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Ein bisschen Autobahn im Neuen Westen


Stadtteile: Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg
Bereich: Gedächtniskirche
Stadtplanaufruf: Berlin, Rankestraße
Datum: 14. Oktober 2019
Bericht Nr.: 671

Im "Neuen Westen" flanieren wir heute von Gedächtniskirche und Kudamm bis zur Lietzenburger Straße. Der Lietzenburger Straße merkt man an, dass sie für den Ausbau zur Stadtautobahn vorbereitet wurde. Die autogerechte Stadt sollte verwirklicht werden, ein Ring und Netz von Stadtautobahnen war geplant. Um die Stadtautobahn A 106 - die "Südtangente" - bis nach Kreuzberg anzulegen, wurden 1963 Straßen zerschnitten, verlegt, aufgeweitet und neu geordnet. Ein Glück für die Stadt - das Projekt ist nie vollständig verwirklicht worden, der Plan wurde 1976 aufgegeben. Der mehrspurige Ausbau der Lietzenburger Straße und im weiteren Verlauf der Straßen von der Urania bis zum Großen Stern führt aber heute noch zu einer unwillkürlichen Beschleunigung des Autoverkehrs auf den bis zu acht Spuren, eine innerstädtische Rennstrecke ist geschaffen worden, die bisher nicht entschärft wurde.

Für die Autobahn wurde die Lietzenburger Straße verbreitert und mit einem Mittelstreifen versehen, soweit abgeräumte Trümmergrundstücke dies zuließen. Zwischen Uhlandstraße und Joachimstaler Straße lag die Südseite nach dem Krieg fast völlig in Trümmern, auch die Verlängerung Ansbacher Straße bot die Möglichkeit, die Stadtautobahn über die Trümmergrundstücke zu führen. Beim westlichen Straßenverlauf bis zum Olivaer Platz verhinderte die Vorkriegsbebauung die Aufweitung der Straße. Für eine Stadtautobahn ungewöhnlich ist die Vielzahl der ampelgeregelten Kreuzungen, da sie hier nicht auf einer eigenen Trasse, sondern auf innerstädtischen Straßen verläuft. Anders als beispielsweise die Westtangente, die vom Steglitzer Kreisel bis zum Sachsendamm kreuzungsfrei bleibt.

Drei-Bezirke-Eck
Drei Bezirke stoßen an der Nürnberger Ecke Augsburger Straße im "Neuen Westen" aneinander - Charlottenburg, Schöneberg und Wilmersdorf - ein Drei-Bezirke-Eck an einer Straßenkreuzung. Zweimal springt die Bezirksgrenze anschließend an beiden Enden der Eislebener Straße hin und her, um sich dann in einem gemächlichen Bogen der Lietzenburger Straße anzuschmiegen, nicht ohne deren Mittelstreifen diagonal überquert zu haben. Dieser Grenzverlauf an der Lietzenburger ist auch ein Erbe der "Südtangente".


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Welches Grünflächenamt mag für den Mitteltreifen der Lietzenburger zuständig gewesen sein, als Charlottenburg und Wilmersdorf noch getrennte Bezirke waren? Zugegeben eine rein theoretische Frage, denn gepflegt werden die Mitteltreifen sowieso nicht mehr.

Bauen im "Neuen Westen"
An der Passauer Straße neben der Ecke Tauentzien kann man ein typisches Bild für den aktuellen Zustand des "Neuen Westens" um Gedächtniskirche und Kudamm sehen: Bauarbeiten schufen eine Lücke, nein ein riesiges Loch in dem eng bebauten Viertel, das KaDeWe-Parkhaus wurde abgerissen. Der Neubau wird fünf Etagen hoch werden, zukünftig soll man bis fünf Etagen tief im Untergrund parken dürfen. Mal sehen, ob vorher Archäologen dort unten alte Spuren finden. Und hoffentlich kommt der U-Bahntunnel nicht ins Rutschen, der in 30 Meter Entfernung unter der Tauentzien verläuft.

Ob der Gebäudeentwurf so verwirklicht wird? Die Visualisierung wirkt, als seien 28 Aufbewahrungskästen mit gläsernen Vorderfronten nebeneinander gestellt worden, und das Etage für Etage übereinander. Eine Fassade ohne horizontale oder vertikale Akzentuierung, die dem Auge Halt geben könnte. Das scheint ein neuer Trend zu werden, der Neubau am Kurfürstendamm am Gloria-Palast soll eine ähnliche Glasrasterung bekommen.

Femina-Palast
Von Investoren nicht angetastet wurde der 150 Meter lange Femina-Palast in der Nürnberger Straße, ein eindrucksvoller Bau mit wechselhafter Geschichte. Und auch den Bombenhagel hat der Gebäuderiegel unbeschadet überstanden. Eine Attraktion der Berliner Zwanziger Jahre, der Tanzsaal, wurde allerdings ein Opfer der Bomben, er stand im Hof in einem Quergebäude. Es war ein Tanzetablissement in eleganter Aufmachung, mit Tischtelefon und Rohrpost an den Tischen. Im Sommer tanzten die Gäste unter freiem Himmel, die gläserne Decke konnte geöffnet werden.


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Im Nachkriegs-West-Berlin wurde die "Badewanne" im Keller des Femina-Palasts etabliert. Hier traten Count Basie, Ella Fitzgerald und Duke Ellington auf. Und das Kabarett "Die Stachelschweine" startete in diesen Räumen. In den 1970er Jahren öffnete die Diskothek "Dschungel" im Haus Nr.53. Hier konnte man die Musiker Iggy Pop und David Bowie, den Sänger Nick Cave und die verruchte Entertainerin Romy Haag treffen, die David Bowie, Tina Turner, Freddie Mercury, die Rolling Stones, Udo Lindenberg in ihren Bann zog. "Einen Dresscode gab es im 'Dschungel' nicht. Leute kamen in Schwarz, OP-Kitteln, Kettenhemden, Bondage- oder Fetischklamotten".

Das "Berliner Theater" hatte eine Zeit lang im Femina-Palast seine Spielstätte, Tilla Durieux, Friedrich Schoenfelder, Günter Pfitzmann, Paul Henckels, Edith Hancke traten hier auf. Georg Kreisler begleitete hier seine schwarzhumorigen Chansons virtuos am Klavier ("Zwei alte Tanten tanzen Tango mitten in der Nacht"). Und Werner Finck trat hier mit seinem hintersinnigen politischen Kabarettprogramm auf, ein Meister der raffinierten Andeutung, ("Ich stehe hinter jeder Regierung, bei der ich nicht sitzen muss, wenn ich nicht hinter ihr stehe"). Ins KZ gebracht wurde er wegen seiner Beschreibung einer virtuellen Hitler-Eiche: " Vor ein paar Monaten war sie noch ganz klein, gerade bis zu meinen Knöcheln, dann reichte sie mir bis an die Knie, und jetzt steht sie mir schon bis zum Hals". Göring ordnete an, dass er aus dem KZ freigelassen wird, "um Goebbels eins auszuwischen", wie Finck unerschrocken spottete.

Das Femina-Haus im Stil der Neuen Sachlichkeit ließ alle diese Facetten zu. Es ist baulich sicher gegründet, denn unter ihm fährt eine U-Bahn. Die Fassade ist horizontal betont, abgerundete Erker und Vorsprünge geben dem Bau eine Leichtigkeit. Das Erdgeschoss ist als Ladenzeile konzipiert, die die Verbindung nach außen herstellt. In den Büroetagen darüber waren zeitweise Behörden wie die Branntweinmonopol-Verwaltung, die Landeshauptkasse, der Finanzsenator untergebracht. Heute nutzt ein Luxushotel das Gebäude, seine Konferenzräume hat es an der Stelle des ehemaligen Ballsaals untergebracht.

Tauentzien-Palast
Neben dem Femina-Palast bis zur Ecke Tauentzienstraße hatte Emil Schaudt, der Erbauer des KaDeWe und des Industriepalasts in der Warschauer Straße, bereits zum Ende der Kaiserzeit den Tauentzien-Palast errichtet. Einen Bau, dessen Verwandtschaft mit der Kaufhausarchitektur unverkennbar war. Über Erdgeschoss und ersten Stock hinweg verbanden Rundbogenfenster optisch die Räume eines Cafés. In Kolossalordnung in der Fassade zusammengefasst thronten darüber die drei Etagen des Kinos "Union-Theater Kammerlichtspiele" mit 1.000 Plätzen. Die UFA zeigte hier Filmpremieren wie "Berlin – Die Sinfonie der Großstadt" oder "Feuerzangenbowle". Das durch Bomben beschädigte Gebäude wurde noch bis in die 1950er Jahre bespielt, um dann einem Geschäftshausneubau zu weichen.

Die Bauten am Kudamm und an der Tauentzienstraße mag man gar nicht beschreiben - ehe Sie das gelesen haben, sind die Häuser abgerissen und durch Neubauten ersetzt oder bis zur Unkenntlichkeit verändert - die Investoren schlagen hier erbarmungslos zu. Am Kudamm verschwand der Gloria-Palast, und das Kaufhaus Wertheim - heute Karstadt - steht zur Disposition. Auch hier wird es einseitig um Rendite und schon gar nicht um Stadtbildpflege gehen.

Kudamm-Eck
Warum ist "Das Urteil des Paris" des Künstlers Markus Lüpertz auf dem Sockelgebäude des neuen Kudamm-Ecks aufgestellt worden? In der griechischen Göttergeschichte spielt ein Zankapfel eine Rolle bei der Entscheidung, welche von drei Göttinnen die schönste ist: Aphrodite, Athene oder Hera. Um die Wohlgestalt des vom Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner entworfenen 44 Meter hohen Zylinderbaus mit vorgezogenem Sockel wurde ebenfalls gestritten, genau wie über den Vorgängerbau, vielleicht war das die hintersinnige Anknüpfung.

Auf diesem Eckgrundstück hatte ursprünglich Senatsbaudirektor Werner Düttmann 1972 einen Neubaukomplex anstelle des zerbombten Altgebäudes errichtet, das (alte) "Kudamm-Eck". Der als Komposition weißer Kuben von der Straße her wahrgenommene Bau wurde als im Innern verschattet, verschachtelt und verwinkelt kritisiert und schließlich 1998 abgerissen. Das neue Kudamm-Eck ist rund (jedenfalls abgerundet) und nimmt damit das Erscheinungsbild der Bauten an der nächsten Ecke an der Rankestraße auf.

"Kaisereck", Geschäftshaus Michels und Cie.
Obwohl die Kaiserstraße schon 1888 in Rankestraße umbenannt wurde, ist der Rundbau am Breitscheidplatz 1914 als "Kaisereck" errichtet worden. Heute wird er als Geschäftshaus Michels und Cie. bezeichnet, dessen Leuchtreklame strahlte vom Dach zum Kurfürstendamm herüber. Das Haus ist nach dem Krieg vereinfacht und ohne Bauschmuck wieder aufgebaut worden. Als markante Architektursprache seines KaDeWe-Architekten Emil Schaudt blieben aber weiterhin - wie beim Tauentzien-Palast (s.o.) - die Rundbogenfenster, die das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss miteinander verbinden.


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Defaka-Kaufhaus
Der Architekt Paul Schwebes hat - meist zusammen mit Hans Schoszberger - das Bild der Nachkriegsmoderne im Neuen Westen geprägt mit dem "Zentrum am Zoo" (Bikini-Haus, Zoo-Palast), dem Allianz-Hochhaus, dem Kempinski. Auch den Rundbau auf der östlichen Ecke der Rankestraße hat Schwebes 1955 entworfen. Bauherr war das "Deutsche Familienkaufhaus (Defaka)", das aus der "Deutschen Beamten-Warenversorgung (Debewa)" hervorgegangen ist.

Die Einmündung der Rankestraße wird damit durch zwei Bauten flankiert, die mit ihrer gefälligen Rundung die gegenüberliegende Gedächtniskirche ins Bild holen und den leichten Bogen des Kudamms zur Tauentzien ins Bauwerk übernehmen. Schwebes hat auf den fünf Etagen raumhohe "Schaufenster" realisiert und dabei die Etagen kräftig horizontal akzentuiert, anders, als dies beim KaDeWe-Parkhaus-Nachfolger vorgesehen ist (s.o.). Als Handelsplatz hat das Defaka-Haus eine typische Nachkriegs-Geschichte. Als das Warenhaus aufgeben musste, zogen eine Buchhandlung und ein Schuhgeschäft ein, als nächste Generation sind Modeketten und ein Fitnesscenter angetreten.

Marmorhaus
Außen viel Marmor an der Fassade, aber als Objekt "ein Millionengrab" (Tagesspiegel). Das 1913 erbaute Premierenkino Marmorhaus hat - nach Filmbühne Wien und Gloria-Palast am Kudamm gegenüber - 2001 die Filmvorführungen eingestellt. Die Multiplex-Kinos haben den alten Filmtheatern den Rang abgelaufen, auch der Umbau in ein "Schachtelkino" mit mehreren Kinoräumen konnte das nicht aufhalten. Investoren machten sich über die begehrte Kudamm-Immobilie her, statt Kinoerlebnis folgte Einkaufserlebnis bei einer Modekette und einem "Lifestyle-Label", der Konsum hat sich längst nicht nur sprachlich unseres Lebensstils bemächtigt. Sage mir, wo du kaufst und ich sage dir, ob ich dich liken werde.

Von Grimmek zu Grenander sind wir heute unterwegs, wenn man die Architekten der U-Bahnhöfe Kurfürstendamm und Wittenbergplatz benennt. Bruno Grimmek, der an der Berliner Baugewerkschule ausgebildet worden ist, hat 1961 - im Jahr des Mauerbaus - den Kreuzungsbahnhof Kurfürstendamm realisiert, an dem unser Spaziergang beginnt. Alfred Grenander erbaute 1912 den Bahnhof Wittenbergplatz mit fünf nebeneinander liegenden Gleisen - einmalig in Berlin. Im Café Grenander am Wittenbergplatz werden wir mit Omas Kuchen verwöhnt, ungleichmäßig großen Stücken von Blechkuchen, teilweise mit Rand, das hat keine Maschine geschnitten, Abweichungen nimmt man gern in Kauf.

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Unsere Route:
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Rosinen auf der Straße
Atelier für zwei Bildhauer mit Staatsaufträgen