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Kiekemal - das Sandmännchen!


Stadtteil: Hellersdorf
Bereich: Mahlsdorf-Süd
Stadtplanaufruf: Berlin, Golzower Straße
Datum: 7. Januar 2019
Bericht Nr.: 642

So ändern sich die Zeiten: Vor einiger Zeit empörten sich die Prenzelberger gegen die Schwaben. An die Hauswände wurde "Schwaben raus" gesprüht, selbst am Flughafenbus konnte man BVG-amtlich lesen: "Liebe Schwaben, wir bringen Sie gern zum Flughafen". Genau entgegengesetzt war die Haltung der Preußen vor 266 Jahren, da holte man schwäbische Familien nach Berlin und siedelte sie in Mahlsdorf an.

Der heutige Unmut (manche sagen Hass) richtet sich gegen die Schwaben, weil die wohlhabenden Zugezogenen aus dem Süden die Gentrifizierung - Verdrängung der alten Bewohner - beschleunigen. Es ist aber wohl auch eine Art Fremdenfeindlichkeit, wenn ihnen vorgeworfen wird, sie brächten ihre Dorf- und Kleinstadtmentalität in die Stadt, hätten kein Verständnis für die Berliner Kultur, würden beim Bäcker "Wecken" statt "Schrippen" verlangen, seien pedantisch und würden Schwäbisch schwätza.

Die schwäbischen Kolonisten
Und wie war das damals mit den schwäbischen Kolonisten? Drei Familien aus Filderstadt-Plattenhardt südlich von Stuttgart hatten auf Initiative Friedrichs II. ihre Heimat verlassen, um in Preußen kostenloses Bau- und Ackerland zu erhalten. Hundert Jahre später heißt es in einer Abhandlung des Oberamts Stuttgart über deren Heimatgemeinde Plattenhardt, dass der Boden im Allgemeinen fruchtbar sei, die Landwirtschaft aber wenige Fortschritte gemacht habe, "was theils in der zu weitgehenden Anhänglichkeit der Einwohner an das Hergebrachte, theils in ihrer Armuth seinen Grund hat". Vernichtend charakterisiert werden in diesem amtlichen Text die Bewohner der Ortschaft: "Die Einwohner sind in der Geistesentwicklung gegen manche Nachbargegenden etwas zurück, Krankheiten gewinnen eine bedeutende Ausdehnung, zuweilen zeigt sich Cretinismus, zum Theil werden affenähnliche Kinder geboren". Vielleicht hat hundert Jahre vorher eine ähnliche Lebenssituation die Auswanderer veranlasst, nach Berlin zu gehen.

In Preußen haben sich die Erwartungen der Kolonisten nicht erfüllt. "Na kiek er mal, das wird wohl langen für euch!" soll der Alte Fritz zu den Schwaben gesagt haben, als er ihnen 1753 das öde Land zwischen Köpenick und Mahlsdorf zeigte und zuwies. Gewohnt haben die drei Familien - 11 Erwachsene, 14 Kinder - in einem "Seidenwürmerhaus", das einem Lieblingsprojekt Friedrichs II. diente, der Seidenraupenzucht. Warum sie nur zu Tagelöhnern und nicht wie geplant zu Siedlern auf eigenem Land wurden, darüber gibt es unterschiedliche Aussagen. "Verschiedene Straftaten" sollen daran schuld gewesen sein, kann man lesen. Das "Neue Deutschland" hat vom Klassenstandpunkt aus eine andere Erklärung: "Das hinterhältige Ränkespiel preußischer Staatsdiener, die sich an der Ansiedlung von Kolonisten bereichern wollten", sei der Grund gewesen, denn die Schwaben hatten nichts Schriftliches in der Hand.

Die neue Ortschaft wurde in Anlehnung an den Ausspruch des Alten Fritzen "Kiekemal" genannt. Mehr als hundert Jahre dümpelte sie im toten Winkel zwischen Mahlsdorf und Köpenick vor sich hin, in einer Heidelandschaft als Straßendorf angelegt mit später 9 Häusern und 55 Einwohnern. Erst als die Berliner die Ausflugsziele rund um die Stadt entdeckten und frequentierten, wurden zunächst Ausflugslokale und dann auch Wohnhäuser dort gebaut.

Ausflugslokale
Durch Köpenick fuhr bis 1903 die Cöpenicker Pferde-Eisenbahn, danach die Städtische Straßenbahn Cöpenick. 1907 wurde die Straßenbahn bis nach Mahlsdorf verlängert. Als "Wüstenbahn" fuhr sie über eine unbefestigte Straße von Köpenick nach Kiekemal. Noch heute durchquert sie ein Waldgebiet südlich des Ortsteils, bis sie an der Waldpromenade wieder auf bebautes Gebiet stößt und dem Hultschiner Damm folgt.

Hinter dem Wald rechts empfing ab 1899 das Waldrestaurant Kiekemal seine Ausflugsgäste. An der ersten Ecke links liegt das 1905 erbaute Ausflugslokal St. Hubertus. Dort konnte man aus den Rundbogenfenstern des Parkettsaals in den Biergarten schauen. Heute wird dieser Bereich von einer Kita genutzt, natürlich ohne Bier. An den Parkettsaal grenzt eine Villa an, ein hoch aufragendes Eckgebäude, in dem ein Hotel betrieben wurde.


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Später nutze es ein Galvanikbetrieb, dann wurde es zu Wohnungen umgebaut und schließlich stellte zu DDR-Zeiten eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks dort Kaffeemaschinen her. Nach denkmalgerechter Restaurierung lädt heute in dem Eckhaus das Gasthaus Alter Fritz mit Fritzens Mollestube zu Tisch.

Bebauung und Terrainentwicklung
Vorn im Biergarten war seit 1905 ein unübersehbares Schild aufgestellt, es bot "Auskunft über Baustellen des neu aufgeschlossenen Terrains" an. Die Bautätigkeit und damit wahrscheinlich auch Bodenspekulation hatte bereits zehn Jahre vor dem Straßenbahnanschluss eingesetzt. Damals warb man damit, Kiekemal sei in 20 Minuten von den Bahnhöfen Köpenick und Hirschgarten zu erreichen. Ein Grundbesitzerverein ("Verschönerungsverein") wurde gegründet, bäuerliche Flächen wurden aufgekauft und parzelliert. Das "who is who" der Kiekemaler Straßennamen zählt einige auf, die an den Grundstücksgeschäften beteiligt waren: Donath, Kohlis, Müller, Ullrich, Wille, Winkler, Bausdorf sogar zweimal mit der Bausdorfstraße und (nach seinem Vornamen) der Theodorstraße.

Bauten aus der Gründungszeit von Kiekemal sind nicht erhalten, nur Zeugnisse der Bautätigkeit ab 1900. Sie liegen zwischen Hultschiner Damm und Königsweg (Erich-Baron-Straße), beide verlaufen zuerst parallel, bis der Königsweg zum Hultschiner Damm abknickt.

Einen ähnlichen abknickenden Verlauf nahm die Mirower Straße, wie man heute noch an dem Kopfsteinpflaster sehen kann. Das alte Pflaster ist bei einigen Straßen erhalten, an manchen Stellen wurde es mit Asphalt übergossen. Der Königsweg wurde genau wie der Alte-Fritz-Weg (Golzower Straße) in der DDR-Zeit umbenannt, Ehrungen für Friedrich II. wollte man 1951 nicht haben.


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Heute erreicht man Kiekemal mit der Straßenbahn vom Bahnhof Köpenick aus in zehn Minuten. Die kleine Kolonie macht einen beschaulichen und aufgeräumten Eindruck. Wenn wir von einem Anwohner wegen des Fotografierens befragt werden, spricht das für eine funktionierende Nachbarschaft. Zwei Grundschulen gibt es im Ortsteil, die private Best-Sabel-Schule und die staatliche Kiekemal-Schule, beide mit Ganztagsangebot. Die private Schule nutzt ein ausgedehntes Schulgebäude aus den 1930er Jahren, das um einen Neubau ergänzt wurde. Die Kiekemal-Grundschule kann den Andrang von Zugezogenen kaum bewältigen, "Modulare Ergänzungsbauten" sollen mehr Platz schaffen.

Sender Köpenick
In der Dammheide, im Wald südlich des Ortsteils Kiekemal, stand von 1952 bis 1993 eine Sendeanlage, die so geheim war, dass kein DDR-Stadtplan sie verzeichnete. Der Sender empfing per Richtfunk das Sendesignal vom Studio Adlershof und sollte in den kapitalistischen Westen strahlen. Nach der Wende sendeten Antenne Brandenburg, FRITZ! RTL Radio und Jazz Radio von hier.

Die Antennen erreichten eine Höhe von 248 Metern. Ein geerdeter Sendemast konnte hydraulisch vom Erdboden weg in die Höhe gezogen werden, um nicht beim "Überschallknall von Militärflugzeugen beschädigt zu werden". Tagungen des Bundestags oder der Bundesversammlung in West-Berlin sahen die Sowjets als Verletzung des Viermächteabkommens an, dagegen setzten sie als psychologische Waffe Flüge mit Überschallknall über der Stadt ein. An der baulichen Anlage der Sendemasten wird deutlich, dass diese gefährlichen Manöver über der Millionenstadt keine spontane Eingebung waren, sondern als Teil einer Zermürbungstaktik von langer Hand geplant wurden.

Ullrichplatz
Den Ullrichplatz hatte der Berliner Stadtgartendirektor Erwin Barth in den 1920er Jahren üppig ausgestattet mit Bänke, Pergolen, Blumen und Stauden. Ein Spielplatz und ein erhöhter Sitzplatz rahmten die große Rasenfläche in der Mitte ein. Benannt ist der Platz nach Franz Ullrich, einem Grundbesitzer und Mitglied des "Verschönerungsvereins Kiekemal", in dem sich die Eigentümer zusammenschlossen. Von der gärtnerischen Idee der Anlage und ihrer Ausführung ist heute kaum noch etwas wahrzunehmen. Zwar ist die Fläche gesäubert, doch im Stadtquartier wird sie mehr als "Abstandsgrün" zwischen der Randbebauung wahrgenommen.

Das Sandmännchen ist ein Kiekemaler
Am Hultschiner Damm Höhe Paul-Wegener-Straße zog in den 1930er Jahren das Kino Lichtburg in den Saalbau eines früheren Ausflugslokals ein. Mit 398 Plätzen war es nicht gerade klein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es auf 466 Plätze erweitert. Als Ende der 1950er Jahre in Westdeutschland und West-Berlin das Kinosterben einsetzte, war auch im Osten eine ähnliche Entwicklung zu beobachten, ausgelöst durch die Verbreitung des Fernsehens. 1959 wurde der Saalbau am Hultschiner Damm zu einem Haus der Filmproduktion umgestaltet.

Hier entstanden mehr als tausend "Sandmännchen"-Filme des Deutschen Fernsehfunks der DDR. Damit die Eltern ihre Sprösslinge ins Bett bekamen, hat das kleine Männchen mit dem weißen Spitzbart ihnen am Ende jeder Sendung seinen Schlafsand in die Augen gestreut. "Es war doch nicht alles schlecht in der DDR", wie das Ampelmännchen hat das Ost-Sandmännchen die Wiedervereinigung überlebt. Sein westdeutscher Bruder musste gehen, das Ost-Sandmännchen darf jetzt gesamtdeutsch Sand streuen in müde Kinderaugen.

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Den Spaziergang können Sie hier fortsetzen:
Richtung Mahlsdorf: Haltestelle an der Preußischen Ostbahn
Richtung Köpenick: Köpenicker Stadtwappen in Aktion
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Unsere Route:
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Trampelpfad und rechter Winkel
Die Rückkehr des Astronauten