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Die traurigen Löwen vom Mühlendamm


Stadtteil: Mitte
Bereich: Heilige-Geist-Viertel und Nikolaiviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Burgstraße
Datum: 2. Februar 2022 (“2.2.22“)
Bericht Nr.:762

Entlang der Spree sind wir gegenüber der Spreeinsel auf der Burgstraße und ihren Verlängerungen Vera-Brittain-Ufer und Spreeufer unterwegs. Hier finden wir einige wenige der im alten Zentrum noch erhaltenen historischen Bauten. Manche wurden "vereinfacht wiederhergestellt" oder unter Verwendung alter Teile neu errichtet. Sie wurden in Neubauten einbezogen oder stehen nicht mehr an ihrem angestammten Platz (wurden "transloziert"). Diese Beobachtung hatten wir schon bei den Palais in Mitte gemacht, die nach der gewaltigen Kriegszerstörung überwiegend Nachbauten unter Verwendung von Teilen der Ruinen sind, im Innern oft von vornherein auf eine neue Nutzung ausgerichtet.

Im Heilige-Geist-Viertel
Die Burgstraße erhielt ihren Namen nach der kurfürstlichen Burg am gegenüberliegenden Spreeufer, dem späteren Stadtschloss. Im Mittelalter trug sie den Namen “Hinter der Heiligegeiststraße“. Diese Parallelstraße führte bis zur Poststraße im Nikolaiviertel. Heute ist sie eine Privatstraße im Dom-Aquarée. Im Heilige-Geist-Viertel standen das gleichnamige Spital, von dem heute noch die Kapelle existiert und die Garnisonkirche. Begrenzt wurde das Viertel durch das Hamburger Tor der Stadtbefestigung, mit dem Pulverturm, der 1720 explodierte und die Garnisonkirche zerstörte. Ihr Nachfolgebau brannte 1908 nach einem Kurzschluss aus, das dann wiederaufgebaute Gotteshaus fiel im Zweiten Weltkrieg den Bomben zum Opfer.

Burgstraße
Friedrich den Großen kennt man als angenehmen Plauderer, der auch einen Sinn für Ironie besaß. Dass er sich wegen der Zuneigung (oder Liebe?) zu einer Ballerina in einen rasenden Tyrannen verwandeln konnte, der -5- staatliche Zwangsmittel missbrauchte, um die Tänzerin in seine Gewalt zu bringen, hätte man nicht gedacht, auch weil er doch wohl Frauen weniger zugetan war. Es begann gleich mit einer Zurückweisung: Der König wollte Barbara Campanini - die "Fliegende Göttin“ - nach Berlin holen, doch sie trat ihr Engagement nicht an, sondern reiste mit ihrem Geliebten - einem britischen Politiker - nach Venedig. Friedrich versuchte sie mit einem Auslieferungsersuchen -1- nach Berlin zu holen, aber Venedig gab dem erst nach, nachdem er den venezianischen Gesandten in Berlin festsetzen ließ -2-.

Schließlich hatte der König sie in Berlin. Er brachte sie in einem Hotel in der Burgstraße unter, das in ihrer Suite ein Badebassin aus Delfter Kacheln einbauen musste. Friedrich ließ der Primaballerina eine hohe Gage zahlen, er durfte sie während ihres Engagements im Séparée der Oper besuchen. Als sie nach fünf Jahren auf offener Bühne den Heiratsantrag eines preußischen Adelsherrn annahm, ließ Friedrich den Auserwählten ins Gefängnis stecken -4- und ihren Vertrag fristlos kündigen -5-. Sie heiratete heimlich, doch die Ehe scheiterte nach zehn Jahren. Fortan beschäftigte sie sich mit ihrer Stiftung für arme adelige Fräuleins.

In seinem Lustspiel Minna von Barnhelm lässt Lessing das Fräulein in eben diesem Hotel an der Burgstraße den Herrn von Tellheim treffen. Und durch weitere historische Fakten ist die Burgstraße bekannt. Hier gab es mehrere Freihäuser, die einen besonderen Status hatten: Sie waren von Steuern, Einquartierungen und städtischen Abgaben befreit. Freihäuser wurden von den Herrschenden als Lehen vergeben. Als der Maler Max Liebermann 1847 geboren wurde, lebte seine Familie in der Burgstraße. 1863 bezog die Berliner Börse einen Neubau an der Burgstraße, der Bahnhof Hackescher Markt wurde 1882 als Bahnhof Börse eingeweiht. In der Nazizeit wurde ein Haus in der Burgstraße zum Schreckensort. Das Judenreferat der Gestapo befand sich dort, in einem "Schutzgefängnis" wurden Menschen gefoltert. Das Eckhaus an der Anna-Louisa-Karsch-Straße mit dem vertikal gegliederten Stahlskelettbau wurde 1910 als Geschäftshaus errichtet. Heute bildet die Humboldt-Uni dort evangelische Theologen aus.

Im Nikolaiviertel
Das Nikolaiviertel zeigt weitgehend noch den historischen Stadtgrundriss, lediglich die südliche Kante wurde durch den Grunerdamm abgeschnitten. Das älteste Viertel der Stadt war nach Kriegszerstörung weitgehend eine Brache, bis es die DDR zur 750-Jahrfeier der Stadt 1987 wiederentdeckte und mit einer Mischung aus Plattenbau und Rekonstruktion neu aufbaute. Historisch anmutender Gebäude entstanden aus Versatzstücken alter Häuser, nur weniges ist noch „alt“. Das wieder aufgebaute Ephraimpalais hatten wir schon früher betrachtet.

Schauen wir auf das antike Stadtviertel. An der Ecke zur Rathausstraße stand die Alte Post, sie gab der Poststraße ihren Namen. Das 1759 erbaute Knoblauchhaus Poststraße 23, Wohnsitz mehrerer Generationen von bedeutenden Persönlichkeiten der Familie, ist eines der wenigen noch am ursprünglichen Standort erhaltenen repräsentativen Bürgerhäuser.

Das Kurfürstenhaus an der Poststraße 4 geht über zwei Höfe bis zum Spreeufer durch. Das Gebäude mit roter Sandsteinfassade und gusseiserner Treppe auf der Spreeseite wurde durch eine Anekdote über die Erscheinung der "Weißen Frau" im Schloss bekannt. Dieses Schlossgespenst mit weißem Gewand und weißem Witwenschleier schwebte durch die Hallen und sah im Schloss nach dem Rechten. Trug sie schwarze Handschuhe, dann stand ein Todesfall in der Herrscherfamilie bevor. Ein Kurfürst floh in Panik vor dieser Gestalt in das Haus seines Kammerdieners am Spreeufer, wo er dann auch starb. So bekam das Kurfürstenhaus seinen Namen.


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In einem Haus an der Poststraße wohnte der Auserwählte von Madame Marie Anne Du Titre, ein reicher Seidenhändler. Mit ihrem urwüchsigen Berliner Dialekt trat sie in der großbürgerlichen Gesellschaft unbefangen auf "trotz eines deutlichen Mangels an formaler Bildung". Als ältliche Dame schaffte sie es, mit Goethe in Kontakt zu treten und berichtete darüber: "Ich sagte: Angebeteter Mann! Da stand er stille, legte die Hände auf den Rücken, sah mir groß an und fragte: Kennen Sie mir? Ich sagte: Großer Mann, wer sollte Ihnen nicht kennen! Und fing an zu deklamieren: Fest gemauert in der Erden Steht die Form aus Gyps gebrannt." Das war zwar aus der Glocke von Schiller, aber sie hatte mit dem bewunderten Goethe gesprochen.

Mühlendammbrücke
Treppe rauf, Treppe runter, ein merkwürdiges Auf und Ab am Rande des Nikolaiviertels: Vom Ephraim-Palais kommend wird man Richtung Mühlendammbrücke zu einer Treppe geleitet, die mit leichtem Schwung hinauf zur oberen Spreeuferpromenade führt, einer von Balustraden eingefasste Plattform über der Spree. Über eine breite alte Steintreppe kann man von dort wieder heruntergehen bis zum Wasser. Die Treppe wird von zwei Löwen flankiert, die ganz verloren und traurig dort herumstehen. Die "Könige der Tiere", das Sinnbild für Macht und Stärke, für Würde und Stolz, flankieren gewöhnlich eine nach oben führende Treppe zum Herrschersitz, zum Himmel, bewachen Eingänge zu Parks und Schlössern oder schützen die Grabmäler von Königen und Fürsten. Hier sind Gesäß und Schwanz zur Treppe gewandt, die Löwen liegen beengt oberhalb der Treppe und schauen auf die enge Plattform. Welchen Sinn würde es auch machen, auf eine abwärts führende Treppe zu blicken?

Die Löwen haben ihren Platz wechseln müssen, sogar mehrfach. Sie standen vor dem Palais Schwerin, das selbst zum Molkenmarkt wandern musste, sie folgten ihm. Dann kam die Nachschöpfung des Viertels zur 750-Jahrfeier. Da wurden auch die Löwen wieder bewegt und oberhalb der Treppe aufgestellt, ein Symbol, das an diesem Ort - gewollt oder mangels besseren Wissens - seinen Sinn verloren hatte. Der Vorwurf, es sei eine Art Disneyland entstanden, wird hier augenfällig bestätigt.


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Alte Schleuse
Direkt unterhalb der Mühlendammbrücke regulierte eine Schleuse den Wasserstand der Spree. Mehrfach wurde sie umgebaut, bis schließlich 1936 weiter östlich am Rolandufer eine neue Schleuse errichtet wurde. Die Kaimauer der alten Schleuse mit den Backsteingewölben von 1893 blieb erhalten, zeitweise war sie von einer Außenwand verdeckt. Erst 1986 wurde diese Außenmauer abgetragen, die Bögen kamen wieder zum Vorschein. Die Spreeuferpromenade verläuft als Plattform über den Bögen. Das führt zu dem Auf und Ab der Treppen bei den Löwen, wenn man dem Spreeufer folgen will.

Die Mühlendammbrücke wurde mehrfach verändert, aus dem alten Knüppeldamm zur Überquerung der Spreefurt wurde eine Brücke mit Getreidemühlen, später eine Geschäftsstraße mit Kolonnaden. Die schließlich vorgenommene maßlose Verbreiterung für den Autoverkehr müsste eigentlich heute bei der Herstellung alter Quartierszuschnitte zurückgenommen werden, doch die Pläne für den Brückenneubau lassen das nicht erkennen.

Skulpturengarten
Das Heilige-Geist-Viertel und Nikolaiviertel wirken wie ein Skulpturengarten mit einer Vielzahl von Bildhauerwerken. Am Garnisonkirchplatz stehen sieben Skulpturen in der mit Efeu überwucherten Grünfläche. An der Burgstraße sitzen junge Bronzegestalten ("3 Girls 1 Boy") auf der Ufermauer, etwas weiter entfernt unterrichtet der liberale Pädagoge Friedrich A. Diesterweg an einem bronzenen Schultisch. Am Dom-Aquarée stehen auf hohen Holzstelen drei überlebensgroße "Torwächter". In das Nikolaiviertel sind ein drachentötender St. Georg und die zwei Löwen von anderen Standorten verlagert worden, weitere Skulpturen finden sich um die Nikolaikirche.


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Den Garnisonkirchplatz hat eine dort ansässige Galerie in ein "erweitertes Schaufenster" verwandelt. Von den "Sieben Gesten des aufrechten Ganges" der Bildhauerin Sabine Grzimek sind drei etwa lebensgroße Figuren mit überlangen Gliedmaßen aufgestellt: "Der Denker", "Aus dem Wasser Schreitender" und "Der Rufer". Sie sind aus einem historischen Ereignis abgeleitet, das die Zivilcourage und Standhaftigkeit von Menschen zeigte. Den kongolesischen Premierminister Patrice Lumumba hat eine Künstlerin mit auf dem Rücken gefesselten Händen und auf dem Boden sitzend mit einer Plastik dargestellt, die entstanden ist, kurz nachdem er ermordet wurde.

Gret Palucca
Lebensgroß, mit ausgebreiteten Armen, steht die Tänzerin Gret Palucca in der Grünfläche des Garnisonkirchplatzes. Palucca war eine "sprunggewaltige und koboldhafte Tänzerin", sie konnte Ballett und Ausdruckstanz zusammenbringen, zu thematischen Vorschlägen aus dem Publikum improvisieren. Gret Palucca lehrte als Tanzpädagogin weitab von der klassischen Ballettausbildung Themen wie Anatomie, Improvisation, rhythmische Erziehung. Sie inspirierte Ernst Ludwig Kirchner, der sich ausgiebig dem Studium und der Darstellung von Tanz widmete, unter anderem zu dem Gemälde "Tanzender Frauenakt, Gret Palucca" (1929).


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Palucca war Schülerin von Mary Wigman, die mit ihrer Tanzgruppe den modernen Ausdruckstanz international bekannt machte. Wigmann schreibt in ihren Memoiren über die Schülerin Palucca, „ein Mädchen mit schmalen Hüften, jungenhaftem Gesicht und wilden, rotblonden Haaren. Sie hatte ein ausgezeichnetes, wenn nicht außergewöhnliches Tanztemperament gepaart mit einer natürlichen Fähigkeit zu springen. So eine Begabung habe ich bei keinem der vielen Tänzer und Tänzerinnen, die ich im Laufe der Jahre unterrichtet habe, jemals wieder erlebt.“

Gret Palucca war mit Bauhaus-Meistern wie Walter Gropius, Wassily Kandinsky, Paul Klee bekannt und befreundet. Der Bauhaus-Lehrer László Moholy-Nagy schwärmte nach ihrem Auftritt im Bauhaus 1927:

"Palucca verdichtet den Raum, sie gliedert ihn:
der Raum dehnt sich, sinkt und schwebt –
fluktuierend in allen Richtungen".
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Unsere Route:
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Gemeinsam auf die Ewigkeit warten
Fliegende Mauer, gefangene und verschenkte Mauern