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Kathedrale für Pferde


Stadtteil: Kreuzberg
Bereich: Mehringdamm
Stadtplanaufruf: Berlin, Obentrautstraße
Datum: 9. September 2018
Bericht Nr.: 630

Vom Vorbeifahren kennt fast jeder die Burg, die 188 Meter lang den Mehringdamm von der Ecke Obentrautstraße an begleitet. Im Kontrast zu dem festungsartigen Bau soll die Putzfassade mit grauen Quadern eher an florentinische Stadtpaläste erinnern. Das Gebäude mit den Türmen und Zinnen ist die ehemalige Garde-Dragoner-Kaserne, in der 500 Soldaten in Mannschaftsunterkünften untergebracht waren.

Dragoner-Kaserne
Die Geschichte, die hier erzählt werden soll, beginnt in dem Jahr, in dem die militärische Nutzung der Kaserne endete. Durch den Versailler Vertrag wurde Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg weitgehend entmilitarisiert, für die Kaserne endete 1919 ihre ursprüngliche Zweckbestimmung. Die "Interalliierte Militär-Kontrollkommission" überwachte, dass das Militär den Standort für eine zivile Nachnutzung freigab. In der Reithalle hinter der Kaserne hatte diese Kommission sich dazu ein Büro und einen Aufenthaltsraum eingerichtet.

Das die Straße beherrschende Kasernengebäude steht auf einem fünfeckigen Grundstück, das mehr als 200 Meter in die Tiefe geht. Seine wirkliche Ausdehnung kann man vom Mehringdamm aus nicht erfassen. Auf dem 47.000 Quadratmeter großen Grundstück werden schätzungsweise 7.000 qm mit dem Kasernenbau belegt, die rückwärtige Fläche umfasst also rund 40.000 qm. Dieser rückwärtige Bereich war für die militärische Nutzung mit einer Reithalle, mehreren Stallgebäuden, einer Krankenstation für Pferde, einer Beschlagschmiede und Nebengebäuden bebaut. Zwischen den parallel ausgerichteten Ställen und der Reithalle bildeten sich drei längliche Höfe, die als Reitplätze und Exerzierplatz genutzt wurden.

In den Stallgebäuden war Platz für 700 Pferde. Die außen nüchtern mit gelbem Backstein verkleideten Stallgebäude sind innen wie Kathedralen für Pferde ausgestaltet. Die dreischiffigen Ställe werden von Kreuzkappengewölben überspannt, die auf schlanken gusseisernen Säulen ruhen. Seitlich befinden sich die Futtertröge.

Über den Rundbogen-Portalen sind innen Spruchbänder angebracht mit Texten wie
____Ein starkes Roß / ein blankes Schwert
____halten die Dragoner wert

Vom Kohlenhandel zur "Autodienst-Station"
In das Hauptgebäude zog 1923 ein Finanzamt ein. Zwei Jahre vorher hatte bereits ein Kohlengroßhändler den riesigen rückwärtigen Bereich mit Reithalle, Stallgebäuden, Reitplätzen und Exerzierplatz gepachtet. Er lagerte hier Kohlen und stellte seine Fahrzeuge ab. Die nicht für den eigenen Betrieb erforderlichen Baulichkeiten und Flächen vermietete er an andere Unternehmen. Mit seiner Tochtergesellschaft "Transport und Lagerhaus GmbH“ ("Translag“) erweiterte er später seinen Geschäftsbereich auf Speditionstätigkeiten. Die weitere Entwicklung ging über eine "Gross-Garagen-Station" zu einer umfassenden "Autodienst-Station".

Der auf Verkehrsbauten spezialisierte Architekt Heinrich Kosina entwickelte das Areal ab 1928 zu einem Ensemble von Gebäuden rund um automobile Dienstleistungen: Garagen, eine Tankstelle, eine Autowaschanlage, Reparaturwerkstätten. Insgesamt waren 600 Einstellplätze auf dem riesigen Grundstück vorhanden. Die Adler-Automobil-Werke aus Frankfurt/Main richteten auf dem Grundstück eine Filiale ein. Für sie wurden zwei Bauten errichtet, das Rheinlandhaus und eine Reparaturhalle. Auf dem ehemaligen Exerzierplatz auf dem mittleren Hof erbaute der Architekt Walter Hämer 1929 eine Halle mit Oberlichtern, die heute noch steht.

Walter Hämer ist der Vater des Architekten Hardt-Walterr Hämer, der bei der Internationalen Bauausstellung (IBA 1984/87) die "Behutsamen Stadterneuerung" der Altbauten verantwortet hat. Walter Hämer entwarf in Deutschland Wohnhäuser und Wohnanlagen, Tankstellen, Parkhäuser, Garagen und beteiligte sich zusammen mit seinem Sohn an Wettbewerben, unter anderem für das Opernhaus in Sydney.

Zur Straße hin waren die Adler-Werke im Rheinlandhaus präsent. Auf der nordöstlichen Ecke des Geländes verlängerten zwei Architekten 1927 das Kasernengebäude um einen zweistöckigen Flügel mit sanft abgerundeter Ecke und raumhoch durchfensterter Fassade. Das war ein krasser architektonischer Bruch im Verhältnis zur alten Burg. Das neue Rheinlandhaus mit seiner gefälligen Eckrundung und dem vielen Glas wirkte anziehend und einladend und das sollte es auch sein, schließlich war hier unter anderem das Autohaus untergebracht.


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Als 1966 der Mehringdamm verschwenkt wurde, um ihn an die Wilhelmstraße anzuschließen, ist das Haus abgerissen worden. Ein Treppenwitz der Stadtentwicklung: Dieser Bau der Automobilität musste der autogerechten Stadt weichen.

Heinrich Kosina - der den Autohof architektonisch entwickelt hatte - entwarf das Rheinlandhaus zusammen mit Ludwig Hilberseimer. Hilberseimer war Architekt und Stadtplaner. Er hat selbst nur wenig gebaut, sein Schwerpunkt waren städtebauliche Studien. Eine kubische Villa in Zehlendorf und eine Wohnanlage in Adlershof sind in Berlin als Bauten erhalten.

Beim Bau der Zeppelinhallen in Staaken leitete er das Planungsbüro. Zu seinen nicht verwirklichten Architekturvisionen gehörte der Abriss ganzer Altbauquartiere am Gendarmenmarkt, um parallele Hochhausriegel als urbane Wohnform zu errichten. Nach seiner Berliner Zeit lehrte er am Bauhaus, bevor er in die USA ging.


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Das Dragoner-Areal heute
Und wie sieht es heute aus? Das Dragoner-Areal ist vor Kurzem auf Umwegen Eigentum der Stadt Berlin geworden, die es an zwei landeseigene Wohnungsbaugesellschaften weitergereicht hat. Es gehört zum Sanierungsgebiet "Rathausblock", der sich südlich bis zum Rathaus Kreuzberg an der Yorckstraße erstreckt. Westlich der Großbeerenstraße hat der Stadtteil einen völlig anderen Charakter. Hier grenzt ein großbürgerliches Viertel an, das wir gerade bei einem Stadtrundgang erforscht haben.

Der Autohof erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Das Konglomerat von Gebäuden unterschiedlicher Bauweise und Nutzung ist kaum zugänglich. Die Randbebauung mit Garagen im hinteren Teil verschwindet hinter einer Absperrung. Wenn man hineinschauen kann, sieht man ungewöhnlich hohe und großzügige Abstellplätze. Hier konnten sogar Kleinlastwagen eingestellt werden, die vom Kohlenhändler und anderen Gewerbetreibenden genutzt wurden.


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Kaserne, Pferdestall und Reithalle sind als Baudenkmale eingetragen, Tankstelle und Waschanlage sind "bedeutende Erweiterungsbauten" ohne Denkmalschutz. Diskutiert wird, das übrige Gelände zu bebauen. In akribischer Arbeit hat die Initiative "Denkmal-Dragoner-Areal.de" die Erhaltungswürdigkeit der Autohof-Bauten untersucht und das Ergebnis am Denkmaltag 2018 vorgestellt. Jedes Fundament, jede Wand, jedes Gebäude mit geschichtlichen Spuren wurde dokumentiert. Was daraus wird, ist offen. Bei der Neubebauung muss bisher mit keinen Denkmalauflagen gerechnet werden, für den Autohof sieht das schlecht aus.

Ein weiteres Projekt, das mit einer Wohnbebauung ringt, wurde am Denkmaltag 2018 mit dem Westkreuz-Park vorgestellt. Hierüber werd ich an anderer Stelle berichten.


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Unsere Route:
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Der Deutsche Michel war ein Reitergeneral
Eine Lücke im Stadtgrundriss