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Das urzeitliche Gähnen des Universums


Stadtteil: Lichtenberg
Bereich: Rummelsburg
Stadtplanaufruf: Berlin, An der Bucht
Datum: 15. Mai 2025
Bericht Nr.:862

Die zwei Gesichter der Rummelsburger Bucht: Vor neun Jahren hatten wir uns gefragt: Kann man zwischen Industriebauten flanieren? Von der Perlonfabrik zur Hundekuchenfabrik, vorbei an einer Flussbadeanstalt, zwei Kraftwerken und einem Gaswerk ging unsere Route als Stadtforscher, wobei auch die ehemaligen Norddeutschen Eiswerke von Bimmel-Bolle in den Blick kamen. Unser Bericht damals: "Hundekuchen und Perlonstrümpfe".

Gegenwärtig entsteht ein neues Stadtviertel an der Rummelsburger Bucht. Eine Entwicklungsgesellschaft "Wasserstadt" lässt eine "Städtische Landschaft" entstehen für Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Viele Wohnbauten sind bereits bezogen, andere - darunter auch Gewerbebauten - sind im Entstehen.

Regenwasserbewirtschaftung
Am "Rummelsburger Seeblick" vor dem Bürogebäude "Alexis Offices" sehen wir die ersten Ausläufer der Regenwasserbewirtschaftung, das ganze Neubauquartier ist als "Schwammstadt" angelegt: Eine herkömmliche Kanalisation für das Regenwasser wird dadurch überflüssig, dass man das Regenwasser straßenbegleitend in zahlreichen bepflanzten Bodensenken auffängt und in unterirdischen Rigolen sammelt. Die Ränder der gepflasterten Straßen öffnen sich zu den Senken.


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Das ganze ist sehr wirkungsvoll, aber unscheinbar, wenn der Blick nicht dafür geschärft ist. Die Uferzonen werden durch ein Renaturierungs- und Bepflanzungskonzept zu einem mehr als 5 km langen öffentlichen Grünzug rund um die Bucht. Diese Seepromenade erzeugt das Flair eines Urlaubs an der Küste.

Bürogebäude "B:Hub"
Das Bürogebäude "B:Hub" ist ein Langer Jammer von 300 m Länge entlang der Kynaststraße. Es ist bis zu 11 Etagen hoch, aber diese Megastruktur ist geschickt gegliedert. Mehrmals leicht abgeknickt schmiegt es sich an den Bahnkörper der Görlitzer Bahn an. Die Nähe zum Bahndamm wird bewusst als Lärmpuffer für die Nachbarbebauung genutzt. Ob an den bahnseitigen Büros bei starkem Zugverkehr nur "Pufferküsser" (Bahnfreunde) ihre Freude haben? Von einem auf der anderen Seite vorgesetzten einstöckige Gebäuderiegel breitet sich eine Treppe aus, die wie ein Amphitheater wirkt und zu Geselligkeit einlädt.


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Aquarium “Ocean Berlin"
Vor drei Jahren ist das Aquarium "Aquadom" in Mitte nahe der Marienkirche geplatzt, die Fische zappelten auf dem Trocknen, das Hotel wurde unter Wasser gesetzt. Unerschrocken entsteht jetzt an der Rummelsburger Bucht - An der Mole 1 - ein neuer Aquariums-Bau “Ocean Berlin”, dem man ein besseres Schicksal wünscht.

Als wir auf Höhe der Baustelle sind, bringt der Sturm ein schweres Bauelement am Kranhaken heftig zum Schleudern, es schlägt gegen die Baustelle und die Straßenlaterne, nur mit Mühe können zwei unerschrockene Bauarbeiter es schließlich einfangen. Puh, das ist nochmal gutgegangen.


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Städtischer Neubau
Am Paul- und Paula-Ufer wird das Baufeld der städtischen Baugesellschaft HoWoGe sichtbar, ein Neubau mit 169 Mietwohnungen, davon die Hälfte Sozialwohnungen. Barrierefrei, mit Terrasse oder Balkon und Blick auf das Wasser. Die Ein- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen lassen sich zu acht zusammenhängenden Zimmer zusammenlegen, eine Kita ist im Haus. Ein Lichtblick unter den Wohnbauten, die heutzutage vielfach ausschließlich an den Renditeerwartungen der Investoren ausgerichtet sind.

Glashütte
Dem orangefarbenen Wohnbau der HoWoGe gegenüber liegt die Halbinsel Stralau. Die Stralauer Glashütte hatte dort hundert Jahre lang Bier-, Wein-, Champagner-, Likör- und Mineralwasserflaschen, Korbflaschen, im Krieg auch Glasbehälter für Giftgasgranaten hergestellt. Das Werk schloss 1997 nach einer Havarie. Für die Neubebauung wurde besonders lange und gründlich nach Schadstoffen im Boden und im Wasser gesucht. Dabei wurde ein "Stralauer Glasklumpen" gefunden und für die Nachwelt aufbewahrt, er wird am Ufer ausgestellt.


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Möblierte Kleinstwohnungen
Um die Wohnungsnot zu lindern, gibt es jetzt politische Bestrebungen, das möblierte Vermieten von Wohnungen zu verbieten, weil dort Phantasiepreise möglich und üblich sind. Ein Investor, der mit Kleinstwohnungen auf diese Art und Weise ein Vielfaches der normalen Mietpreise erzielt, nennt seine Mission, "Zugang zu Wohnraum für jeden zu bieten". Es ist schwer, das nicht als ironisch zu deuten. Diese "nachhaltigen Wohnlösungen" sind Mikroappartments, für die beispielsweise eine typische 75-Quadratmeter-Wohnung in vier möblierte Appartements aufgeteilt und zum Vierfachen des üblichen Preises angeboten werden. Gegenüber dem Bahnhof Rummelsburg hat "Habyt" einen Neubau errichtet mit diesem Konzept möblierter Kleinstwohnungen .

Hausboote
In der Rummelsburger Bucht haben sich mehrere Hausboote eingefunden, rund 80 Menschen sollen auf dem Wasser wohnen, darunter auch Künstler und Kulturschaffende. Es ist ein "Biotop für alternative Lebensentwürfe". Ankern ist nur noch mit permanenter Wache an Bord erlaubt, deshalb stellen sie ihre Boote zu Clustern zusammen, damit immer einer die Aufsicht hat.


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Die Einleitungen von den Booten verschmutzen den See, der aber auch aus anderen Gründen noch nicht für das Baden freigegeben ist, die Rückstände aus Industriezeiten sind noch nicht ganz beseitigt.

Hofgärten
Zwischen Hauptstraße und Rummelsburger See nehmen die "Hofgärtenblocks" einen wesentlichen Teil des neuen Bebauungsgebiets ein, sie erstrecken sich bis zum Medaillonplatz. Die Blocks sind zum Wasser U-förmig geöffnet, wovon die ufernahen Gebäude mehr profitieren als die Bauten in zweiter Reihe hinter der Straße "An der Bucht". Die gleichförmigen roten Würfel wirken sehr massiv, wenn man nicht vom Ufer her den Blick in ihre Gärten hat.


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Townhouses
Der Medaillonplatz wird von Townhouses umstanden. Das sind städtische Reihenhäuser, deren Wirkung eigentlich auf ihrer Unterschiedlichkeit beruht, im Idealfall sind sie nicht gleichförmig. Wenn serielle Bauten unter einer einheitliche langen Front zusammengefasst werden, geht dieser Charme einzelner Häuser verloren. Am Medaillonplatz wurde diese Chance vertan, die den Holländerhäusern nachempfundenen roten Backsteinreihen wirken eintönig. Südlich davon am Bolleufer wechseln sich zwei Bautypen ab mit unterschiedlicher Gebäudehöhe und Farbigkeit, ein lebendigeres Bild.


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Arbeitshaus und Gefängnis
Südwestlich schließt sich ein Areal an mit historischen Gebäuden, die man in Wohnbauten umgewandelt hat. Sie wurden in den 1870er Jahren als Städtisches Arbeits- und Bewahrhaus erbaut, daraus wurde später ein Gefängnis. In der Nazizeit wurden dort Arbeitsscheue und "Asoziale" zwangsverwahrt. Zu DDR-Zeiten nutze die Stasi die Bauten, um vor allem wegen Fluchthilfe Verurteilte zu inhaftieren, die vielfach im Laufe der Zeit vom Westen freigekauft wurden. Nach der Wende hat auch Honecker eine Nacht in der Strafvollzugsanstalt verbracht.

Zu den historischen Bauten gehören auch die Knabenhäuser weiter westlich am Bolleufer, eine "Heimstatt für elternlose Jungen und Mädchen" aus den 1850er Jahren. Das Waisenhaus mit getrennten Bauten für Knaben und Mädchen steht in einem parkartigen Gelände.

Berlin-Campus
Welchen Namen soll man einem Areal mit solcher Geschichte geben? Nicht sehr originell, aber die negative Vergangenheit hinter sich lassend(?), heißt es "Berlin Campus" und wurde um Wohnbauten und Terrassenhäuser ergänzt.

An der Erich-Müller-Straße richten sich drei Mehrfamilienhäusern mit Eigentumswohnungen zur See hin aus. Eingefasst werden sie von einer Gambionenmauer mit Steinen in Drahtkörben, was sehr modern ist, aber etwas klobig wirkt. Grünflächen vor den Häusern stellen den nötigen räumlichen und optischen Abstand zur Uferpromenade her.


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Das weitere Areal bis zur ehemaligen Flussbadeanstalt hat (noch?) keinen geschlossenen Charakter, es wirkt trostlos. Eine Boulderhalle taucht auf, sie nennt sich "Ostbloc" und ist nur eine Zwischennutzung.

Eine intergalaktische Utopie
Ist da in der Ferne ein Ufo sichtbar? Man schaut zweimal hin, das Ellipsoid hat man doch schon einmal im Treptower Park gesehen? Vom finnischen Architekten Matti Suuronen stammt diese Utopie des Weltraumzeitalters. Er hatte für das Objekt aus glasfaserverstärktem Kunststoff ganz erdzugwandt die Nutzung als Skihütte, Wochenendhaus, Unterrichtsraum oder Arztpraxis vorgeschlagen.

Das Futuro wurde in mehreren Ländern in kleiner Serie produziert. In Berlin stellte eine Turmbaufirma - die auch den Funkturm errichtet hatte - das Objekt in Serie her. Nr. 13 stand zunächst am Funkhaus Nalepastraße, dann als Parkfunkstudio im Plänterwald Treptow. Jetzt ist es - vom Schrottplatz gerettet - noch ohne Funktion auf einem Hausboot auf der Spree montiert.



Flussbad Lichtenberg
Das Flussbad Lichtenberg nahe dem östlichen Ende des Bolleufers besteht nicht mehr. Wir erleben den Ort als große Baustelle, in die wir uns hineinschummeln. Ein Kollektiv, das sich "Erlebnis-Hospitality-Kollektiv Slowness"nennt, bezeichnet es als seinen Campus: "Eine Ansammlung von Menschen, Orten und Projekten, die unsere Lebens- und Interaktionsweise neu gestalten". Aha.

Reetdachhaus
Von dem Projekt ist ein Reetdachhaus fertig erbaut, für uns aber unzugänglich. Und was wir darüber lesen, macht uns auch nicht schlauer. Wir rätseln wofür und für wen das denn gut sei? Lesen wir bei dem Kollektiv nach über den als "Klangtempel" bezeichneten Bau und seine Bestimmung:


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Es ist die Rede vom "bis dahin unentdeckten urzeitliche Gähnen des Universums", von einem "bedeutungsvolles Dröhnen, durchzogen von winzigen Pausen, die am Ende viel mehr sind, als sie scheinen". Und weiter: Das Pulsieren des nahenden Jenseits wird "als das Geräusch der Seele, als akustisches Phänomen" beschrieben. Wenn man keine Angst hat vor Musik aus dem Jenseits hat und für solche Erleuchtung reif ist, kann man ja bei Gelegenheit einmal reingehen.

Öffentliche Verkehrsmittel
Die Rummelsburger Bucht gehört mittlerweile zu den begehrten Wohnlagen Berlins. Offensichtlich nur für Gutverdienende, denn mit der BVG ist der östlichen Bereich zwischen Rummelsburger See und Hauptstraße/Köpenicker Chaussee kaum erreichbar. Nach dem Berliner Nahverkehrsplan soll Bus, Bahn und anderer Nahverkehr in 300 Meter Entfernung von der Wohnung für 80% der Bevölkerung erreichbar sein, toleriert werden bis zu 400 Meter.

Bei der Straßenbahn 21 als einzige Verbindung gibt es auf 3 km Straßenbahnstrecke nur 3 Haltestellen, außerdem kommt nur alle 20 Minuten eine Bahn, wenn sie pünktlich ist. Schon 2018 sollte eine weitere Straßenbahn 22 die Wartezeit auf 10 Minuten verkürzen. Daraus wurde nichts, "das ist aus Sicht der Nachfrage nicht zu vertreten", übersetzt: da will sowieso keiner fahren.

Bei uns hatte die Bahn zusätzlich zum 20-Minuten-Takt eine Verspätung von weiteren 11 Minuten. Auf der Haltestelle inmitten der Ausfallstraße waren wir dem Sturm schutzlos ausgeliefert, eine unerträgliche Situation.

Dem zu entfliehen suchten wir anschließend ein Café, das eine weitere Merkwürdigkeit für uns bereithielt: Ein Gastraum ohne weitere Kunden, vollständig eingerichtet mit Kaffee- und Kuchentheke; eine junge Frau als Bedienung, die allerdings dem Servicegedanken nicht sehr zugetan war. Praktisch die ganze Zeit sprach sie in ihr Handy, aus dem Milchkaffee wurde ein Kaffee mit Milch und der große schwarze Kaffee für die Flaneurin wurde in einer kleinen Tasse serviert.

Wir haben trotzdem Rummelsburg als spannendes Ziel in Erinnerung.

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Unsere Route:
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Dreiecke im Stadtgrundriss - trocken u. unwirtlich