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Stalins Ohr und Tierskulpturen


Stadtteil: Friedrichshain
Bereich: Strausberger Platz - Alexanderplatz
Stadtplanaufruf: Berlin, Karl-Marx-Allee
Datum: 14. Dezember 2009

Stalins Ohr kann man für 10 Euro kaufen, es ist eine Nachbildung aus Ton. Ein Bauarbeiter hatte Ohr und Schnurrbart "gerettet", der Rest der Berliner Stalin-Statue wurde eingeschmolzen und für Skulpturen des Tierparks Friedrichsfelde verwandt, fast eine geistige Verwandtschaft zu den "Schwertern zu Pflugscharen" der DDR- Friedensbewegung. Das 4,80 Meter hohe Bronzestandbild stand seit 1952 vor Neubauten der Stalinallee, bis es 1961 klammheimlich entsorgt wurde. Der Plan, es zum Strausberger Platz zu versetzen, wurde nicht verwirklicht. Dabei hätte der für seine "Säuberungen", die Verfolgung und Ermordung einer Unzahl von Menschen verantwortliche Diktator gut hierher gepasst, wo seit dem Mittelalter das Berliner Hochgericht Todesurteile durch Hängen, Rädern oder Lebendigbegraben vollzog. Bekanntestes Opfer war der in Heinrich von Kleists Novelle verewigte Michael Kohlhaas.

Die mittelalterlichen Handelsstraße nach Frankfurt/Oder war im Arbeiterbezirk Friedrichshain eine Korridorstraße mit tristen Mietskasernen und lichtarmen Hinterhöfen. Es gab viele Destillen, seit 1908 aber auch das Kaufhaus von Hermann Tietz als Einkaufszentrum des Berliner proletarischen Ostens.

Über diese Straße, die bis 1949 Große Frankfurter Straße und Frankfurter Allee hieß, marschierte am Ende des 2.Weltkriegs die Roten Armee nach Berlin ein. Durch den Krieg wurde ein Großteil der Bebauung zerstört, am Strausberger Platz lag der Schutt fast einen halben Meter hoch über die ganze Breite der Straße. Zum 70.Geburtstag Stalins 1949 benannte man die Straße in Stalinallee um. Zwanzig Jahre lang stand dort eine 1951 gebaute Sporthalle, ein Monumentalbau für 5.000 Besucher der "3. Weltfestspiele der Jugend und Studenten". Materialmangel war kein Hindernis, man holte sich Träger aus dem zerstörten Zentralviehhof, Travertin, das für Hitlers Hauptstadt Germania eingelagert war und Plastiken von Andreas Schlüter aus der Schlossruine. Die Improvisation rächte sich, wegen Baufälligkeit musste die Halle 1971 abgerissen werden.

Nach einem Entwurf des Architekten Hans Scharoun wurden 1949 zwei Laubenganghäuser an der heutigen Karl-Marx-Allee gebaut. Scharoun war der erste Nachkriegs-Stadtbaurat des provisorischen Magistrats von Groß-Berlin, 1945 eingesetzt von der Sowjetischen Militäradministration. Mit einem "Kollektivplan" wollte er die rigorose Neuaufteilung der Stadt im Sinne zeitgenössischen Städtebaus bewirken, der Plan wurde so nicht verwirklicht, Scharoun bald wieder abgesetzt. Seine Pläne galten als formalistisch, elitär und westlich-dekadent.

Nach dem Willen der DDR-Führung sollte die Stalinallee die "erste sozialistische Straße in Deutschland" werden, "Paläste für Arbeiter statt amerikanischer Eierkisten" sollten errichtet werden. Im ersten Bauabschnitt zwischen Strausberger Platz und Frankfurter Tor entstand das "längste Architekturdenkmal der Republik". Als erstes wurde das Hochhaus an der Weberwiese von Hermann Henselmann gebaut, das am 1. Mai 1952 mit 33 Wohnungen von je 65 qm Wohnfläche und einer Miete von 90 Pfennigen pro qm an die neuen Mieter übergeben wurde - 30 Arbeiter, einen Architekten, einen Lehrer und ein Volkspolizisten.

Der Bau von zwölf 100 bis 300 Meter langen und sieben- bis neungeschossigen Wohnblocks mit mehr als 2.200 Wohnungen folgte. Gebaut wurde im Stil des Sozialistischen Klassizismus mit palastartigen Gebäuden, die zahlreiche Verzierungen an den Fassaden, Säulen, Säulenhallen und Turmaufbauten enthalten. Die Wohnhäuser mit überwiegend Zwei- und Drei-Raum-Wohnungen wurden mit Bädern, Fernheizung und Aufzügen ausgestattet. Im Erdgeschoss und teilweise auch im ersten Obergeschoss wurden Geschäfte und Gaststätten eingerichtet. Der gesamte Straßenzug wurde auf 90 Meter verbreitert und durch mehrere Baumreihen und Grünflächen aufgelockert.

Der Westen spottete "gigantischer Kaninchenstall", "architektonischer Irrtum in Ost-Berlin", "Prunkmonument des östlichen Staatskapitalismus", "Via Triumphalis der Russen", "monumentale Kitsch" und plante als Gegenentwurf den Bau des Hansaviertels mit Beteiligung internationaler Architekten.

Im zweiten Bauabschnitt zwischen Alexanderplatz und Strausberger Platz wurden ab 1960 schlichte acht bis zehngeschossige Plattenbauten als Wohnhäuser errichtet, die großzügig aufgestellt sind, mit weiten Grünflächen zur Straße und zwischen den Blöcken. In diesem Abschnitt wurde auch das Hinterland der Allee bebaut mit zwei Wohnkomplexen für insgesamt 14.500 Einwohner. In diesem Teil der Allee (700 Meter lang, 125 Meter breit) befand sich auch der Standort für die Funktionärstribünen zu den alljährlichen zentralen Großdemonstrationen bis zum Ende der DDR.

Ganz im Sinne des bisher abgelehnten "Internationalen Stils" baute man jetzt rechteckige, zweigeschossige Flachbauten für das "Kino International" und das "Café Moskau" vor den Hochhäusern. Das Cafe Moskau ist um ein Atrium herum gebaut, durch raumhohe Fensterverglasung wird die Grenze zwischen innen und außen optisch fließend. Die Ähnlichkeit mit der Akademie der Künste im Westberliner Tiergarten ist nicht zufällig, was "drüben" geschah wurde in beiden Stadthälften immer beäugt. Das Obergeschoss des Cafes Moskau kragt über das Sockelgeschoss hinaus, der Eingang ist ein kleiner Vorplatz mit Wandmosaik, der in den Gebäudekubus eingeschnitten ist. Stolz prangt der Name des Cafes und eine originalgroße Sputnik-Nachbildung auf dem Dach.

Auch das gegenüberliegende "Kino International" kragt mit seinem Obergeschoss über die Eingangshalle hinaus und öffnet sich mit raumhohen Fenstern zur Straße, an den Seitenflächen sind Reliefs in die Fassade eingeschnitten. Neben dem Kino befand sich die Mokka-Milch-Eis- Bar "Mokke". In dem Premierenkino der DDR wurde zahlreiche DEFA-Filme uraufgeführt, zuletzt am 9. November 1989, dem Tag des Mauerfalls, Heiner Carows „Coming Out“. Die 8.Reihe des Kinos, in der man eine optimale Sicht hat, war für die Partei- und Staatsführung reserviert und mit einer besonderen Beinfreiheit versehen. Im Keller gab es für diesen Personenkreis einen kleinen Bunker.

Ein ähnliches Bauprinzip wie im zweiten Abschnitt der Stalinallee nutzten ab 1955 die Architekten Schwebes & Schoszberger beim "Zentrum am Zoo". Das Kino "Zoopalast", ein freistehender flacher Baukörper, wird von dem 16-geschossigen Huthmacher-Hochhaus und dem lang gestreckten Flachbau des Bikini-Hauses flankiert, das Cafe Kranzler stand um die Ecke am Kurfürstendamm. Auch hier führte der Zeitgeist der wiedergewonnenen Lebensfreude nach den Schrecken des Krieges und den entbehrungsreichen Aufbaujahren zu ähnlichen architektonischen Lösungen ist Ost und West.

Mein heutiger Rundgang schließt sich an eine Exkursion des Denkmalpflege-Seminars der TU an. Vom Strausberger Platz bis zum Alexanderplatz bin ich unterwegs. Fritz Kühn hat den "Schwebenden-Ring-Brunnen" auf dem Strausberger Platz 1967 gestaltet, dort wo ehemals das Stalin-Denkmal stehen sollte und nie gestanden hat. Der Brunnen wurde zu DDR-Zeiten "Parteitagsbrause" genannt.

Der Weg zum Alexanderplatz führt am Cafe Moskau vorbei, das jetzt nach der Übernahme durch Nicolas Berggrün eine neue Zukunft erhalten hat. An Stelle der internationalen Restaurants ist hier eine Eventlocation entstanden. Gegenüber, hinter dem Kino International, hat jetzt der Bürgermeister von Mitte seinen Amtssitz. Das hier stehende Interhotel "Berolina" wurde abgerissen und durch ein Hochhaus in gleicher Kubatur ersetzt.

Das "Haus des Lehrers" am Alexanderplatz ist heute mein letztes Ziel. Es wurde als "Kulturhaus für Pädagogen " in den 1960er Jahren errichtet. Das Hochhaus ist mit einer Kongresshalle verbunden, deren flache Kuppel von 38 Meter Durchmesser den Hauptsaal überwölbt. Um Hochhaus schlingt sich zwischen dem zweiten und fünften Obergeschoss eine "Bauchbinde", auf der Darstellungen aus dem gesellschaftlichen Leben in der DDR ("Unser Leben") gezeigt werden und die mit sieben Metern Höhe und 125 Metern Länge zu den größten Kunstwerken Europas zählt.

Der Kälte entronnen tauche ich am Alexanderplatz ein in den Verkehrsknotenpunkt im Untergrund.

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Hier gibt es einen weiteren Bericht über die Stalinallee:
Von Laubengängen und Lungenheilanstalten


Von Zeitung zu Zeitung
Von Laubengängen und Lungenheilanstalten