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Ein Friedhof wird zur Klimaoase


Stadtteile: Friedrichshain, Lichtenberg, Prenzlauer Berg
Bereich: Alter Schlachthof
Stadtplanaufruf: Berlin, Hausburgstraße
Datum: 27. Juni 2022
Bericht Nr.: 778

Am Beginn unseres heutigen Stadtrundgangs stehen wir erstaunt vor dem Georgen-Parochial-Friedhof an der Landsberger Allee. Ein Plakat am Friedhofseingang verheißt, dass die Begräbnisstätte zur "Klimaoase" umgestaltet wird. Regenwasser soll in einer Zisterne gesammelt werden, um den Friedhof zu bewässern. Die Kanalisation wird entlastet, das Regenwasser fördert den Lebensraum Friedhof. Lebensraum? Es gibt ja dort nicht nur die Toten in ihrer Gruft, sondern auch Bäume und andere Vegetation. Fünfzig widerstandsfähige Bäume werden im Rahmen der Klimaanpassung zusätzlich gepflanzt. Das Wasser kommt auch vom begrünten Dach eines Nachbarhauses.

Wenn der Wetterdienst starker Regen ankündigt, soll die Zisterne automatisch in ein Überlauf-Biotop entleert werden, ein "Wechselfeuchtgebiet". Dass die Zisterne selbsttätig Platz schafft für neues Regenwasser, sei dank einer innovativen Technik möglich, die in Berlin bisher einzigartig ist. Der Friedhof reduziert damit seinen Wasserverbrauch um 70 Prozent. Wir sind zur rechten Zeit gekommen, um die Baggerarbeiten zu erleben, mit denen die Zisterne im Boden versenkt wird.

Wohnhaus Landsberger Allee am Friedhof
Auf einem vom Friedhof aufgelassenen Gelände an der Landsberger Allee ist ein langgestrecktes Wohnhaus mit einer grauen Schieferfassade entstanden. Die Friedhofsmauer an der Straße blieb erhalten. Dahinter erhebt sich der viergeschossige Bau, der im Erdgeschoss mit Holz verkleidet ist, tatsächlich aber auch in seiner Substanz aus Holz besteht. Fundamente, Keller, Brandwände und Treppenhaus sind aus Beton.


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Die tragenden Teile des Hauses bestehen aus Brettsperrholz, die Außenwände aus einem Holzrahmensystem, die Decken aus Holz-Beton-Verbund. Die Fenster sind Holz-Aluminium-Konstruktionen. Durch industrielle Vorfertigung sind Holzbauten in extrem kurzer Zeit zu errichten. Ein weiterer Vorteil ist die gute Wärmeisolierung.

Die Wohnräume sind zur Rückseite des Hauses orientiert mit Blick über die Grünfläche des Friedhofs. Auf dieser Seite ist das Gebäude "holzsichtig". Das Holz wurde bei diesem Bau nicht verkapselt, also mit einem Mantel aus Gips umgeben, wie man das vielfach bei Holzbauten findet. Vielmehr wurde es "nach Abbrand" bemessen, also einem ausreichend langen Feuerwiderstand, so dass es dieselbe Brandsicherheit wie konventionelle Bauten aufweist. Beim Dach wurden in regelmäßigen Abständen Brandriegel aus nicht brennbarer Mineralwolle zwischengesetzt.

Strom-Masten in Friedrichshain
Auf dem weiteren Weg stoßen wir nahe dem Umspannwerk Eldenaer Straße auf Strommasten mit Freileitungen. Nicht nur uns verwundert das, auch der zuständige Senator hatte einmal verkündet: "oberirdische Leitungstrassen passen nicht zu Berlin". In Pankow waren wir vor vier Jahren auf eine oberirdische Stromtrasse gestoßen, deren Strommast sogar auf einem Schulhof steht.


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Während der unter Höchstspannung stehende Strom in der Stadt durch eine unterirdische "Transversale" verteilt wird, gelangt er von mehreren Umspannwerken immer noch über Freileitungen mit 110 Kilovolt auf Strommasten in die Außenbezirke. Von Friedrichshain führt eine dieser Leitungen zum Umspannwerk Wuhlheide. Das soll sich bald ändern, das Stromnetz Berlin will alle Freileitungen bis 2030 unter die Erde verlegt haben.

Sporthalle Hausburgviertel

Wir sind heute den Holzbauten in Friedrichshain und Lichtenberg auf der Spur, auch Prenzlauer Berg ragt mit einem Zipfel in unsere heutige Route. Das nächste Ziel liegt auf dem Gebiet des ehemaligen Schlachthofes zwischen Landsberger Allee und Eldenaer Straße. Dort ist an der Hausburgstraße eine Sporthalle entstanden. Ihre Architektur zeigt ein Wechselspiel von historischen und neuen Bauteilen aus Glas, Stahl und Holz. Der Neubau wurde mit dem Giebel eines ehemaligen Rinderstalls und seinen teilweise erhaltenen Mauerwerkswänden verbunden. Nebengebäude aus Sichtbeton ergänzen die Anlage. Hölzerne Lamellen umfassen die Sporthalle. Im Innern sind Lamellen in Längsrichtung eingehängt, das Flächentragwerk des Daches besteht aus Nadelholz.

Studentenapartments Storkower Straße
Jenseits des Schlachthofgeländes an der Storkower Straße haben Architekten ein Apartmenthaus für Studenten erbaut. Das Haus wurde als "Technisch Optimierter Prototyp" unter Einbeziehung aller Gewerke und Beteiligten entwickelt. In Hybridbauweise sind unterschiedliche Baustoffe verwendet worden: Keller und Bodenplatte bestehen aus Beton, Außenwände und innere Stützen aus Holz, Geschossdecken aus Stahlbeton. Auch hier wurde das Holz nicht verkapselt, sondern "auf Abbrand" für eine Feuerwiderstandsdauer von 90 Minuten ausgelegt.


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Die Giebelwände verzichten wegen der stark befahrenen Straße auf Fenster. In den Apartments sind die Oberflächen der Holzwände sichtbar. Überdimensionale Astlöcher in der Fassade zeigen: Dieser Bau ist nach außen nicht holzsichtig, das Holz wurde als Illusion in die Putzfassade hineingemalt. Ist das nun besonders kreativ oder einfach nur banal?

Mehrfamilienhaus Müggelstraße
Einen weiteren Bau unserer Holzhaus-Erkundungen finden wir nahe dem Traveplatz. Es ist ein siebenstöckiges Hybrid-Holzhaus. Wir sehen auch hier, dass jedes Holzhaus individuell konfiguriert ist: Inwieweit Holz mit anderen Materialien verbunden wird, und ob es sich nach außen als Holzhaus zu erkennen gibt. Das Besondere in der Müggelstraße: Das Haus wird sogar mit Holz geheizt (Holz-Pellets). Warum sollte das irritieren? Es wird schon keiner sein Haus verfeuern, um es zu heizen.


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Das Mehrfamilienhaus wurde erbaut aus Stahl-Beton-Wänden mit Holz-Beton-Verbunddecken. An der Fassade sind die Holzwände mit hölzernen Schindeln verkleidet. Das oberste Geschoss ist gegenüber den Außenwänden des Gebäudes zurückgesetzt (Staffelgeschoss). Die Wohnungen haben raumhohe Fenster und Balkons.

Schlachthofgelände
Noch einmal zurück zum Schlachthof, der seit 1881 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs vollständig in Betrieb war. Es wegen der weitgehenden Kriegszerstörung an, das brachliegende Gelände nach der Wende zum Wohnquartier zu entwickeln. Dazu wurde es in fünf Quartiere aufgeteilt - Beispiele: Hausburgviertel, Thaerviertel -, und an einzelne Investoren verkauft. Neue Wohngebiete mit Mehrfamilienhäusern, Stadthäusern und Stadtvillen entstanden. In manche historischen Bauten wurden Wohnungen eingebaut.

Von den historischen Bauten blieb die filigranen Eisenkonstruktion der Rinderauktionshalle erhalten, dort werden heute Fahrräder verkauft. Das eiserne Gerippe der Hammelauktionshalle blieb als Kunstgegenstand im grünen Gelände stehen. Der Schlachthof hatte ein eigenes Straßenreinigungsdepot, sein Gebäude steht noch an der Hausburgstraße. An der Thaerstraße hatte man ein Backsteingebäude als Verwaltungsgebäude errichtet und es nachträglich mit einem Fachwerkaufsatz aufgestockt. An der Ecke gegenüber folgt ein mit horizontalen Bändern gegliedertes neues Gebäude stromlinienförmig dem Straßenverlauf.


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Demontagen und Reparationen -- was passierte nach dem Krieg
Den Zweiten Weltkrieg überdauerten auf dem Schlachthofgelände nur zwanzig Prozent der historischen Backsteinbauten. Die sowjetische Besatzungsmacht nutzte bis 1948 das Gelände zur Zwischenlagerung der in der Ostzone (der späteren DDR) demontierten Reparationsgüter: Fast ein Drittel der Industriebetriebe der Ostzone wurde nach Kriegsende demontiert und in die Sowjetunion geschafft. Ob die Fabriken dort wiederaufgebaut wurden oder ob viele einfach nur dort verrotteten, ist wohl nie untersucht worden. Die DDR wurde durch die Demontagen auf Dauer vom "großen Bruder" abhängig. Auch rund 12.000 km Eisenbahnschienen wurden abmontiert, fast die Hälfte des ostdeutschen Schienennetzes.

Die Siegermächte verfolgten hinsichtlich der von Deutschland zu leistenden Reparationen unterschiedliche Ziele. Sie hatten vereinbart, dass jede Besatzungsmacht in ihrem eigenen Besatzungsgebiet Reparationsansprüche geltend machen sollte. Stalin bestand in seiner Zone auf wirtschaftlicher Kompensation durch Demontagen. Er hätte sogar ein Viertel der Reparationen aus den westlichen Besatzungsgebieten bekommen sollen, weil sich dort die meisten Industriezentren befanden. Da die dafür vereinbarten Lebensmittellieferungen an die Westzonen ausblieben, beendeten die Westmächte unter Führung des stets unerschrocken agierenden amerikanische Militärgouverneurs Lucius D. Clay die Demontagen der Sowjets im Westen. Der Kalte Krieg hatte begonnen.

Die Westmächte wollten den Deutschen den wirtschaftlichen Wiederaufstieg ermöglichen, damit nicht wie nach dem Ersten Weltkrieg ein geknebeltes Land den Weltfrieden stört (Aufstieg Hitlers durch Auflehnung gegen den Versailler Vertrag, Besetzung des Rheinlandes durch Frankreich). Auch der beginnende Kalte Krieg sprach für eine Stärkung der westlichen Besatzungszonen. Der Wiederaufbau der Bundesrepublik wurde durch den Marshall-Plan der USA unterstützt, während die DDR durch Reparationsleistungen der Sowjetunion geschwächt wurde. Sie trug so wirtschaftlich die Hauptlast des von allen Deutschen begonnenen und verlorenen Krieges. Der Schriftsteller Günter Grass stellte deswegen ernsthaft die Frage, ob die Ostdeutschen nicht einen innerdeutschen Reparationsausgleich bekommen müssten. Dieser Grund für die Ungleichheit von Ost und West ist jedenfalls aus dem Bewusstsein verschwunden.

Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher schafften es mit dem Trick des "Zwei-plus-Vier-Vertrages", Reparationsleistungen anderer in den Krieg hineingezogener Länder wie Polen oder Griechenland fürs Erste beiseitezuschieben. Nach Kriegsende hatten die vier Siegermächte vereinbart, dass Reparationsforderungen endgültig erst nach Abschluss eines Friedensvertrags geklärt werden sollten, andere als die Besatzungsmächte gingen zunächst leer aus. Da der Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht als Friedensvertrag abgeschlossen wurde, sondern - diplomatische Feinheit - "anstelle eines Friedensvertrages", lehnt die Bundesrepublik bis heute Ansprüche aus Polen, Griechenland und anderen betroffenen Staaten ab. Ob Verjährung oder zwischenzeitliche Verträge diese Ansprüche ausschließen, ist ungeklärt. Die Regierungspartei Polens - PiS - hat ihr Schreckensbild der Deutschen jedenfalls auf dieser Verweigerung aufgebaut.
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Den ersten Teil zu den Berliner Holzhäusern können Sie hier nachlesen:
Der erfolgreiche Weg des Holzes im Städtebau
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Unsere Route:
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Die Schlucht am langen Weinberg
Tiefbegabt und hochbegabt