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Flüssig, flach und flüchtig


Stadtteil: Kreuzberg
Bereich und Stadtplanaufruf: Moritzplatz
Datum: 6. November 2022
Bericht Nr.:791

Wer seinen Blick auf den Boden gerichtet hält, kann die Sterne nur in den Pfützen sehen. Man kann die Wasserlachen aber auch bewusst wahrnehmen und erforschen. Sie sagen etwas aus über Bodenunebenheiten, Löcher, Rillen und Vertiefungen. Über Verdunsten, Abfließen, Versickern und über die Verdichtung des Bodens und seine Versiegelung.

Sie sind keine Phänomene der Moderne, des urbanen Lebens, den Begriff "Pfützen" gab es schon im 8. Jahrhundert. Da hießen sie je nach Mundart puzza, pfuzza, buzza, fuzze, puzzi, pfuzi, puzz, und das war leichter auszusprechen als unser Wort mit "pf", "ü" und "tz" nacheinander. "Pfütze" wird gern als Metapher verwendet, Martin Luther verglich die Sprache der Bibel und ihrer Übersetzungen mit unterschiedlichen Zuständen des Wassers: Das Hebräische trinkt aus der Quelle, das Griechische aus dem Bach, das Lateinische aber aus den Pfützen.

Pfützen sind ortsgebunden. Sie kommen beim Regen, und wenn sie sich zwischendurch verflüchtigen, sind sie beim nächsten Regen wieder da. Manche nisten sich ein, wie die Pfütze vor der untersten Stufe unseres U-Bahnaufgangs. Vereinzelte Regenschauer genügen, das Wasser läuft herunter, dann hat sie in geschützter Lage wieder Saft für Wochen.


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Sie können Rundungen und geometrische Figuren haben, fransig, zackig oder zerlaufen sein. In den Pfützen kann man je nach Phantasie (witzige) Bilder sehen. Selbst wenn sie ausgetrocknet sind, lassen sich ihre Umrisse meist noch klar erkennen. Pfützen sind unrein und trübe, und sie spiegeln. Autofahrer sollten sich vorsehen, bevor sie eine Wasserlache auf der Straße durchqueren. Bei Straßenunterspülungen könnte sie eine ungeahnte Tiefe haben, so sind schon manchmal Fahrzeuge versunken.

Erwachsene weichen den Pfützen aus, manchmal gibt es regelrechte Trampelpfade um eine Wasserlache herum, die sich auf einem Hauptweg gebildet hat. Pfützen können ein Vergnügen sein, Kleinkinder platschen gern hinein. Es ist wohl auch der eigentümlicher Reiz, die Spiegelung auf der Wasserfläche zu zertreten.

Gerade unter Blättern kann noch eine stattliche Wassermenge stehen, Pfützen können aber auch als dünner Film über dem Boden liegen. Wasserlachen bilden sich häufig auch an Bordsteinen, meist mit Blättern bedeckt oder mit Zigarettenstummeln und anderem Müll verunreinigt. Wenn Mücken eine Pfütze übernehmen, dann wird sie zum Tümpel.


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Versiegelung
Eine Pfütze neben einem Gully – wenn er sie nicht eingesaugt hat, kann dort Regenwasser gerettet worden sein. Statt mit der Kanalisation aus der Stadt weggeschwemmt zu werden, kann es dem lokalen Klima oder der Bodenbefeuchtung zugutekommen, Ob Wasser versickern kann, hängt von der Oberfläche des Bodens ab, wobei "Versiegelung" als Thema vielschichtiger ist, als man es spontan vermutet. Traditionell sind auf Gehwegen in Berlin große Gehwegplatten verlegt, in den Streifen rechts und links daneben besteht die Pflasterung aus abriebfesten Mosaiksteinen (Bernburger Mosaik). Dieses Mosaik wird größenmäßig unsortiert - aber mit den Kanten passgenau - eingesetzt, dadurch ergibt sich ein unregelmäßiges, abwechslungsreiches Bild.

Die Steine werden ohne Mörtel direkt in den Sand verlegt, so dass in den Zwischenräumen das Regenwasser versickern kann - diese Pflasterung ist keine Versiegelung des Bodens. Auch das Kopfsteinpflaster und die heute üblichen Rasengittersteine sind versickerungsfähig. Wenn natürlich bei Reparaturarbeiten statt des Mosaiks die Aufbrüche mit Asphalt zugekleistert werden, ist das kontraproduktiv. Leider ist dieser Pfusch im Straßenbild häufiger zu finden.


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In den Lagen unterhalb der Oberfläche filtert der Boden nach und nach die Schadstoffe aus dem Wasser heraus. Was unten im Grundwasser ankommt, ist weitgehend frei von Kontaminationen.

Lebensraum Straßenpflaster
In den Fugen des Straßenpflasters siedeln sich Flechten an oder Pflanzen, die nicht zertreten werden können („Trittvegetation“). An den Hauswänden können es auch höhere Gewächse sein, weil sie dort nicht durch Fußgänger bedroht sind. An den Berliner Bundesbauten wird für Ordnung gesorgt, da wird das unerwünschte Grün vor den Hauswänden beseitigt. Vorbei sind die Zeiten, da man dazu Glyphosat verwendete, heute nimmt man einen heißen Wasserstrahl.


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Pfützen als neues Arbeitsfeld
Die Künstlerin Mirja Busch hat sich ganz den Pfützen verschrieben. Seit Jahren fotografiert sie (nur) Pfützen, macht Ausstellungen dazu ("Pfützenarchiv") und hat einen Spaziergang zu Pfützen im Umkreis des Moritzplatzes ("Puddle Watching") entworfen, den wir als Anregung für eigene Betrachtungen genommen haben. Die Forschungsergebnisse zu den Ökosystemen der Gewässer von Dr. Thomas Nehls (Institut für Ökologie, TU) ergänzen das Thema "Pfützen" aus wissenschaftlicher Sicht. Sich mit Pfützen aus künstlerischer und wissenschaftlicher Sicht zu beschäftigen, ist eine erst vor wenigen Jahren entdeckte Disziplin.

Fehlfarben
Ein angrenzendes Gebiet sind die "Fehlfarben", mit denen wir uns vor zwei Jahren beschäftigt haben: Die Abweichungen vom Regelfall. Was nicht in ein Schema passt, die Abirrung, der Ausreißer, etwas, das aus dem Ruder gelaufen ist. Kippelnde Bodenplatten, mit Asphalt statt Steinen ausgefüllte Reparaturstellen, von Wurzeln angehobene Bodenplatten, verwitterte Markierungen, überwachsene aufgegebene Bahngleise, Fahrradreste am Straßenrand, Müllablagerungen, Lücken in Schriftzügen, abgeblätterter Putz, Bekanntmachungen ohne Inhalt, die Stadt ist voll von solchen Merkwürdigkeiten.



Früher musste man sich mit dieser Einsicht abfinden: "Im Frühling ist der schönste Schneemann eine Pfütze". Heute tritt diese Trauer kaum noch auf, weil es keinen Schnee mehr gibt.
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Unsere Route:
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Tiefbegabt und hochbegabt
Shitstorm der Müllbehälter