


Stadtteil: Mitte
Bereich: Hackescher Markt
Stadtplanaufruf: Berlin, Münzstraße
Datum: 27. Oktober 2008 (Bilder vom 21. September 2015)

Wo andere Städte großzügig Parks angelegt haben, da hat das preußische Berlin Grundstücke verkauft, auf denen dann Gebäude mit Hinterhöfen gebaut wurden. Wie es dazu kam, lesen Sie in meinem folgenden Bericht.

Straßen sind das Gedächtnis der Stadt, im Stadtgrundriss wird immer wieder auch die Geschichte eines Stadtteils sichtbar. Heute sind wir auf Folgen des Dreißigjährigen Krieges gestoßen. In diesen dreißig Jahren halbierte sich die Berliner Bevölkerung durch Kriegeinwirkung und Krankheiten (Pest, Ruhr, Pocken), von 12.000 Einwohnern blieben nur 6.000 übrig. Immer wieder haben sich während dieses Krieges Truppen in Berlin einquartiert (kaiserlich-katholische und schwedisch-protestantische) und Kriegssteuern und Kontributionen eingefordert *). Die alten Befestigungsanlagen, die früher aus Wällen, Gräben und Palisaden, später aus einer steinernen Mauer bestanden, hatten die Stadt nicht schützen können.

Ansiedlungen vor der Stadtmauer wurden geduldet, waren aber rechtlos, da sie jederzeit bei Kriegsgefahr zur Herstellung freien Schussfeldes ("Glacis") abgeräumt werden konnten. So erging es im Dreißigjährigen Krieg den Vorstädten vor dem Georgentor und dem Cöpenicker Tor, sie wurden trotz wütenden Protestes der Bewohner auf Befehl von Berliner Stadtkommandanten abgebrannt.

Nach Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde Berlin zur Festung ausgebaut, um es gegen zukünftige Angriffe besser zu schützen. Durch den Ausbau entstand im Stadtgrundriss ein 17-zackiger Stern, dessen Spitzen aus dreieckigen Bastionen gebildet wurden, auf denen Kanonen drehbar aufgestellt werden konnten. Und wieder musste die Bevölkerung leiden, Berliner wurden "wie leibeigene Bauern zur Schanzarbeit gezwungen" und die Stadt musste Gelände und Geld für die Baustoffe zur Verfügung stellen. Es entstand eine Wasserfestung, für die mehrere Stadttore versetzt werden mussten. Als die Festung 1683 fertiggestellt war, war sie durch den Fortschritt der Waffentechnik bereits strategisch überholt. Mit den neuen Kanonen konnte man über die Festungsmauern hinweg in die Stadt hinein schießen. Eine preußische Investitionsruine stand in der Stadt.

Manchmal wird in Berlin etwas fast schneller wieder abgerissen, als es aufgebaut wurde. So erging es ab 1734 dem Festungsbauwerk: es wurde geschliffen, die Wälle wurden abgetragen, um damit die Wassergräben zuzuschütten. Auf dem nördlichen Festungsgraben wurde 1882 der Stadtbahnviadukt Jannowitzbrücke - Alexanderplatz - Hackescher Markt errichtet. Plätze wie der Hausvogteiplatz oder der Hackesche Markt haben heute noch den Grundriss aus Festungszeiten. Die Münzstraße verlief außerhalb der Festung direkt an deren Rand, ihr damaliger Name Contrescarpe weist auf seine Funktion als Böschungsstraße hin.

Andere Städte (z.B. Bremen) haben die Flächen und Gräben der ehemaligen Festung zu Parkanlagen umgestaltet, nicht so die sparsamen Preußen: Auf dem Gelände zwischen der Böschungsstraße (Münzstraße, Neue Schönhauser Straße) und dem Festungsgraben (Dircksenstraße) wurden Grundstücke parzelliert und verkauft, die von der einen Straße zur anderen durchgehen. Die mit der Industrialisierung einsetzende verdichtete Bebauung mit mehreren Hinterhöfen - damals häufig mit kleinen Fabriken in den Etagen der Seitenflügel und Quergebäude - ist hier noch heute vorhanden. Im heutigen Bebauungsplan Spandauer Vorstadt wird dieser Bereich als "archäologisches Verdachtsgebiet" bezeichnet, (hier ist Verdacht einmal positiv besetzt), aber auch wegen der vielfältigen Abfolge unterschiedlicher gewerblicher Nutzungen mit Altlastenverdacht belegt.

Bei unserem heutigen Rundgang kommen wir vom Hackeschen Markt und gehen durch die Münzstraße und die Neue Schönhauser. Dabei können wir mehrmals die Höfe bis zur Dircksenstraße durchqueren. Das Gebäude Münzstraße 21-23 ist mit Neorenaissanceformen aus rotem Klinker und Sandstein geschmückt. In der Münzstraße wurde auch die erste Informationssäule von Herrn Litfaß (Litfaßsäule) aufgestellt, heute ersetzt durch ein Kunstwerk, das so aussieht wie eine Litfaßsäule.

In der Neuen Schönhauser wurde die Fassade des Hauses der "Volks-, Kaffee- und Speise-Hallen-Gesellschaft" herausgeputzt. In diesem Etablissement wurden "auf sicherer kaufmännischer Grundlage beruhend, Kaffee und andre Getränke, außer Branntwein, und Eßwaren jeder Art zu billigsten Preisen verabfolgt und möglichst behagliche, für Männer und Frauen gesonderte Räumlichkeiten dargeboten. ... Frühere Einrichtungen, welche speziell den Zweck verfolgen sollten, den Arbeiter vom Alkoholgenuß abzuhalten und ihm als Ersatz Kaffee und Thee für wenig Geld zu liefern, haben keinen Erfolg gehabt. Man mußte einsehen, daß ein mäßiger Genuß von Bier zu gestatten sei, falls man überhaupt Gäste in den Räumen sehen wolle", die Idee vollständiger Enthaltsamkeit vom Alkohol war nicht marktfähig (zitiert nach Meyers Konversationslexikon von 1891).

Nach einem Abstecher durch die Rosenhöfe bekommen wir im Lokal von Lemkes Spezialitätenbrauerei im S-Bahn-Bogen zünftiges Bier und zünftige Speisen freundlich serviert. Das Lokal ist voll, der Sound vieler Stimmen erinnert an eine Düsseldorfer Altstadtkneipe, in kurzen Abständen poltern S-Bahnen über einen hinweg, tief in die Sessel auf der Galerie versunken genießen wir dieses Gesamtkunstwerk.

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*) Truppen und Kriegshandlungen in Berlin während des Dreißigjährigen Krieges
1618 Kriegsbeginn
1620 Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz flieht ins Berliner Schloss, seine Truppe von 3.000 Mann bleibt in Brandenburg
1628 Markgraf Sigismund fordert 140.000 Taler Kontribution zum Unterhalt der kaiserlichen Truppen.
1628 Wallenstein nimmt Quartier in Berlin
1630 Wallenstein nimmt erneut Quartier in Berlin und verlangt weiterhin Kontributionen
1631 Gustav II. Adolf besetzt Berlin und fordert 30.000 Taler monatlichen Unterhalt für seine Truppen
1633 Kaiserliche Truppen besetzen Köpenick und bedrohen Berlin
1634 Der Kurfürst stationiert 1.000 Mann in Berlin
1635 Die Schweden stürmen Berlin und wüten unter der Bevölkerung, die Stadtbefestigung ist dem Ansturm nicht gewachsen
1636 Die Schweden stationieren 12.000 Mann in Berlin
1640 Graf Schwarzenberg läßt die Vorstädte am Georgentor abbrennen.
1641 Stadtkommandant von Kracht läßt die Vorstädte am Köpenicker Tor abbrennen. Die Bürger fordern Schadensersatz für beide Vorstädte
1648 Westfälischer Frieden beendet den 30-jährigen Krieg
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mehr Spaziergänge im Scheunenviertel: Scheunenviertel

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Ich sagte: Wir möchten mit
Mauern sind in Berlin nicht dauerhaft